Das neue Herz des VfL

Foto: VfL Bochum 1848

Der Umbruch war groß. Mit Robert Tesche, Elvis Rexhbecaj, Eduard Löwen und Milos Pantovic verließen uns gleich vier Spieler, deren Aufgabe es war, unser Spiel aus der Zentrale zu organisieren. Unser Capitano Toto Losilla und Youngster Patrick Osterhage bekommen nun Unterstützung von Rückkehrer Kevin Stöger, Jacek Goralski und Philipp Förster. Zudem wurden zuletzt Simon Zoller und Takuma Asano als hängende Spitze bzw. Zehner ausprobiert. Wir analysieren die Möglichkeiten von Thomas Reis, unsere Zentrale auszurichten.

Bevor wir die Zentrale als Ganzes thematisieren wollen wir einen Blick auf unsere Neuzugänge werfen. Für welche Position kommen sie in Frage? Welche Stärken bringen sie ein? In welchen Räumen fühlen sie sich am wohlsten?

Kevin Stöger – Der Scharfmacher

Die Stärken von Kevin Stöger sind wohlbekannt. Seine langen Bälle in den Lauf von Robbie Kruse sind legendär. Der Österreicher versteht es sehr gut, sich durch kurze Bewegungen, z.B. ein Zurückfallen oder seitliches Ausweichen, etwas Raum zu verschaffen, um mit einer schnellen Drehung den Ball in die Tiefe zu spielen. Dabei verfügt er über eine extreme Bandbreite an Möglichkeiten, die er sehr passend einsetzt. Weite Verlangerungen, hohe Bälle mit Schnitt direkt in die Spitze (vor Zollers Vorlage zum 3:0 gegen Viktoria Berlin) oder flache Steckpässe durch die Linien (beim Pass auf Holtmann vor dem 1:0 gegen Viktoria Berlin). Alles kein Problem für den 28-jährigen.

Stöger hat stets das Auge für den tödliche Pass. Foto: Tim Kramer (Tremark)

Stöger ist bereits gesetzt. Als Achter neben Sechser Anthony Losilla ist er der Dirigent, der den Übergang vom tiefen Spielaufbau in den Angriff vorgibt. Mit Takuma Asano, Gerrit Holtmann, Simon Zoller und Jordi Osei-Tutu gibt es genug Addressaten, die seine Stärken im Passspiel mit guten Laufwegen und Tempo hervorbringen.

Auch in der Defensive macht Stöger einen guten Eindruck. Zuletzt wurde er auf der Doppelsechs neben Losilla eingesetzt und die beiden bildeten eine stabile Einheit. Stöger hat ein gutes Stellungsspiel und ist giftig im Zweikampf. Sein Timing bei Tacklings ist nicht auf dem Niveau von Losilla oder Rexhbecaj, durch seine Positionierung ermöglicht er jedoch der Offensivreihe das Zögern der gegnerischen Spieler fürs Pressing zu nutzen.

Jacek Goralski – Der Abräumer

Der polnische Nationalspieler erwischte einen denkbar schlechten Start. Sein Debüt ging gegen den SC Paderborn mit 0:2 verloren. Danach verpasste er wegen einer Augen-OP die komplette Vorbereitung.

Die Vita des 29-jährigen ist jedoch vielversprechend. Er ist 21-facher polnischer Nationalspieler und kommt auf 31 Spiele in Europa- und Champions League (inkl. Qualifikationsspiele). Laut einer umfangreichen Analyse von WAZ und dem Fußballdatenanbieter Createfootball kann er als Sechser große Räume abdecken. Er hat ein sehr gutes Gefühl für mögliche Spielzüge des Gegner und kann somit durch sein Stellungsspiel den Vortrag entscheidend stören. Im Zweikamp ist er nicht nur knallhart, sondern er besitzt auch ein sehr gutes Timing, um sich entscheidend durchzusetzen.

