„Über Konter könnte der BVB zu knacken sein“ – Im Gespräch mit Dortmund-Fan Tim

Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)

Zum ersten Mal seit dem 13. März 2010 treffen der VfL Bochum und Borussia Dortmund wieder in einem Pflichtspiel aufeinander. Die Vorzeichen könnten kaum unterschiedlicher sein: Während Borussia Dortmund seit Jahren zu den deutschen Spitzenteams gehört und auf Platz zwei in der Bundesligatabelle steht, versucht sich der VfL mit Mini-Etat in der Bundesliga zu etablieren. Im Gespräch mit Tim vom BVB-Fanzine schwatzgelb.de

Hallo Tim, wie ist die Stimmung gerade in und um Dortmund?

Zur Abwechslung tatsächlich mal ganz gut. In den letzten Jahren hatte man oft das Gefühl, dass man deutlich unter seinen Möglichkeiten spielen würde. Das ist, zumindest in der Liga, dieses Jahr nicht der Fall. Zwar trübt das Aus in der Champions League sowie die Niederlage gegen die Bayern etwas die Stimmung, mit 30 Punkten aus 14 Spielen kann man aber durchaus zufrieden sein. Zumal den BVB in dieser Saison auch einige Ausfälle durch Verletzungen plagen, der schmerzvollste war sicherlich der Ausfall von Erling Haaland. Zudem kommt, zumindest bei mir, so langsam Vorfreude auf die Europa League auf. Als BVB-Fan spürt man in der Champions League einfach eine Übersättigung. Immer die gleichen Gegner, immer die gleichen Ziele. So spielte der BVB zum Beispiel zwischen 2016 und 2018 insgesamt drei Mal in Madrid. Da freut man sich auch über etwas Abwechslung.

Mit Jadon Sancho verlor der BVB einen klaren Stammspieler. Vermisst man ihn oder war die Ablöse eine gute Entschädigung?

Der Abgang war eigentlich schon 2020 anvisiert, scheiterte dann aber an einer merkwürdigen Verhandlungstaktik von Manchester United. Seitdem war allerdings Spieler, Verein und Fans klar, dass der Wechsel in diesem Sommer über die Bühne gehen würde. Dementsprechend hielt sich die Enttäuschung über seinen Abgang in Grenzen, zumal er sich ja sogar mit dem DFB-Pokal aus Dortmund verabschiedete. Solch einen Ausnahmespieler hat man immer gerne im Team, aber Probleme findet man in dieser Saison eher in anderen Mannschaftsteilen. Die Einnahmen kamen für den BVB nach den großen Verlusten durch die Pandemie natürlich sehr gelegen.

Neuzugang Donyell Malen im Trikot des BVB. Foto: Steffen Prößdorf (Wikimedia Commons)

Mit Donyell Malen wurde ein EM-Teilnehmer für die Niederlande nach Dortmund geholt. Ist er schon angekommen oder hat er sein Potential noch nicht ganz ausgeschöpft?

Mit der Eredivisie spielte Malen bisher in einer vermeintlich eher schwächeren Liga. Dementsprechend war klar, dass er eventuell nicht sofort durchstarten würde. Leider waren die Anpassungsprobleme zu Beginn noch mal etwas stärker als erwartet. Besonders mit dem Ausfall von Haaland war eigentlich seine Chance gekommen, die konnte er jedoch nicht nutzen. Bis zur letzten Länderspielpause lief ziemlich wenig zusammen, die Zeit bei der Nationalmannschaft tat ihm aber offensichtlich gut. Seitdem spielte er in vier von fünf Spielen von Beginn an und traf dabei vier Mal. Das gewonnene Selbstvertrauen sieht man ihm auch an. Beim Spiel am Samstag im Ruhrstadion ist er jedoch wegen einer Erkrankung nicht dabei.

Im Spitzenspiel gegen den FC Bayern verlor man am Ende 2:3 und das Spiel war auch noch Thema aufgrund einiger diskussionswürdigen Schirientscheidungen. Zeigt das Spiel, dass es für den Wurf ganz oben noch nicht ganz reicht oder war es schlicht das fehlende Spielglück?

