Panik? Vertrauen! Warum der VfL stärker ist, als viele denken

Foto: David Matthäus

Der Abgesang auf den VfL Bochum ist bereits angestimmt. Viele Experten sehen in der Mannschaft von Thomas Reis den ersten Abstiegskandidaten. Und auch bei einigen VfL-Fans greift die Sorge um sich, dass das Team nach den Abgängen von Armel Bella-Kotchap, Maxim Leitsch und Elvis Rexhbecaj deutlich weniger konkurrenzfähig ist. Berechtigt? Nein! Ein Kommentar.

Der VfL Bochum hat Gefallen daran gefunden, Wunder zu vollbringen. Das dritte Wunder in Serie soll her. So hat es Coach Thomas Reis in diesen Tagen gesagt. Welches nun das größte war (oder wäre) – der Aufstieg, die letzte Saison oder der erneute Klassenerhalt im zweiten Jahr nach dem gigantischen Umbruch? Tja, am Ende zählt wohl der letzte Eindruck. Und so wäre dann am 27. Mai 2023 der erneute Verbleib in der 1. Fußball-Bundesliga das größte Wunder. Was es für ein solches braucht? Das weiß niemand genau. Denn ein Wunder ist immer noch ein Wunder. Etwas, auf das man zwar irgendwie hinarbeiten kann, dessen Erfolg aber niemand garantiert. Und so steht vor dem ersten Anpfiff wieder mal ein Fragezeichen.

Die Grundzutat für jedes Wunder ist Mut. Der VfL Bochum hat in den vergangenen drei Jahren bewiesen, dass er genau diese Zutat einbringt, um Wunder zu erschaffen. Warum also nicht dieses Mal? Pessimisten werden reichlich Grund für Abgesänge finden. Armel Bella-Kotchap weg, Maxim Leitsch weg und keine Chance, Elvis Rexhbecaj über die Saison zu halten. Ja, das ist bitter. Zwei Talente weg, die vielleicht irgendwann mal für Deutschland spielen werden. Mit Elvis fehlt ein Energizer, der das Stadion emotional auf eine ganz besondere Weise anzünden konnte.

Foto: VfL Bochum 1848

Aber wat willste nun machen? Den Spielbetrieb einstellen? Schwachsinn. 34 Abschiedsspiele planen? Noch größerer Schwachsinn. Einfach mal Vertrauen haben. Vor allem in Sebastian Schindzielorz. Was war die Wut groß, als der Sportvorstand seinen Vertrag fristgerechnet gekündigt hatte, was bedeutete, dass er den Klub spätestens zum Jahresende verlässt. Sogar die „Lame-Duck“-Theorie wurde aufgestellt. Warum sollte er sich für den Klub noch auf dem Transfermarkt verausgaben, wenn doch schon eine neue Aufgabe winkt. Zwar ist immer noch nicht klar, wohin er geht. Aber Wolfsburg scheint die Top-Option zu sein.

Und jetzt, eine Woche vor dem offiziellen Start der neuen Saison? Kein Indiz dafür, dass „Sesi“ die Arbeit schleifen lässt. Mit Ivan Ordets hat er einen spannenden Mann für die Abwehr an die Castroper gelockt. Auch Kevin Stöger ist eine verdammt gute Idee. Er kann Pässe hinzaubern, die das schnelle Spiel über die Außenbahnen auf ein völlig neues Niveau heben. Im Pokal gegen Viertligist Viktoria Berlin war das direkt mal zu beobachten. Diese Rolle hätte Eduard Löwen in der vergangenen Spielzeit ausfüllen sollen – meist mit eher mäßigem Erfolg. Übrigens konnte das auch Elvis nicht. Im Rausch der saisonausklingenden Glücksgefühle vergaßen viele Anhänger wie wenig Gestalter er war. Die Liste lässt sich fortsetzen: Polter knallte mit seiner Leidenschaft alles weg, ein guter Fußballer war er nicht. Anders als sein Nachfolger Philipp Hofmann. Angedeutet hatte er sein Können bereits in der Vorbereitung, nur ein Tor fehlte noch. Diesen Makel hat er gegen Berlin getilgt. Gut für ihn, gut für die nervöse Fanseele.

Ungeachtet der aberwitzigen Millioneneinnahmen kann sich der VfL keine fertigen und formstarken Bundesligaspieler leisten, geschweige denn irgendwelche Toptalente, nach denen die Sehnsucht ja immer besonders groß ist. Der VfL sollte dieser Verlockung auch einfach nicht nachgeben. Wie brandgefährlich es sein kann, sich einen Star (oder Topverdiener) in ein bestehendes Gefüge zu holen, dafür liefert der nationale und internationale Fußball zahlreiche Belege. Daher tut der VfL gut daran, die Transfers den Gegebenheit im Kader anzupassen. Und auf den Typen Thomas Reis zu vertrauen, mit dem man ja langfristig verlängern möchte, und dessen Spielidee.

