Ausgecheckt: Spitzenspiel unter Flutlicht anne Castroper. VfL Bochum gegen Hamburger SV.

Das Gastspiel des Hamburger SV unter der Lupe. Foto: VfL Bochum

Wenn der Hamburger SV am Freitagabend anne Castroper Straße antritt, heißt es in dieser Saison, dass es um den Aufstieg geht. Unsere Jungs begrüßen als Tabellenführer die Mannschaft von der Elbe und kämpfen darum, drei weitere Punkte gegen einen direkten Konkurrenten zu erspielen. 

Spiele gegen den Hamburger SV sind für mich seither das Highlight in jeder Saison. Lieber in der Bundesliga, zuletzt jedoch zu oft in der zweiten Liga. Auf den Genuss meines doppelten Heimspiels, muss nicht nur ich derzeit verzichten. Leider verbleibt daher nur der Platz auf der Couch und die Hoffnung darauf, dass in diesem Jahr beide Mannschaften den Weg ins Oberhaus finden.

Unsere Jungs vonne Castroper

Wer möchte alles aufsteigen? Foto: VfL Bochum

Der VfL ist Tabellenführer und genauso spielt die Mannschaft derzeit. Enge Spiele werden gewonnen, man geht in jedes Spiel mit dem Selbstvertrauen, als Sieger vom Platz gehen zu können. Thomas Reis schafft es in dieser Saison, die richtige Mischung von Spielertypen auf dem Platz zu vereinen, um seine Spielidee über die gesamte Spieldauer umzusetzen. Verletzte oder gesperrte Spieler werden so flexibel ausgetauscht, dass der Gegner sich erst während des Spiels darauf einstellen kann. Eigene Anpassungen werden zügig umgesetzt, wenn sie auch meist eher im Detail geschehen. Dazu kommt das nötige Quäntchen Spielglück.

„Bochum hat sich zuletzt abgesetzt, weil die Ergebnisse stimmten, auch wenn ich nicht sagen würde, dass sie klar besser als alle anderen Teams sind. Dennoch haben die Bochumer eine richtig gute Mannschaft, sind super eingespielt und haben auch viele individuell gute Spieler.“ – Michael Mutzel (Sportdirektor, Hamburger SV) zur Mannschaft des VfL

Am vergangenen Spieltag überwogen die Freude über den überzeugenden Start sowie die gute zweite Halbzeit gegen die Spielvereinigung Greuther Fürth. Trotz des Ausfalls von Simon Zoller, konnte die Mannschaft auswärts bestehen und unser Cheftrainer überraschte einige mit der Aufstellung von Robert Zulj als Spitze. Durch die Stärkung des Mittelfelds gegen die Raute der Franken verlagerte sich Greuther Fürth auf die linke Seite und konnte dem VfL dort spielerisch ziemlich viel entgegen setzen. Durch eine Anpassung nach der Halbzeit, stärkte man durch eine Absicherung der Sechser die rechte Abwehrseite und konnte sich schlussendlich mit drei Punkten und der Tabellenführung belohnen.

Normalerweise ist das Ruhrstadion gegen den HSV prall gefüllt. Foto: einsachtvieracht

Unser Gast aus dem hohen Norden

Drittes Jahr zweite Liga, dritter Anlauf um den Wiederaufstieg. Stark gestartet, etwas nachgelassen und sehenden Auges in eine Krise. Wie immer kurz vor der entscheidenden Phase der Saison, scheint die Gemütslage innerhalb der Mannschaft zwischen Genie, Spielfreude, Wahnsinn, Arroganz und Krisenstimmung zu schwanken. Die Gemütslage der Fans gleicht dann konstant einer Fahrt durch Gelsenkirchen. Das Gesicht der Mannschaft präsentiert sich zumeist in den entscheidenden Phasen der Saison als grässliche Fratze, die jedem Traum der Fans eine Grimasse zu schneiden scheint.

Eine komplett lustloser und gar arroganter Auftritt in Würzburg wurde zurecht mit einer 2:3 Auswärtsniederlage bestraft. Die Serie von 10 Spielen ohne Niederlage wurde beim Tabellenletzten beendet. Es folgte ein enttäuschendes Derby gegen den FC St. Pauli, in dem man sich kurz vor Schluss ein unnötiges Gegentor einfing. Zuletzt wurde im Montagabendspiel gegen Holstein Kiel ein verdienter Sieg aus der Hand gegeben. Es spielte fast ausschließlich der HSV, er konnte aber, trotz bester Chancen, kein zweites Tor erzielen.

