Bei Hasebe weißt du nie – im Gespräch über die Eintracht

Photo: Sven Mandel

Am kommenden Samstag trifft der VfL auf die Eintracht aus Frankfurt. In den letzten Jahren konnte die Mannschaft vom Main vor allem durch ihre internationalen Auftritte in Deutschland viele Sympathie-Punkte sammeln. Auch aktuell spielt man als 6. wieder um den Einzug den Europapokal mit. Im Gespräch mit Frankfurt-Fan Christian (Smie1688).


Wie ist derzeit die Stimmung in Frankfurt?

„Heiter bis wolkig“ trifft es denke ich ganz gut. Der reine Blick auf die Tabelle erwärmt nicht mehr alle Gemüter. Nach einer starken, spielerisch überzeugenden Phase Mitte der Hinserie ist es aktuell so, dass zwar die Punktausbeute stimmt, die Leistungen jedoch nicht die gestiegenen Erwartungen erfüllen. Gegen Gladbach, Leipzig und Mainz konnte man zwar dreifach Punkten, offenbarte dennoch – speziell im Offensivspiel – einige Defizite. Das Winter-Transferfenster wurde optimal genutzt, um Kaderlücken zu schließen und die individuelle Qualität auf ein neues Level zu heben. Der damit verbundenen Euphorie wurde durch das Köln-Spiel ein herber Dämpfer erteilt. Es ist aber wie so oft: Gut Ding will Weile haben. Die Probleme, über die wir derzeit reden, hätte wir vor zehn Jahren gerne gehabt.

Die Fans der Eintracht stehen für bedingungslose Unterstützung, allein schon aus Gründen der Nostalgie. Wie gefallen einem da die regelmäßigen Ausflüge ins kommerzielle Europa?

Die europäischen Wettbewerbe sind für uns Fans ein Segen, wir leben sie, haben für den Verein aber schon auch eine Notwendigkeit, um einen Kader dieser Art finanzieren und vor allem zusammen halten zu können. Die Eintracht steht mittlerweile fußballerisch wieder für etwas und hat sich international durchaus einen passablen Namen gemacht. Europa würde ich somit schon auch als „Mittel zum Zweck“ bezeichnen – ohne die Erfolge, die finanziellen Auswirkungen und die Aufmerksamkeit wäre eine derartige Entwicklung nicht möglich gewesen. Insofern müssen wir den Kommerz ein Stück weit tolerieren oder eben akzeptieren, dass der Anspruch bestenfalls Mittelmaß verbunden mit Zitterpartien bis zur letzten Minute sein kann.

Was ist der antreibende Faktor für die meist lautstarke Atmosphäre bei Heimspielen der Eintracht?

Es ist vermutlich die Symbiose aus Funktionären, Mannschaft, Fans und der Liebe zu Stadt und Region. Es wird von oben gelebt, was die Spieler unten auf dem Rasen antreiben soll – alle zusammen möchten „Grenzen verschieben“. Spiele wie Barcelona wecken den Glauben daran, dass die zwölfte Frau und der zwölfte Mann etwas bewegen können. Einer Elf, die sich auf dem Platz zerreißt und Vollgas gibt, werden in Frankfurt seit jeher Fehler verziehen. Dieses Wissen, diese Sicherheit hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass sich große Dinge entwickeln konnten und sogar Titel dabei herausgesprungen sind. Ganz davon ab: Die Akustik ist nach meinem Empfinden im Waldstadion auch einfach außergewöhnlich gut im Bundesliga-Vergleich. Das kommt sicher unterstützend hinzu.

Hat man als Fan der Eintracht noch eine emotionale Bindung zu den einzelnen Spielern oder ist der Pool an Hochbegabten auf der Durchgangsreise schwierig?

