Sebastian Schindzielorz beim VfL Bochum – ein Resümee

Viereinhalb Jahre Schindzielorz bei Bochum. Vom Praktikant zum Meistermacher und wieder zurück?

Zu wenig Wertschätzung für Schindzielorz?

Nach insgesamt viereinhalb Jahren schied Sebastian Schindzielorz als Sportdirektor zum 01. September beim VfL Bochum aus. Zu Beginn seiner Amtszeit viel gescholten, hat Schindzielorz gemeinsam mit Thomas Reis am Ruder den VfL nach über 10 Jahren Zweitliga-Trott den Verein als Meister in die erste Liga geführt und dort erfolgreich die Klasse gehalten. Doch statt im Sommer zu verlängern, hat er überraschend verkündet den Verein wechseln zu wollen. Viele spekulierten damals schon über einen Wechsel zu Wolfsburg und mittlerweile ist es auch amtlich – Schindzielorz wird kommendes Jahr statt für Bochum in Wolfsburg für die Kaderplanung zuständig sein. In Bochum übernimmt diese Rolle hingegen Patrick Fabian – ein echtes Bochumer Urgestein. Nach dem Abschied von Schinzielorz ist jetzt die richtige Zeit gekommen, um ein Resümee über seine Arbeit als Sportdirektor beim VfL zu ziehen. Was hat sich seit seiner Übernahme geändert und wie sehr schmerzt der Abgang von Sebastian Schindzielorz – oder ist dies gar eine Chance auf eine erfolgreiche Zukunft?

Will man die Arbeit eines Sportdirektors bewerten, so ist dies in aller Regel gar nicht so einfach. Der Job beinhaltet weit mehr als sich um Spielertransfers zu kümmern. Neben der Auswahl eines geeigneten Trainers haben sowohl die Kommunikation als auch alle weitere Entscheidungen immer auch Auswirkungen auf finanzielle und menschliche Aspekte. Die Handlungen des Sportdirektors können das Image des Vereins beeinflussen und legen den Grundstein für die zukünftige Ausrichtung. Wie ein Image zu Schaden kommen kann, hat der VfL nicht zuletzt unter seinem Vorgänger Christian Hochstätter leidlich erfahren müssen. Will man die Arbeit von Sebastian Schindzielorz also richtig einschätzen, muss daher die ganzheitliche Entwicklung des Vereins in der kompletten Ära Schindzielorz ins Auge gefasst werden. Deshalb machen wir hier an der Stelle einen Schritt zurück und werfen einen Blick auf die Anfangszeit unter Schindzielorz und wagen auch mal einen Perspektivwechsel in die Rolle des Verantwortlichen.

Die Anfangszeit – starker Gegenwind für den jungen Sportdirektor

Denn sicherlich war der Start für Schindzielorz beim VfL alles andere als leicht. Nein, um ehrlich zu sein ist das gerade zu ein Euphenismus – denn viel schwieriger hätte ein Einstieg für einen unerfahrenen Manager eigentlich nicht sein können. Ein zerrütetes Umfeld, eine katastrophale Außendarstellung des Vereins, sportlich am Rande eines Abstiegs in die 3. Liga und ein überalteter und qualitativ ungegnügender Kader. Hinzu kam sein Image als „Marionette“ bzw. „Praktikant“ von Hochstätter, der nicht ohne Grund mit sehr viel Ärger von den Bochumer Anhängern verabschiedet wurde. Kein Wunder, dass insbesondere die ersten 2 Jahre einer Berg- und Talfahrt glichen (Wir berichteten: „Sebastian Schindzielorz – Schatten seines Vorgängers oder kreativer Reformer?„). Mit Höhen und Tiefen – welche sich auch in der Amtszeit seines ersten (Wahl-) Trainers Robin Dutt perfekt widerspiegeln. Doch spätestens als Thomas Reis das Ruder übernahm, sollte sich das alles zum Guten ändern. Wobei – erstmal änderte sich relativ wenig, denn die Stimmung war immer noch stark aufgeheizt, das Meinungsbild war häufig weiterhin sehr negativ. Wer will dies auch den leidgeplagten Fans des VfL verübeln, die jahrelange Misswirtschaft und sportliche Talfahrten erdulden mussten!? Und so wurde auch Thomas Reis lange Zeit von vielen als Fehleinkauf verschrien und Schindzielorz wurde häufig wenig bis gar keinen Respekt entgegengebracht. Ging es nach der Meinung einiger Fans, hätte spätestens Anfang 2020 ein Schlussstrich gezogen werden müssen – und zwar sowohl für Schindzielorz als auch für Thomas Reis.

