Thomas Letsch – Mit Struktur aus der Krise?

Einordnung der Verpflichtung und der ersten Stellungnahmen rund um den neuen Cheftrainer des VfL Bochum

Mit Thomas Letsch hat der VfL Bochum einen Nachfolger für Thomas Reis gefunden. Wir ordnen die Ereignisse rund um die Verpflichtung ein und blicken genauer darauf was Thomas Letsch mit der Mannschaft vorhaben könnte.

Patrick Fabian hatte einen klaren Plan. Anstatt sich mit den üblichen Verdächtigen zu beschäftigen, erstellte er ein Profil, für das er passende Kandidaten suchte. Mit Thomas Letsch wurde er fündig. Der 54-jährige Schwabe passte so gut, dass der VfL sogar bereit war, eine Ablösesumme zu investieren (je nach Quelle zwischen 300.000 und 400.000 Euro fix und zwischen 100.000 und 300.00 über erfolgsabhängige Boni). Gestern ist unser neuer Cheftrainer offiziell gestartet. Wir blicken hinter die Statements und überlegen was uns in den nächsten Wochen und Monaten unter Letsch erwarten könnte.

Patrick Fabian hatte einen klaren Plan und setzte ihn mit Thomas Letsch um. Foto: VfL Bochum 1848

Der Werdegang –  Red Bull Kosmos und Dreierkette

Nach dem Start im badenwürttembergischen Fußballverband – Stuttgarter Kickers, Union Heilbronn, SSV Ulm und Sonnenhof Großaspach, schloß er sich 2012 dem österreichischen Red Ball Kosmos an, in dem er bis Ende 2015 stetig in der Karriereleiter aufstieg (U16, U18, Akademieleiter, Co-Trainer der Profis, Trainer von Liefering und schließlich interimsmäßig für die Profis).

Nach einer längeren Pause stieg er 2017 bei Erzgebirge Aue als Nachfolger von Dominico Tedesco ein. Nachdem er in Salzburg die Dreierkette noch für die Jugendteams verboten hatte, setzte er in Aue auf das von Tedesco eingeführte System. Nach drei unglücklichen Niederlagen im Pokal gegen den guten Drittligisten Wiesbaden (0:2 Tore, jedoch nach Erwartung aus den Torabschlüssen (xG) durchaus nah an einem Unentschieden mit 0,7 : 1,1) und in der Liga gegen Heidenheim (Tore 1:2, xG 2,0 : 0,6) und Düsseldorf (Tore 0:2, xG 0,9 : 0,4) musste er schnell wieder seinen Stuhl räumen. Dabei war Aue unter ihm extrem aggressiv. Laut der Anzahl der Pässe, die die Gegner zwischen Defensivaktionen der Auer Spieler spielen konnte (Passes per defensive action, PPDA) waren die Erzgebirgler unter Letsch oberes Drittel in der Liga. Vor ihm unter Tedesco  waren sie bei PPDA im unteren Drittel, nach ihm klar letzter.

Daten zu den Mannschaften von Thomas Letsch vor, während und nach seiner Amtszeit (Quelle: WyScout)

Nach dem Kapitel in Aue heuerte Letsch im Februar 2018 bei Austria Wien an. Bei den Wienern konnte er die defensive Stabilität nach Toren und erwarteten Toren (xG) verbessern. Auch die Intensität des Pressings (PPDA) war unter Letsch höher als unter seinen Vorgängern und Nachfolgern. Bei den selbst erzielten Toren war das Team unter Letsch minimal schwächer, was zeigt, dass sein Fokus auch hier auf der Defensive lag.

Ein ähnliches Bild zeigt sich auch für seine Zeit bei Vitesse Arnheim. Zumindest zu Beginn seiner Amtszeit konnte er die Defensive nach Gegentoren und erwarteten Gegentoren deutlich stabilisieren. So führte er die Niederländer in seiner ersten Saison in den Europapokal sowie ins niederländische Pokalfinale. Allerdings wurde trotz intensiveren Pressings (PPDA von 10,7 auf 9,5) auch die Ausbeute der Offensive nach Toren und erwarteten Toren geringer. Als die defensive Stabilität nachließ verpasste sein Team am Ende der zweiten Spielzeit den Sprung nach Europa knapp. Er verließ Vitesse auf Platz 14 mit nur einem Punkt Vorsprung auf die Abstiegsplätze. Interessanterweise gab es anscheinend viel Pech, da die erwarteten Tore und Gegentore in der aktuellen Saison wieder auf dem Niveau der ersten Saison sind.

