Sebastian Schindzielorz – Schatten seines Vorgängers oder kreativer Reformer?

Sebastian Schindzielorz im Blickpunkt. Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)
Sebastian Schindzielorz Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)

Vor circa eineinhalb Jahren übernahm Sebastian Schindzielorz, kurz „Sesi“, das Ruder beim VfL. Seither ist viel passiert: Ein neuer Trainer, drei Transferperioden sowie sportliche Höhen und Tiefen – höchste Zeit also, unseren neuen Sportdirektor genauer unter die Lupe zu nehmen. Ist was dran an den den kritischen Stimmen, die ihn nicht selten mit seinem in Ungnade gefallenen Vorgänger in Verbindung bringen oder hinterlässt der Urbochumer seine ganz eigene Duftnote? Um das zu beleuchten, muss zunächst einmal der Blick in die Vergangenheit gerichtet werden.

Februar 2018: Der VfL ein Trümmerhaufen – sowohl sportlich, zwischenmenschlich als auch in der Außendarstellung war der Verein eine reine Katastrophe. Angefangen mit internen Problemen, musste zu Saisonbeginn der sportlich über alles erhabene Gertjan Verbeek die Bühne räumen. Was folgte war sportliches Versagen, Trainerentlassungen und Streitereien zwischen Spielern und dem damaligen Manager Christian Hochstätter, welche auf Kindergartenniveau von beiden Parteien in die Öffentlichkeit getragen wurden.

Musste Anfang 2018 gehen – Christian Hochstätter Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)

In dieser ohnehin schon prekären Phase wurde die Fanszene aufgrund der Ausgliederungsfrage obendrein gespalten. All diese Geschehnisse mündeten in den Rücktritten von Engelbracht und Goosen sowie einer sportlichen Talfahrt mit zuletzt vier verlorenen Spielen in Folge und akuter Abstiegsgefahr. Kurzum, der VfL stand vor einer selten dagewesenen existentiellen Krise und Christian Hochstätter musste völlig zu Recht das Feld räumen. Auf Hochstätter folgte Sebastian Schindzielorz und mit ihm der Wandel in vielen Bereichen. Doch was zeichnete diesen Wechsel aus und wie kam es überhaupt, dass ausgerechnet ein Bochumer Urgestein den VfL im Februar 2018 übernommen hat?

Der Werdegang

Hierfür lohnt sich ein Blick auf die Vergangenheit des gebürtigen Polen. Bereits mit 9 Jahren schnürte „Sesi“ seine Schuhe für den VfL Bochum. In insgesamt 15 Jahren beim VfL durchlief er dabei mehrere Jugendstationen sowie die Amateurmannschaft, bevor er sich schließlich bei den Profis als Leistungsträger durchsetzen konnte. 15 Jahre des gemeinsamen Weges, 15 Jahre, in denen man durch dick und dünn gegangen war. Mit seinem VfL musste Schindzielorz gleich zweimal einen bitteren Abstieg hinnehmen, dennoch ging er beide Jahre mit dem VfL den Weg in die zweite Liga und bügelte jeweils mit guten Leistungen diesen „Zustand“ umgehend wieder aus. Ein Jahr nach dem zweiten Wiederaufstieg, im Sommer 2003, wechselte der ehemalige Mittelfeldregisseur nach all den Jahren den Verein und schloss sich dem 1. FC Köln an. Doch im Herzen hatte er den VfL nie verlassen und so wunderte seine Rückkehr zum VfL Bochum nach Beendigung seiner aktiven Laufbahn niemanden, der sich Bochum-Kenner schimpfen kann.  Im Januar 2015 trat er zunächst als Assistent der Geschäftsführung wieder beim VfL an und konnte unter Christian Hochstätter Praxiserfahrung neben seinem Studium im Fußballmanagement sammeln. Doch gerade diese Zeit unter dem, zumindest auf der wirtschaftlichen Ebene, nicht unerfolgreichen Hochstätter, wird ihm heute zum Verhängnis. Zu groß war der Unmut über die zurückliegenden Erlebnisse, zu groß der Unmut über das zwischenmenschliche Versagen des vom Hof gejagten Managers. Nicht wenige, die in der Anonymität des Internets meinen ihren Mann stehen zu müssen, verunglimpfen deswegen die Bochumer Koryphäe als „Praktikant“ – in Anlehnung an seine Zeit unter seinem Vorgänger. An dieser Stelle sei schon mal erwähnt, dass dieses Niveau auf keiner Ebene zu tolerieren ist. Ein Mensch bleibt ein Mensch und jeder Mensch ist in seiner Person und seinen Handlungen einzigartig – so auch Sebastian Schindzielorz! Letztlich kommt es im Fußballbusiness dennoch auf die Leistung an, die es gilt auf mehreren Ebenen zu beleuchten.

