Ein Stück Glückseligkeit zwischen Glühwein und Fiege

Foto: Tim Jessa

Der VfL Bochum holt den ersten Heimsieg der laufenden Spielzeit und gewinnt gegen Wolfsburg mit 3:1. Eine der besten Saisonleistungen sorgt dafür, dass die Elf von Thomas Letsch das Ruhrstadion in ein Tollhaus verwandelt. Ein emotionaler Rückblick.

Kaum zu glauben – der letzte Heimsieg des VfL Bochum vor dem gestrigen Spiel gegen Wolfsburg war schon älter als sechs Monate. Was sehnte sich das Bochumer Herz wieder nach erfolgreichen Festspielen an der Castroper Straße. Dieses Gefühl, nach einem Sieg die Castroper Straße runter zu laufen, sich mit Freunden im Bermuda Dreieck (oder aktuell alternativ auf dem Weihnachtsmarkt) zu treffen und mit einem leichten Grinsen im Gesicht den Tag ausklingen lassen, der um 13 Uhr in der Ritterburg begann. Oder auch einfach, wie der Rest der Republik, vor dem Fernseher zu sitzen, bei jedem Tor schreiend aufzuspringen und zu hören, wie sich das Stadion  in einen Hexenkessel verwandelt – „bis unsere Mannschaft siiieeegt“.

Eine reife Leistung

Was der VfL gestern gegen Wolfsburg zeigte, war eine durch und durch reife Leistung. War man in der letzten Woche, trotz vier Spielen in Folge ohne Niederlage, aufgrund des mageren Offensivspiels zugunsten einer stabilen Defensive, in der eigenen Gefühlslage orientierungslos, zeigte sich gestern, wie schnell das Pendel auf die positive Seite schwingen kann. Patrick Osterhage, Anthony Losilla, Matus Bero und Kevin Stöger bildeten ein fantastisches Mittelfeld, das in seiner Flexibilität, seiner Intensität und seinen defensiven Fähigkeiten mit das Beste war, was wir seit langem sehen durften. Bero zeigte eindrucksvoll, wie sehr sein Profil der Mannschaft in den letzten Wochen gefehlt hat. Osterhage zeigte neben seinem ersten Bundesligator vor allem auch in den Zweikämpfen und dem geschickten Zulaufen von Räumen, welch großen Sprung nach vorn er gemacht hat. Gefühlt hatte Osterhage bei vielen Fans schon vorher einen sehr positiven Stand. Schon oft hatte man zuvor das Gefühl, dass irgendetwas Großes in ihm schlummert. Dass er genau das 90 Minuten so konsequent auf den Platz bringt, war bis dato selten zu sehen. Beeindruckend ist dabei vor allem seine Flexibilität in den Rollen – sowohl innerhalb eines Spiels als auch an verschiedenen Spieltagen. Ohne Brüche wechselt er zwischen defensiveren und offensiveren Rollen. Damit ist er aktuell ein augenscheinlich wichtiger Balancespieler für die Spielidee von Thomas Letsch.

Ein Sonderlob verdient in meinen Augen auch die komplette Defensive. Mit Keven Schlotterbeck, Bernardo und Erhan Masovic haben wir mittlerweile drei Innenverteidiger auf dem Platz, die sich vor allem in der Aufteilung der Räume und beim Rausrücken auffällig gut eingespielt haben. Auch Cristian Gamboa hat zu alter Stärke zurück gefunden. Entstand zwischenzeitlich in den letzten Monaten der Eindruck, dass er seinem Alter mittlerweile Tribut zollt, beweist er aktuell eindrucksvoll, dass er seine rechte Seite immer noch ordentlich dicht bekommt.

Doch nicht alles scheiße?

Die letzten Wochen „nur am Meckern“ und jetzt voll des Lobes? Passt das zusammen? Es war ja nicht alles „Pisse, Kacke, Scheiße“ – und das habe ich in meinem Kommentar in der letzten Woche auch so gesagt. Ansonsten hätte es zuvor nicht schon vier  Spiele ohne Niederlage gegeben. Nur war das Spiel am Samstag genau der Sprung in der Spielidee, der vorher vermisst wurde. Die Balance zwischen Offensive und Defensive war hervorragend. Die Mischung aus ‚4-2-2-2‘ und ‚4-3-2-1‘ passte wie die Faust aufs Auge zur gestern aufgestellten Truppe. Mit Bero und Takuma Asano gleich zwei Leute vorne zu haben, die gerne Läufe in die Tiefe anbieten, veränderte in der Hinsicht einiges.

Spannend wird zu sehen sein, wie sich die zweite Reihe sortiert. Gestern entstand zum ersten Mal das Gefühl, dass sich da nun ein Stück weit eine „erste Elf“, wenn man das denn so nennen kann, heraus kristallisiert hat.  Viele Spieler, die unser ‚Vierergespann‘ im Mittelfeld  auch während des Spiels ersetzen können – und wird bei der intensiven Spielweise notwendig sein – haben wir aktuell eigentlich nicht. Eigentlich. Moritz Broni Kwarteng könnte hier ein Schlüsselfaktor werden. Gegebenenfalls auch Maximilian Wittek, der nach seiner gestrigen Einwechslung stabil ablieferte und dem ich aufgrund seiner fußballerischer Fähigkeiten auch zutraue, in einer zentraleren Rolle ein Stück weit Stöger zu entlasten. Spannend wird auch sein, ob ein Philipp Förster sich wieder näher an die Mannschaft kämpfen kann – gestern stand er nicht einmal im Kader. Wir haben Optionen. Vielleicht nicht alle sofort offensichtlich, aber es gibt sie.

Liebeserklärung an den VfL

Das Ruhrstadion war gegen die Wölfe ein Tollhaus. Auch ‚ESPN‘-Kommentatorenlegende Derek Rae, der gestern das Spiel für den US-Streamingdienst begleitete, war hin und weg von der Atmosphäre. Nachdem er schon eine Reiseempfehlung aussprach und jedem Fußballfan empfahl, sich einmal im Leben die Stimmung und die Currywurst bei uns zu gönnen, adelte er beim Jubel über das 3:1 unser Wohnzimmer mit dem Satz: „This is the place for football passion. The great city of Bochum.“

Mit dieser Liebeserklärung an unsere Stadt und unseren Verein beschrieb er perfekt, wie wir VfL’er uns an Tagen wie diesen fühlen. Ein „einfacher“ Sieg, der uns strahlen lässt, als wäre wer weiß was erreicht worden.

Ein Stück Glückseligkeit zwischen Glühwein und Fiege. Glück auf!

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Autor: Claudio Gentile

Als gebürtiger Bochumer wurde ich das erste Mal im zarten Alter von sechs Jahren ins Ruhrstadion geschleppt. Der VfL verlor. Was auch sonst. Trotzdem ließ mich der Verein nicht mehr los und spätestens als ich ein paar Tage nach meinem ersten Stadionbesuch das legendäre Papagei-Trikot mit einem "Peter Peschel"-Flock überstreifen durfte, war es um mich geschehen. Das ist jetzt 26 Jahre, wenig Siege und viele Niederlagen her. Wo die Liebe im Fußball hinfällt, kann man sich ja bekanntlich nicht aussuchen. Und eine Liga kennt Liebe auch nicht.

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