Und kommst du in ein Stadion, blau-weiße Fahnen weh’n

Solche Choreographien gibt es aber weiterhin nur Samstags, 15:30 Uhr live im Stadion!

Der VfL gewinnt das vielleicht bisher wichtigste Spiel der Saison mit 3-2 gegen Augsburg und holt Big Points im Abstiegskampf. Ein etwas emotionaler Rückblick.

Sind wir ehrlich. Die Erwartungshaltung, die man als Fan des VfL Bochum an „entscheidende Spiele“ hat, ist verdammt gering. Zu oft wurde man in der jüngeren Vergangenheit enttäuscht, wenn man die Möglichkeit hatte, entscheidende Big Points zu holen oder gar K.O.-Spiele zu gewinnen. Man denke da nur an Hannover vor dem Abstieg, die Relegationsspiele oder die zig Matches in den Endphasen der Jahre in der zweiten Bundesliga, bei denen man mit einem Sieg mal eben 1,5 Millionen EUR mehr an TV-Geldern hätte sichern können. Aber nicht nur das. So war auch der letzte Spieltag wahrlich ein Schlag in die Fresse. Die eigene Niederlage in Gladbach und dazu eine Konkurrenz im Abstiegskampf die plötzlich punktet, es als gäbe es kein Morgen mehr. Es gibt sicherlich nicht nur einen, der vor Samstag innerlich schon resigniert und sich irgendwie, vielleicht auch unbewusst, mit dem Abstieg abgefunden hatte.

Die Stimmung am Samstag vor dem Spiel? Puh, schwierig zu beschreiben. Von einigen wenigen Berufsoptimisten bis hin zu faktisch schon „alles Pisse, Kacke, Scheiße“ war die ganze Palette vertreten. Hoffnung ja, man hats ja schließlich in der eigenen Hand mit zwei entscheidenden Spielen gegen Augsburg und Hertha. Aber so richtig optimistisch wollte kaum einer sein. Die Psyche des Menschen ist clever – man kennt den VfL, man kennt die Enttäuschungen, man ist lieber vorsichtig. Keine Lust auf den nächsten, dann aber ganz großen Dämpfer. Lieber direkt die Erwartungshaltung klein halten.

Am Stadiontor hat sich gefühlt für mich aber etwas geändert. Spätestens als die Fahnen für die Choreo in die Hand gedrückt wurden, war jedem klar, dass wir zumindest auf den Rängen heute definitiv unseren Teil dazu beitragen werden, dass das hier nicht schief geht. Grönemeyer ging los – und rums. Kriegt man als gebürtiger Bochumer so schon jedes Mal Gänsepelle, kamen diesmal noch Flugzeuge im Bauch dazu, als würde man sich gerade als Teenager neu verlieben. Eine der schönsten, emotionalsten und vor allem lautesten Choreos, die ich je erlebt habe. Und ker, sah das geil aus.

Dass Jimmy dann nach zwei Minuten nochmal fleißig Öl ins Feuer goss und für die Führung sorgte, war dann noch das i-Tüpfelchen. Ich will hier den Verlauf des Spiels gar nicht zusammenfassen. Schaut es Re-Live, guckt euch die Zusammenfassung der Sportschau auf Youtube an. Was allerdings in diesen 90 Minuten von den Rängen an Support kam, war sensationell. Ja, wir haben in Bochum seit geraumer Zeit in den meisten Spielen seine sehr gute Stimmung. Das Samstag allerdings war in meinen Augen nochmal ein anderes Level. Wenig tote Masse und selbst die typischen Eventfans wurden anscheinend vom Feuer angesteckt.

Ich möchte auch keinen Spieler rauspicken. Jeder, der auf dem Platz stand, hat auf seine Weise dazu beigetragen, dass wir in der kommenden Woche in Berlin in einer hervorragenden Ausgangsposition sind. Ok, vielleicht doch zwei. Saidy Janko mit seiner bisher mit Abstand besten Leistung für den VfL. Hatte ich Bauchschmerzen als ich die Aufstellung gesehen habe? Ich bin ehrlich, hatte ich. Aber das war großes Kino. Und – mal wieder – Toto. Baut dem Mann endlich seine Säule. Bitte.

Wird mit 37 Jahren noch zum Goalgetter. Toto Losilla. Foto: VfL Bochum 1848

Nächste Woche haben wir unser entscheidendes Spiel bei der Hertha in Berlin. Wir haben es selber in der Hand, mit einem Sieg den Klassenerhalt (so gut wie) perfekt zu machen. Ob ich nach dem Spiel Samstag diesmal vorsichtig optimistisch bin? Die Mannschaft ist willig, sie hat verstanden, worum es geht. Ein großer Teil des Auswärtskontigents ist verkauft. Macht es voll. Danach gibt’s immer noch den freien Verkauf der Hertha. Alle nach Berlin. Oder willst du deinen Kindern irgendwann erzählen, dass du nicht da warst, als der VfL den Klassenerhalt 2023 perfekt gemacht und damit das dritte Wunder in drei Jahren vollbracht hat?

Um es abzuschließen – „Bochum. This isn’t just football. This religion on a Saturday afternoon.” Mit diesen Worten wurde der Wahnsinn, der am Samstag an der Castroper Straße abging, vom amerikanischen Sportsender ESPN+ zusammengefasst. Amen.

Autor: Claudio Gentile

Als gebürtiger Bochumer wurde ich das erste Mal im zarten Alter von sechs Jahren ins Ruhrstadion geschleppt. Der VfL verlor. Was auch sonst. Trotzdem ließ mich der Verein nicht mehr los und spätestens als ich ein paar Tage nach meinem ersten Stadionbesuch das legendäre Papagei-Trikot mit einem "Peter Peschel"-Flock überstreifen durfte, war es um mich geschehen. Das ist jetzt 26 Jahre, wenig Siege und viele Niederlagen her. Wo die Liebe im Fußball hinfällt, kann man sich ja bekanntlich nicht aussuchen. Und eine Liga kennt Liebe auch nicht.

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