„Meine Mannschaft hat sehr gut gegen das hohe Pressing der Kieler hinten herausgespielt. Wir haben ihr Pressing immer wieder überspielt, hatten sehr viel Bewegung in unserem Spiel im Zentrum. Wir haben vieles gut gemacht, sind häufig ins letzte Drittel gekommen und haben dort leider Gottes extrem viel liegen gelassen. Wir hatten viel Energie auf dem Platz, haben alles getan, alles versucht und hatten weitere Möglichkeiten. Unterm Strich sind wir für diesen hohen Aufwand nicht belohnt worden. Der Vortrag meiner Mannschaft hat mir aber gefallen, die Ergebnisse werden sich einstellen.“ – Daniel Thioune über das Spiel gegen Holstein Kiel

Die Mannschaft präsentierte sich jedoch konzentrierter und entschlossener als in den Wochen zuvor. Mit zunehmender Spieldauer blitzten bei den Rothosen einige Ballstafetten und Doppelpässe auf, die nur Mannschaften mit einer gewissen Qualität auf den Rasen bringen können. Ein freundliches und hoffnungsvoll dreinblickendes Gesicht offenbart sich in diesen Phasen bei einem Anhänger des HSV.

Beim HSV zuletzt mit besonderer Rolle im Spielaufbau: Jan Gyamerah. Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)

Taktische Gedankenspiele

Der Hamburger SV agiert in dieser Saison im Spielaufbau mit einer Dreierkette und asymmetrisch mit einem hochstehenden, linken Flügelverteidiger. Im Spiel gegen Holstein Kiel agierte Jan Gyamerah als rechter Außenverteidiger teilweise im Spielaufbau als Libero, um zwischen den breit stehenden Moritz Heyer und Stephan Ambrosius den Ball mit weitläufigen Dribblings ins Mittelfeld zu tragen. Im Mittelfeld sichert ein Mann tief im Zentrum ab und verteilt die Bälle, während sich die beiden Achter als Dreiecksspieler anbieten. Der linke offensive Außen agiert invers und schafft mit seinen Dribblings Räume für den Flügelverteidiger, während die rechte Seite mit einem klassischen Flügelstürmer besetzt wird. Der Stürmer agiert in der Box als Zielspieler.

Der Schlüsselspieler für kreative Momente beim HSV. Robert Zulj wird dem Trainerteam aus Hamburg bei der Spielvorbereitung Kopfzerbrechen bereiten. Foto: VfL Bochum

Das Aufbauspiel des HSV ist sehr breit angelegt und die Innenverteidiger versuchen oftmals vertikal das Spiel zu eröffnen. Sollte dieser Weg zugestellt sein, bauen die Rothosen bevorzugt über ihre Überladung auf der linken Seite auf. Die Hamburger schafften es gegen St. Pauli und Holstein Kiel wieder, vermehrt dem Gegner ihren Fußball zu diktieren und die erste Pressinglinie zu überwinden.

„Trotzdem haben wir es in der ersten Halbzeit zu selten geschafft, hoch zu attackieren und den HSV vor Probleme zu stellen. Der HSV hatte mehr Spielanteile, war uns ein Stück weit überlegen. Das hat sich im zweiten Durchgang fortgesetzt.“ – Ole Werner (Trainer, Holstein Kiel) über das Spiel gegen den Hamburger SV

In der Defensive hingegen zieht sich der linke Flügelverteidiger soweit zurück, dass eine klare Viererkette vor Sven Ulreich agiert. Der defensivste Mittelfeldspieler unterstützt den Mittelblock, während die vorderen HSV-Akteure zunächst ins Pressing gehen. Sonny Kittel unterstützt den anlaufenden Terodde, während sich hinter den beiden eine leicht verschobene, zweite Viererkette im Mittelfeld formiert. Somit versucht der HSV schnellstmöglich eine Kompaktheit herzustellen, die durch die breit stehenden Verteidiger und hoch aufrückenden Außen im Spielaufbau verloren geht. Genau dort ist der HSV am anfälligsten, wenn er mit aggressivem Pressing im Spielaufbau angegangen wird oder durch abgefangene Bälle in eine Unterzahl in der Restverteidigung gedrängt wird. Stephan Ambrosius agiert dabei oftmals als resoluter Abräumer, der die Konter im Keim erstickt.

