Die gesuchte Verstärkung für den Angriff ist gefunden: Jürgen Locadia, ein ehemaliger Star des PSV Eindhoven. Er wechselte Anfang 2018 für 17 Millionen Euro in die Premier League zu Brighton & Hove Albion. Dort und bei den folgenden Leihstationen in Hoffenheim und Cincinnati konnte er jedoch nicht überzeugen. Wie sind seine Leistungen einzuordnen und was kann sich der VfL Bochum von diesem Transfer erhoffen?
Jürgen Locadias Vita und die Transfersumme, die 2018 für ihn bezahlt wurde, lassen schnell aufhorchen. Da ist sie die gesuchte Verstärkung, ein Star für Bochum!
Doch wäre da nicht sein Leistungsknick in den letzten Jahren, wäre das ein Spieler, der überhaupt nicht für den VfL darstellbar wäre. Mit Jürgen Locadia hat man einen Spieler verpflichten können, der in der Vergangenheit bereits die Qualität nachgewiesen hat, auf Bundesliga-Niveau eine Verstärkung sein zu können. Das ist etwas, was einerseits schwer bezahlbar und insbesondere im Wintertransferfenster schwer zu finden ist. Doch ob er zu alter Stärke aus seiner Zeit in der Eredivisie zurückfinden, und somit eine unmittelbare Verstärkung werden kann, ist unklar.
Die Anfänge in der Eredivisie: Scorer, Scorer, Scorer
Jürgen Locadia, der in Emmen, nahe der deutschen Grenze, geboren wurde und dessen Eltern von der Karibikinsel Curacao stammen, begann seine fußballerische Karriere bei VV Bargedes. Durch seinen Onkel Jerry kam er zum Fußball und so kam es, dass er sich im Alter von acht Jahren dem FC Emmen anschloss. Ein Jahr später kam ein Angebot von Willem II Tilburg. Da die Wegstrecke von über 200 Kilometern täglich zu weit gewesen wäre, zog Locadia mit seiner Familie dort hin. Genau ein Jahr später kam aufgrund starker Leistungen in der niederländischen U17-Nationalmannschaft das nächste Angebot: PSV Eindhoven klopfte an und lotste den damals 17-jährigen zum Philips-Verein. Seine Profikarriere bei PSV begann steil. In seiner ersten Saison 2012/13 erzielte er in nur 576 Minuten (ca. 6 1/2 komplette Spiele) 12 Scorer. Ein Wahnsinnswert.
In seiner gesamten Zeit bei PSV kam er auf 79 Scorer in 7.529 Minuten – 0,94 pro 90 Minuten.
Das ließ zurecht aufhorchen. Folglich transferierte Brighton & Hove Albion im Winter 17/18 nach 45 Toren in 127 Spielen für ihn die riesige Summe von 17 Millionen Euro nach Eindhoven. Die Verpflichtung wurde mehr als ein Investment in die Zukunft gesehen, da Locadia noch mit einer Verletzung aus PSV-Zeiten zu Brighton kam. Allerdings war er mit Davy Pröpper, mit dem er bei PSV zusammengespielt hat, wieder vereint.
Der Durchbruch in der Premier League gelingt nicht
Doch die Scorer in der Eredivisie bei einem der Überteams Ajax Amsterdam und PSV sind nicht immer das, wonach sie aussehen.
Locadia hatte bei dem im unteren Tabellendrittel anzusiedelnden Brighton Schwierigkeiten in die Mannschaft zu finden.
Auch verletzungsbedingt spielte er lediglich 223 Minuten in seinem ersten Halbjahr. Daraus wurden immerhin 1.228 Minuten nach dem Abgang von Stürmerkonkurrent Sam Baldock in der zweiten Saison. Auch, weil er körperlich selten seine volle Fitness erreichte und folglich nur auf der Bank saß, konnte er die Erwartungen noch immer nicht erfüllen.
Im November 2018 sorgte er dann für Wirbel, als er einer niederländischen Zeitung (De Telegraaf) mitteilte, er wollte Brighton verlassen, da er keine Chancen sehe. Die Aussagen wurden allerdings aus dem Zusammenhang gerissen, sodass Locadia keine Strafe bekam.
