Die Spielfreude ist zurück – ein Blick nach München

Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)

Nach einer turbulenten Woche mit Entlassungen von Trainer Peter Zeidler und Sport-Direktor Marc Lettau sowie dem Rückritt von Hans-Peter Villis sind unsere Freunde aus München anne Castroper zu Gast. Auch wenn es nicht ganz leicht ist, den Fokus sofort wieder auf das sportliche Treiben zu richten, versuchen wir ein Stück weit Normalität reinzubringen. Wir blicken nach München. Im Gespräch mit Bayern-Fan Jasmin Krüger.

Hallo Jasmin, wie ist zur Zeit die Stimmung an der Säbener Straße?

Grundsätzlich gut würde ich sagen. Wir sind gut in die Liga gestartet, lediglich in der Champions League läuft es noch nicht so, wie es laufen sollte. Ich denke in der Liga machen wir aktuell vieles richtig. Ich hoffe, dass uns nicht die verflixte zweite Pokalrunde zum Verhängnis wird. Bei Mannschaft und Trainer merkt man aber, dass es gut harmoniert.

Wie viel FC Bayern ist noch vom 3:2 im Februar?

Nicht mehr viel in meinen Augen. Wenn man sieht, dass wir im Sommer außer Palhinha und Olise niemand weiteren verpflichtet haben, merkt man, dass es ja offensichtlich auch ohne die vielen Neuzugänge geht, die Tuchel damals gefordert hat. Pavlovic macht einen extrem gut Job und macht selbst die berühmte „Holding Six“ teilweise überflüssig. Man merkt einfach, dass die Spielfreude zurück ist und der Offensivdrang gepaart mit der Kreativität wirklich viel Spaß macht.

Hand aufs Herz: Wie (un)gefährlich bewertest du den VfL vor dem Spiel am Sonntag?

Ich würde gerne sagen, dass es am Sonntag sehr eng wird. Leider habe ich da kein gutes Gefühl für unsere Freunde aus dem Pott. Der schlechte Saisonstart gepaart mit der Trainerentlassung – vieles scheint mir derzeit gegen den VfL zu sprechen. Hinzukommt die zweitschwächste Offensive bzw. Defensive. Dennoch wissen wir alle auch, dass eine Trainerentlassung manchmal Wunder bewirken kann und Kräfte freisetzen kann. Ich setze zwar klar auf Bayern, würde eine Überraschung aber nicht ausschließen wollen.

Vincent Kompany war im Sommer nicht die erste Wahl des FCB. Hat er sich rückblickend mit seinem Profil zur 1. Option gemausert?

Ich habe tatsächlich zu einem guten Kumpel gesagt, dass ich Kompany feiern würde. Das war noch weit bevor das erste Mal Gerüchte auftauchten. Ich verfolge den Fußball in England und habe dadurch auch einige Spiele von Burnley gesehen. Und auch wenn die Saison in der Premier League nicht gut war, war es eben auch der schwächste Kader der gesamten Liga. Auch in der zweiten Liga war er damals nicht der stärkste Kader und hat einen Punkterekord aufstellen können. Ich bin sehr froh, dass es so gelaufen ist. Ragnick, Glasner, de Zerbi – alles tolle Trainer, hätte ich aber nicht beim FC Bayern gesehen. So haben wir einen Mann an der Seitenlinie, der ähnlich, wie Xabi Alonso arbeitet. Er arbeitet noch mit im Training, spielt mit, gibt klare Anweisungen. Das finde ich gut und ich hoffe, dass unser Vorstand ihm die nötige Zeit gibt. Das in dieser Saison noch nicht alles glatt laufen wird, ist für mich völlig klar.

Was macht Vincent Kompany richtig?

Teilweise habe ich es ja bereits angesprochen. Im Vergleich zu Thomas Tuchel zeichnet den FC Bayern nun aber wieder Spielfreude und Kreativität aus. Die Spieler sind auf allen Positionen zu finden und haben Ideen. Das hat mir unter Tuchel gefehlt. Es schien, als müssten dort alle in einem Bereich trainieren und dürften diesen im Spiel nicht verlassen. Seine Bindung zur Mannschaft scheint bisher auch richtig gut zu sein. Man sieht es immer wieder in Videos und auch die Spieler bestätigen den Eindruck in Interviews. Er schafft es alle bei Laune zu halten, obwohl wir in dieser Saison einen vergleichsweise großen Kader haben. Es gibt aber niemanden der meckert. Das finde ich macht Kompany sehr gut und auch richtig.

Was zeichnet die Bayern unter Kompany aus, was sind die größten Veränderungen zur Vorsaison? Gibt es Überraschungen bzw. Gewinner unter den Spielern?