Erwartete taktische Grundordnungen in der Gegenüberstellung. Punkte geben die Grundpositionen, Pfeile typische Bewegungsmuster an.

Das Spielgeschehen lenkt der HSV mit dem anlaufenden Terodde gerne auf deren linke Seite, um möglichst den Ball dort zu gewinnen, wo sie sich im Spielaufbau am wohlsten fühlen und den Raum schnell, gezielt und mit Tempo am Ball überbrücken können. Cristian Gamboas Ersatzmann Herbert Bockhorn darf also einen arbeitsreichen Freitagabend erwarten.

Wer ersetzt Simon Zoller? Darf Ganvoula ran oder doch wieder Zulj in vorderster Front?! Foto: David Mattäus Photography

Diese Jungs könnten Grönemeyer vom Rasen aus hören

Hamburger SV: Sven Ulreich – Josha Vagnoman, Moritz Heyer, Stephan Ambrosius, Jan Gyamerah – Amadou Onana – Aaron Hunt, Jeremy Dudziak – Sonny Kittel, Bakary Jatta – Simon Terodde

Der HSV agiert vermutlich fast in derselben Besetzung wie gegen Holstein Kiel. Die Spieler haben die Ansätze von Daniel Thioune gut umgesetzt und ein Quäntchen Glück fehlte im Verfolgerduell gegen die Störche. Amadou Onana wird voraussichtlich für den mit muskulären Problemen angeschlagenen David Kinsombi in die Mannschaft rücken und damit das Zentrum vor den Innenverteidigern stärken. Onana dürfte sich damit vor allem darum kümmern die Kreise von Robert Zulj einzugrenzen und im Spielaufbau zu unterstützen, sollte der VfL hoch anlaufen. Dudziak ist eigentlich ein wichtiger Baustein im Spiel der Hanseaten, wirkte gegen Kiel jedoch nicht ganz auf der Höhe. Durch die Probleme von Kinsombi, sollte er vermutlich trotzdem in der Startelf verbleiben.

VfL Bochum: Manuel Riemann – Danilo Soares, Maxim Leitsch, Armel Bella-Kotchap (Saulo Decarli), Herbert Bockhorn (Armel Bella-Kotchap) – Robert Tesche, Anthony Losilla – Danny Blum, Robert Zulj, Gerrit Holtmann –  Silvère Ganvoula

Cristian Gamboa wird unserem VfL am Freitag gelb-gesperrt fehlen. Foto: David Matthäus Fotografie

Beim VfL gilt es den gesperrten Cristian Gamboa zu ersetzen. Mit Herbert Bockhorn könnte die Position 1:1 ersetzt werden, ich gehe jedoch von Armel Bella-Kotchap aus, um die rechte Abwehrseite zu stärken. Thomas Reis hielt sich bei seinem Statement auf der Pressekonferenz diese Option explizit offen. Der HSV kommt mit seinen Überladungen zumeist über die spielstarke linke Seite, so dass mit dem beweglichen und zweikampfstarken Bella-Kotchap auf rechts die Abwehr variabler agieren kann. Mit Maxim Leitsch und Saulo Decarli können zwei Mann gegen Simon Terodde agieren.


Taktische Überlegungen von Tobias Wagner für den VfL:

Viel wird davon abhängen wie aggressiv der VfL den HSV im Spielaufbau unter Druck setzt. Durch die Gegenüberstellung von 4-3-3 und 4-2-3-1 wird es wie gegen Fürth überall auf dem Feld klare Mannorientierungen geben. In dieser Konstellation könnte insbesondere die Rolle Gyamerahs als andribbelnder Libero dem VfL weh tun. Da unser Team den Gegner gern im Bogen von Außen anläuft, um Pässe ins Zentrum zu provozieren, die unsere Abfangjäger Anthony Losilla und Robert Tesche abfangen können, sind die Räume dort etwas offen. Durch die 3-3-Zuordnung im Mittelfeld wird Robert Zulj sich wohl auch etwas an Hamburgs Sechser Onana orientieren, so dass durch das Andribbeln Überzahlen im Mittelfeld geschaffen werden. Der Stürmer neben Robert Zulj wird hier also defensiv ebenfalls gefordert.

Es wird auch interessant werden wie Thomas Reis auf die Asymmetrie in Hamburgs Aufbauspiel reagiert. Rückt Holtmann auf den breit gehenden Heyer vor oder verfolgt er Vagnoman, um Bockhorn/Bella-Kotchap defensiv zu unterstützen.