Das Thema emotionale Bindung an einzelne Akteure dürfte sich allgemein auf dem absteigenden Ast befinden. Dieser Trend macht auch vor der Eintracht nicht Halt. Das Geschäft ist viel zu schnelllebig, speziell als dieser „Schwellenverein“, der zwar auf dem Sprung nach oben, aber eben noch lange nicht etabliert ist. Wir sind schlichtweg darauf angewiesen, dass wir Spieler weiterentwickeln und anschließend mit hohem Gewinn verkaufen. Es wird dennoch weiterhin Ausnahmen geben, die sich aufgrund herausragender Verdienste oder einer gewissen Vereinszugehörigkeit in die Herzen der Fans spielen oder gespielt haben. Kostic und Chandler sind hier als kontrastreiche Beispiele genannt. Die tiefe Sehnsucht nach Spielern vom Riederwald ist dennoch da. Mit Elias Baum haben wir derzeit einen veranlagten Jungen, dem der Sprung zugetraut wird. Seit Aymen Barkok und Marc Stendera hat es traurigerweise kein Jugendspieler mehr geschafft, sich nachhaltig bei den Profis zu etablieren.

Die erste Hinrunde unter Dino Toppmöller ist vorbei. Wie ist dein Fazit? Konnte Toppmöller an die Erwartungen anknüpfen? Wie sehen die Fans ihn? Was zeichnet ihn aus?

Ich mag ihn! Ohne seine Trainerfähigkeiten final bewerten zu wollen, weil dazu schlichtweg das Zeitfenster zu klein ist, dürfte seine Identifikation mit der Aufgabe seine herausragende Eigenschaft sein. Erwartungshaltung wird auch dadurch geschürt, dass man in den ersten sechs Monaten bereits gesehen hat, was die Mannschaft zu leisten im Stande ist. Die Hinrunde verlief in Wellenbewegungen, ohne das Ausscheiden im Pokal und einer konstanteren Performance in der Conference League wäre sie sicher noch besser bewertet worden.

Das Frankfurter Mittelfeld strotzt vor starken Spielern, wen hebt man da besonders hervor?

Aktuell ist Hugo Larsson in aller Munde. Es bestehen bereits jetzt keine Zweifel, dass mit ihm der nächste millionenschwere Weiterverkauf ansteht – ob das bereits im Sommer oder ggf. kommendes Jahr geschieht, kann ich nicht beurteilen, allerdings hat sich der Spieler binnen kürzester Zeit in die internationalen Notizbücher gespielt. Neben seiner Unbekümmertheit und seinem Alter, sticht vor allem sein Spielverständnis heraus. Larsson sucht und hat Lösungen, wo andere in Not geraten. Er scannt den Platz, findet Mitspieler, geht in Lücken, forciert das Tempo im richtigen Moment und ist fast immer anspielbar und umtriebig. Kompliment an die Scouting-Abteilung, ein überragender Transfer.

Foto: Sven Mandel (Wikimedia Commons)

Wurde die Hinrunde ohne Kolo Muani gut überbrückt? Oder freut man sich, dass mit Kalajdzic und anderen Stürmer endlich Ersatz da ist?

Überbrückt trifft es nicht ganz, weil sich Marmoush in Windeseile zu einem starken Ersatz entwickelt hat. Die Mehrzahl an Fans inkl. mir hat nicht damit gerechnet, insofern gelten das Lob sowohl dem Spieler, als auch dem gesamten Trainerteam. Dass dennoch Notwendigkeit bestand, auf der Position nachzulegen, steht außer Frage – auch der Tatsache geschuldet, dass Ngankam die Erwartungen nicht erfüllen konnte. Marmoush ist eine andere Art Stürmer im Vergleich zu Kolo Muani, weniger physisch, dafür „raffinierter“. Die Kombination mit einem unserer beiden Sturm-Neuzugänge wird sicherlich spannend. Rein von der Veranlagung her sehe ich da großes Potenzial.

Durch die Neuverpflichtungen im Winter scheint die Eintracht auf die Champions League zu schielen. Ist die Mannschaft stark genug?