Thomas Reis – Foto: David Matthäus Photography

Von daher taugt das Beispiel Freiburg viel mehr als Vorbild denn Union Berlin. Auch wenn der Weg der Freiburger viel langwieriger war, viel schmerzhafter. Die Strategie aus eigenem Nachwuchs und Spielern mit nicht ausgeschöpften Personal hat den Sportclub wieder zurück nach Europa geführt. Dabei vermied Freiburg, trotz mittlerweile auch größerer Investitionen auf dem Transfermarkt, jedes Harakiri. Lieber ein wenig zu viel Vernunft als Anfälle von Größenwahn. Die gibt es bei Union Berlin dagegen sehr wohl. Spätestens mit dem Transfer Max Kruse war das gepflegte Bild vom Anti-Kommerz-Klub so krass verzerrt, dass die Kluft zwischen Image und Realität nicht mehr zu kitten war.

In Bezug auf den eigenen Nachwuchs und die Durchlässigkeit ist es für den VfL auch noch ein langer Weg. Die bisherigen Erfolge wurden in der Sommerpause monetarisiert. Die Konstanz auf der Trainerposition und die zurückhaltenden und kreativen Transfers passen jedoch sehr wohl.

Ist der VfL nun erster Abstiegskandidat? Keine Ahnung, auch egal. Niemand hat je etwas gewonnen oder verloren, wenn er auf die Unkenrufe von Dietmar Hamann und seinen Expertenkollegen gehört hat. Der VfL hat seine Sache auf dem Transfermarkt gut gemacht. Und Sesi Vertrauen verdient. Wen hat er in den vergangenen Jahren nicht alles geholt, wo einen zunächst das Hä?-Gefühl beschlichen hatte. Robert Zulj war so einer, Vasilios Lampropoulos ein anderer. Oder auch Gerrit Holtmann. Alle hatten ihre Karriere gespielt, steckten aber irgendwo tief im Tal. Und was wäre der VfL in der Klassenerhalts-Saison ohne Polter gewesen? Um Tore, einen Typen und Emotionen reichlich ärmer.

Und so lohnt der Blick auf das Jetzt. Konstantinos Stafylidis tut dem Team gut. Die Vorfreude auf einen fitten Jordi Osei-Tutu ist groß. Jannes Horn ist ebenfalls eine kluge Idee. Reis kennt ihn noch aus Wolfsburg und wird wissen, was er erwarten kann. Zudem sind die Planungen nicht abgeschlossen, gute Last-Minute-Deals weiterhin möglich. Und tatsächlich deuten ja auch Spieler aus dem eigenen Bestand an, dass sie womöglich nun wie gefühlte Neuzugänge einschlagen. Patrick Osterhage und Takuma Asano. Oder aber Kurzeinsatz-Serienknipser Silvere Ganvoula. Der Rätselstürmer. Mit Tim Oermann und Mohammed Tolba zeigten sich Talente in der Vorbereitung, auf das die Zeit bereit ist, das nächste Juwel aus dem Talentwerk zu werden. An Wundern, an denen hat der VfL ja Gefallen gefunden. Es braucht Mut, Zuversicht und Malochen. Gehen wir es an, Glück auf!

 

Dieser Artikel stammt von unserem Gastautor Tobi Nordmann und stellt seine Meinung da. Vielen Dank für die angenehme Zusammenarbeit. Wir freuen uns auf weitere Beiträge!

Autor: Moritz Möller

Über 20 Jahre begleitet mich der VfL jetzt schon - oder ich ihn. Ein Heimspiel Anfang der 90ziger gegen Leverkusen war der Auslöser, dann ging es auf einmal aus der zweiten Liga nach Europa, Abstieg, Aufstieg, wieder Europa, Abstieg und Relegation. Manch euphorische Saisonphasen die vom Auf.... träumen ließen, dazwischen Heimspiele mit 9000 Zuschauern gegen Aue, Mettbrötchen auf dem Weg nach Oberhausen, eine enttäuschende Auswärtsbilanz meinerseits und viele andere schöne Erinnerungen gehören dazu. Immer dabei: Dauerkarte, ein Fiege und eine Gruppe aus guten Freunden in Block Q sind für mich mit dem VfL einfach untrennbar verbunden.

Schreibe einen Kommentar

Laden...

0

Das neue Herz des VfL

Mit durchwachsenem Gefühl in die neue Saison – ein Kommentar