Alles ne‘ Nummer größer – über Gosens, Bonucci & Urs Fischer

Fans, Publikum, Zuschauer, Stimmung 1. FC Union Berlin

Am Samstag kommt mit Union Berlin der Tabellenfünfzehnte zu Gast ins Ruhrstadion. Auf den Saisonstart mit zwei Siegen und einem souveränen Pokalerfolg, folgte Niederlage um Niederlage und nach derer neun fand sich der Champions League Teilnehmer auf dem letzten Platz wieder. Das Undenkbare war die Folge und Erfolgstrainer Urs Fischer musste seine Mütze nehmen. Ist das folgerichtig, um den strauchelnden Verein in der Liga zu halten oder wäre noch etwas mehr Zeit angebracht gewesen? Einsachtvieracht spricht mit Union-Fan Wolf über die Situation an der Alten Försterei.

einsachtvieracht: Wie ist die Stimmung derzeit beim FC Union?

Ich würde sagen, es herrscht eine gesunde Aufbruchstimmung. Die Trennung von Urs Fischer und die vorherigen Ergebnisse haben natürlich schwer auf die Seele gedrückt, aber aufgrund des jüngsten Ergebnisses in der Bundesliga sowie auch dem tollen Kampf gegen Real Madrid ist die Stimmung definitiv wieder vorsichtig optimistisch.

einsachtvieracht: Was sind in Deinen Augen die Hauptursachen für den Absturz in dieser Saison?

Nun ja, dafür wurden ja in den vergangenen Monaten viele Erklärungsansätze gewählt. Manche meinten, es läge an den Neuzugängen im Sommer – meiner Meinung nach ist das zu vereinfacht, aber dazu später mehr – andere sind der Meinung, die Idee von Urs Fischer habe sich abgenutzt.

Ich würde sagen, es lag einfach daran, dass man anfangs etwas unglücklich in einen Negativstrudel geraten ist und sich aus diesem, vermutlich auch aus sportpsychologischen Gründen (mangelndes Selbstbewusstsein) einfach nicht mehr befreien konnte. Im Vergleich zur letzten Saison hat sich die Art, wie wir spielen, kaum verändert. Auch haben wir im Sommer zum ersten Mal seit unserem Aufstieg vor viereinhalb Jahren keinen Stammspieler abgeben müssen. Nur hatten wir im vergangenen Jahr einfach eine maximale Effizienz vor dem Tor sowie, so ehrlich muss man sein, auch einfach viel Spielglück.

Rein vom Spielniveau waren wir auch vergangene Saison nicht besser als das (untere) Mittelfeld der Tabelle, dazu reicht ein Blick auf die „expected points“. Jetzt hatten wir dieses Spielglück und diese Effizienz eben nicht mehr, vielleicht sogar etwas Pech in manchen Partien, sodass sich das Blatt gewendet hat und nach zehn, elf, zwölf sieglosen Spielen in Folge ist es einfach für jede Mannschaft und für jeden Trainer schwer, sich daraus noch mal zu befreien.

einsachtvieracht: Wie bewertest Du die ‚Star-Einkäufe‘ (Bonucci, Volland, Gosens)? Teilst Du die Ansicht, dass große Namen die bisher familiäre ‚Union-DNA‘ sprengen?

Darüber wurde ja viel diskutiert, meiner Meinung nach jedoch vor allem von „Außenstehenden“, die den Union-Weg in den vergangenen Jahren anscheinend kaum verfolgt haben. Denn eigentlich haben wir uns seit dem Bundesliga-Aufstieg schon immer dadurch ausgezeichnet, dass im Sommer auch ein, zwei Namen kamen, die eigentlich eine Nummer zu groß für uns erschienen.

Direkt nach dem Aufstieg, als wir uns zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte Bundesliga spielten und mit dem zweitkleinsten Etat der Liga Abstiegskandidat Nummer 1 waren, wurden Neven Subotic und Christian Gentner verpflichtet. Ein Jahr später kamen Robin Knoche und Max Kruse. Das waren alles Namen, die zum damaligen Zeitpunkt für sehr viele, inklusive der eigenen Fans, überraschend kamen und absolute Coups waren. Das hat man jetzt, nur eben wieder eine Nummer größer, erneut probiert. Und das finde ich durchaus legitim, zumal Robin Gosens, der wohl auch der mit Abstand beste Neuzugang war, was zugegebenermaßen aber auch nicht sonderlich schwer war sowie Volland, der nach schwierigen Saisonstart immer besser in Fahrt kommt, auch charakterlich zum Verein passen.