Jacek Goralski als Nationalspieler für Polen (vordere Reihe, zweiter von links). Foto: Светлана Бекетова (Wikimedia Commons)

Sein bevorzugter Raum ist zentral vor der Abwehr. Von dort aus verschiebt er weit Richtung Ball, jedoch nie so, dass er den Raum offen lässt. Seine Position ist Sechser, entweder allein im 4-3-3 oder als Teil einer Doppelsechs. Letzteres lief gegen Paderborn noch nicht so gut. Seine Abstimmung mit Toto Losilla war noch ausbaufähig und unser Capitano versuchte vergeblich den Polen anzuweisen. Die beiden haben eine ähnliche Art von der Sechs zu verteidigen, wodurch eine andere Möglichkeit attraktiver wäre, die ich später im Artikel beschreibe.

Im Spielaufbau oder nach Ballgewinnen kann er den Ball auch im engen Sechserraum gut behaupten. Er ist technisch geschult und besitzt eine gute Vororientierung. Damit kann er mit kurzen Bewegungen und Pässen den Druck umspielen. Optionen für lange Bälle sieht er jedoch selten, wobei er diese auch nicht immer genau spielen kann.

Ein Spieler, auf den man erst mal kommen muss. Kann mit einem aktuellen Index von 62,6 auf jeden Fall Bundesliga, kann sich auch noch ein bisschen steigern auf 63,5. Beste Position ist das defensive Mittelfeld, hier interpretiert Goralski seine Position als klassischer Balleroberer. Hat eine extrem aggressive,mutige, bisweilen auch dreckige Spielweise. Antizipiert sehr gut, mit sehr guter Positionsfindung. Agiert taktisch auf sehr hohem Level. Stark auch im defensiven 1 gegen 1 sowie mit gutem Timing im Tackling. Sehr guter Antritt, sehr beweglich, dazu stabil im Zweikampf (nicht selbstverständlich für einen Spieler mit seiner Physis). Enormes Laufpensum (11.94 km/90 Minuten). Schwächen im Kopfballspiel, in der schnellen Ballverarbeitung, im Passspiel sowie in der Technik generell. Entscheidungsfindung, gerade in den seltenen Offensivmomenten, ausbaufähig und mit wenig Kreativität. In Drucksituationen mit Ball fehlt die Übersicht. Wenn die Bochumer es schaffen, in rollengerecht einzusetzen, kann er ein großer Gewinn fürs Team sein. Kreative Mittelfeldspieler des Gegners sollten es gegen ihn extrem schwer haben.

Global Soccer Network (GSN) über Jacek Goralski

Philipp Förster – Der Antreiber

Vom VfB Stuttgart kam mit Philipp Förster ein neuer Mittelfeldspieler, der sich eher offensiver einbringen soll. Laut WAZ und Createfootball sind seine größten Stärken das Übergangsspiel ins letzte Drittel – sowohl per Pass als auch per Dribbling – und sein Pressingverhalten. Von den high-level Fakten wäre er der Nachfolger von Elvis Rexhbecaj: Linksfuß, kampfstark und nicht besonders torgefährlich. In den bisherigen Spielen konnte er diese Fußstapfen aber noch nicht ausfüllen.

Philipp Förster bei seiner Vorstellung. Foto: VfL Bochum 1848

Seine Dribblings aus tieferen Zonen bleiben noch oft hängen und er spielt in den oft 4-2-3-1-artigen Anordnungen meist zu hoch, um den Übergang vom zweiten ins letzte Drittel konstant zu gestalten. Diese Aufgabe übernimmt aktuell Kevin Stöger. In den hohen Zonen sind Zoller, Asano, Holtmann und Osei-Tutu deutlich effektiver, so dass Förster aktuell nur die Bank bleibt. Wohl auch da seine angeblichen Stärken im Pressing bisher nicht zu beobachten waren. In der Analyse schrieben WAZ und Createfootball: „In Stuttgart wurde Förster regelmäßig etwas offensiver eingesetzt, was nicht seinen Stärken entgegenkommt.. Als Sechser bzw. defensiver Achter konkurriert er jedoch mit Losilla und Stöger, so dass abzuwarten bleibt, wie Thomas Reis Förster am besten zur Geltung bringen kann.