Was können wir nun erwarten?

Patrick Fabian und Hans-Peter Villis haben ihre Erwartungen klar umrissen.

„Thomas Letsch ist unsere Wunschlösung auf der Position des Cheftrainers. Er verfügt über die nötige Erfahrung im Profifußball und ist in der Lage, eine Mannschaft mit einer klaren Struktur und Spielidee zu formen. Bei seinen vorherigen Stationen hat er darüber hinaus auch stets die Weiterentwicklung talentierter Spieler vorangetrieben. Wir sind zuversichtlich, dass es ihm als sehr kommunikativem Trainer gelingt, der Mannschaft neue Impulse zu geben und so gemeinsam mit dem gesamten Team, dem Staff und der Unterstützung der Fans den Turnaround zu schaffen.“
Patrick Fabian bei der Vorstellung von Thomas Letsch

Der neue Trainer soll wie Thomas Reis kommunikativ sein und die Weiterentwicklung der Spieler vorantreiben. Dies ist eine maßgebliche Voraussetzung für das Konzept des VfL, auf Dellenspieler und Talente aus der eigenen Jugend zu setzen. Das Thema Struktur scheint die wichtigste neue Herausforderung zu sein. Auch Letsch selbst stellte Struktur als wichtige Säule seiner Arbeit dar.

„Natürlich habe ich mir die Mannschaft genau angeschaut. Ich glaube, dass die Qualität und die Mentalität im Team stimmen. Wir wollen eine klare Struktur und Kompaktheit gegen den Ball haben, das ist mir wichtig und das muss die Basis sein.“
Thomas Letsch auf der Pressekonferenz

Gibt es eine neue Grundordnung?

Doch was können wir genau unter Struktur verstehen? In Artikeln und Social Media wurde insbesondere die Dreierkette hervorgehoben, auf die Letsch bei Aue und Vitesse Arnheim zurückgegriffen hat. Wie heute in der Pressekonferenz bestätigt, hat die Grundformation jedoch für unseren neuen Cheftrainer keine Priorität. So ließ er zwischen diesen beiden Stationen bei Austria Wien mit Viererkette und Mittelfeldraute spielen.

„Für mich ist die Grundordnung nicht das Entscheidende. Für mich ist entscheidend, dass klare Prinzipien herrschen, und zwar sowohl gegen den Ball als auch mit dem Ball. Ich habe tatsächlich jetzt bei Vitesse die meiste Zeit mit der Dreierkette gespielt, ja, fast auschließlich. Aber weil dieses System perfekt auf die Mannschaft gepasst hat, weil wir auf den Außenverteidigerpositionen Spieler hatten, die sehr offensiv ausgerichtet waren. […] Ich brauche die besten Spieler auf dem Platz, und die auf ihren besten Positionen.“
Thomas Letsch in der Pressekonferenz auf unsere Frage nach der Dreierkette und die Bedeutung für seine Spielphilosophie.

Thomas Letsch antwortete ausführlich auf unsere Fragen. Foto: VfL Bochum 1848

Es geht also um grundsätzliche Prinzipien mit und gegen den Ball und darum, dass die besten Spieler auf ihren besten Positionen spielen. Dazu haben wir uns ja bereits auch schon ausführlich unsere Gedanken gemacht. Die Dreierkette kann eine interessante Option sein, jedoch haben  unsere Außenverteidiger insbesondere mit der Rückkehr von Danilo Soares eher Viererkettenprofile. Letsch-Fürsprecher Wittek in Arnheim ist da ein anderer Typ.

Klarere Abläufe für bessere Abstimmung

Von daher ist eher zu erwarten, dass die Viererkette beibehalten wird, während die Abstimmung durch klarere mannschaftstaktische und gruppentaktische Abläufe geschärft wird.