Nein, ich denke nicht. Der Kader ist ausgewogen, hat eine sehr gute Tiefe, ist auch stark in der Spitze aber: Die anderen schlafen ja auch nicht. Toppmöller pflegt einen anderen Stil als seine Vorgänger, lässt weniger pressen, möchte dafür mehr Kontrolle. Das geht aktuell zu Lasten der Offensive, bringt jedoch defensive Stabilität. Es wird Zeit brauchen, bis Trainer und Mannschaft vollumfänglich zusammen gekommen sind. Es herrscht momentan kein Gleichgewicht zwischen „Risiko“ und „Absicherung“. Um die Champions League Plätze ins Visier zu nehmen, bräuchten wir eine nahezu perfekte Rückserie. Die sehe ich aufgrund der taktischen Neuausrichtung in Verbindung mit dem neuerlichen Umbruch nicht.

Gab es in der Saison schon weitere „Ausfall-Spiele“ wie in Köln, wo gar nichts geklappt hat?

Das Pokalspiel in Saarbrücken ist hier vorrangig zu nennen. Wir haben dort nicht nur verloren, sondern eine nahezu absurde Leistung gezeigt. Verdienter kannst du nicht ausscheiden, wir waren über das gesamte Spiel hinweg chancenlos. Selbiges trifft im Übrigen auf das Spiel im Kühlschrank von Augsburg zu.

Siehst du die Leihe von Ekitike als kurzfristige Notlösung oder langfristige Idee?

Ekitike oder nichts! Hier gehe ich von einer langfristigen Lösung aus. Die Leihe wird letztlich in einem Kauf münden. Krösche und Co. hatten sich bereits im Sommer um ihm bemüht und ihn klar als A-Lösung identifiziert. Dass es nun geklappt hat, ist einerseits der Hartnäckigkeit der Eintracht, andererseits jedoch auch der Bereitschaft des Spielers, auf besser dotierte Angebote oder ein Aussitzen des Vertrags zu verzichten, geschuldet. Das Gesamtpaket verspricht viel Gutes, auch wenn er Eingewöhnungszeit benötigen wird aufgrund fehlender Trainings- und Spielpraxis.

Von welchem Spieler erhoffst du dir in der Rückrunde und in der Zukunft den größten Sprung?

Ich sehe in Robin Koch und Ellyes Skhiri unsere zukünftigen Anführer. Beiden haben ihre Unverzichtbarkeit bereits unter Beweis gestellt, gerade bei unserem Tunesier gehe ich davon aus, dass er im Laufe der Rückserie noch konstanter und besser wird und die Eintracht über Jahre prägen kann. Seine bereits gezeigten Ansätze sind vielversprechend, ich sehe keine Aufstellung, in der er nicht von Beginn an spielt. Meine Erwartungen sind hoch, aber er wird sie erfüllen.

Wird Hasebe für die Rückrunde wieder unverzichtbar oder geht er jetzt wirklich langsam in Fußball-Rente?

Bei Hasebe weißt du nie. Er dürfte der einzige Spieler bei uns sein, der selbst entscheidet, wann er aufhört. Da er unter Toppmöller keine große Rolle spielt, gehe ich von diesem Sommer aus. Hasebe hat sich hier zu einer Legende, zu einer Säule dieses Vereins entwickelt. Umso schöner, dass er einen langfristigen Anschlussvertrag unterschrieben hat und der Eintracht in anderer Position erhalten bleibt. Er ist bereits jetzt der spielende Trainer und wird auch in dieser Funktion seinen Weg gehen. Wir Fans sollten jede Minute mit ihm genießen. Wenn du dir einen Musterprofi backen könntest, käme Hasebe raus – großartiger Mensch, toller Sportler!

Der Blick ging beim Scouting zuletzt häufig ins höhere Regal bei französischen Talenten. Zukunftsträchtiges Modell oder gefährliche Risikoanlage?