Die Trainerwahl

In seiner ersten Amtshandlung nickte Schindzielorz in Zusammenarbeit mit dem Aufsichtsrat die Entlassung des ehemaligen Cheftrainers Jens Rasiejewski ab und setzte im Übergang auf Heiko Butscher. Als oberste Prämisse wurde das Zurückfinden zur eigenen Identität, welche insbesondere auf Menschlichkeit, Zusammenhalt und Kommunikation beruhte, für den kompletten Verein samt ihren Fans propagiert. Mit Erfolg, denn langsam aber sicher kehrte zunehmend wieder Ruhe in den Verein ein. Nicht unwesentlich half dabei der zügig auf dem Cheftrainerposten installierte Robin Dutt mit.

Wir wollen, dass diese Stadt und dieser Verein wieder zu den Dingen zurückkommt, der diese immer ausgezeichnet hat. Das war die Kameradschaft, das war der Zusammenhalt im Stadion und da müssen wir alle – und da nehme ich nicht nur die Fans mit ins Boot, sondern auch Sponsoren, Pressevertreter und Mitarbeiter – wieder einhaken.
Sebastian Schindzielorz auf der Pressekonferenz vor der Partie VfL Bochum gegen SV Darmstadt

Übernahm in der Krise das Steuer beim VfL – Robin Dutt Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)

Gemeinsam mit Butscher als seine rechte Hand und mit Schindzielorz an der Spitze kehrte Ruhe ein, die sportliche Talfahrt konnte beendet und der drohende Abstieg letztlich vermieden werden. Viel mehr sogar, denn unter Robin Dutt blühte die Mannschaft im Frühjahr 2018 regelrecht auf und war in diesem Zeitraum sportlich das Nonplusultra in der 2. Liga. Viel hat der VfL in dieser Phase dem kühlen Kopf und den ersten Entscheidungen des noch jungen Managers zu verdanken.

Das Sportliche

Von dieser beeindruckenden sportlichen Serie im ersten Halbjahr unter dem neuen Führungsgespann profitierte der VfL nachhaltig. Nicht nur der Abstieg wurde vermieden, sondern obendrein die Mannschaft auf Rang 6 der Abschlusstabelle geführt und somit weitere Millionensummen über die TV-Gelder gesichert. Doch diese allgegenwärtige Bewunderung und Ruhe hielt in Bochum erfahrungsgemäß nicht lange an. Schnell wurde klar, dass der Verein dem von Hochstätter ausgerufenem hohen Risiko samt hohen Spielergehältern seinen Tribut zollen musste. Spätestens mit der Bekanntgabe des neuen sportlichen Ziels, einer Platzierung unter den Top 25, war der Unmut im Umfeld groß und die vollbrachte Leistung für viele Fans sekundär. Die Erwartungen in Bochum sind und waren nun einmal riesig und nichts weniger als der Aufstieg erschien dem Großteil des Anhangs als erstrebenswert, völlig unabhängig von durchschnittlichen Spieleretats sowie Mitglieder- oder Umsatzzahlen. Doch die Realität kam noch schlimmer, als die bereits für die Fans zu unambitionierte Zielsetzung. Der VfL spielte, abgesehen von wenigen Lichtblicken, eine trostlose Saison. Während man die Hinrunde noch hoffnungsvoll gestaltete, fand sich der VfL in der Rückrundentabelle am Ende auf Platz 13 (Gesamttabelle Platz 11) wieder. Auch wenn man von starken Verletzungssorgen geplagt war, so ist der Leistungsabfall in der Rückrunde keinesfalls zu entschuldigen. Während das Team unter Dutt im Kalenderjahr 2018 noch Lobeshymnen erntete, waren im ersten Halbjahr 2019 weder in der Offensive noch in der Defensive klare Strukturen im Spiel erkennbar. Obendrein unterliefen dem hochgelobten Robin Dutt erstmals eklatante Fehler, die nicht selten Punktverluste zur Folge hatten. Die anfängliche Euphorie unter Schindzielorz ist somit längst verflogen und die Finger müssen nun in die Wunden gelegt werden, um als Verein wieder auf allen Ebenen erfolgreich zu sein. Wo also lagen die Fehler? Was wurde von Schindzielorz in der vorangegangen Transferperiode möglicherweise versäumt?

