Die Flügel entscheiden über Auf und Ab

Taktikanalyse des Befreiungsschlags bei Union Berlin

Der VfL Bochum gewinnt gegen Union Berlin mit 4:3 und holt drei ganz wichtige Zähler im Abstiegskampf. Über die emotionale Seite des Spiels haben wir schon ausführlich geschrieben. In diesem Artikel wollen wir einen Blick auf die taktische Ausrichtung unserer Elf werfen, mit welcher der große Befreiungsschlag gelang.

Nach dem Heimerfolg gegen Hoffenheim versuchte Heiko Butscher möglichst wenig zu ändern. Nur Patrick Osterhage ersetzte unseren gesperrten Kapitän Anthony Losilla positionstreu auf der Doppelsechs. Dabei agierte er auf der linken Seite etwas vorgeschoben. Ersatzkapitän Kevin Stöger tauchte somit erstaunlich oft rechts auf, was unser Spiel etwas balancierter als üblich machte. Weiterhin wurden jedoch mit 49 % die meisten Angriffe über die linke Seite eingeleitet (Zentrum und rechte Seite jeweils gerundet 26 %, Quelle: Bundesliga.de App).

Ansatz mit Ball – Zwischen Verbeek-Asymmetrie und 4-4-2

Mit Moritz Broschinski als Stürmer auf Rechts und Maximilian Wittek als Flügelverteidiger auf Links, sowie Bernardo als Hybrid aus Außen- und Innenverteidiger und Felix Passlack als rechtem Flügelverteidiger dahinter, sah es erst einmal sehr nach der von Verbeek bekannten Asymmetrie im Spielaufbau aus. Tatsächlich wurde der Spielaufbau jedoch relativ symmetrisch aus einem 4-2-3-1 / 4-4-2 durchgeführt. Die Außenverteidiger rückten etwas über die Sechser hinaus auf, während die vier Offensivspieler die letzte Linie besetzten. Dabei gab es häufig gegenläufige Bewegungen zu sehen, in denen Philipp Hofmann und Kevin Stöger zurückfielen, während Wittek und Broschinski in die Tiefe starteten.

Union Berlin setzte dagegen auf ein 3-5-2 / 3-3-2-2, in dem die beiden Stürmer die Innenverteidiger belauerten und die beiden Achter weit auf unsere Sechser vorschoben. Die Flügelverteidiger übernahmen die Außenverteidiger und der Sechser verfolgte Stögers Bewegungen. Union spielte also Mann gegen Mann. Nach einer kurzen Orientierungsphase zu Beginn, gelang es unserem VfL ab der 8. Minute gelegentlich mit schnellen Ablagen und Kombinationen Unions Mannorientierungen zu brechen. Erst einmal sprang dabei aber noch nichts zählbares raus.

Ballorientierte Verteidigung lässt Union kaum Luft zum Atmen

Wir verteidigten gegen Unions 3-5-2 / 3-3-4 in einem ballorientierten 4-2-3-1 / 4-4-2. Hofmann belauerte in die Innenverteidiger aus zentraler Stellung. Das Anlaufen der Innenverteidiger wurde flexibel aus dem Zentrum über Stöger oder den ballnahen offensiven Außenspieler eingeleitet. Dabei schob der VfL jeweils geschickt so, dass zwei Spieler auf die Dreierkette pressten und immer eine Überzahl in letzter Linie bestehen blieb.

In der Linie dahinter, lief der ballnahe Außenverteidiger den Flügelverteidiger an, während der ballferne Flügelverteidiger vom offensiven Flügelspieler zurückverfolgt wurde. So konnten unsere Spieler ballnah Druck machen, blieben jedoch kompakt.