Die Leihen verlaufen nicht zufriedenstellend
Ausgeliehen zu TSG Hoffenheim konnte er noch die beste Leistung der folgenden Zeit zeigen. Fünf Scorer in weniger als sechs gesamten Spielen sind mehr als ordentlich. Obwohl Locadia den Wunsch äußerte, bei Hoffenheim bleiben zu wollen, wurde für die Hoffenheim-Fans überraschend, die Leihe von Locadia Ende Dezember beendet. Als Ersatz für ihn kam Munas Dabbur zur TSG.
Als „Designated player“, also ein Spieler, dessen Gehalt über dem MLS-Durchschnitt liegt, wurde Locadia zu MLS-Neuling FC Cincinnati ausgeliehen. Die Leihe beinhaltete eine Dauer von fünf Monaten inklusive Kaufoption. Nach seinem Debüttor im ersten Saisonspiel bei den New York Red Bulls zwang die Corona-Pandemie die Major League Soccer nach zwei Spielen zur Pause. Es folgte das „MLS is back“-Turnier, bei dem Locadia verletzungsbedingt erst im Achtelfinale mitwirken konnte, wo er einen Treffer beisteuerte, allerdings Cincinnati im Elfmeterschießen gegen die Portland Timbers rausflog – unter anderem, da er selber einen Elfmeter vergab.
In der zweiten Saison traf Locadia in neun Spielen lediglich einmal, so war der FC Cincinnati nicht gewillt, die Kaufoption zu ziehen und so kehrte er zu den „Seagulls“ zurück.
Das sind einige Warnsignale in seiner Zeit nach PSV.
Ein beweglicher Stürmertyp als gute Kaderergänzung
Im Gegensatz zu Sebastian Polter und Silvère Ganvoula ist Locadia nicht der typische Zielspieler für lange Bälle (wenige Aerials). Er ist ein beweglicher Stürmer, der oftmals Tiefenläufe anbietet und auf die Außenpositionen ausweicht – Positionen, auf denen er ebenso eingesetzt werden kann. Das gibt Reis mehr Möglichkeiten, und würde auch ein System mit 2 Stürmern, einem Zielspieler und Locadia, der um ihn herum agiert, ermöglichen.
Dazu nimmt er deutlich mehr am Kombinationsspiel im Zwischlinienraum teil (Link-Up Play) und ist deutlich ballsicherer als Polter und auch Ganvoula (Ball Retention).
In diesen Bereichen ist er deutlich näher an Simon Zoller.
Zusätzlich geht er häufiger in Eins gegen Eins Situationen und ist dabei sehr stark (Ground duels in possession).
Aus Datensicht konnte Locadia in den letzten Spielzeiten nicht überzeugen
American Soccer Analysis ist eine amerikanische Website, die im Bereich der Fußball Datenanalyse absoluter Vorreiter ist. Sie haben ein öffentliches Modell, das die Ballaktionen von Spielern (erhalten aus Event-Daten) bewertet und somit eine Einschätzung erlaubt, wie viele Tore ein Spieler gegenüber einem Durchschnittsspieler zu dem Teamerfolg beiträgt.
Dabei kommt Locadia nicht gut weg. Selbst ohne Berücksichtigung seiner in der Zeit schwachen Chancenverwertung, trug er etwa -0.12 Tore zu dem Teamerfolg pro Spiel bei.
Das berücksichtigt aber weder das schwache Team, in dem er spielte, noch ist es sehr aussagekräftig, da die Spielzeit von insgesamt etwa 2.000 Minuten nicht sehr viel ist.
Smarterscout sah Locadia in Eindhoven und in Hoffenheim als sehr gut an.
Offensiv bietet sich die gleiche Einschätzung wie von American Soccer Analysis: Sehr schwach, zusätzlich der sehr schwache Torabschluss.