Die Zusammenstellung des Teams

Ein Blick auf die Daten der abgelaufenen Saison verrät, dass wir nicht selten die älteste Startformation der Liga auf den Platz schickten. Erfahrung statt Jugend, vermeintliche Sicherheit statt Risiko – das hat schließlich auch in der Rückrunde Anfang 2018 den Erfolg eingebracht. Als es noch um etwas ging, funktionierte diese Strategie wunderbar – doch als ein möglicher Aufstieg in weite ferne rückte, brach das Konstrukt in sich zusammen. Zu wenig Tempo, zu wenig hungrige Spieler und eine unausgewogene Mischung waren nun offensichtlich. Hierbei trägt Schindzielorz sicherlich eine nicht geringe Teilschuld, auch wenn er mit Pantovic, Ganvoula, Janelt, Baumgartner, Zoller und Maier überwiegend jüngere beziehungsweise Spieler im besten Alter verpflichtete, so versäumte er es auf der anderen Seite rechtzeitig mit alten Strukturen zu brechen.

Wurde fest verpflichtet – Silvere Ganvoula Foto: VfL Bochum 1848 e.V.

Man sollte es sich aber mit der Kritik nicht zu einfach machen. Der Erfolg im Vorjahr war unstrittig und nur die wenigsten haben sich nicht über den Transfer von Robert Tesche gefreut oder hätten damit gerechnet, dass Spieler wie Robbie Kruse und Tim Hoogland in der Rückrunde vollkommen einbrechen. Insgesamt hat Schindzielorz auf den Transfermarkt auch erfrischend abwechslungsreich im Vergleich zu seinem Vorgänger agiert. Während unter Hochstätter fast ausschließlich Spieler aus der 1. und 2. Bundesliga verpflichtet wurden, kamen mit Lee (Premier League), Ganvoula (Jupiler Pro League), Baumgartner (österreichische Bundesliga) und Pantovic (Regionalliga Bayern) der Großteil der Neuzugänge aus anderen Ligen. Betrachtet man die Transfers individuell, fällt zudem auf, dass mit Ausnahme von einem bislang sehr unglücklich agierenden Baumgartner kein wirklicher Transferflop dabei war. Dass sowohl Maier als auch Pantovic sich erstmals in ihrer Karriere langwierige Verletzungen zuzogen, kann man wohl kaum dem Manager in die Schuhe schieben. Viel hängt bei den genannten Transfers deshalb auch von der Performance in der kommenden Saison ab. Schafft Ganvoula die zuletzt steigende Form zu konservieren? Kann Pantovic den nächsten Schritt gehen und Maier die ihm angedachte Rolle gewinnbringend ausfüllen? Fest steht, das Team muss zur neuen Saison liefern und daran müssen sich sowohl Schindzielorz als auch Robin Dutt messen lassen.

Dabei stimmt positiv, dass die Probleme des Vorjahres, wie das fehlende Tempo und die Überalterung des Teams, benannt und vehement angegangen wurden. Bei Sam und Kruse wurden die auslaufenden Verträge nicht verlängert. Darüber hinaus traf es mit Celozzi und Hoogland weitere, ehemalige Leistungsträger, die allerdings beide in der Rückrunde der Form früherer Tage weit hinterher liefen. Neben richtigen Erkenntnissen waren auch die ersten Transfers echte Hingucker für einen Verein wie den VfL Bochum.

Soll den Verein verlassen – Stefano Celozzi Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)