27 Jahre – Offensives Mittelfeld – Aktueller Index bei 58,9, möglich sind 59,5. Ist so ziemlich genau auf der Schwelle zwischen 2. Liga und Bundesliga, basierend auf seiner Qualität. Sehr ordentlich im offensiven 1 gegen 1, mit gutem ersten Kontakt, guten Distanzschüssen. Spielt aggressiv, wirkt durchweg konzentriert, mit guter offensiver Vororientierung. Taktisch gut geschult. Dazu für einen Spieler seiner Position sehr defensivstark, mit ordentlicher Positionsfindung sowie gutem Timing im Tackling. Standards ausbaufähig, ebenso das Kopfballspiel. Passspiel könnte sauberer sein. Muss besser antizipieren, dazu fehlt ihm auf seiner Position ein bisschen die Kreativität und Übersicht. Nicht der Beweglichste.

Global Soccer Network (GSN) über Philipp Förster

Doppelsechs statt Dreiermittelfeld?

In der letzten Saison war das 4-3-3 klar gesetzt. Im Pressing wurde gelegentlich einer der Achter vorgezogen, um auf die Formation des Gegners zu reagieren. Die Positionen wurden jedoch konstant von Spielern besetzt, die man dem zentralen Mittelfeld zuordnen würde.

Seit dem letzten Testspiel gegen Antalya stellt Thomas Reis sein Team eher im 4-2-1-3/4-4-1-1 auf. Simon Zoller bzw. Takuma Asano wirbelten als klare Spieler des letzten Drittels versetzt hinter Stoßstürmer Philipp Hofmann, während Losilla und Stöger deutlich dahinter das Zentrum sicherten und den Spielaufbau übernahmen. Mit der Reichweite von Stöger, aber auch von Riemann und Neuzugang Ivan Ordets, kann man große Räume überbrücken. Ein geordneter Spielvortrag durchs Mittelfeld ist nicht so kritisch. Durch den zuätzlichen Offensiven hat man jedoch noch mehr Abnehmer und kann durch verschiedene Rotationen Lücke für die Pässe reißen.

Stöger ist somit für diese Variante gesetzt. Er ergänzt sich perfekt mit Losilla. Stöger bevozugt den linken Halbraum, während Losilla sich zentral und halbrechts am wohlsten fühlt. Stöger ist der Spielmacher aus der Tiefe, Losilla die Zweikampfmaschine, die bei Möglichkeit auch gern in den Sechszehner nachstößt. Letzteres wird im Fußball-Neudeutsch gern auch als Box-to-Box-Spieler bezeichnet.

Besetzung und Bewegungen im 4-2-1-3/4-4-1-1

Wenn Losilla zentral ab- oder nach rechts herauskippt (siehe Pfeile), kann Stöger die freien Räume im vor den Innenverteidigern besetzten. Ansonsten geht Stöger selbst nach links, so dass Losilla zentral bleibt und auf zweite Bälle oder Flanken nachrücken kann. Diese Prinzipen sind einfach und klar, funktionieren jedoch schon erstaunlich gut.

Die ersten Vertreter wären in dieser Variante Förster für Stöger und Goralski bzw. Osterhage für Losilla. Förster würde dann in die alte Rexhbecaj-Rolle schlüpfen, wäre also ein völlig anderer Typ als Stöger und weniger für dieses System geeignet. Er würde versuchen, die Offensivreihe eher durch Dribblings und kürzere Pässe ins Spiel zu bringen. Von daher wäre hier sogar Losilla eine mögliche Alternative. Goralski wäre dann in der Losilla-Rolle der stabile Abräumer, der gelegentlich ausweicht, um Stöger Räume zu öffnen. Osterhage wäre der kombinative Box-to-Box-Spieler, der ähnlich wie Losilla durch seine Läufe und kurze Ballaktionen das Spiel antreibt. Osterhage / Förster wäre wohl die schlechteste Option für eine Doppelsechs, da beide Spielertypen sehr ähnlich sind.

