Das Einsachtvieracht-Trainerbüro: Optionen nach dem Saisonstart

Welche Alternativen hat Thomas Reis für die kommenden Spiele?

Der Kader wurde kräftig durchgewürfelt. Der Kinderriegel ist Vergangenheit. Neue Spieler wie  Dominique Heintz, Kevin Stöger, Jordi Osei-Tutu und Saidy Janko schaffen neue Möglichkeiten. Gegen den 1. FSV Mainz 05 setzte Thomas Reis auf ein 4-2-1-3, was jedoch defensive Probleme offenbarte. Wie kann Thomas Reis seine Elf für die nächsten Spiele aufstellen?

Lange Zeit war die Frage wie der VfL Bochum sich in der neuen Saison aufstellt. In der Abwehr ging eine Menge Tempo und Zweikampfstärke verloren. Können Transfers diese Lücke schließen oder müssen unsere Jungs ihr erfolgreiches Pressingsystem der letzten Saison anpassen.

Dominique Heintz bei seiner Vorstellung. Foto: VfL Bochum 1848

Mit der gestrigen Leihe von Dominique Heintz haben wir nun endlich Klarheit. Mit Heintz und Ivan Ordets setzt der VfL in der neuen Saison in der Defensive auf Stellungsspiel und Führungsstärke statt auf jugendliche Energie und Tempo.

28 Jahre alt – Innenverteidiger (Allrounder) – 1,88 m – 89 kg – Linksfuß. Aktueller GSN Index bei 67,7, möglich sind 68,9. Solider Bundesligaspieler. Ordentliches Kopfballspiel (64% über gesamte Karriere gewonnen), sehr guter Zweikämpfer (65% über gesamte Karriere gewonnen) und mit gutem Timing im Tackling (63% erfolgreich). Diszipliniert, kommt mit wenigen Fouls aus (0,8 pro 90 Minuten) und verteidigt in direkten Duellen ordentlich (Defensiver xG Wert von 0,07 pro 90 Minuten, d.h. er reduziert durch seine Defensivaktionen etwa ein Gegentor über 13 Spiele). Sauberes Passspiel (47 Pässe pro 90 Minuten, 41 davon kommen an, 86,7% erfolgreich, 20 dieser Pässe werden nach vorne gespielt). Hält das Spiel einfach und geradlining, mit sehr guter Entscheidungsfindung. Wirkt durchweg konzentriert und durchaus mit Übersicht unter Druck. Taktisch gut geschult. Stabil und mit guter Balance im Zweikampf und in Luftduellen. Schwächen in der Ballverarbeitung und Mitnahme, in offensiven 1 gegen 1 Duellen, beim eigenen Abschluss. Könnte öfter etwas aggressiver agieren, wirkt manchmal lethargisch in seiner Spielweise. Regelt in der Defensive viel über Antizipation und sein defensives Positionsspiel. Versucht Bewegungen der Gegenspieler vorauszuahnen, da ihm Beweglichkeit und auch Tempo fehlt (8,3 m/s Top-Speed in der vergangenen Saison). Sollte kein absoluter Stammspieler beim VfL werden, eher als Rotationsspieler eingesetzt werden. Kann mit seiner Erfahrung aus 188 Bundesligaspielen der Mannschaft schon weiterhelfen.
Einschätzung von Global Soccer Network (GSN)

Die Abläufe werden sich also verändern. Genau die richtige Zeit, unser Trainerbüro mal wieder zu öffnen. Wir versuchen, die neuen Spielertypen möglichst gewinnbringend in eine neue Grundordnung zu bringen, und diskutieren mögliche Spielsysteme. Der Fokus ist dabei auf dem aktuell verfügbaren Kader. Wir möchten aber auch beleuchten wie Rückkehrer wie Danilo Soares, Jannes Horn und Jacek Goralski diese Formationen weiterentwickeln können.

Wir haben durch Abgänge einen Tempo-Verlust in der Abwehr, deshalb ist hohes Pressen jetzt riskanter.
Thomas Reis

Alles eine Frage der Abstimmung: 4-2-1-3

Natürlich lief der erste Saisonspiel nicht ideal. Über etwa 60 Minuten – jeweils die ersten 30 Minuten in beiden Halbzeiten – konnte man die Mainzer jedoch dominieren. Bei intensiverer Defensivarbeit der Flügel (vor allem Gerrit Holtmann auf links) und besserer Abstimmung in der Viererkette kann auch dieses System stabil werden.

