Jan Gyamerah und die Dankbarkeit im Fußballbusiness

Dynamisch auf der rechten Seite oder sicher im Abwehrzentrum: Unser Eigengewächs Jan Gyamerah. Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)
Beim HSV zuletzt mit besonderer Rolle im Spielaufbau: Jan Gyamerah. Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)

Jetzt ist es also amtlich: Jan Gyamerah wird seinen, zum 30.06.2019 auslaufenden, Vertrag beim VfL Bochum nicht verlängern. Was wie ein Schock klingt, war eigentlich längst absehbar – und doch – es wird hitzig und emotional außerhalb des Platzes diskutiert. Nicht zum ersten Mal wird einem Spieler fehlende Dankbarkeit und Vereinstreue attestiert und Medienvertreter springen dankbar darauf auf. Doch wäre ein Abgang zwischenmenschlich wirklich so verwerflich wie allerseits hingestellt?

Im Juni 2019 feiert Jan Gyamerah seinen 24. Geburtstag und bringt es dann immerhin auf stolze acht Jahre im Dress des VfL Bochums. Ein Drittel seines Lebens hat der gebürtige Berliner in Bochum verbracht. Er kann mittlerweile zu Recht als echter Bochumer Junge bezeichnet werden. Mit Ausnahme von Patrick Fabian, der mit seinen 17 Jahren beim VfL das Bochumer-Urgestein darstellt, ist Gyamerah somit der dienstälteste Profispieler im Verein.

Der Aufstieg zum Profi

Setzte sich in der Jugend gegen Daniel Heber durch und unterzeichnete mit 17 Jahren seinen ersten Profivertrag. Foto: VfL Bochum 1848

In Stadthagen begann die fußballerische Laufbahn des 1,84 Meter großen Verteidigers, ehe er nach einem zweijährigen Intermezzo bei Arminia Bielefeld im Sommer 2011 zum VfL wechselte. Bereits in der B-Jugend wurde sein großes Talent augenscheinlich – Gyamerah war unangefochtener Leistungsträger im Verein und wurde folgerichtig im Frühjahr 2012 für die deutsche U17-Nationalmannschaft nominiert. Der Aufstieg des gelernten rechten Verteidigers setzte sich auch in der Folge genauso rasant fort. Er war im darauffolgenden Jahr mit gerade einmal 17 Jahren Stammspieler in der A-Jugend, debütierte in der U23 und konnte in die deutsche U18 Nationalmannschaft aufrücken. Nicht verwunderlich, dass im Februar 2013 die Leistungen mit seinem ersten Profivertrag (datiert bis Juni 2016) auch von Vereinsseite honoriert wurden. Die Erfolgsstory schien durch nichts zu stoppen, und zu Beginn der Saison 2013/14 wurde selbst eine Schambeinentzündung zügig weggesteckt und das Talent konnte trotz dessen, dass er noch für die A-Jugend spielberechtigt war, sein Profidebüt feiern. Die Fußballbühne lag dem Jungprofi zu Füßen – doch dann kam alles anders!

Die Leiden des jungen Gyamerahs

Im März 2014 zeigten sich erstmals ernsthafte Probleme im Adduktorenbereich und die Saison musste frühzeitig beendet werden. Anfangs rechnete man noch mit einer Rückkehr zur neuen Saison, doch es kam noch schlimmer. Die Probleme im Adduktorenbereich entpuppten sich als chronisch und das aufstrebende Talent kam auch in den beiden Folgejahren zu keinem einzigen Pflichtspiel. Nicht wenige hatten den Youngster zu dieser Zeit abgeschrieben – nicht jedoch der VfL Bochum. Der Verein stärkte dem Spieler den Rücken und verlängerte den Vertrag. Was viele allerdings in der heutigen Diskussion vergessen: der VfL Bochum verlängerte bewusst nur um ein Jahr, um das eigene Risiko zu minimieren und sicherte sich gleichzeitig eine Option für zwei weitere Jahre. Man hatte somit dem Spieler Vertrauen ausgesprochen, gleichzeitig aber auch das eigene, wirtschaftliche Interesse gewahrt und das Maximale für sich selbst herausgeholt.