Wie bereits gesagt, ist die Kreativität ein großer Punkt für mich – das gepaart mit der Spielfreude. Dazu kommt der dominante Ballbesitzfußball und das aggressive Pressing. Wenn wir das noch ein bisschen besser in Einklang mit der Konterabsicherung bekommen (s. Spiel gegen Barcelona), bin ich sehr zufrieden.

Gewinner unter Kompany sind auf jeden Fall unsere Innenverteidiger. Die erhalten endlich mal Rückhalt und werden nicht immer wieder vorgeführt. Das fehlte mir unter Tuchel. Das auch mal die gesamte Mannschaft in die Verantwortung genommen wird und nicht nur die Innenverteidiger. Weiterhin ist Gnabry ein riesiger Gewinner. Seine Form macht aktuell so viel Spaß – ich hoffe er bleibt verletzungsfrei, denn so ist er ein absoluter Mehrwert. Pavlovic und Olise würde ich auch zu den Gewinnern zählen. Die haben sich schnell festspielen können. Als letztes würde ich Guerreiro nennen wollen. Ich finde auch er bekommt mehr Spielzeit und Vertrauen unter Kompany und ist nicht mehr „nur“ Back-Up.

Hat es Kompany und sein Trainerteam geschafft die Unkonzentriertheiten im Abwehrverband abzustellen? Wie geht er mit der alten Garde (Neuer, Müller) um?

Die Unkonzentriertheiten sind teilweise noch da, wie eben auch gegen Barcelona. Dennoch finde ich es stabiler, als noch zu Beginn der Saison. Gegen Stuttgart waren wir sehr dominant und haben den Vizemeister mit 4:0 schlagen können – das will schon was heißen, wie ich finde. Mit sieben Gegentoren stellen wir zudem die drittbeste Defensive. Ich denke darauf lässt sich durchaus aufbauen.

Den Umgang mit den älteren Spielern, wie Müller und Neuer finde ich sehr gut. Selbst Thomas Müller blüht nochmal richtig auf und hat richtig Spaß an dem rotierenden System. Manuel Neuer scheint sich auch wohlzufühlen, sieht derzeit jedoch oftmals in seinen Aktionen unglücklich aus. Dazu schon 17 Gegentore insgesamt gesehen – das muss sich verbessern. Dennoch würde ich ihm da zum Teil zustimmen wollen, dass es eben auch an dem extrem hohen Spiel der Bayern liegt. Rückt die gesamte Defensive hoch, kann Neuer nicht hinten bleiben. Dann sind die Abstände einfach zu groß. Rückt er raus, ist hinten alles leer. Das muss eben noch besser abgestimmt werden in meinen Augen.

Wie erklärst du dir die aktuelle Entwicklung von Aleksandar Pavlovic? Hat er dem teuren Neuzugang Joao Palhinha den Weg in die Startelf verbaut?

Als erstes möchte ich dazu sagen, dass ich Pavlovics Entwicklung richtig toll finde. Vom Balljungen zum Stammspieler – das schafft nicht jeder. Mit 19 Jahren spielt er extrem abgeklärt und sicheren Fußball. Seine Quoten überzeugen auf ganzer Linie und seine Entwicklung ist ja bei weitem noch nicht abgeschlossen.

Dass es Palhinha derzeit nicht in die Startelf schafft bzw. nur aufgrund der Verletzung von Pavlovic, ist natürlich ärgerlich. Ich mag seinen Spielstil und ich denke er würde unserer Abwehr mehr Sicherheit geben, wenn er denn mal eingespielt ist. Zu Kompanys System passt Pavlovic aber deutlich besser aktuell. Wenn Kompany irgendwann wirklich einen defensiveren Ansatz wählt, dann sehe ich Palhinha gleichauf. Er hat Erfahrung, er kann sehr körperlich spielen und hatte in der Premier League eine der besten Zweikampfquoten, obwohl er im Mittelfeld spielt.

Aus Bochumer Sicht ist immer die Situation von Leon Goretzka interessant – wird er es am Sonntag in den Kader schaffen oder womöglich in die erste Elf? Wie hat sich seine Rolle mit dem Ausfall von Pavlovic verändert?

So sehr, wie ich Goretzka mag, glaube ich nicht, dass er am Sonntag von Beginn an spielen wird. Kompany bevorzugt Palhinha, Laimer oder Guerreiro aktuell im Mittelfeld. Ich denke schon, dass er im Kader stehen wird und eventuell ein paar Minuten bekommt, aber nicht von Beginn an. Es tut mir extrem leid, weil ich ihn sehr mag und immer toll fand. Aber hier ist er in der Rangordnung derzeit ganz unten. Ich denke für die Spielzeit wäre ein Wechsel sinnvoll. Um regelmäßig zu spielen, muss er derzeit einfach auf Ausfälle hoffen und da reicht nicht einer. Es müssten mindestens zwei Leute ausfallen, damit er wieder Chancen hat. Aber das ist nur meine Sicht – vielleicht ändert sich das auch bald wieder.