Wo ein Wittek ist, ist auch ein Weg (sorry Philipp, den mussten wir auch bringen)

Maxi Wittek ist in der aktuellen Phase der Saison ein Phänomen. Der Mann, der vor der Saison aus Arnheim kam, war nie so recht Leistungsträger unter Letsch, obwohl dieser ihn quasi nachverpflichtete. Erst nach der Trennung von seinem vorherigen Ziehvater entwickelt er sich nun zu einer absoluten Waffe auf den Flügeln.

So sorgte er in der ersten Hälfte mit einem Doppelpack für die frühe Führung des VfL. Dabei erzielte der eigentliche Flügelverteidiger beide Tore, indem er sehr weit ins Zentrum oder gar auf die andere Seite einrückte. Beim ersten Tor war dieses Verhalten noch naheliegend, da die Flanke von rechts kam. Beim zweiten Tor jedoch zeigte er einen sehr guten Bogenlauf bis auf die rechte Seite, von wo er nach starkem Pass von Patrick Osterhage auf dem starken Fuß nach innen ziehen und eiskalt abschließen konnte.

Der erste Tor dürfte dabei klar dem Matchplan entsprungen sein. Hofmann legte auf Stöger, der steil auf den Außen tief gehenden Broschinski spielte. Dieser konnte Wittek perfekt am langen Pfosten bedienen.

Dominanz durch Gegenpressing

Das zweites Tor wurde maßgeblich durch gutes Nachrücken aus der Restverteidigung erzwungen. Auch wenn dieser Faktor nicht so dominant wie noch gegen Hoffenheim war, so wurde das Gegenpressing auch dieses Mal aggressiv und konzentriert umgesetzt.

Das 3:0 durch Keven Schlotterbeck war ein weiteres Beispiel für dieses Gegenpressing.  Nach einer Ecke konnten drei Ballverluste direkt im gegnerischen Drittel ausgebessert werden. Am Ende brachte der Rechtsverteidiger Passlack von links die Flanke auf unseren rechts postierten linken Innenverteidiger. Hier sollte jedoch angemerkt werden, dass Passlack nur links auftauchte, weil er von dort einen Einwurf weit ausgeführt hatte. Das Pressing basierte sonst sehr auf ein guter Organisation der Restverteidigung. Ein Faktor, der zuletzt auch mehrfach betont wurde.

Union passt an…

Union passte bereits in der ersten Hälfte an und presste eher im 3-2-4-1, um wieder Überzahl in den gefährlichen Räumen vor der Abwehr zu bekommen. Dies änderte aber wenig am generellen Ablauf des Spiels, da Bochum meist lang aufbaute und direkte Ablagen und Pässe in die Tiefe weiterhin gut funktionierten

In der Halbzeit stellte das Team um Union-Trainer Nenad Bjelica auf 4-1-4-1 um. Mit Ball kippte der Sechser Rani Khedira ab, da dass in einem 3-4-3 aufgebaut wurde. Dabei waren die Positionen der offensiven Viererreihe sehr variabel.

Da Stöger weiterhin auf Khedira nachschob und die offensiven Außen sich nun zwischen Anlaufen der Außenverteidiger und Doppeln der offensiven Flügelspieler Unions entscheiden mussten, gab es für Matus Bero und Patrick Osterhage viel zu koordinieren. Das gelang auch meist und Bochum blieb leicht überlegen.

…und kommt zurück

Beim Gegentor jedoch gab es Koordinationsprobleme zwischen der Abwehr- und Mittelfeldreihe.  Die Abwehrkette blieb sehr passiv, so dass die Stürmer und zentralen Offensivspieler Unions den Raum um unsere Sechser überluden. Trotzdem ging Osterhage weit rüber auf den ballnahen Flügel, wodurch der Raum für das Dribbling von Yorbe Vertessen aufging. Wittek versuchte noch hinzukommen, der Weg für ihn war jedoch etwas zu weit, so dass er nicht mehr entscheidend eingreifen konnte.

