Der VfL ohne Plan B? – Die vorhersehbare Kaderplanung des VfL Bochum

Führt Thomas Reis den VfL 2020 wieder auf den Erfolgskurs?
Foto: David Matthaeus Photography

Freitagabend, Flutlicht, Fußball. Was wünscht sich das Fanherz mehr? Der VfL Osnabrück hat fast 3.000 Fans im Gepäck und eine Kulisse mit über 20.000 Zuschauern im Ruhrstadion lässt die Vorfreude weiter ansteigen. Der heimische VfL hat vor der Länderspielpause eine ansteigende Tendenz erkennen lassen, ein Sieg wäre ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Ein Bericht aus der kalten Jahreszeit. 

Zumindest an der Essensausgabe ist ein Umdenken spürbar. Foto: Moritz Möller

Kurz nach dem Einlass lassen sich erste Veränderungen bemerken. An dem gewohnten Bratwurststand in der Ostkurve gibt es nicht mehr nur wie gewohnt die Bratwurst vom Grill, sondern Sucuk, Geflügelbratwurst und Grillkäse im Brötchen. Das Fan- Forum zum Stadionerlebnis trägt erste Früchte. Es ging um die Themen Sauberkeit, Catering und Ticketing. Der VfL ist sich der Tatsache bewusst, dass ein gut gefülltes Stadion der Mannschaft die nötige Unterstützung geben kann, um noch ein paar Prozent mehr raus zu kitzeln. Die SocialMedia-Vereinskanäle werden seit Anfang des Jahres durch eine Content- Abteilung betreut und halten die Fans bestens auf dem Laufenden, man hat eine eigene VfL-App und mit dem FiegeFan-Abend bringt ein Event die Fans wieder näher an den Verein. Der VfL entwickelt sich auf vielen Ebenen weiter, geht strukturiert an die „Baustellen“ heran und arbeitet sie systematisch ab, um sich zu verbessern. Nur was den Bereich Kaderplanung angeht, scheint man auf der Stelle zu treten und dieses Vorgehen nicht zu beherzigen.

Die Scoutingabteilung wurde bewusst nicht ausgebaut

Auf Nachfrage eines Mitglieds bei der diesjährigen Jahreshauptversammlung wie es um das Thema Scouting bestellt sei, gab Geschäftsführer Sport Sebastian Schindzielorz zur Antwort, man habe klare Vorstellungen wie dieser Bereich aufgestellt werden soll. Allerdings hätte man die geplanten Investitionen aufgrund des 11. Platzes in der Saison 2018/19 zurückstellen müssen und das Geld stattdessen direkt in den Kader gesteckt. Weiter führte Schindzielorz aus, man wäre sich der Tatsache bewusst, dass man diesen Bereich nicht aus den Augen verlieren dürfe, andere Vereine allerdings bereits finanzstarke Scoutingabteilungen aufgebaut hätten.

Sebastian Schindzielorz - Foto: Tim Kramer (VfL Bochum)
Sebastian Schindzielorz – Foto: Tim Kramer (VfL Bochum)

Der Vorsprung der Konkurrenz im Bereich Scouting wird nicht kleiner, während der VfL vorläufig weiterhin vorwiegend Spieler auf Angebot über externe Berater verpflichtet. In der Saison 2017/18 – als der VfL nach einer turbulenten Saison und einem nicht zu erwartenden Schlussspurt unter Robin Dutt auf Platz 6 abschloss – betrugen die Ausgaben für Spielerberater 892.000 Euro laut der DFL- Finanzkennzahlen. Von den fünf Vereinen davor zahlte nur der zweitplatzierte 1.FC Nürnberg mehr an Berater als die Bochumer. In der Außendarstellung wirkt es folglich so, als wäre man durchaus bereit mehr Geld für Berater, anstatt in eigenes Scouting zu investieren. Schon in den letzten Wochen des Sommertransferfensters sprach unser Vorstand Sport auf Nachfrage bei den Spieltagskonferenzen immer wieder davon, dass der Markt aktiver wird, sich schneller dreht und „uns mehr (Spieler) angeboten werden“. Man scheint allerdings eher zu reagieren, als dass man agiert und arbeitet mit dem, was einem angeboten wird. Für jemanden, in dessen Kurz-Vita auf der Vereinshomepage unter anderem als Tätigkeit Chefscout für den VfL Bochum aufgeführt wird, durchaus verwunderliche Aussagen.

