Am 14. Juni war es amtlich: Robert Zulj verlässt nach nur eineinhalb Jahren für eine vertraglich festgeschriebene Klausel den VfL Bochum. Bereits kurz nach Beendigung der Saison spekulierten Medien über den drohenden Abgang und sollten damit Recht behalten. Doch was bedeutet der Abgang für den VfL und wie kann man den Verlust des Topscorers der abgelaufenen Saison adäquat auffangen?
Seit Entstehung des Gerüchts über einen Wechsel von Robert Zulj in Richtung der Vereinigten Arabischen Emirate ist es das vorherrschende Thema in Bochum. Ein echter Wermutstropfen in all der Euphorie über den langersehnten Aufstieg in die Bundesliga. Während einige ihren Unmut über den Wechsel äußern, wünschen andere vor allem viel Glück und verweisen auf seine Verdienste im vergangenen Jahr. Kontrovers wird auch diskutiert, wie groß die Lücke sein wird, die Robert hinterlässt und wie man diese ohne große finanzielle Mittel auffangen kann.
Bevor wir uns diesen Themen widmen, möchte ich persönlich an dieser Stelle vorab Robert meinen persönlichen Dank aussprechen. Ich denke wenigstens in einer Frage sind wir uns nämlich alle einig – ohne unseren Topscorer wäre die 1. Bundesliga wohl auch in der kommenden Saison nur ein Traum gewesen. Daher danke Robert – danke, dass du uns diesen Traum erfüllt hast!
Zählt Geld mehr als der sportliche Erfolg?
Sicherlich ist der Wechsel in eine Liga ohne einen hohen sportlichen Stellenwert für eingefleischte VfL Fans erstmal unverständlich. Zulj hatte in der 1. Bundesliga noch eine Rechnung offen, konnte er sich doch dort noch nie wirklich durchsetzen. Zu sehr hatte er mit seiner eigenen Einstellung zu kämpfen und zu wenig Vertrauen schenkten ihm die Trainer der TSG Hoffenheim. Beim VfL war alles anders. Auch hier eckte Robert Zulj zwar zu Beginn der Saison mit Thomas Reis an, doch dieser ist bekannt für eine klare Kante. Unter der Leitung von Reis wird Klartext gesprochen, was auch mal einen Platz auf der Tribüne bedeuten kann. Stimmt danach die Reaktion des Spielers, ist genauso schnell wieder alles vergessen. Genau dieses Umfeld brauchte anscheinend unser Kreativmotor, um wohl die beste Saison seiner bisherigen Karriere zu spielen. Auch in der kommenden Saison hätte der VfL ihm die passende Bühne gegeben, es endlich all seinen Kritikern (und ehemaligen Trainern) zu zeigen, dass er Bundesliga kann. Doch genau vor seiner vermeintlich ersten Saison als Stammspieler in der Bundesliga zieht der Österreicher den Schlussstrich in Bochum und kehrt dem VfL den Rücken.
Fehlt dem begnadeten Fußballer also schlicht der sportliche Ehrgeiz? Sicher hätten viele Spieler sich in dieser Situation anders entschieden. Sicher fällt es aber auch von außen leicht über die Entscheidung anderer zu urteilen. Robert Zulj hat in seiner Jugend nie in VfL-Bettwäsche geschlafen und er hat auch dem VfL gegenüber keine Verpflichtung seine Dankbarkeit zeigen, indem er auf eine zuvor ausgehandelte Vertragsklausel zu verzichten. Nein, in erster Linie ist er Mensch und muss für sich und seine Zukunft entscheiden, was er selbst für richtig erachtet. Von außen sagt es sich immer leicht, dass ein Spieler auf Millionensummen verzichten sollte für seine sportlichen Ziele. Wir alle können jedoch noch nicht mal erahnen, was eine Millionensumme vor den Augen mit uns und unseren eigenen Entscheidungen machen würde. Der Vertrag in den VAE wird wohl der letzte große in seiner Karriere sein und kann man ihm da wirklich vorwerfen auch an seine Zukunft nach dem Fußball zu denken? Letztlich ist es auch egal, wie man zu dieser Frage steht. Hier, wo das Herz noch zählt, sollte man Spieler mit dem Respekt verabschieden, die sie sich mit ihren Leistungen auf dem Platz erarbeitet haben. Robert Zulj kann sich bei uns auf und neben dem Platz nichts in seinem Verhalten vorwerfen lassen.
Was bedeutet der Abgang sportlich für uns?