Bei eigenem Ballbesitz sind keine großen Anpassungen zu erwarten. Der HSV ist mit der nach links verschobenen Raute jedoch gut auf die typische Aufbauroute des VfLs vorbereitet. Der linke Halbraum um Blum könnte aufgrund der vielen umstellenden Spieler fast als Pressingfalle betrachtet werden. Danilo Soares und Ex-HSVler Robert Tesche müssen also sicherstellen, dass sie stets den Rückraum besetzen, um Verlagerungen auf die rechte Seite spielen zu können, wo Herbert Bockhorn (bei einer Aufstellung) seine offensiven Vorzüge einbringen könnte. Auch Holtmann könnte versuchen, sein Rekordtempo einzubringen, wobei er mit Vagnoman ausnahmsweise mal einen fast ebenbürtigen Gegenspieler hat.


 

Geschwindigkeitsvergleich. Der HSV hat ebenfalls ordentlich Tempo zu bieten. Quelle: meinVfL1848Stats

Im Angriff wird sich voraussichtlich Silvère Ganvoula gegen Stephan Ambrosius beweisen dürfen und mit Wut im Bauch zeigen was er drauf hat.

„Die Situation wird somit einen weiteren Ausschlag pro Bonga gegeben haben und Ganvoula wird zukünftig wieder Chancen erhalten. Es könnte von großer Wichtigkeit sein, dass er zumindest teilweise in Rhythmus kommt, um das Element des Wandspielers gegen manche Gegner zu ermöglichen. Das weiß auch Thomas Reis.“ – Janik Aschenbrenner über die Situation um Ganvoula

Ich sehe es genauso und denke daher, dass Reis am Wochenende mit einer klaren Spitze agieren wird. Durch sein Tempo und seine Athletik wird Ganvoula die teils zu großen Lücken beim Hamburger SV gut nutzen können. Eventuell wollte Reis Ganvoula auch nur kitzeln, damit er im Pressing die notwendigen Meter macht, um Hamburgs Innenverteidiger permanent zu stressen und Gyamerahs Dribblings zu stören. Ähnliches hat in der Hinrunde bereits bei Robert Zulj fantastisch funktioniert.

Das Flutlicht im Blick

Der Trend spricht derzeit klar für den VfL, wenn die Flutlichtmasten anne Castroper am Freitagabend die Nacht erhellen. Es darf zu erwarten sein, dass der HSV auch auswärts das Spiel machen muss und die zweitbeste Abwehr der Liga in Blau und Weiß vorerst sicher steht. Situativ wird Thomas Reis seine Jungs anlaufen lassen, um das Nervenkostüm der Hamburger Abwehr- und Mittelfeldspieler im Spielaufbau an zu testen. Eine Balleroberung im richtigen Moment, könnte Räume für Danny Blum und Gerrit Holtmann bieten. Im Hinspiel hat man gut erkennen können, wie die Hamburger zu schlagen sind. An einem guten Tag, spielen beide Teams den besten Fußball der Liga und man darf auf ein Spitzenspiel hoffen, an welches wir uns lange erinnern werden.

Was sagen die Trainer?

„Sie stehen zu recht da oben. Aber wir wollen auch wieder in diese Richtungen und haben die Möglichkeiten dazu.“ – Daniel Thioune ruft ein Spitzenspiel auf Augenhöhe aus

„Der Abstand ist auf fünf Punkte angewachsen. Klar, dass der HSV diesen Rückstand verringern will. Aber wir werden alles daran setzten, unseren Vorsprung noch weiter auszubauen. Wir konzentrieren uns auf das, was wir beeinflussen können. Wenn wir unsere Spiele gewinnen, dann kann uns keiner was.“ – Thomas Reis

Was sagt der Schreiberling?

„Glück Auf“ und „Hummel, Hummel“!

Autor: Sebastian Hettmann

Als ich zum ersten Mal bewusst im Ruhrstadion war, spielte der VfL Bochum in der Saison 2002/2003 gegen den Hamburger Sport Verein und ein direkt verwandelter Eckstoß sowie einige Anekdoten von meinem Großvater lassen mich seither den Rothosen die Daumen drücken. Ich kam allerdings nie wieder vom Ruhrstadion los und bin seitdem regelmäßig ins Ruhrstadion gegangen. Seit der Saison 2006/2007 fiebere ich als Dauerkarteninhaber im Block N2 bei Spielen unseres VfL mit.

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