Den Transfer von Leonardo Bonucci fand ich persönlich unnötig und vom Niveau ist er meiner Meinung nach doch schon weit über seinen Zenit, aber als Back-up und erfahrene Stütze im Hintergrund geht das in Ordnung, solange er nicht für Stress sorgt, was anfangs meine Befürchtung war. Aber ich muss immer schmunzeln, wenn es heißt, wir hätten mit der Champions-League-Teilnahme unseren Weg verlassen. Eigentlich war es für einen Union-Fan eine erwartbare Transferphase, wie es sie in den letzten Jahren auch gab – nur noch mal alles eine Nummer größer, weil aber auch der Verein sowie die Einnahmen massiv gewachsen sind. Neben diesen Stars kamen, ebenfalls wie all die letzten Jahre auch, ja auch erneut Entwicklungsspieler aus den unteren Ligen wie Kaufmann oder Hollerbach, die am vergangenen Wochenende jeweils ihre ersten Treffer für Union erzielt haben.

Ein Bild aus verganenen Duellen. Weilandt (links) hier mit Kenny Redondo (rechts). Foto: Tim Kramer (Tremark)

einsachtvieracht: Ist der Trainerwechsel in Deinen Augen der richtige Schritt? Wie ist der erste Eindruck vom neuen Trainer Nenad Bjelica? Kam die Verpflichtung auch für Euch etwas überraschend?

Ich denke, er war notwendig, ja. Urs Fischer wird für immer eine Legende bleiben, aber er hat, was wie schon gesagt, auch völlig normal ist, am Ende die Mannschaft nicht mehr erreichen können, wirkte ratlos. Es brauchte eine Veränderung.

Ob Nenad Bjelica der richtige Mann ist, wird sich zeigen. Sicherlich hatte ihn kaum jemand auf dem Zettel und nach zwei Wochen ist auch noch unklar, wie er tickt und was seine Spielidee ist. Einzig, dass er sehr auf Disziplin achtet, weshalb beispielsweise David Datro Fofana zuletzt nicht mal mehr im Kader war, nachdem er unter Fischer noch als Stammspieler agierte, ist schon durchgedrungen. Dazu setzt er sehr auf hohes Pressing, steht aber ebenso wie sein Vorgänger nicht unbedingt für Ballbesitzfußball. Die ersten Spiele machen auf jeden Fall Lust auf mehr und ich bin gespannt, wie der Fußball nach der kurzen Winterpause aussieht.

einsachtvieracht: Was sind die größten Schwächen im Kader?

Puh – an sich ist der Kader meiner Meinung nach wirklich stark, dazu reicht ja auch ein Blick auf die Marktwerte. Am ehesten müsste man wohl die Stürmerposition ins Auge nehmen, wo sich Behrens zwar immer aufreißt, aber leider ziemlich Ladehemmungen vor dem Tor hat. Dahinter haben wir nur noch Fofana, der aber zu egoistisch agiert und auch mit dem Kopf nicht ganz in Berlin ist, sowie Kaufmann, der bis zuletzt noch außen vor war. Das müssen jetzt erst mal die Spieler dahinter und auf den Flügeln – Volland, Hollerbach, Becker, Gosens – auffangen.

Ein weiteres Problem ist, dass wir unter Bjelica nach vier Jahren mit einer Dreierkette zum 4-2-3-1 zurückgekehrt sind. Entsprechend ist der Kader schon noch stark für das Fischer’sche 3-5-2 ausgelegt. So fehlen beispielsweise klare Flügelspieler, wenngleich Gosens es bislang als linker Flügel sehr stark macht und mit Roussillon als Linksverteidiger harmoniert, und andere Positionen wie die Innenverteidigung sind nun quantitativ zu breit aufgestellt. Aber dafür wird man im Winter Lösungen finden.

einsachtvieracht: Wie nimmt man das Champions-League-Aus mit zwei Punkten wahr? Doch ein bisschen enttäuscht ob der Spielverläufe, beispielsweise gegen den SC Braga, oder ist man vor allem stolz auf die guten Leistungen, beispielsweise gegen Real Madrid?