Zeigt demnächst wieder sein ganzes Leistungsvermögen: Erhan Masovic, hier mit unseren Griechen Vasilios Lampropoulos und Konstantinos Stafylidis. Foto: VfL Bochum 1848

Die Optionen im 4-2-1-3 sind in der untenstehenden Grafik dargestellt. Fettgedruckt sind die positionstreuen Alternativen der Spieler, die typischerweise zum Spieltagkader gehören sollten. Im dünnen Druck sind Ergänzungen oder Spieler in ihren Nebenpositionen. Kursiv gedruckt sind aktuell verletzte Spieler.

Positionen und Abläufe im 4-2-1-3

Heintz könnte aufgrund der Formkrise von Lampropoulos und Masovic recht schnell zur ersten Alternative für die linke Innenverteidigerposition werden. Er könnte mit seiner Ausstrahlung und Führungsstärke mehr Ruhe in die Abwehr bringen. Ordets würde nach rechts wechseln.

Möglichkeiten zur Anpassung der erstgenannten Spieler in der Grafik wären ein Tausch von Simon Zoller und Takuma Asano. Jordi Osei-Tutu, Philipp Förster und Silvére Ganovoula nutzten ihre Chance nach der Einwechslung nicht. Da aber auch Holtmann keinen guten Tag erwischte, wäre es mit Zoller als hängender Spitze ebenfalls eine Option, Asano nach links zu ziehen und Osei-Tutu auf rechts zu bringen. Somit hätte Stöger mit Asano seinen favorisierten Adressaten auf seiner bevorzugten Seite für lange Bälle. Osei-Tutu hat vom Flügel einen ähnlichen Zug zum Tor wie Zoller, ist jedoch im Dribbling und Fernschuss noch stärker.

Perspektivisch könnte Jannes Horn das Tempo in der Innenverteidigung erhöhen. Bei einer Doppelsechs wären auch bei einer Rückkehr Jacek Góralskis Stöger und Anthony Losilla die ersten Alternativen. Soares würde den Spielaufbau weiter beleben. Stöger müsste dann seine Ausweichräume etwas anpassen und würde eher zentral vor oder hinter einem ausweichenden Losilla spielen.

Der Klassiker: 4-3-3

Wir nehmen die Gegner aktuell etwas tiefer auf als letzte Saison. Da auch Hoffenheim mit Dreierkette und Flügelverteidigern spielt und sicher mehr Ballbesitz als Mainz haben wird, wäre es eine Option, die Außenverteidiger durch eher breit verteidigende Achter zu unterstützen. Dies hat vor allem gegen die Eintracht aus Frankfurt letzte Saison hervorragend funktioniert.

Anstatt eines Zehners würde also ein weiterer Achter in die erste Elf kommen. Dieser und Stöger sichern die Räume neben dem zentralen Sechser Anthony Losilla. Toto hätte auch die Möglichkeit, sich bei Bedarf als kopfballstarker Spieler bei Flanken in die Abwehr fallen zu lassen. Die defensive Stabilität sollte sich also erhöhen.

Positionen und Abläufe im 4-3-3

Vorne wären Holtmann und Asano für die Flügel gesetzt. Zoller könnte Hofmann ersetzen, um mit nur drei Spielern den Druck auf die gegnerische Abwehrreihe hoch zu halten. Außerdem könnte er ausweichen, um Räume für inverse Dribblings oder Schnittstellenläufe der beiden Flügel zu reißen. Für unseren Stoßstürmer Hofmann spricht die Möglichkeit, mit zwei abgesicherten Achtern noch besser auf die Ablagen nach langen Bällen nachrücken zu können.

Für das Spiel in Hoffenheim ist dieses System jedoch eher keine Option. Meine Favorit für die weitere Achterposition wäre Patrick Osterhage. Er versteht es, aus der Tiefe Dynamik aufzunehmen, um dann mit Kurzpasskombinationen in Abschlusspositionen zu kommen. Dieser ist jedoch aktuell angeschlagen.

Philipp Förster machte zuletzt nicht den Eindruck, die notwendige Intensität und den Aktionsradius für diese Position auf den Platz zu bringen. Deswegen wäre es mit der Rückkehr von Jacek Goralski auch möglich, Losilla als Achter einzusetzen, während Goralski ihm den Rücken sichert. Trotz seines Alters kann Toto riesige Räume beackern und im Nachrücken auch im Strafraum für Gefahr sorgen.