Mit Decarli wurde ein neuer Abwehrchef verpflichtet, der bei Braunschweig unlängst seine für Zweitligaverhältnisse gehobene Qualität unter Beweis gestellt hat. Für Blum gilt ähnliches, wobei bei ihm der Körper sicherlich das größte Fragezeichen hervorruft, hat er doch seit Jahren immer wieder mit Verletzungen zu kämpfen. Glaubt man den Anhängern von Arsenal London, ist zudem mit Osei-Tutu ein hochveranlagter Spieler für ein Jahr in Bochum, der auf Anhieb das Zeug hat, einer der besten Rechtsverteidiger der Liga zu werden. Auch die Transfers von Drewes und Ganvoula haben allseits zustimmendes Kopfnicken ausgelöst. Und dennoch – blickt man in das Umfeld des Vereins, ist häufig von einem schlechten Bauchgefühl und einer Saison in der unteren Hälfte der Tabelle die Rede. Dies ist völlig nachvollziehbar in Anbetracht der abgelaufenen Rückrunde und den Abgängen von Toptorjäger Lukas Hinterseer und dem hochveranlagtem Jan Gyamerah. Auf zu vielen Positionen soll es das alteingesessene Team richten und zu viele Baustelle sind zumindest Stand heute noch nicht gänzlich geschlossen. Beispielsweise wirft die Besetzung der zweiten Reihe auf den beiden Außenverteidigerpositionen noch große Fragezeichen auf. Bei einem möglichen Abgang Celozzis wäre dies gar ein komplett hausgemachtes Problem. Während also in der Innenverteidigung mit Lorenz und Decarli vermeintlich deutlich zugelegt wurde, ist nominell auf anderen Positionen ein Rückschritt erkennbar. Viel wird insbesondere auf junge Spieler gesetzt, etwas was stets gefordert wird, aber zumeist mit ungutem Bauchgefühl einhergeht. Schaffen Bella-Kotchap, Janelt, Pantovic, Ganvoula, Osei-Tutu und Co. zu überzeugen, kann allerdings genauso schnell wieder Ruhe einkehren.

Ausblick & Fazit

Wie es so schön heißt, noch ist nicht aller Tage Abend – die Transferperiode ist noch längst nicht zu Ende. Im Gegenteil, offiziell hat die Transferperiode am 1. Juli begonnen und endet erst am 2. September. Ein Grundgerüst steht und mit weiteren Zugängen ist definitiv zu rechnen. Vermeintlichen Bedarf gibt es im Sturm und auf den Außenverteidigerpositionen sowie im (defensiven) zentralen Mittelfeld, aber auch auf den offensiven Flügelpositionen würde neues Blut gut tun. Die Erfahrung aus den letzten Jahren hat gezeigt, dass insbesondere gegen Ende der Transferperiode nochmal potentielle Leistungsträger verfügbar werden. Es liegt zudem an Dutt und Schindzielorz, die Leistungen des Teams im Training und im Trainingslager richtig einzuschätzen und auf Schwachstellen zu reagieren. Erstmals hatte das Duo eine ganze Saison Zeit, den Kader zu studieren und den Transfermarkt zu sondieren. Kann man wieder Erfolge feiern wie in der Anfangsphase oder erfolgt die nächste Enttäuschung? Diese Saison wird sich zeigen, ob die durchaus mutigen und kreativen Ansätze von Schindzielorz Früchte tragen oder zum Scheitern verurteilt werden. So oder so sollte man bei der Bewertung seiner Amtszeit keinesfalls vergessen, dass Schindzielorz wieder Ruhe in den Verein gebracht, die Scherben seines Vorgängers beseitigt und das Schlimmste in der Saison 2017/18 verhindert hat. Allein dafür gebührt ihm unser aller Dank! Eines wird bei genauerer Betrachtung zudem deutlich: Die Ausrichtung des Vereins und die getätigten Transfers tragen eine eigene Handschrift – die Handschrift von Sebastian Schindzielorz.

Autor: Jens Hartenstein

In Bayern geboren, führte mein Weg zum Fußball über den FC Bayern München erst über Umwege zum geliebten VfL. Hierbei hat mich insbesondere die Phase Mitte der 90 geprägt, als man unter anderm in den UEFA Cup einzog. Nach einer jugendlichen Trotzphase, in der ich mich fast gänzlich dem Fußball, aber vor allem der Kommerzialisierung von selbigem abgewandt hatte, fand ich dann Anfang des neuen Jahrtausends wieder zurück zum Fußball. Ein echter Fußballfan kann eben doch nicht ohne seine Leidenschaft. Spätestens als ich dann beim Abschiedsspiel von Darius Wosz dessen letztes Bundesligator, den Abstieg Gladbachs und unseren beinahe Einzug in den UI-Cup live im Gladbacher Stadion feiern durfte, wars um mich dann komplett geschehen. Seitdem sind mäßige Spiele, Niederlagen, Abstiege und sämtliches Leid aller VfL Fans mein ständiger Wegbegleiter.

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