Peretz war im Sommer Kandidat für eine Leihe nach Bochum. Was für ein Typ Torwart ist er?

Peretz ist in meinen Augen ein wirklich talentierter Torhüter und ich hoffe, dass er im Winter einen Leihwechsel antreten kann. Er durfte bisher leider nicht oft spielen, aber wenn er gespielt hat, war er auf der Linie sehr sicher. Mit dem Fuß ist es okay, wird aber kein Manuel Neuer Jr. werden. Vielleicht kann er sich als Nummer 2 hinter Nübel festsetzen oder ihn ggf. sogar herausfordern. Das kann aber nur passieren, wenn er Spielpraxis sammelt. Mit 23 Jahren ist er dazu noch wirklich jung und kann sich noch stark entwickeln.

Im sportlichen Bereich ist einigermaßen Ruhe eingekehrt – jetzt wird die Arbeit von Vorstandsvorsitzenden Dreesen kritisch gesehen. Kommt der FC Bayern nie zur Ruhe?

Als ich den Bericht gelesen habe, war ich tatsächlich sehr schockiert – im negativen Sinne. Wenn sich diese Aussagen bewahrheiten, dass ist Dreesen keinesfalls mehr tragbar und muss gehen. Dennoch muss man beim FC Bayern auch sagen, dass es der größte Club in Deutschland ist und sich an jedem Gerücht festgezogen wird. Das war bei der Trainersuche so, das war bevor Max Eberl kam genauso. Unruhe wird auch durch die Medien gestiftet, obwohl sie nicht da ist. Eberl war neulich im Doppelpass – da hat er die Trainer aufgelistet, zu denen wirklich Kontakt bestand. Das war nicht mal ein Viertel der angeblichen Kandidaten, die durch die Medien verbreitet wurden. Deshalb würde ich eine Teilschuld auf die Medien abschieben. Wenn wir nun den Brandherd Vorstand gelöscht haben, wird es ruhiger, denke und hoffe ich. Aber wie gesagt – das mit Dreesen geht gar nicht. Natürlich sage ich das einerseits als Frau, aber andererseits auch als Arbeitnehmerin.

Was erzählt man sich um die neuerlichen Gerüchte eines Wechsels im Vorstand?

Wissen tut im Fanbereich keiner etwas. Das auch die Medien erst nach mehreren Monaten erfahren haben, zeigt eigentlich viel Diskretion dahinter. Ich denke es wird intern aufgearbeitet und zur Mitgliederversammlung wird nur verkündet, dass Person XY unser neuer Vorsitzender ist. Auch auf Nachfragen äußert sich niemand. Aber genau das finde ich gut. Es ist genug Stress. Und auch Jan-Christian Dreesen ist nur ein Mensch. Er verdient es nicht den Löwen zum Fraß vorgeworfen zu werden. Dafür hat er auch sehr lange, sehr gute Arbeit geleistet.

Kommen die Bayern nur bei einem Machtwort von Uli Hoeneß zur Ruhe oder ist er der Grund, dass man nicht zur Ruhe kommt?

Uli Hoeneß hat viel für den FC Bayern geleistet, dennoch macht er sich zu groß. Er ist letztlich nur noch Ehrenpräsident. Das ist keine offizielle Funktion, sondern nur ein Nice-to-have-Titel. In beratender Funktion steht nur noch Rummenigge zur Verfügung. Daher tue ich mich mit den Aussagen, die er trifft sehr schwer. Auch das bringt Unruhe, anstatt sie zu nehmen. Ich würde mir wünschen, dass er manche Dinge vielleicht mehr für sich behält oder noch zwei, drei Mal darüber nachdenkt, ob es sinnvoll ist das jetzt wirklich zu sagen.

Auch Max Eberl hat eine Bochumer Vergangenheit. Wie wird sein und das Wirken von Christoph Freund gesehen?