„Wichtig ist, dass die Kompaktheit egal wo auf dem Platz gegeben ist. Die Idealvorstellung ist immer, den Gegner hoch zu pressen und zu ärgern, speziell wenn ich hier ans Stadion denke […] Das heißt aber nicht, dass das ein Risiko birgt. Es ist nur wichtig, dass die ganze Mannschaft mitarbeitet, und dass dann auch wirklich nachgeschoben wird. […] Der Ansatz den Heiko gewählt hat, etwas tiefer zu stehen, ist auch eine Option. Das eine schließ das andere nicht aus. Wichtig ist nur, dass alle in die gleiche Richtung gehen. Wenn man sagt, man geht hoch drauf, dann macht man es mit aller Konsequenz. Wenn man jedoch keinen Zugriff hat, dann muss man hinter den Ball kommen. Dann müssen jedoch auch alle hinter den Ball. Das meinte ich mit Kompaktheit. […] Es muss im Spiel beide Phasen geben.“
Thomas Letsch auf der Pressekonferenz auf unsere Frage nach der Kompaktheit und der Pressinghöhe

Diese Aussage macht schön deutlich was Letsch aber wohl auch Patrick Fabian mit Struktur meinen. In den letzten Wochen unter Reis gab es öfters Aussagen dazu, dass die Neuzugänge die Abläufe noch nicht so verinnerlicht haben. Vieles lief wohl intuitiv zwischen den vertrauten Spielern ab. Riemanns Aussagen im April im Sportstudio machen deutlich, dass Reis bei der Taktik weniger Vorgaben machte und die Mannschaft stark mit ins Boot holte.

„Wir haben einen sehr kommunikativen Trainer. Wir sind aufgestiegen mit einer Art Fußball, die glaube ich in Deutschland einzigartig ist. Wir haben gefühlt auf dem ganzen Feld 1 gegen 1 gespielt, haben versucht den Gegner hoch unter Druck zu setzen, egal wie der Gegner hieß. Wir hatten darüber hinaus auch mit dem Ball unsere Ideen. Wir sind dann aufgestiegen, da hat uns der Trainer gesagt wir müssen das jetzt verändern. […] [Nach der 0:7 Niederlage gegen die Bayern] haben wir mit dem Trainer dann gesprochen. Lass uns das doch einfach wieder so machen wie wir das in der zweiten Liga gemacht haben. Wenn wir dann verlieren, dann verlieren wir wenigstens auf unsere Art und Weise. Aber wenn wir uns hinten reinstellen und irgendwie versuchen, die Räume zuzumachen, da haben wir nicht die Spieler zu. Er hat im gleichen Atemzug das gleiche gedacht und wollte auch mit uns darüber sprechen. Das ist ein Austausch wie er bei uns oft stattfindet, das zeichnet ihn ja auch aus, dass man mit ihm sprechen kann. […] Ab dem Zeitpunkt lief es dann auch wieder deutlich besser.“
Manuel Riemann im Sportstudio zum Verhältnis zwischen Mannschaft und Thomas Reis (ab 6:15)

Reis nahm hochkarätige Neuzugänge wie Ordets oder Hofmann raus, um mit Zoller, Masovic und Lampropoulos Spieler aufzustellen, welche die Abläufe noch aus der letzten Saison kennen. Letsch soll nun Abläufe etablieren, die für alle Spieler gleichsam nachvollziehbar sind. Außerdem machte er deutlich, dass er sich klar in der Führungsrolle sieht und Kommunikation eher dazu einsetzt, die Spieler von seiner Idee zu überzeugen.

„Ich bin von meinem System, wie ich Fußball spielen lassen will, überzeugt. Es geht darum, die Spieler auch davon zu überzeugen. Das geht nur mit ganz viel Kommunikation, das ist mir wichtig.“
Thomas Letsch auf der Pressekonferenz über seine Rolle als kommunikativer Trainer

Erster Fokus auf Defensive

Wie die Daten seiner vorherigen Stationen zeigen, setzt Leitsch zuerst einmal darauf, die defensive Stabilität zu erhöhen. Dies sagte er auch explizit in der Pressekonferenz. Ich gehe davon aus, dass er versucht, mannschaftstaktische Prinzipien des Verschiebens zu schärfen. Dabei kann er sehr gut auf den Vorarbeiten von Heiko Butscher aufbauen, der die Mannschaft in kürzester Zeit so kompakt wie selten bekommen hat. Gruppentaktische Prinzipien wie Durchschieben und Absichern in der Kette werden sicher auch auf der Tagesordnung stehen. Um flexibel zwischen tiefem und hohem Pressing zu wechseln, wird Letsch versuchen, Pressingtrigger festzulegen, bei den die Mannschaft vom tieferen ins höhere Pressing wechselt. Typische Beispiele für solche Trigger sind Pässe zu den Außenverteidigern, ein ungenauer Pass zwischen den Innenverteidigern oder ein Pass in den Rücken eines Aufbauspielers.