Sollte diese Variante zum Standard werden, dann wäre ein weiterer Stürmer, der auch aus dem Zehnerraum kreativ werden kann, eine willkommene Neuverpflichtung. Jürgen Locadia war ein solcher Stürmer. In den letzten Tag hieß es jedoch, dass sich der VfL mit Lys Mousset einig werden könnte. Mousset ist zwar ein guter Dribbler, der den Ball auch in engen Räumen behaupten kann, jedoch nicht sonderlich kreativ und eher auf den eigenen Abschluss bedacht.

Zurück in die Zukunft

Auch im 4-3-3 der letzten Saison wären Losilla und Stöger gesetzt. Stöger würde die Rolle von Eduard Löwen übernehmen, der ebenfalls für die Bälle in die Tiefe aus Umschaltsituationen zuständig war und gerne am Flügel unterstütze. Losilla hält stärker die Position vor der Abwehr und unterstützt die Innen- und Außenverteidiger beim Aufbauspiel. Die eher antreibende Rolle von Elvis Rexhbecaj würden Osterhage oder Förster übernehmen. Wie bereits vorher beschrieben sind beide Box-to-Box-Spieler, die den Spielvortrag mit dem Ball zusammen zum Tor tragen. Osterhage setzt dabei eher auf kleinräumige Kombinationen, während Förster Dribblings bevorzugt. Auf Basis der Vorbereitung würde ich aktuell Osterhage gegenüber Förster bevorzugen. Die beiden sind jedoch ebenbürtig und werden deshalb gemeinsam aufgeführt.

Besetzung und Bewegungen im 4-3-3 der Vorsaison

Jäger und Sammler

Eine neue Variante des 4-3-3 könnte entstehen, indem Jacek Goralski die Sechserposition übernehmen würde. So könnte unser Capitano wieder auf seine Paraderolle als Box-to-Box-Achter wechseln. Damit würde er die Rolle des Antreibers mit Ball am Fuß übernehmen. Auch Losilla ist stark im Dribbling. Zusätzlich kann er bei Flankendurchbrüchen die Präsenz im Strafraum erhöhen und noch stärker auf zweite Bälle pressen als bisher.

Besetzung und Bewegungen im 4-3-3 mit Losilla als Achter

Goralski würde Stöger und Losilla den Rücken freihalten und die Räume hinter ihnen im Pressing sichern. Durch seine etwas größere Geschwindigkeit und gute Orientierung kann er sogar etwas mehr Raum abdecken als Losilla. Es wäre das klassische Prinzip des Jägers und Sammlers bei dem Losilla wieder über den ganzen Platz pressen darf, während Goralski und Stöger die losen Bälle aufsammeln

Mit dem Ball würde sich Goralski auf kurze Ablagen und ausweichende Bewegungen konzentrieren. Ähnlich wie Casemiro oder Sven Bender würde er gelegentlich sogar vorrücken, um Stöger beispielsweise Räume zum Zurückfallen zu öffnen. Stöger als Quarterback mit Goralski und Losilla fürs Gegenpressing ist eine Vorstellung, die keinem Gegner in der Bundesliga gefallen kann.

Fazit

Es hat sich einiges getan im Bochumer Mittelfeld. Während Stöger bereits fest etabliert ist und sich zu einem Schlüsselspieler entwickelt, warten Förster und Goralski noch auf ihre Chance. Mit den neuen Spielertypen und der Variante 4-2-1-3/4-4-1-1 kann Reis noch flexibler auf die Gegner in der Bundesliga reagieren. Wir sind gespannt wie Reis seine Optionen ausspielen wird.

Autor: Tobias Wagner

Ich bin seit meinem fünften Lebensjahr Fan des VfL. Die Hochzeiten des Vereins mit den beiden UEFA-Cup Teilnahmen habe ich in meiner Jugend live miterlebt. Von da an war klar - für mich gibt es nur den VfL. Die Jungs von Spielverlagerung weckten meine Begeisterung für die Taktikanalyse. Auf erste Taktikanalysen, die noch direkt an den VfL versendet wurden, folgte der Blog "Blau-weiße Taktikecke". Später wurde ich dann selbst Autor bei Spielverlagerung und Trainer verschiedener Jugendmannschaften (U14-U16). Meine Begeisterung für Fußball, Training, taktische Raffinessen und statistische Spielereien möchte ich nun hier mit Euch teilen.

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