Wahrscheinlich beides. Die Schiedsrichterentscheidungen in der Partie haben dem BVB wahrlich nicht in die Karten gespielt, insgesamt war das Defensivspiel des BVB aber auch einfach nicht titelwürdig. Ohne die diskutablen Entscheidungen von Felix Zwayer hätte wohl Mats Hummels nach der Partie deutlich stärker im Fokus gestanden. Solche Fehler wie beim Ausgleichstreffer durch Lewandowski dürfen auf dem Niveau einfach nicht passieren. Leider war es diese Saison nicht der erste Fehler von ihm. Mal sehen ob solche Unaufmerksamkeiten nun häufiger Vorkommen oder ob er sich wieder fängt.

Mats Hummels im Testspiel Sommer 2015. Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)

Welcher Grund hat das Aus in der Champions-League-Gruppenphase?

Einfache Frage – komplizierte Antwort. Grundsätzlich spricht es nicht gerade für die Bundesliga, dass nur ein Verein in das Achtelfinale der Champions League einzieht. Mit einer solchen Erklärung macht man es sich aber zu leicht. Wolfsburg und Leipzig mögen einfach zu schwach gewesen sein, das spiegelt sich jedoch auch in deren Tabellensituation wider. Der BVB hat am vergangenen Samstag gezeigt, dass er mit dem FC Bayern mithalten kann, welcher mit 18 Punkten durch die Gruppe marschiert ist. Es also allein an der Gesamtqualität der Liga festzumachen wäre zu einfach.

Ich glaube, dass es ein Gefüge aus mehreren Dingen ist. Zum einen wird die Mannschaft von Ajax massiv unterschätzt. Zugebenermaßen hatte ich deren Qualität auch nicht so sehr auf dem Schirm, aber das Ganze erinnert schon sehr an das Ajax, welches 2019 beinahe das Champions-League-Finale erreicht hätte. Zum anderen konnte der BVB sein Potential einfach nicht abrufen. Sicherlich spielten die Verletzungen sowie Hummels‘ unberechtigte rote Karte im Rückspiel gegen Ajax eine große Rolle. Bis zum Platzverweis war der BVB in diesem Spiel sogar die bessere Mannschaft, in der zweiten Halbzeit unterlag man in Unterzahl dem Druck. In Lissabon standen dann auch einige Spieler auf dem Platz, die meiner Ansicht keine Champions-Leauge-Qualität haben. Eine eindeutige Erklärung bleibe ich euch jedoch schuldig. So wirklich habe ich leider auch keine.

Was sind momentan die Stärken und was die Schwächen im Dortmunder Spiel?

Die größte Stärke des BVB ist eine Naturgewalt mit dem Namen Erling Haaland. 74 Tore in 72 Spielen ist eine unglaubliche Quote und es gibt wohl niemanden, der ihn wirklich stoppen kann. Aber auch sonst wird der BVB durch die Rückkehrer aus den Verletzungen oder Corona-Infektionen offensiv wieder vielseitiger. Diese Offensivkraft zu stoppen dürfte wohl die größte Herausforderung für den VfL werden. In der Defensive sieht das anders aus. Zwar hat man sich im Sommer mit Gregor Kobel einen herausragenden Keeper geholt, dennoch stehen bereits 22 Gegentore (genauso viele wie der VfL Bochum) zubuche. Über Konter könnte der BVB durchaus zu knacken sein. Und gegen 50-Meter-Tore von Pantovic kann man ohnehin wenig ausrichten.

Gregor Kobel greift zum Ball. Kurios: Sowohl Kobel, als auch seine Ersatzleute Hitz und Bürki sind Schweizer. Foto: Steffen Prößdorf (Wikimedia Commons)

Hat für dich Cheftrainer Marco Rose eine langfristige Perspektive in Dortmund?