Nur allzu häufig kommt es bei Abgängen von Leistungsträgern gleichzeitig zu einer Relativierung des sportlichen Wertes der Spieler. „Er hat es bisher ja noch nie auf den Rasen gebracht in der 1. Bundesliga“ oder „wer garantiert uns denn, dass er das auch eine Klasse höher abrufen kann? Dafür fehlt ihm doch schlicht das Tempo!“. So oder so ähnlich lesen sich einige Kommentare im Internet über unseren Topscorer der abgelaufenen Saison. Doch muss man sich dann auch die Frage stellen, welcher VfL Spieler denn überhaupt die Garantie mitbringt, in der Bundesliga zu funktionieren. Hätten Spieler wie Gerrit Holtmann, Danny Blum und Co in der 1. Bundesliga in ihren vorherigen Stationen überzeugt, würden sie nicht beim VfL in der 2. Bundesliga spielen. Das liegt in der Natur der Sache. Dies ist allerdings nicht gleichzusetzen damit, dass diese Spieler sich in Zukunft nicht steigern können in einem anderen Verein samt neuen Umfeld. Robert Zulj war in dieser Truppe in der abgelaufenen Saison wohl der herausragende Spieler. Nicht zuletzt durch seine Assists und Pre-Assists machte er auch seine Mitspieler besser. Insbesondere schnelle Spieler profitierten von dem feinen Füßchen des Österreichers, das uns häufig magische Momente beschert hat. Und sind wir mal ehrlich, insbesondere in der 1. Bundesliga ist es wichtig, mit möglichst wenig Ballkontakten das Spiel mit gezielten Pässen schnell zu machen. Und wieso sollte er sein Passspiel in der 1. Bundesliga verlernen? Aus meiner Sicht wiegt der Abgang von Zulj schwer und davor sollte man nicht die Augen verschließen.
Wie kompensiert man taktisch den Abgang unseres Spielmachers?
Jedoch hilft lamentieren in dieser Situation wenig. Der VfL hat keine andere Möglichkeit, den Verlust bestmöglich zu kompensieren. Auch wenn der Abgang schmerzt, so sind ähnliche Abgänge im Fußballbusiness doch eher die Regel, denn eine Ausnahme. Robert ist auch nicht der erste sportliche Verlust, den man in Bochum ersetzen muss. Wie schafft man es aber, wenn man vermutlich keinen identischen Spieler auf dem Transfermarkt finden wird, einen Spieler dieser Güteklasse adäquat zu ersetzen? Gemeinsam haben wir versucht die verschiedenen Lösungsansätze aus der „Inventur des Kaders: Teil 8“ in Verbindung mit dem Abgang von Robert Zulj in Einklang zu bringen:
Das System bleibt, der Spieler wird im Kollektiv ersetzt
Die wohl naheliegendste Möglichkeit ist das aktuelle System beizubehalten und den Abgang durch das Kollektiv zu ersetzen. Dies ist allerdings vermutlich nur möglich, indem man sich gleich auf mehreren Positionen qualitativ verstärkt. Alleine die Torgefahr müsste durch verschiedene Spieler ersetzt werden. Für einen Aufsteiger strahlten unsere Flügelspieler in der abgelaufenen Saison zu wenig Torgefahr aus: Herbert Bockhorn, Milos Pantovic oder Blum und Holtmann kamen über die Saison hinweg insgesamt gerade einmal auf 12 Treffer. Christopher Antwi-Adjei ist ebenso wenig für seine Kaltschnäuzigkeit bekannt. Mit Takuma Asano ist allerdings mein absoluter Wunschspieler aus unserem letzten Scoutingbericht jüngst zum Team gestoßen. Für Partizan Belgrad hat er in der abgelaufenen Saison in 40 Spielen satte 21 Tore geschossen. Knüpft er an diese Leistungen an, könnte er die Effizienz über die Flügel deutlich verstärken und bei Bedarf sogar die Rolle hinter den Spitzen ausfüllen – wobei ich ihn persönlich deutlich stärker auf den Flügeln sehe. Auch der Spielaufbau und vor allem der letzten Pass in die Schnittstellen muss von anderen Spielern übernommen werden. Dies kann nur von mehreren Spielern aus dem Mittelfeld gemeinsam übernommen werden. Die bereits vom Verein angekündigten Verstärkungen im zentralen Mittelfeld könnten dabei den direkten Ersatz im offensiven Mittelfeld entscheidend entlasten.
Meinung von Sebastian Hettmann: Die jetzige Spielstatik ist auf verschiedene horizontale Räume im Zentrum ausgelegt. Robert Tesche kümmert sich um den tiefen Spielaufbau und die Ordnung, Anthony Losilla ist umtriebig im Achter-Raum unterwegs und Robert Zulj besetzte das letzte Drittel, um auf engem Raum die Angriffe zu initiieren. Asano, oder auch Pantovic oder Tom Weilandt, sind dahingehend eher Dribbler als letzter Passgeber. Qualitativ ist Asano die wahrscheinlichste Option. In Spielen, in denen man nicht oft den Ball erwartet und eher auf schnelle Überbrückung des Raums setzt, wäre eine Statik mit einer hängenden Spitze und einem pressenden Stürmer denkbar. In diesem Fall würde dann das zentralen Mittelfeld weite Wege gehen müssen und die Physis rückt vermehrt in den Vordergrund. Die nächste Lücke im Kader.