Ein Anfang wäre schon in kleinerem Umfang den Bereich auszubauen, wenn man nicht so wie geplant investieren kann, anstatt darauf zu warten, dass die Tabellenplatzierung das nötige Kleingeld in die Kassen spült. Insbesondere wenn es sich dabei um Investitionen handelt, die nachhaltig gute Spieler und somit mittel- bis langfristig bessere Platzierungen und mehr Einnahmen über Spielerverkäufe erhoffen lassen. Natürlich ist ein erfolgreiches Scoutingsystem alles andere als einfach sondern sehr komplex und vielschichtig, kann aber durch kreative Vorgehensweisen forciert werden. In diesen Bereich kann man zumindest die erste Maßnahme einordnen, dass Ex-Profi Daniel Engelbrecht auf der Ebene des Talentwerks als Leiter des Scoutingabteilung im Juli 2019 installiert wurde, der Nachwuchsspieler für den VfL sichtet.

Die Baustellen des Kaders finden sich auf dem Platz wieder

Auf dem Platz präsentiert sich der VfL an diesem Abend gegen den VfL Osnabrück zu Beginn aggressiver als auf dem Transfermarkt. Druckvolles Pressing auf die Abwehr des Gastes aus Niedersachsen führt zum frühen Torerfolg in der 2. Minute. In der Folge lässt sich die Abwehr des VfL immer wieder über Außen und mit schnellen Diagonalbällen auseinander spielen. Es offenbaren sich insbesondere auf den Außenverteidigerpositionen die Lücken im Kader. Stefano Celozzi, eigentlich sonst auf der Rechtsverteidigerposition zu finden, und Jordi Osei-Tutu besetzen an diesem Abend die defensiven Außenbahnen und vertreten die beiden Stamm-Außenverteidiger. Der eine sollte überhaupt nicht mehr für den VfL auflaufen – der andere offenbart in der Defensive immer wieder zu große Defizite. Ersten Planungen zufolge, sollte Osei-Tutu gar diese Position fast im Alleingang ausfüllen, bevor Cristian Gamboa kurzfristig geholt und Celozzi begnadigt wurde. Ein echter Ersatz für die Position des linken Verteidigers existiert hingegen überhaupt nicht.

Sollte den Verein verlassen – Stefano Celozzi Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)

Dass es insgesamt an nachhaltiger und gezielter Planung fehlte, wird neben der fehlenden Besetzung hinter Soares auch an den Vorgängen rund um den Personalien Stefano Celozzi und Tim Hoogland deutlich. Nach einer desolaten Rückrunde 2018/19 entschied man sich laut der Jahreshauptversammlung im September dazu „den Umbruch einzuleiten und der Mannschaft die Bildung einer neuen Hierarchie zu ermöglichen“. Dies hatte zur Folge, dass noch vor dem letzten Saisonspiel Stefano Celozzi und Tim Hoogland mitgeteilt wurde, dass der Verein trotz laufender Verträge nicht mehr mit Ihnen plant.

Für die beiden erfahrenen Spieler fand sich im Sommer aufgrund hoch datierter Verträge wenig überraschend kein Abnehmer und beim VfL schien man auch keinen Plan B zu haben, wie man diese Situation löst. Bis August trainierten beide mit der Mannschaft mit, dann löste Anfang August Tim Hoogland – vermutlich gegen eine (nicht unerhebliche) Abfindung – seinen Vertrag auf und wechselte nach Australien. Stefano Celozzi hingegen blieb dem Trainingsbetrieb an der Castroper Straße erhalten und bezog weiterhin volles Gehalt, ohne dem VfL auf dem Platz helfen zu dürfen. Begnadigt wurde er letztlich erst, nachdem Thomas Reis das Amt als Cheftrainer übernahm. Auf beiden Positionen wurde erst spät bzw. nur unzureichend reagiert, obwohl die Abgänge der Spieler längst bekannt waren. Auch warum zu Danilo Soares, der ohnehin den Verein im Sommer 2020 vermutlich verlässt, keine Alternative verpflichtet wurde, bleibt unklar.

Der Kader des VfL wie die Innenstadt von Bochum – Baustellen wohin das Auge schweift

Im zentralen offensiven Mittelfeld hingegen sieht man beim VfL ein gänzlich anderes Bild: Falls der technisch versierte Chung-yong Lee ausfällt, bieten sich mit Thomas Eisfeld, Sebastian Maier und Görkam Saglam drei Alternativen für die Achter/Zehner Position an. Allerdings quälen sich alle mit ähnlichen Problemen: Eisfeld und Maier waren den Großteil ihrer Zeit beim VfL verletzt und ließen immer nur in vereinzelten Momenten ihr Können aufblitzen, ohne dabei nachhaltig zu überzeugen. Saglam gehört mit zu den dienstältesten Profis beim VfL, kommt aus der eigenen Jugend und galt immer als Versprechen für die Zukunft – der richtige Durchbruch gelang ihm bisher allerdings nicht. Auch die große Verletzungsserie der letzten Rückrunde konnte er nicht für sich nutzen, um Akzente zu setzen. Hinzu kommen mit Tom Weilandt und Milos Pantovic zwei Spieler, die eher Halbpositionen spielen und Kombinationsfußball bevorzugen, als klassische Außenbahnspieler zu sein und vervollständigen somit das Überangebot im offensiven Mittelfeld.