Tempo und Flexibilität: 4-4-2

Philipp Hofmann müht sich und wird immer besser. Doch aktuell kann er die langen Bälle noch nicht souverän festmachen und strahlt wenig Torgefahr aus. Eine Variante wäre es deshalb, mit Zoller und Asano auf zwei flexible und schnelle Stürmer zu setzen, die mit ihren Läufen idealerweise die gesamte gegnerische Abwehrkette binden. Die langen Bälle würden somit eher hinter als vor die Abwehrkette gespielt. Eine Aufgabe für die Stöger wie gemacht ist. Hinter den beiden werden unsere Tempodribbler invers eingesetzt. Somit können Sie den Raum vor der Abwehrkette nutzen, um in Richtung Tor ziehen und abzuschließen bzw. für Läufe der beiden Stürmer durchzustecken.

Bei uns entwickelt sich etwas ganz Neues. Ich bin mir sicher, dass wir innerhalb der Saison mehrmals Abläufe anpassen müssen. Das werden wir beobachten und gegebenenfalls eingreifen.​
Thomas Reis

Außerdem können die beiden ihre Qualitäten am Ball nutzen, um den Übergang ins letzte Drittel mit Dribblings zu gestalten. Dies ist eine Paradedisziplin von Holtmann und auch Osei-Tutu ist wie dafür gemacht. Können sie den Ball durch die Lücken des gegnerischen Mittelfelds fädeln, haben sie mit den beiden Stürmern und dem ballfernen Flügel drei Optionen für Steckpässe oder Verlagerungen gegen das Verschieben der Abwehrkette. Außerdem können sie aus der tieferen Position eine zweite Welle von Sprints starten, wenn die Abwehrreihe durch die Bewegungen der Stürmer unorganisiert ist.

Machte viele Bälle fest, kam jedoch noch nicht in genug Abschlusspositionen: Philipp Hofmann. Foto: VfL Bochum 1848

Im hinteren Teil bleibt soweit alles bei den Prinzipien des 4-2-1-3. Mit den beiden laufstarken Stürmern kann man den Druck auf die Aufbaureihe weiter erhöhen, so dass die Defensive hoffentlich weniger zu tun bekommt. Es wird trotzdem kritisch sein, dass Holtmann und Osei-Tutu ihre Defensivaufgaben konsequent wahrnehmen.

Positionen und Abläufe im 4-4-2

Mut zur Dreierkette: Zwei Varianten des 3-4-3 (von Sebastian Hettmann)

Zumindest in einer asymmetrischen Form, wie wir sie seinerzeit unter Gertjan Verbeek oft gesehen und größtenteils erfolgreich praktiziert haben, wäre die Dreierkette ein vielversprechende Option.  Das 3-4-3 ermöglicht es, breit aufzubauen, unsere Lauf- und Zweikampfstärke in Mittelfeld und Angriff möglichst oft gewinnbringend einzusetzen und jeden Raum des Gegners schnell mit ein bis drei Spielern zu attackieren. Dabei kommt es natürlich auf die eingesetzten Spielertypen an.

Positionen und Abläufe im 3-4-2-1 als offensiver Variante des 3-4-3

Heintz hat sein letztes Spiel für Union als linker Halbverteidiger in einer Dreierkette bestritten. Durch den zusätzlichen Zentralverteidiger kann die Tiefe bei eher langsamen Innenverteidigern besser kontrolliert werden. Holtmann schiebt asymmetrisch weiter vor als der Rechtsverteidiger, um seine im 4-4-2-Teil beschriebenen Stärken als Übergangsspieler und Sprinter aus der Tiefe einzubringen ohne ihn defensiv zu stark zu fordern.

Gesucht wird defensive Stabilität

Auf rechts besteht die Frage, ob auf den soliden, aber eher zurückhaltenden Gamboa, die Zwischenlösung Janko oder auf die Offensivpower von Osei-Tutu gesetzt werden soll. Bei der offensiven Lösung mit zwei offensiven Flügelspielern auf den Flanken wird viel auf Losilla und Stöger zukommen. Den beiden könnte in den vielen englischen Wochen oftmals früh die Kraft ausgehen, da sie im aktuellen Kader nahezu unersetzlich sind. Eine tiefe Bank mit Optionen, vor allem eine weitere kreative Option im zentralen Mittelfeld ist unabdingbar.