Laut Smarterscout waren seine Leistungen auf dem Flügel auch eher schwankend. Bei PSV noch ordentlich, jüngst bei Cincinnati bei sehr wenig Spielzeit auf den Außen offensiv sogar gut. In Brighton, wo er den Großteil seiner Zeit auf dem Flügel gespielt hat, waren seine Leistungen eher unterdurchschnittliches Bundeliganiveau.
Ein weiteres Warnsignal.
Beim Gehalt muss Locadia Abstriche machen
Damit dieser Transfer möglich ist, muss Brighton mit Sicherheit einen großen Teil des Gehalts weiter zahlen und auch Locadia selbst Abstriche in Kauf nehmen.
Nach American Soccer Analysis hat er in der MLS noch rund €2,2M jährlich verdient. capology nennt für die Zeit Brighton sogar rund €2,8M. Laut vfl-magazin wird der VfL nur einen kleinen Teil seines Gehalts übernehmen.
Locadia muss sich beweisen und für einen Vertrag empfehlen
Dafür erhält Locadia aber die Gelegenheit auf Spielzeit, und sich über diese für einen neuen Vertrag – vielleicht beim VfL Bochum – zu empfehlen. Gelingt ihm dies nicht wird es schwerer für ihn, einen Vertrag auf hohem Gehalts- und Spiel-Niveau zu finden – insbesondere nach der wirtschaftlich schwierigen Corona Phase für den Fußball.
Mit der Vertragslänge von einem halben Jahr minimiert der VfL Transferrisiko – eine gute Entscheidung aufgrund schwankender Spielzeit und Leistungen in den letzten Jahren.
Man darf aber hoffen, dass der VfL Chancen auf einen Anschlussvertrag hat. Denn sollte Locadia zu den Leistungen aus seiner Zeit in den Niederlanden zurückfinden, wäre er ein großer Gewinn für uns.
Thomas Reis könnte ihm zu altem Biss verhelfen
Mit Thomas Reis haben wir einen Trainer, der klare Erwartungen und Regeln formuliert. Locadia muss sich wie zum Beispiel Robert Zulj im Vorjahr, oder auch Ganvoula in diesem Jahr, voll reinhängen. Im Abstiegskampf ist Biss und Moral gefragt. Es wird für Locadia kein Selbstläufer, in die Mannschaft zu kommen.
Die letzte Zeit in Cincinnati macht Hoffnung
In seiner letzten Zeit in Cincinnati war Locadia nur noch Ergänzungsspieler, da sonst die Aktivierung einer Transferklausel weit über Marktwert drohte.
Auch wenn es nur 406 Minuten sind, die kaum Aussagekraft haben, und American Soccer Analysis seine Leistungen in diesem Sample wie oben gezeigt als schwach bewertet, so hat er dennoch sehr gute Eventstatistiken erzielen können.
Von Expected Goals über Expected Assists, hin zu Dribblings, Pass Accuracy und defensiven Aktionen (Tackles+Intercepts) war er sehr aktiv. Das könnte von dem Biss zeugen, den er bei uns zeigen muss.
Fazit
Im Wintertransferfenster ist es nicht leicht, Spieler zu finden, die sowohl finanziell darstellbar sind, als auch (potenziell) die Qualität mitbringen, sofort weiterzuhelfen.
Locadia erfüllt beide Kriterien. Allerdings ist es nicht klar, ob er an alte Leistungen herankommen kann. Die Leistungen außerhalb der Eredivisie lieferten mehr Fragezeichen und Warnsignale als Zeichen seiner vorher gezeigten Qualität.
Er bereichert zweifellos den Kader als anderer Stürmertyp zu Polter und Ganvoula. Sollte Locadia sich noch einmal beweisen wollen, besteht die Chance darauf, dass er eine richtige Verstärkung ist.
Da Ganvoula in den letzten Wochen wieder in den Spieltagskader gerückt ist, hat man mindestens eine gute Alternative zu Polter, auch wenn Locadia zunächst nicht voll überzeugt.
Insgesamt eine Verpflichtung mit einem sehr guten Chancen / Riskio-Verhältnis. Wir freuen uns auf Jürgen Locadia. Herzlich Willkommen in Bochum.
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