Zwei Achter anstelle eines Zehners
In der Bundesliga werden wir uns vermutlich ohnehin defensiver orientieren müssen als in der 2. Liga. Daher könnte eine Variante sein, anstelle eines offensiven Mittelfeldspielers das Spiel über zwei agile Achter anders zu interpretieren. Hierbei müsste Thomas Reis nicht allzu weit vom bisherigen taktischen Konzept abweichen und könnte weiter auf eine Viererkette setzen. Durch eine gesteigerte Kompaktheit im ZM könnte man defensiv besser stehen und könnte Einbußen im Offensivspiel durch eine geringere Anzahl an Gegentoren leichter kompensieren.
Meinung von Sebastian Hettmann: Meine präferierte Grundordnung in der kommenden Saison. Der Abgang von Robert Zulj deutete sich an und somit konnte bereits in den vergangenen Wochen der Markt sondiert werden. Dynamische und ballsichere Achter sind vermutlich leichter zu bekommen, als denselben Spielertypus wie Zulj zu suchen. Die einzelne Besetzung der Positionen verrückt natürlich immer die Herangehensweise des Teams. Agiert Danilo Soares auf links mehr im Spielaufbau, darf die rechte Abwehrseite ruhig offensiver besetzt werden, da zwei Achter den Raum leichter schließen können. Agieren wir mit zwei inversen Flügelstürmern, darf der Mittelstürmer gerne fallen und am Spiel teilnehmen und rochieren. Spielen wir mit einem Stoßstürmer, wäre das konsequente Flügelspiel ein Mittel.
Grundlegend stellen die beiden Achter vor einem Sechser jedoch immer wieder schneller die Überzahl in der Restverteidigung her, so dass man sich verschiedene Optionen im Angriff offen hält. Gegen die Vielzahl der Bundesligisten wird das vermutlich eine sinnvolle Grundordnung darstellen.
Ein komplett neues System mit einer Fünferkette
Die wohl defensivste Variante wäre eine komplette Abkehr von der von Thomas Reis bevorzugten Viererkette. Anstelle von zwei Innenverteidigern, bräuchte man für dieses Szenario einen dritten Innenverteidiger. Diese Rolle könnte gegebenenfalls sogar ein Anthony Losilla übernehmen, dennoch müsste man sich qualitativ wie quantitativ noch mit einem Innenverteidiger verstärken. Die passenden Schienenspieler für eine Fünferkette wären mit Gamboa, Bockhorn oder Soares schon im eigenen Team vorhanden. Im Angriffspiel könnten die Schienenspieler nach vorne aufrücken und die offensiven Mittelfeldspieler ins Zentrum einrücken. Für einen Asano aber auch für Blum könnte diese Rolle aufgrund des Drangs zum Tor zu ziehen maßgeschneidert sein. Im zentralen Mittelfeld müsste man hierfür allerdings noch geeignete Spieler für dieses System suchen. Spieler, die gleichzeitig weite Wege gehen, defensive Qualitäten mitbringen aber auch ein Spiel lenken können.
Meinung Sebastian Hettmann: Flexibilität und Raumbesetzung könnten zu unserer Mannschaft wunderbar passen. Die Absicherung des Zentrums sollte in der Bundesliga oberste Priorität haben, so dass die Überzahl dort leicht geschaffen werden kann.
Grundsätzlich fühlt sich das Team seit Jahren jedoch mit der Viererkette am wohlsten und daher werden wir diese Grundordnung vermutlich defensiv am häufigsten sehen.
Der VfL ist mehr als nur ein Spieler
Egal wie der VfL in Form von Thomas Reis und Sebastian Schindzielorz auf den Abgang von Robert Zulj reagieren werden, es wird keine leichte Aufgabe für die Mannschaft in der Bundesliga zu bestehen. Wichtigste Komponente für den Erfolg ist der Aspekt, der unseren VfL in der abgelaufenen Spielzeit ausgezeichnet hat. Denn letztlich war Robert Zulj zwar der effektivste Spieler der abgelaufenen Saison, doch der Star war und ist die Mannschaft – geformt von einem Trainer, der dessen Bedeutung nur allzu gut kennt. Der VfL konnte den Einzug in die 1. Bundesliga nur durch eine geschlossene Mannschaftsleistung erreichen und nur so kann man die Klasse auch in der kommenden Saison halten. Gemeinsam, als ein Team, als ein VfL!
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