Auf die Spiele gegen Real Madrid, als für einige Minuten sogar der große Traum vom Sieg über die Königlichen herrschte, und Neapel ist man zweifelsfrei stolz. Gegen Braga, die man letztes Jahr bereits in der Europa-League-Gruppenphase hatte, ging es um Platz 3, das war von Vornherein klar. Leider hat man das Hinspiel nach 2:0-Führung noch verloren und im Rückspiel trotz einstündiger Überzahl nur Remis gespielt.

Das tut schon weh, da das internationale Überwintern zweifelsfrei möglich war, aber am Ende ist es in der aktuellen Situation vielleicht auch gar nicht so schlecht, sich nur noch auf die Liga zu konzentrieren.

einsachtvieracht: Wie war der Eindruck der „Heimspiele“ im Olympiastadion?

Die Stimmung war überraschend gut, auch wenn ich ein paar Bekannte habe, die aus Prinzip nicht ins Olympiastadion gefahren sind. Für die 90 Minuten Spielzeit wurden die Partien jedoch tatsächlich zu einem echten Heimspiel mit lautstarker Unterstützung gemacht. Und persönlich fand ich es auch mal ganz cool, so viele Unioner in einem so großen Stadion zu sehen. Trotzdem ist, glaube ich, jeder jetzt auch wieder glücklich, nur noch in der Alten Försterei zu spielen.

Das Stadion des Erzrivalen ganz in rot – den Vereinsfarben von Union Berlin. Foto: Lear 21 (Wikimedia Commons)

einsachtvieracht: Weil es aktuell in Bochum auch Thema ist – wie läuft Eure Debatte um den Stadionausbau der Alten Försterei?

Ach, da blicke ich kaum noch durch. Der ursprüngliche Plan war ja mal, als die Ausbaupläne vorgestellt wurden, dass das Stadion 2020 fertiggestellt wird. Durch verschiedene Probleme, vor allem wohl das Verkehrskonzept, hat sich das massiv gezogen. Soweit ich weiß, sind die Pläne jetzt, dass das Stadion 2025 oder 2026 ausgebaut wird, weshalb wir dann auch für eine Saison ins Olympiastadion ziehen. Das wird natürlich eine schwierige Saison, aber ich denke, gleichzeitig ist auch jeder froh, wenn dann endlich die Alte Försterei ausgebaut wird. Leider wird es ohne Dauerkarte immer schwerer, an Tickets zu kommen, sodass die Erhöhung der Kapazität auf 37000 Zuschauer zweifelsfrei notwendig ist.

einsachtvieracht: Wie wichtig war die Spielabsage in München? Hat Mutter Holle Eisern Union die Möglichkeit gegeben ein Art „Mini-Trainingslager“ durchzuführen?

Meiner Meinung nach sehr wichtig. Es gibt wohl nichts Undankbares, als als neuer Trainer sein Bundesliga-Debüt in der Allianz Arena zu geben. So hatten wir viel Vorbereitungszeit, um uns auf Gladbach einzustellen, und Bjelica konnte seine Bundesliga-Laufbahn mit einem Heimsieg starten, was auch für den Kopf, wie schon oben erwähnt, sicherlich sehr wichtig ist.

einsachtvieracht: Gibt es augenscheinlich unter dem neuen Trainer erste Gewinner?

Hollerbach stand, soweit ich weiß, unter Urs Fischer ein einziges Mal in der Startelf, hat oft gar nicht gespielt. Gegen Gladbach hat er seinen Platz in der Anfangserfolge direkt mit einem Tor gedankt. Auch Roussillon hat sich durch die Umstellung auf Viererkette, zuvor war sein Platz im 3-5-2 durch Gosens belegt, jetzt spielen sie zusammen auf der linken Seite, wieder in die Startelf gespielt und dies mit starken Leistungen zurückgezahlt. Der dritte Name wäre Volland, der unter Fischer hier nie so richtig ankam, meist auch nur von der Bank kam, und jetzt als hängende Spitze unter Bjelica so richtig aufdreht mit drei Toren in den letzten vier Spielen.

einsachtvieracht: Wird sich die Transferstrategie im Winter verändern durch den Trainerwechsel?