Das Comeback

Jan Gyamerah kann nach seiner Leidenszeit endlich wieder lachen. Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)

Aus der Verlängerung wurde bekanntlich eine Erfolgsstory. In der Saison 2016/17 kehrte Jan Gyamerah in das Profiteam zurück und etablierte sich binnen weniger Wochen als feste Größe im Team. Schon am Ende der Hinrunde war Gyamerah Stammkraft. Spätestens zur Rückrunde war er nicht mehr wegzudenken aus der ersten Elf. Mit seiner Dynamik und Abgeklärtheit im (Defensiv-) Zweikampf war er dabei prädestiniert für die Rolle des rechten Verteidigers. Wenn nötig, konnte er aber bereits unter Gertjan Verbeek die Rolle des Innenverteidigers gut ausfüllen – auch wenn dort seine Schwäche im Kopfballspiel stärker zum Tragen kam. Wegen seinen unbestrittenen Fähigkeiten wurde die Option zur Vertragsverlängerung frühzeitig gezogen. Gyamerah ist mittlerweile im dritten Jahr in Folge unangefochtener Stammspieler und Leistungsträger in Bochum. Eine Entwicklung, die auch andere Vereine mitbekommen haben und die auch andernorts Begehrlichkeiten weckten, wie beispielsweise jüngst vom HSV wie es am Sonntag von Medienvertretern berichtet wurde. Am Montag dann die Hiobsbotschaft aus den Medien – Jan Gyamerah wird nach Ablauf seines Vertrags den Verein wechseln.

Ist der Vereinswechsel nachvollziehbar?

Nun stellen sich zwei Fragen und wir kommen zum Grund dieses Artikels –ist der Wechsel von Gyamerah nachvollziehbar und ist dieser unverzeihlich?

Es hatte seinen Grund, weshalb ich beim Verfassen dieser Zeilen nochmals in die Vergangenheit geblickt habe. Denn um die aktuelle Situation zu bewerten – sowohl aus Spielersicht sowie aus Sicht des Fans bzw. des Vereins – ist diese zwingend zu berücksichtigen. Jan Gyamerah galt als eines der herausragenden Talente in Bochum sowie auch bundesweit, welches mit absoluter Sicherheit vom großen Wurf im Fußball geträumt hat. Die 1. Bundesliga sowie ein schielendes Auge auf die Nationalmannschaft muss hierbei das Ziel aller ambitionierten Fußballer sein. Die Nackenschläge in geballter Form in so jungen Jahren werden massiv an diesem Traum gerüttelt haben und dennoch hat“ Gyambo“ sein Ziel zu keiner Zeit aus den Augen verloren und immer hart an sich (und seinem Körper) gearbeitet. Im Sommer wird er nun 24 Jahre alt, wächst somit langsam aus dem Talentalter heraus und hat jetzt die perfekte Möglichkeit, einen Teil dieses Traums zu realisieren. Objektiv betrachtet hat er sich nun lange genug in der 2. Bundesliga bewiesen und in drei kompletten Saisons mehr als genug Erfahrungen sammeln können, auch wenn die Nachricht in meinem Fanherzen deutliche Spuren hinterlässt. Und dennoch – er musste diesen Schritt gehen, will er sich sportlich wie auch finanziell weiterentwickeln.

Wo bleibt die Dankbarkeit?