Die aktuelle Spielzeit lies nicht nur Manuel Riemann öfters verzweifeln. Foto: Tim Kramer (VfL Bochum)

Dafür fehlt es auf den Außenpositionen an Alternativen. Neuzugang Danny Blum überzeugt auf seiner linken Seite komplett mit 6 Toren und 9 Vorlagen, wobei seine Dynamik und Torgefahr häufig über die teils fehlende Defensivarbeit hinwegtrösten. Fällt er allerdings aus, gibt es kaum eine Alternative, die sich aufdrängt. Ähnlich auf der rechten Außenposition. Simon Zoller, gekommen, um die Offensive tatkräftig zu unterstützen, kommt hier zu seinen Einsatzzeiten, allerdings eher aufgrund seiner Rückwärtsbewegung, Einsatzes und Arbeitswillen anstatt aufgrund seines Offensivspiels.

Beim VfL zeichnet sich das Bild eines Kaders ab, der nicht aufeinander abgestimmt ist. Die festen Transfers (Blum, Ganvoula, Gamboa, Decarli)  bringen hingegen ihre Qualität auf den Rasen. Dies gilt es an dieser Stelle auch mal ausdrücklich zu loben. Allerdings sind es die nicht getätigten Transfers, sowohl auf der Abgangs- als auf der Zugangsseite, die zu wünschen übrig lassen. Verdiente Spieler, die nicht mehr zur Spielphilosophie passen und finanzielle Mittel binden, zu viele ähnliche Spielertypen und Backup-Positionen die unbesetzt bleiben oder auf die man positionsfremde Spieler verschieben muss.

Als Außenstehender hat man das Gefühl, dass es zuletzt beim VfL immer ein ähnliches Muster gibt: In einer ausgeglichen Liga, in der immer wieder Überraschungsmannschaften mit einem klaren Konzept – und manchmal auch mit deutlichem geringeren Etat als der VfL – um den Aufstieg mitspielen oder den Schritt in die erste Liga sogar schaffen, zittert der VfL zwischenzeitlich um den Abstieg und rettet sich irgendwie auf einen Mittelfeldplatz. Als Konsequenz daraus scheint man sich nicht in der Lage zu sehen, sich mit den Planungen bzgl. Spielkonzept und Transfers zu beschäftigen, weil man in der aktuellen, finanziell nicht einfachen Situation gefangen ist und sich ohne ein stark ausgebautes Scoutingsystem häufig auf Berater verlassen muss. Hat man einen Trainer gefunden, der aus dem Vorhandenen eine fußballerische Einheit formt, kommt man an einen Punkt, an dem man nicht die Spieler bekommt, die zum System des Trainers passen, um die Mannschaft weiterzuentwickeln. Auch Thomas Reis scheint zumindest nicht gänzlich mit dem aktuellen Personal zufrieden zu sein: Er verzichtet lieber auf Ersatzspieler und lässt Bankplätze frei, bevor er Spieler in den Spieltagskader beruft, die von der Leistung und dem Konzept nicht passen. Dementsprechend gestalten sich auch die Wechsel relativ vorhersehbar und wenig überraschend für den Gegner. Ein Teufelskreis, aus dem es auszubrechen gilt, indem man vielleicht auch etwas mutiger und gezielter investiert.

Getöse in der Nachbarschaft

Nach dem Abpfiff gegen Osnabrück hört man von dem Bundesligaspiel ein paar Kilometer Richtung Osten: Der Underdog Paderborn, trotzt der großen, angeschlagenen Borussia aus Dortmund ein 3:3 ab, führt zwischenzeitlich gar 0:3. Paderborn gehört auch zu eben jenen Überraschungsmannschaften, die den VfL Bochum mit einem klaren Transfer- und Spielkonzept innerhalb einer Saison überholt haben. Sicherlich gehören Trainer Baumgart und der ehemalige Sportdirektor Krösche zu Ausnahmeerscheinungen ihrer Zunft, aber auch Paderborn arbeitet mit kleinem Budget und hat insbesondere ein ausgeprägtes, regionales Scouting. An diesem Abend starteten unter anderem im Signal Iduna-Park mit Kai Pröger (ehemals Rot-Weiss Essen) und Christopher Antwi-Adje (ehemals Westfalia Herne und TSG Sprockhövel) auch zwei für den VfL damals finanziell machbare Neuzugänge. Außenbahnspieler mit Geschwindigkeit, die eingesetzt in dem entsprechenden System ihre volle Wucht entfalten können.