Direkt nach der Transferphase waren viele unglücklich darüber, dass wir nur wenige Spieler abgegeben haben. Inzwischen hat sich das Blatt gewendet. Auch mit Olise haben die beiden überzeugt. Bei Freund merkt man, dass er junge und talentierte Leute holen will, plädiert immer wieder dafür die Jungs aus dem Campus mitzunehmen. Das wird sehr positiv gesehen – eben weil der Campus viel Geld gekostet hat. Eberl ist noch nicht so lange im Amt, dass man bereits viel sagen kann. Er arbeitet ruhig, wird lauter, wenn es nötig ist und steht voll hinter dem Trainer, so wie Freund auch. Das empfinde ich derzeit als wichtig, damit es ruhiger werden kann und wir uns wieder mehr mit den sportlichen Geschehnissen auseinandersetzen können.

Auf welchem Tabellenplatz erwartest du den FC Bayern München nach dem 34. Spieltag? Und auf welchem den VfL Bochum?

Wenn wir verletzungsfrei bleiben, sehe ich uns in diesem Jahr wieder an der Spitze. Leverkusen ist sehr anfällig, Leipzig und Frankfurt können uns Probleme machen. Dortmund ist für mich derzeit nur fünfte Kraft – wenn überhaupt.

Bochum muss sich echt berappeln. Wenn das gelingt, sehe ich das untere Mittelfeld (Platz 14-16) realistisch. Kiel und St. Pauli sehe ich schwächer. Augsburg auf jeden Fall in der Region vom VfL und auch vielleicht Gladbach, wenn es weiter so bergab geht. Ich denke und hoffe, dass ihr oben bleibt!

Welchen Trainer empfiehlst du für den VfL Bochum? Warum ausgerechnet ihn?

Bochum braucht jemanden, der Krisen managen kann. Als Erster kommt mir da Urs Fischer in den Sinn. Ihr habt schnelle Leute, die auf jeden Fall umschalten können. Und den Defensivfußball, den er spielen lässt, braucht ihr auf jeden Fall, damit ihr nicht zur Schießbude der Liga werdet. Daneben bringt er eben auch die Erfahrung mit, die es ggf. braucht und ich denke, dass er auch im größten Notfall den Gang in Liga 2 mit euch antreten würde. Urs Fischer wäre also mein Wunsch für euch.

Barcelona am Dienstag, Bochum am Sonntag – auf welchem Fitnesslevel werden wir die Bayern im Ruhrstadion erleben?

Zwischen Dienstag und Sonntag liegen ja glücklicherweise noch vier Tage. Daher denke ich, dass die Jungs schon fit ankommen werden. Dennoch wird wahrscheinlich rotiert werden, weil ja kurz darauf wieder das Pokalspiel gegen Mainz ansteht. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir Irankunda sehen würden oder mal wieder Sané von Beginn an. Auch Mathys kann wieder eine Chance erhalten. Das hat nichts mit fehlendem Respekt euch gegenüber zu tun, sondern mit der Belastungssteuerung und das ist immens wichtig, damit wir die Saison durchhalten.

Ist der FC Bayern reif für einen weiteren Lauf im neuen Champions League Modus?

Ich denke, dass ist nun deutlich unwahrscheinlicher einen Rekord, wie im Gruppenmodus aufzustellen. Wenn man sieht, wie auch andere Topteams zu kämpfen haben, merkt man, wie herausfordernd der neue Modus ist. Hinzu kommen die zusätzlichen Spiele. Wenn wir wieder im normalen K.O.-Modus sind, wird es wieder besser, denke ich. Gegen Benfica, PSG und Donezk sind aber neun Punkte Pflicht. PSG sehe ich in dieser Saison auch nicht so stark. Sie haben zwar Barcola, Kolo Muani und Zaire-Emery, sind aber im Gesamtpaket nicht stärker, als Leipzig würde ich sagen.

Dein Tipp fürs Spiel?

Ich sage die Überraschung bleibt aus und Bayern gewinnt 4:1 nach dem frustrierenden Spiel gegen Barcelona und schießt sich so den Frust von der Seele.

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Autor: Matthias Rauh

Obwohl in Bayern wohnhaft besitze ich eine Dauerkarte beim VfL und versuche, jedes Heimspiel und jedes Auswärtsspiel im Süden vom VfL mitzunehmen. Meine Begeisterung für den VfL entwickelte sich in der Saison 2006/07, endgültig besiegelt wurde sie bei dem eigentlich völlig belanglosen Spiel Karlsruher SC gegen den VfL im Jahr 2008. Während eines Fußballturniers wollten meine Mannschaftskameraden in der Bundesligakonferenz ständig die Zwischenstände von Bayern München und Nürnberg wissen, ich erntete misstrauische Blicke, als ich den Zwischenstand von Bochum wissen wollte. Abstieg, Relegation, Funkel, Neururer... ich bin immer noch dabei und freue mich immer mehr auf Spiele wie Bochum gegen Sandhausen als Bayern gegen Dortmund.

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