Enge Spielformen für mehr Kompaktheit

Das heutige Training gab bereits erste Einblicke in die Arbeit und den Fokus unseres neuen Trainers. Ich selbst war nicht vor Ort und verlasse mich auf die verlinkte Beschreibung aus dem Transfermarktforum.

Thomas Letsch beobachtet seine erste Trainingseinheit. Foto: VfL Bochum 1848

Es gab Spielformen auf verkleinerten Spielfeldern von etwa 40 m x 40 m, was etwa der Länge vom Sechzehner zur Mittellinie auf Sechzehnerbreite entspricht. Damit ist die vertikale Kompaktheit zwangsläufig gegeben. Der Raum zwischen Sechszehner und Mittellinie ist die typische vertikale Streckung einer Mannschaft im tiefen Pressing.

In der ersten Spielform ging es ohne Tore nur darum, die gegnerische Mittelfeldkette zu überspielen. Dies fordert die Defensivmannschaft dazu auf, die Lücken zu gut wie möglich zu schließen. Der Fokus auf die horizontalen Kettenabstände kommt also durch das Design der Spielform dazu.

In der zweiten Spielform ging es dann auf zwei Tore und um intensives, eher mannorientiertes Pressing. Um das Tempo aufrechterhalten zu können, wurde alle zwei Minuten zwischen drei Teams rolliert, so dass jedes Team alle 4 Minuten die Akkus wieder aufladen konnte. Es wurden dabei vom Ballbesitzteam fast nur hektische Bälle nach vorne gespielt, was aus meiner Sicht zeigen sollte, dass bei entsprechender Kompaktheit (durch das Felddesign) das aggressive Pressing extrem effektiv ist. Der Autor des Forumbeitrags schreibt, dass Letsch hervorgehoben hat, dass dies Situationen seien, die man erzeugen wolle.

Fazit und Ausblick?

Mich persönlich hat Thomas Letsch bei seinem Antritt überzeugt. Er kommuniziert sehr klar und hat eine klare Vorstellung davon wie er spielen will. Die Defensive sollte er auf jeden Fall wieder stabilisieren können. In der Offensive waren die Zahlen bislang weniger vielversprechend. Seine Idee bestimmte Räume je nach Gegner anzuvisieren klingt erst einmal wenig kreativ. Die in Arnheim verwendeten Rotationen, um Räume freizuziehen und dynamisch für Pässe zu besetzen, haben jedoch auch in Bochum unter Robin Dutt schon sehr gut funktioniert.

Mit RB Leipzig und Marco Rose warten direkt alte Bekannte auf unseren Chef-Trainer. Rose verfolgt einen sehr ähnlichen Ansatz, so dass es wahrscheinlich zu einem hochintensiven Spiel kommen wird. Ich bin sehr gespannt wie schnell Letsch erste Prinzipien und Abläufe etablieren kann. In Leipzig wird sein Team auf jeden Fall direkt auf eine harte Probe gestellt.

Wir wünschen unserem neuen Cheftrainer viel Erfolg!

Autor: Tobias Wagner

Ich bin seit meinem fünften Lebensjahr Fan des VfL. Die Hochzeiten des Vereins mit den beiden UEFA-Cup Teilnahmen habe ich in meiner Jugend live miterlebt. Von da an war klar - für mich gibt es nur den VfL. Die Jungs von Spielverlagerung weckten meine Begeisterung für die Taktikanalyse. Auf erste Taktikanalysen, die noch direkt an den VfL versendet wurden, folgte der Blog "Blau-weiße Taktikecke". Später wurde ich dann selbst Autor bei Spielverlagerung und Trainer verschiedener Jugendmannschaften (U14-U16). Meine Begeisterung für Fußball, Training, taktische Raffinessen und statistische Spielereien möchte ich nun hier mit Euch teilen.

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