Positionen und Abläufe im 3-4-1-2 als defensive Variante des 3-4-3

Eine weitere Möglichkeit wäre es, dies formativ aufzufangen. Im 3-4-1-2 ist die Position hinter den Spitzen Hofmann und Zoller kein Offensivspieler, sondern mit Osterhage oder Förster ein Box-to-Box Spieler, der vor allem Bälle gewinnen und das Übergangsspiel ankurbeln soll. Stöger kann bei beiden Systemen weiterhin das Spiel schnell machen, hätte aber im 3-4-1-2 zusätzliche defensive Unterstützung.

Die Rückkehrer erweitern die Optionen

Mit Horn wird zusätzlich demnächst ein spannender Spieler zurückerwartet, der mit seinem Tempo auch eine hohe Linie zulässt. Vor allem wenn auf der anderen Seite Gamboa als Halbverteidiger eingesetzt wird. Zusammen mit dem Anker Ivan Ordets könnten die drei trotzdem die notwendige Zweikampfhärte auf den Platz bringen. Horn und Gamboa hätten zusätzlich den Vorteil, dass sie mit Schwung und Ball am Fuß dem Spielaufbau Dynamik geben könnten.

Wir sind froh, dass wir mit Jannes einen Spieler verpflichten konnten, der schon über viel Erfahrung verfügt und in einem Traditionsverein wie Köln gespielt hat. Dort hat er sicherlich auch manchmal ein schwieriges Umfeld kennengelernt. Er hat eine gute Dynamik und kann mehrere Positionen spielen.
Thomas Reis über Jannes Horn

Mit Danilo Soares als Halbverteidiger würde ein weiterer elementarer Baustein des Spielaufbaus wieder einsatzfähig werden. Mit ihm in der Aufbaureihe können sich die Gegner nicht so sehr auf Kevin Stöger einschießen. Auch defensiv hat er seine Qualitäten in der letzten Saison mehr als nachgewiesen, auch wenn ihm gegenüber Horn das Tempo und die Kopfballstärke abgehen. In der höheren Position als Flügelverteidiger wären mit Soares weitere interessante Möglichkeiten gegeben. Er könnte als Hybrid aus Flügelspieler und linkem Achter flexibel die Räume besetzen und seine Kreativität und Stärke im Gegenpressing einbringen. Der offensive Außenspieler könnte dies durch gegenläufige Bewegungen balancieren.

Die gegnerischen Trainer werden sich schnell auf seine Räume konzentrieren und diese attackieren: Kevin Stöger. Foto: VfL Bochum 1848

Auch Stafylidis könnte sowohl den Halbverteidiger als auch die Hybridposition einnehmen. Gegen Mainz war der fehlende Schwung der Einwechselspieler auffällig, so dass Reis seine Optionen abwägen muss, um für eine im Saisonverlauf oftmals notwendige zweite Welle emotionale Spieler einwechseln zu können, die dem Spiel nochmals einen Stempel aufdrücken können. Dazu zähle ich beispielsweise Stafylidis, aber auch Zoller oder Osterhage. Wer spielt von Beginn an, wer bleibt „Edeljoker“?

Emotionalität von unserem Griechen Konstantinos Stafylidis. Foto: VfL Bochum 1848

Egal welche Option Thomas Reis auch zieht. Der neue Kader bietet reichlich Flexibilität. Eventuell werden ja auch noch 1-2 Neuzugänge hinzukommen. Wir sind weiterhin heiß auf die Saison.

Written by Tobias Wagner

Ich bin seit meinem fünften Lebensjahr Fan des VfL. Die Hochzeiten des Vereins mit den beiden UEFA-Cup Teilnahmen habe ich in meiner Jugend live miterlebt. Von da an war klar - für mich gibt es nur den VfL. Die Jungs von Spielverlagerung weckten meine Begeisterung für die Taktikanalyse. Auf erste Taktikanalysen, die noch direkt an den VfL versendet wurden, folgte der Blog "Blau-weiße Taktikecke". Später wurde ich dann selbst Autor bei Spielverlagerung und Trainer verschiedener Jugendmannschaften (U14-U16). Meine Begeisterung für Fußball, Training, taktische Raffinessen und statistische Spielereien möchte ich nun hier mit Euch teilen.

Schreibe einen Kommentar

Loading…

0

Kein Hexenkessel, nur Reis kocht

Das Glück des Tüchtigen