Die Franzosen könnten zwei, drei Mannschaften stellen, die höchsten internationalen Ansprüchen genügen und um Titel bei Welt- und Europamannschaften spielen. Eine Risikoanlage sehe ich nicht, die Ausbildung der Jugendspieler ist bei unseren Nachbarn einfach exzellent. Mit Bayoha und Ekitike haben wir die nächsten Versprechen für die Zukunft verpflichtet, Ebimbe, Chaibi und Nkounkou haben bereits angedeutet, dass sie hohes Potenzial mitbringen. Kolo Muani und NDicka haben den Verein kurz- oder auch längerfristig geprägt. Dennoch darf auch hier nicht unerwähnt bleiben, dass die Durchlässigkeit der Jungs vom Riederwald hin zu den Profis über Jahre unzureichend, nein gar ein Armutszeugnis gewesen ist. Dieser Bereich lag komplett brach, entwickelte sich zuletzt aber in die richtige Richtung – u.a. durch Alexander Richter, einen alten Bekannten.

Ist Mario Götze ein Leader?

Ich würde ihn als stillen Leader bezeichnen. Sein demütiges Auftreten und seine große Karriere sind Grund genug, dass seine Kollegen in ihm ein Vorbild und eine Führungspersönlichkeit sehen. Diesen Anspruch an sich selbst hat er auch. Er dirigiert nicht lautstark, ist durch sein großes Fußballverständnis aber nach wie vor in der Lage, Spielen seinen Stempeln aufzudrücken und Mitspieler zu lenken.

Präsident von 2000 bis 2024. Peter Fischer. Foto: Sven Mandel (Wikimedia Commons)

Mathias Beck beerbt Peter Fischer. Problem oder Chance?

Peter Fischer hat überragende Verdienste im gesamten Verein, nicht nur im Profifußball. Sein Erbe könnte schwerer kaum sein und ist dennoch eine Chance. Der scheidende Präsident hat selbst betont, in welchen Bereichen Matthias Becks größte Stärken liegen (Infrastruktur, Sportstätten,…). Wenn er es schafft, sein Know-How mit seiner Liebe zum Verein („Das ist der größte Tag in meinem Leben“) zu verknüpfen, wird er ein würdiger Präsident sein. Dass relevanten Positionen im Verein mit Leuten besetzt werden, die neben Fachkenntnissen eine hohe Identifikation und Bindung zum Verein mitbringen, halte ich für elementar und dürfte einer der Hauptgründe unserer erfolgreichen Entwicklung der letzten Jahre sein.

Wie siehst du den VfL Bochum in dieser Spielzeit und was denkst du, was für uns Bochumer drin ist?

Grundsätzlich erstmal positiv! Der VfL steht für etwas, du weißt, was du bekommst – sowohl als Fan, als auch als Gegner. Dass du ungern gegen und vor allem in Bochum spielst, ist ja durchaus als Kompliment zu verstehen. Trainer und Mannschaft holen aus den vorhandenen Mitteln sehr viel heraus.Ich bin 100% überzeugt, dass ihr die Klasse haltet. Auch wenn das nicht immer schön aussieht: Der Stil ist effektiv, schwer zu bespielen und wird für die nötigen Punkte sorgen. Kompliment für die Entwicklung, hoffe, dass ihr euch über Jahre in der Liga etabliert und festsetzt!

Dein Tipp fürs Spiel?
Ich tippe ungern, sage aber: Wer das erste Tor schießt, gewinnt.

Vielen Dank für das Interview!

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Autor: Matthias Rauh

Obwohl in Bayern wohnhaft besitze ich eine Dauerkarte beim VfL und versuche, jedes Heimspiel und jedes Auswärtsspiel im Süden vom VfL mitzunehmen. Meine Begeisterung für den VfL entwickelte sich in der Saison 2006/07, endgültig besiegelt wurde sie bei dem eigentlich völlig belanglosen Spiel Karlsruher SC gegen den VfL im Jahr 2008. Während eines Fußballturniers wollten meine Mannschaftskameraden in der Bundesligakonferenz ständig die Zwischenstände von Bayern München und Nürnberg wissen, ich erntete misstrauische Blicke, als ich den Zwischenstand von Bochum wissen wollte. Abstieg, Relegation, Funkel, Neururer... ich bin immer noch dabei und freue mich immer mehr auf Spiele wie Bochum gegen Sandhausen als Bayern gegen Dortmund.

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