Ich denke schon. Seit dem Aus von Thomas Tuchel sucht man vergeblich einen Trainer, mit dem es sportlich langfristig funktionieren könnte. Zwar spielte der BVB bisher oft nicht die Sterne vom Himmel, sammelte aber trotz der Verletzungsprobleme regelmäßig seine Punkte ein. Ich habe bei Rose ein gutes Gefühl.

Welcher Spieler, außer natürlich Erling Haaland, steht momentan im Fokus?

Definitiv Jude Bellingham. Gar nicht wegen seines Interviews nach dem Spiel gegen die Bayern, sondern vielmehr wegen seiner Leistung auf und abseits des Platzes. Mit gerade einmal 18 Jahren ist er zu einem unersetzlichen Führungsspieler geworden. Dazu wirkt er auch nicht auf den Kopf gefallen, wenn er nicht gerade gegen den Ball tritt. Er ist, trotz seines Alters, bereits jetzt ein Fanliebling.

Wie bewertest du die bisherige Saison des VfL?

Sehr positiv. Ich glaube kaum einer hätte vor der Saison prognostiziert, dass der VfL vor diesem Spiel 19 Punkte auf dem Konto hat und man damit sogar vor Frankfurt, Mönchengladbach oder gar Leipzig steht. Das wirkt alles sehr gefestigt und ich habe derzeit nicht das Gefühl, als könnte der VfL in dieser Saison absteigen. Wenn ich ein Spieler herausstellen darf: Elvis Rexhbecaj fasziniert mich sehr. Als Leihspieler so sehr für den Verein zu brennen, finde ich großartig.

Von Bochumer Seite wird sich sehr auf das Spiel gefreut, es ist ja das einzige Derby in dieser Saison. Gibt es von Dortmunder Seite die gleiche Vorfreude oder ist es „nur“ der Nachbar?

Für mich persönlich ist es ein ganz besonderes Spiel, weil ich fast ein Bochumer Junge bin, hier studiere und hin und wieder auch mal im Stadion bin. Jahrelang habe ich auf diese Paarung im Pokal gehofft, weil ich befürchtete der VfL sei auf ewig zu blöd aufzusteigen. 11 Jahre nach meinem ersten Auswärtsspiel überhaupt kann ich nun endlich wieder zu einem Pflichtspiel zwischen beiden Mannschaften ins Ruhrstadion gehen. Da freue ich mich, trotz aller Einschränkungen derzeit, sehr drauf. Aber auch bei anderen, die nicht so eine Verbindung zum Gegner haben, ist glaube ich durchaus Vorfreude vorhanden. Allerdings, das muss man schon sagen, ist diese nicht so stark wie in Bochum.

Dein Tipp für das Spiel?

Ich glaube es wird ein recht offenes Spiel. Vielleicht geht der VfL mit der tollen Atmosphäre im Rücken sogar in Führung, am Ende setzt sich aber die individuelle Qualität des BVB durch und wir gewinnen knapp mit 2:1.

Vielen Dank für das Interview!

Autor: Matthias Rauh

Obwohl in Bayern wohnhaft besitze ich eine Dauerkarte beim VfL und versuche, jedes Heimspiel und jedes Auswärtsspiel im Süden vom VfL mitzunehmen. Meine Begeisterung für den VfL entwickelte sich in der Saison 2006/07, endgültig besiegelt wurde sie bei dem eigentlich völlig belanglosen Spiel Karlsruher SC gegen den VfL im Jahr 2008. Während eines Fußballturniers wollten meine Mannschaftskameraden in der Bundesligakonferenz ständig die Zwischenstände von Bayern München und Nürnberg wissen, ich erntete misstrauische Blicke, als ich den Zwischenstand von Bochum wissen wollte. Abstieg, Relegation, Funkel, Neururer... ich bin immer noch dabei und freue mich immer mehr auf Spiele wie Bochum gegen Sandhausen als Bayern gegen Dortmund.

Schreibe einen Kommentar

Laden...

0

Einsachtvieracht-Stammtisch #27

Entschieden ins Revierderby