Thomas Reis brachte den Erfolg in der Ära Schindzielorz Foto: David Matthäus Photography

Der sportliche Aufstieg

Doch die Zeiten haben sich zum Glück geändert. Spätestens während der Zeit der Geisterspiele im Frühjahr 2020 haben sich die Leistungen, der von Schindzielorz zusammengestellten Mannschaft, nachhaltig verbessert. Mit Thomas Reis ist ihm zudem ein absoluter Glücksgriff gelungen. Das Aufbrechen der alten Hierarchie und den damit verbundenen Abgängen von Celozzi, Hoogland, Kruse und Sam taten ihr Übriges. Spätestens jetzt zeigten sich die Früchte aus seiner akribischen Arbeit aus den ersten schwierigen Jahren. Damit einher ging, dass Schindzielorz Konstanz und Ruhe verkörperte. Während seine unaufgeregte Art zu Beginn noch als zu emotionslos negativ ausgelegt wurde, wurde sie im späteren Verlauf eher Sinnbild der neugewonnenen Professionalität in Bochum. Keine Störgeräusche, keine Interna und Skandale, die nach außen drangen. Nein, viel mehr wurde von der Harmonie im Team und einer guten Menschenführung berichtet. Ruhe – fast schon ungewohnt viel Ruhe rund um den VfL Bochum. Gleichzeitig wurde mit einem mittelmäßigen Zweitliga-Etat viele gute Spieler verpflichtet. Ob Robert Zulj, Robert Tesche, Simon Zoller, Danny Blum, Gerrit Holtmann oder Cristian Gamboa – mit wenig Mitteln wurde Großes erreicht. Die Strategie hauptsächlich auf ältere und ablösefreie Spieler zu setzen hat sich ausgezahlt. Die Fortsetzung in der 1. Bundesliga in der Saison 21/22 ist bekannt, das zweite sportliche Wunder wurde vollbracht.

Das Hier und Jetzt

Will man einen Vergleich ziehen bei dem Eingangs genannten Kriterien zwischen seinem Amtsantritt und dem Hier und Jetzt – so fällt dieser auf ganzer Ebene positiv aus. Die Mitgliederzahlen wurden in seiner Amtszeit fast verdoppelt (von gut 10.000 auf über 20.000, Quelle: Sport.de), sportlich wurde der Verein von einem schwachen Zweitligisten in Liga 1 geführt, hat mittlerweile über 13 Millionen Sympathisanten in Deutschland, zwischenmenschlich gab es an seiner Leitung in Bochum nie etwas zu meckern und auch finanziell steht der VfL spätestens nach den Verkäufen von Armel Bella-Kotchap und Maxim Leitsch trotz Corona so gut wie seit langem nicht mehr da. Somit ist alles gut, gar alles perfekt – oder etwa doch nicht?

Genau dann, als letztendlich nahezu der letzte Kritiker von Schindzielorz Arbeit überzeugt war, kündigt dieser an, den Verein auf eigenen Wunsch zu verlassen. Ein medialer Schock für den VfL Bochum. Ein Aufschrei bei den Fans und wilde Spekulationen über die Hintergründe des Abgangs. Wieder einmal Unruhe im Verein, gerade in dem Moment, als der sportliche Olymp erklommen ist, aber die wohl schwierigste Zeit mit dem wohl größten (erzwungenen) Umbruch in der Mannschaft der letzten Jahre bevor stand. Mit Bella-Kotchap und Leitsch haben uns die wohl größten Talente nach Goretzka und Klostermann verlassen. Zudem sind wichtige Stützen und Vielspieler wie Sebastian Polter, Elvis Rexhbecaj, Milos Pantovic und Eduard Löwen weggebrochen. Auch wegen teils späten Verpflichtungen sowie vielen unfitten und verletzten Spielern ging der Saisonstart komplett nach hinten los und der VfL bildet das Schlusslicht der Tabelle. Die Kritik an der abgelaufenen Transferperiode häuft sich und die Stimmung im Umfeld droht nicht zuletzt wegen dem zusätzlichen Drama rund um Thomas Reis und dessen Entlassung zu kippen.

Ein misslungener Transfersommer

Dabei hat sich die Transferstrategie unseres Sportdirektors überhaupt nicht geändert. Über Jahre hinweg zeichnete sich Schindzielorz mit einem exzellenten Auge für ablösefreie Spieler aus, die uns in den letzten Jahren enorm weitergebracht und uns in die 1. Liga geführt haben. Seine Strategie konsequent auf Erfahrung zu setzen hat auch im letzten Jahr geholfen qualitativ hochwertige Spieler zu verpflichten und dadurch den Grundstein für den Klassenerhalt zu legen. Wieso soll also das, was einst so viel Erfolg brachte, auf einmal so schlecht sein?