Die Spieler müssen nicht Pröger und Antwi-Adje heißen, aber sie müssen zu dem Spielkonzept des Trainers und des Vereins passen und danach gesichtet und ausgewählt werden. Zwischen Rhein und Ruhr gibt es über 20 Vereine, die in den ersten vier Ligen des deutschen Fußballs vertreten sind. Dass diese Mannschaften oder deren Unterbau und Nachwuchsleistungszentren keine Spieler hervorbringen oder abzugeben haben, die dem VfL Bochum weiterhelfen oder zumindest Baustellen kurzzeitig verhelfen zu schließen, mag man eigentlich kaum glauben.

Der ehemalige „Fußballgott“ der Bochumer Ostkurve, Rouven Schröder, hat ein funktionierendes Scouting-System in Mainz etabliert. Ein kleines, ehrgeiziges Team aus drei (!) Leuten, die unter anderem über Beobachtung von Live-Spielen, umfangreiche Recherche über verschiedene Scouting-Portale, das Internet oder in den Medien, Spielertransfers realisiert haben, die teilweise beim großen PSG oder auf der britischen Insel gelandet sind.

Nach Cristian Gamboa braucht der VfL weitere Neuzugänge um erfolgreich zu sein. Foto: VfL Bochum 1848

Es stellt sich die Frage ob mit den Mitteln und Wegen die der VfL aktuell nutz auf Dauer eine Verbesserung der Kaderplanung zu erreichen ist. Eine ausgeglichene Liga ist mittlerweile Gewohnheit im Unterhaus der Bundesliga geworden. Ein langer Atem und ein homogen besetzter Kader sind nötig um in der Tabelle entsprechend zu klettern. In den letzten Jahren hat der VfL im Endspurt immer wieder Punkte und damit bessere Platzierungen und höhere TV-Gelder liegen gelassen. Wirtschaftlich hat sich der Verein allerdings konsolidiert und befindet sich auf dem aufsteigenden Ast, nur beschleicht einem bei der sportlichen Entwicklung das Gefühl, dass deutlich mehr möglich wäre. Denn die Lücken im Kader kosten dem VfL aktuell reichlich Punkte und beschert seinen Anhängern eine bis zum Ende der Saison spannende Serie 19/20, in der es bis zum letzten Spieltag um den Klassenerhalt gehen kann, wie Manuel Riemann jüngst prognostizierte.

Eine gelungene Kaderplanung und eine gut aufeinander abgestimmte Mannschaft machen in einer ausgeglichenen Liga den Unterschied. Entsprechende Scoutingmaßnahmen sind sicherlich zeit- und investitionsaufwendig und muss sich ein Verein je nach Budget leisten können. Aber die Investitionen bringen sicherlich mehr als sinkende TV-Gelder durch schlechte Platzierungen. Was man sich allerdings nicht mehr in diesem Bereich erlauben kann ist eins: Untätigkeit.

Dieser Artikel entspringt größtenteils der Feder unseres Gastautors Moritz Möller. Vielen Dank für deine Mühen und auf eine hoffentlich auch in Zukunft fruchtende Zusammenarbeit Moritz!

Autor: Jens Hartenstein

In Bayern geboren, führte mein Weg zum Fußball über den FC Bayern München erst über Umwege zum geliebten VfL. Hierbei hat mich insbesondere die Phase Mitte der 90 geprägt, als man unter anderm in den UEFA Cup einzog. Nach einer jugendlichen Trotzphase, in der ich mich fast gänzlich dem Fußball, aber vor allem der Kommerzialisierung von selbigem abgewandt hatte, fand ich dann Anfang des neuen Jahrtausends wieder zurück zum Fußball. Ein echter Fußballfan kann eben doch nicht ohne seine Leidenschaft. Spätestens als ich dann beim Abschiedsspiel von Darius Wosz dessen letztes Bundesligator, den Abstieg Gladbachs und unseren beinahe Einzug in den UI-Cup live im Gladbacher Stadion feiern durfte, wars um mich dann komplett geschehen. Seitdem sind mäßige Spiele, Niederlagen, Abstiege und sämtliches Leid aller VfL Fans mein ständiger Wegbegleiter.

Schreibe einen Kommentar

Laden...

0

Der VfL Bochum beendet das Jahrzehnt standesgemäß: Bittere Niederlage gegen Regensburg

Der Einsachtvieracht-Scouting-Bericht #8