Dem zweiten Gegentor zum 2:3 geht eine Fehlerkette voraus. Riemann spielt einen langen Ball nach vorne, mit dem anscheinend niemand aus unserem Team rechnet. Schlotterbeck schafft es nicht, sich rechtzeitig wieder in der Kette zu positionieren. Gleichzeitig positionieren sich die Außenverteidiger breit. So hat Union nach dem verlorenen Kopfballduell von Ordets freie Bahn auf das Bochumer Tor. Niemand ist so positioniert, dass er noch ernsthaft eingreifen kann.

Butschers Feinanpassungen bringen wieder mehr Kontrolle

Mit den Wechsel in der 68. Spielminute wird die formative Ausrichtung unserer Mannschaft nicht geändert. Christopher „Jimmy“ Antwi-Adjei übernimmt  für Wittek auf der linken offensiven Außenbahn. Tim Oermann übernimmt die Rechtsverteidigerposition von Felix Passlack, der für den ausgewechselten Moritz Broschinksi eine Position nach vorne rückt. Oermann sollte wohl mehr Physis und Zweikampfstärke in die Defensive bringen.

Passlack vorzuschieben, folgte jedoch ebenfalls einer Idee. Nach den Wechseln presste unsere Mannschaft Unions Dreieraufbau nur noch mit zwei Leuten. Passlack und Jimmy blieben in der Mittelfeldkette nahe bei den Sechsern, um dort gegen die flexible Offensive von Union wirksam unterstützen zu können und Passwege in die gefährlichen Räume zu blockieren.

Auch offensiv zahlten sich die Wechsel direkt aus. Nach einem langem Einwurf von Jimmy kam Kevin Stöger um Abschluss. Der geblockte Ball landete beim nun auf der offensiven rechten Außenbahn positionierten Felix Passlack. Dieser flankte butterweich auf den freistehenden Hofmann in der Mitte, der entspannt zum 4:2 einnicken konnte.

Es wird wieder spannend, aber nie kritisch

Trotz der erneuten Führung und der verbesserten Stabilität gegen Unions neue Offensivabteilung blieb den Fans nichts erspart. Beim 3:4 lässt sich Oermann nach einem langen Ball zu einfach vernaschen. Es ist jedoch ein individueller Fehler, der keine mannschaftstaktischen Gründe hatte.

Die Wechsel von Lukas Daschner für Hofmann, Erhan Masovic für Bero und Cristian Gamboa für Passlack sind alle positionstreu im 4-2-3-1 / 4-4-2. Nach dem 4:3 hat Union nur noch zwei Kopfbälle mit überschaubarer Gefahr in der Nachspielzeit. Somit gewann unser VfL fast souverän, wenn auch die eigenen Offensivaktionen nicht mehr die Effektivität der ersten Hälfte entwickelten.

Jimmy blieb  bis auf die Einwurfe nach seiner Einwechslung enttäuschend. Er bot kaum Läufe in die Tiefe und wenige Bewegungen vom Flügel in Richtung Tor an. Da war Wittek um Welten besser. Es ist schwer davon auszugehen, dass Butscher und das Team gegen Leverkusen mit Ausnahme vom zurückkehrenden Kapitän Losilla auf die gleiche Startelf wie zuletzt setzen werden.

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Autor: Tobias Wagner

Ich bin seit meinem fünften Lebensjahr Fan des VfL. Die Hochzeiten des Vereins mit den beiden UEFA-Cup Teilnahmen habe ich in meiner Jugend live miterlebt. Von da an war klar - für mich gibt es nur den VfL. Die Jungs von Spielverlagerung weckten meine Begeisterung für die Taktikanalyse. Auf erste Taktikanalysen, die noch direkt an den VfL versendet wurden, folgte der Blog "Blau-weiße Taktikecke". Später wurde ich dann selbst Autor bei Spielverlagerung und Trainer verschiedener Jugendmannschaften (U14-U16). Meine Begeisterung für Fußball, Training, taktische Raffinessen und statistische Spielereien möchte ich nun hier mit Euch teilen.

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