Ich denke durch die erwähnte Systemumstellung braucht es Neuzugänge, ja. Auch Bjelica meinte wohl, dass er zwei, drei neue Spieler im Winter erwartet. Zuletzt gab es auch schon erste Gerüchte um aktuelle Spieler von seinem Ex-Klub Trabzonspor, auch dort hat er wohl schon einige kroatische Spieler hingelotst. Gleichzeitig meinte Urs Fischer vor einiger Zeit auch mal, dass der Trainer eigentlich kein Mitspracherecht bei Transfers habe und dies eine Sache von Oliver Ruhnert sei. Insofern gehe ich zwar von Neuzugängen aus, vielleicht auch persönlichen Wünschen von Bjelica, aber keiner Veränderung der Strategie.

einsachtvieracht: Wie sieht man als Unioner den VfL Bochum?

Tolles Stadion mit klasse Atmosphäre, Arbeiterfußball, geniale Hymne – die Parallelen zu Union und Bochum sind zweifelsfrei erkennbar. Insofern glaube ich, dass viele Unioner dem VfL Bochum prinzipiell sehr wohlgesonnen gegenüberstehen. Ein paar „Risse“ bekam das Ansehen beidseitig vielleicht vor einigen Jahren durch die Causa Max Kruse – jener bezeichnete die Bochumer als Ruhrpott-Assis, gleichzeitig waren die Becherwürfe in diesem Spiel auch wirklich extrem und sind auch eine der wenigen Sachen, die mich am VfL etwas stören, weil das dort, sicherlich auch der Nähe zum Spielfeld geschuldet, schon gefühlt sehr oft vorkommt.

einsachtvieracht: Wie bewertest Du die bisherige Saison des VfL und wo siehst Du ihn am Saisonende?

Bochum macht das, was sie jedes Jahr machen müssen, um die Klasse zu halten: Sich zerreißen. Vom Kader ist man wohl diese Saison vielleicht sogar etwas stärker als die Konkurrenz aus Darmstadt und Heidenheim, nichtsdestotrotz braucht es, wie in den Vorjahren auch, absolute Leidenschaft auf dem Platz und den Rängen, um die Klasse zu halten. Wenn man das so wie in den letzten Spielen beibehält, wird man wieder die Klasse halten.

einsachtvieracht: Dein Tipp fürs Spiel?

Ich hatte von den Parallelen zwischen Bochum und Union geschrieben. Bis zu dieser Saison war es immer so, dass die Gegner nur sehr ungern an die Alte Försterei kamen, weil es schlichtweg sehr eklig für die Auswärtsmannschaft auf dem Feld wurde. Ein ähnliches Gefühl habe ich, wenn ich an Auswärtsspiele im Ruhrstadion denke. Ich erinnere mich an eine Niederlage letzte Saison, als wir sogar noch Tabellenführer waren. Entsprechend erwarte ich wieder ein sehr schwieriges Spiel, auch wenn ich natürlich hoffe, dass wir den Schwung aus den letzten Spielen mitnehmen können und einen Arbeitssieg einfahren. Am Ende wird es aber, so glaube ich, ein 1:1.

einsachtvieracht: Vielen Dank für das Interview!

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Autor: Matthias Rauh

Obwohl in Bayern wohnhaft besitze ich eine Dauerkarte beim VfL und versuche, jedes Heimspiel und jedes Auswärtsspiel im Süden vom VfL mitzunehmen. Meine Begeisterung für den VfL entwickelte sich in der Saison 2006/07, endgültig besiegelt wurde sie bei dem eigentlich völlig belanglosen Spiel Karlsruher SC gegen den VfL im Jahr 2008. Während eines Fußballturniers wollten meine Mannschaftskameraden in der Bundesligakonferenz ständig die Zwischenstände von Bayern München und Nürnberg wissen, ich erntete misstrauische Blicke, als ich den Zwischenstand von Bochum wissen wollte. Abstieg, Relegation, Funkel, Neururer... ich bin immer noch dabei und freue mich immer mehr auf Spiele wie Bochum gegen Sandhausen als Bayern gegen Dortmund.

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