Mittlerweile ist klar, dass Gyamerah unseren VfL im Sommer verlassen wird. Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)

Gerade in den Foren und an der Kneipe um die Ecke hört man deshalb schon jetzt die Frage nach der Dankbarkeit des Spielers. Der Verein hat ihn damals doch nicht fallen gelassen, da sei es doch fast schon unverschämt, wenn ein Spieler den Verein verlässt ohne etwas Zählbares (in Euro) zu hinterlassen. Manch Medienvertreter springen auf diesen populistischen Zug abermals dankbar auf, denn Klickzahl und nickende Köpfe scheinen bei dem Thema garantiert. Doch ganz so einfach ist es in meinen Augen leider nicht. Ist es nicht vielmehr so, dass sowohl von Vereinsseite als auch aus Spielersicht zwar ein respektvolles, aber in erster Linie ein professionelles Verhältnis vorherrschen muss um erfolgreich zu sein? So hat der VfL bei der Vertragsverlängerung im Frühsommer 2016 sicherlich auch ein positives Zeichen von der medizinischen Abteilung erhalten und sich gleichzeitig wirtschaftlich durch die Option zugunsten des Vereins abgesichert – weit weg von jedweden fußballromantischen Vorstellungen, dass dies alles aus reiner Nächstenliebe geschah.

Man muss sich nur die entsprechenden Fragen stellen: Hätte der VfL ebenso gehandelt, wenn Gyamerah weniger Talent besessen und man sich schlussendlich nicht noch Profit/Leistung versprochen hätte? Wäre es für uns Fans wünschenswert, wenn der VfL aus reiner Dankbarkeit mit Spielern ohne sportlichen Mehrwert Profiverträge abschließt? Kann man dann auf der anderen Seite ähnliches von den Spielern erwarten?

Der Abgang von Gyamerah schmerzt, doch sind die Ursachen dafür schwerlich einseitig zu suchen. Längst hätte man beispielsweise im Jahr 2017 Gyamerah einen deutlich höher dotierten Vertrag anbieten können und ihm somit auf diese Art Dankbarkeit zeigen können. Kam diese „Dankbarkeit“ denn frühzeitig vom Verein oder kam der Versuch mit ihm zu verlängern nicht letztlich deutlich zu spät, weil man sich die notwendigen Kosten für eine frühzeitige Vertragsverlängerung sparen wollte? Wir wissen es nicht, aber doch maßen wir uns an zu urteilen! Schlussendlich hätte man auch ohne Vertragsverlängerung nach zwei Jahren mit guten Leistungen, Gyamerah im letzten Sommer noch gewinnbringend verkaufen können, hätte man als Verein dies für wichtiger als seine Leistung auf den Platz erachtet. Dankbarkeit ist relativ und Gyamerah hat immer alles für den Verein gegeben. Er hat uns in mittlerweile 71 Profispielen das geschenkte Vertrauen durch gute Leistungen zurückgezahlt und hat unweit des Platzes nie mit anderen Vereinen öffentlich geliebäugelt oder Unruhe in den Verein getragen. Dies ist genau die Form von Dankbarkeit und Respekt, die ich persönlich erwarte. Respekt und ein professionelles Verhältnis, welches sowohl von Vereinsseite als auch von Spielerseite zu jeder Zeit gewahrt wurde und welches in der heutigen Zeit im Profifußball leider nicht mehr selbstverständlich ist. So will ich für meinen Teil Jan entgegen der derzeit herrschenden Meinung meinen Respekt und meine Dankbarkeit für seine Zeit im geilsten Verein der Welt zollen!

Autor: Jens Hartenstein

In Bayern geboren, führte mein Weg zum Fußball über den FC Bayern München erst über Umwege zum geliebten VfL. Hierbei hat mich insbesondere die Phase Mitte der 90 geprägt, als man unter anderm in den UEFA Cup einzog. Nach einer jugendlichen Trotzphase, in der ich mich fast gänzlich dem Fußball, aber vor allem der Kommerzialisierung von selbigem abgewandt hatte, fand ich dann Anfang des neuen Jahrtausends wieder zurück zum Fußball. Ein echter Fußballfan kann eben doch nicht ohne seine Leidenschaft. Spätestens als ich dann beim Abschiedsspiel von Darius Wosz dessen letztes Bundesligator, den Abstieg Gladbachs und unseren beinahe Einzug in den UI-Cup live im Gladbacher Stadion feiern durfte, wars um mich dann komplett geschehen. Seitdem sind mäßige Spiele, Niederlagen, Abstiege und sämtliches Leid aller VfL Fans mein ständiger Wegbegleiter.

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