Die Gründe dafür liegen wohl in den neuen Gegebenheiten, mit denen der VfL vor der Saison konfrontiert war. Noch nie hatte der Verein unter seiner Leitung einen solch starken Umbruch in der ersten Elf hinnehmen müssen. Gleichzeitig wurde insbesondere durch den Verkauf der drei größten Talente (Bella-Kotchap, Leitsch und Ernst) eine Menge Geld eingenommen, womit dem Verein völlig neue Möglichkeiten offen standen.

Durfte im Sommer gehen – Armel Bella-Kotchap Foto: VfL Bochum

Trotz Etaterhöhung von 24 auf 30 Millionen Euro ist dieser jedoch leider immer noch niedriger als bei der Konkurrenz in der Liga. Und so ist der Etat oftmals nicht hoch genug, um gestandenen Erstligaspielern einen ansprechenden Vertrag zu bieten, ohne das Gehaltsgefüge durcheinander zu bringen. Nicht umsonst haben daher etablierte Spieler wie Dominique Heintz, Ivan Ordets oder Konstantinos Stafylidis nicht länger als ein Jahr beim VfL unterschrieben. Die Spielersuche in diesem Segment gestaltet sich schwierig, auch wenn Geld für Ablösesummen durchaus vorhanden sein dürfte. Immerhin hat Ilja Kaenzig persönlich schon vor dem Abgang von Bella-Kotchap betont, dass Gelder aus Verkäufen zumindest teilweise reinvestiert werden können. Was bringt es jedoch durchaus bereit zu sein Ablösesummen zu bezahlen, wenn erfahrene Spieler gar nicht zum VfL wechseln wollen? Was, wenn das Gehalt statt die Ablöse der limitierende Faktor ist?

Eingleisiges Handeln ohne Visionen!?

Und an dieser Stelle begannen die Probleme – Schindzielorz ist mit Sicherheit nicht dafür bekannt, ein großer Visionär auf dem Transfermarkt zu sein. Es wurde sich in der abgelaufenen Transferperiode auf wenige Spieler fokussiert – die trotz Erfahrung dennoch irgendwie ins Gehaltsbudget passen. Der Spielermarkt verengte sich daher auf ein Minimum und letztlich wurden auf entscheidenden Positionen nicht die gewünschten Spieler gefunden, die adäquat die Abgänge der Leistungsträger ersetzen. Andere Spieler wurden sehr spät oder mit starken Fitnessdefiziten verpflichtet. Durch eine eingleisige Transferstrategie wurden die finanziellen Möglichkeiten dabei vermutlich noch nicht einmal voll ausgeschöpft. Es fanden sich schlicht keine passende Spieler in diesem eingeengten Markt.

Doch gibt es auf dem Transfermarkt nicht nur Dellenspieler und insbesondere jüngere Spieler brennen oftmals darauf, sich in einer höheren Liga zu beweisen. Schindzielorz hatte die große Chance, mit den Transfereinnahmen variabler auf dem Transfermarkt zu agieren – doch diese Chance wurde schlicht verpasst. Gerüchte zu jungen und talentierten Spielern, die der VfL intensiv beobachtet oder im Sommer nach Bochum lotsen wollte, sind Fehlanzeige. Höchstwahrscheinlich waren junge und aufstrebende Talente, die voll im Saft stehen und danach gieren, sich für höheres zu empfehlen, zu keinem Zeitpunkt in den Planungen eine Alternative. Die Folge ist der mit großem Abstand älteste Kader der Liga und viele unfitte und verletzte Spieler. Auch eine gesunde Mischung aus alten wie jungen Spielern, aus Erfahrung und jugendlicher Unbekümmertheit geht abhanden. Trotz des historischen Fehlstarts in der Liga sollte man mit einer endgültigen Bewertung der Spieler vorsichtig sein. Noch ist nichts endgültig verloren. Noch ist der VfL nicht abgestiegen – auch wenn derzeit wenig für eine positive Trendwende spricht. Ob Thomas Letsch mit dem vorhandenen Kader noch die Wende schafft, ist zumindest fraglich.

Ivan Ordets war einer der letzten Transfers von Schindzielorz. Foto: VfL Bochum

Die Trennung zur rechten Zeit?

Und so kommt es, dass seit der Meldung über den Abgang von Schindzielorz sich einiges gewandelt hat in der Stimmung in Bochum. Viele Fragezeichen sind in den Köpfen der Anhänger des VfL entstanden. War Schindzielorz überhaupt noch der richtige für den VfL? Hat er den VfL überhaupt geliebt und hatte diese Verbundenheit zum Verein, wie er es stets betont hat?

Doch sollte man zunächst immer erst vor der eigenen Haustür kehren. Wo war die Liebe und Verbundenheit zu ihm bei seinem Amtsantritt? Wo das Vertrauen, das jeder neue Mitarbeiter innerhalb eines Vereins erstmal verdient hat? Wirklich respektiert wurde er hier erst sehr spät und der Gegenwind in der Fangemeinde war lange Zeit riesig – ihm gegenüber als Nachfolger von Hochstätter – aber auch gegenüber nahezu allen seine Entscheidungen inklusive der Einstellung von Thomas Reis. Woanders würde er mit Sicherheit mit der Wertschätzung eines etablierten Sportdirektors empfangen und nicht als der Praktikant des ungeliebten Ex. Gleichzeitig sind die Bedingungen in Bochum wirtschaftlich limitiert – was Auswirkungen aus seinem Job und sein eigenes Portemonnaie haben sollte. Emotionslos betrachtet war die Trennung aus seiner Sicht daher wohl alternativlos – auch gerade, weil der VfL letzte Saison wohl den sportlichen Zenit erreicht hat. Ein fader Beigeschmack entsteht allerdings durch den raschen Anschlussvertrag beim VfL Wolfsburg. Denn noch im Sommer hat Schindzielorz noch beteuert nicht mit anderen Vereinen in Kontakt zu stehen – und da war eben genau eben jener VfL Wolfsburg auch schon medial ein Thema. Wie wahrscheinlich es ist, dass trotz freunschaftlicher Verhältnisse von Schinzielorz zu den Wolfsburger Verantwortlichen niemals darüber gesprochen wurde, kann sich am Ende jeder selbst ausmalen.

Quo Vadis VfL?

Doch zurück zum VfL Bochum. Welche Konsequenzen hat der Abgang von Schindzielorz auf den VfL Bochum und wie verkraftet der Verein die neue Situation?
Hat Schindzielorz doch wirklich Großes in den letzten 4 Jahren geleistet für den VfL. Ohne ihn wären wir vermutlich auch noch in zehn Jahren in der 2. (oder gar 3.) Bundesliga rumgedümpelt, mit wechselnden und häufig glücklosen Trainern, niedrigeren Mitgliederzahlen und finanziell nach den Corona-Jahren vermutlich wieder einmal kurz vor der Insolvenz. Dennoch muss gerade im Fußball nicht jede Ehe ewig halten und eine Transferstrategie, die über Jahre für kaum Verjüngung sorgt, kann auch nicht auf ewig gut gehen. Mit Patrick Fabian steht jetzt jemand bereit, der mit Sicherheit einiges von seinem Vorgänger übernehmen konnte. Ein Bochumer Urgestein, der stets treu zu seinem Verein stand, aber gleichzeitig sich schon in jungen Jahren während seiner Fußballkarriere in Wirtschaftswissenschaften weitergebildet hat. Jemand, dem hoffentlich die Zukunft beim VfL gehört und der frischen Wind in die festgefahrenen Strukturen des Vereins bringt.

Der Abgang von Schindzielorz kann daher auch als Chance betrachtet werden. Als Chance für eine erfolgreiche Zukunft und einen Paradigmenwechsel auf dem Transfermarkt. So oder so – der VfL ist von Sebastian Schindzielorz genauso wenig wie von anderen Einzelpersonen abhängig. Der VfL lebt auch ohne einzelne Akteure und die wahren Fans werden auch in Zukunft mit dem Verein durch dick und dünn gehen – unabhängig von der Ligazugehörigkeit.

Dennoch gebühren die letzten Worte an dieser Stelle Sebastian Schindzielorz. Danke Sesi – dass du den Verein wieder hast leuchten lassen. Danke – dass wir jetzt über ganz andere Probleme reden, als den Abstieg in Liga 3 und blanke Existenznöte. Wir von Einsachtvieracht wünschen dir sportlich wie privat viel Erfolg auf deinem zukünftigen Weg!

Autor: Jens Hartenstein

In Bayern geboren, führte mein Weg zum Fußball über den FC Bayern München erst über Umwege zum geliebten VfL. Hierbei hat mich insbesondere die Phase Mitte der 90 geprägt, als man unter anderm in den UEFA Cup einzog. Nach einer jugendlichen Trotzphase, in der ich mich fast gänzlich dem Fußball, aber vor allem der Kommerzialisierung von selbigem abgewandt hatte, fand ich dann Anfang des neuen Jahrtausends wieder zurück zum Fußball. Ein echter Fußballfan kann eben doch nicht ohne seine Leidenschaft. Spätestens als ich dann beim Abschiedsspiel von Darius Wosz dessen letztes Bundesligator, den Abstieg Gladbachs und unseren beinahe Einzug in den UI-Cup live im Gladbacher Stadion feiern durfte, wars um mich dann komplett geschehen. Seitdem sind mäßige Spiele, Niederlagen, Abstiege und sämtliches Leid aller VfL Fans mein ständiger Wegbegleiter.

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