Wenn Scouting einfach wäre, wären wir Meister

Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)

Es gibt wenige Themen im Fußball, bei denen Komplexität und Einfachheit so nah beieinander liegen wie im Scouting. Für den Fan auf der Tribüne ist oft glasklar, welche Spieler man holen sollte. In der Realität sieht das Ganze schon etwas anders aus. Daher sorgt das Thema immer wieder für teils heftige Kontroversen. Auch auf der diesjährigen Jahreshauptversammlung unseres VfL kam das Thema Scouting erneut zur Sprache. Immer wieder muss sich der Verein den Vorwurf gefallen lassen, im Scoutingbereich nicht ausreichend aufgestellt zu sein. Eins vorweg: Um diesen Vorwurf bezüglich unseres Vereins valide beurteilen zu können, gibt es für Außenstehende einfach zu wenige gesicherte Informationen. Daher wollen wir eher einen allgemeineren Ausflug in die große Welt des Scouting wagen. 

Der Ablauf des Scouting-Prozesses

Doch wie läuft der Scouting-Prozess in der heutigen Zeit typischer Weise ab? Der Prozess ist relativ vielschichtig und variiert von Verein zu Verein. Das Budget spielt eine große Rolle dabei wie flächendeckend und ausführlich Scouting betrieben werden kann. Grundlegend lassen sich aber einige Phasen festlegen, die jeder Verein typischerweise durchläuft:

  1. Definition des Spielerprofils
  2. Zusammenstellung einer Kandidatenliste auf Basis von verfügbaren, quantitativen Informationen (Statistiken, Vertragslaufzeit)
  3. Scouting (Videoausschnitte, einzelne Spiele)
  4. Erste Vorgespräche zur Einholung weiterer Informationen
  5. Detailliertes Scouting (Sichtung vor Ort, umfangreiche Sichtung von Videomaterial)
  6. Entscheidung

1. Zu Beginn wird vom Verein ein Bedarf festgestellt. Hier erfolgt ebenfalls die Festlegung von Kriterien, die für den zu holenden Spieler entscheidend sein sollen. Brauche ich einen Linksverteidiger, der eine überdurchschnittliche Zweikampfquote hat, weil er primär Defensivaufgaben übernehmen muss? Muss der Spieler eine Mindestgröße haben, weil mein linker Innenverteidiger vielleicht schon nicht der größte ist? Oder soll der Spieler vor allem im Spielaufbau agieren, um dem eigenen Spiel mehr Variabilität zu geben.

2. Nach Absteckung eines genauen Profils kommen hier in der Regel bei einem modernen Fußball-Club Datenbanken zum Einsatz, über die man mit mithilfe eines Matchings der Parameter eine Liste von potenziellen Kandidaten erstellt. Diese Liste kann durchaus noch sehr umfangreich sein.

3. Nun beginnt man die quantitativen Informationen aus der Datenbank mit einer subjektiven Einschätzung der Kandidaten zu unterfüttern. Dabei wird meist auf Video-Zusammenschnitte aus Scouting-Datenbanken zurückgegriffen (dazu später mehr). In der Regel arbeiten sich die Scouts „von oben nach unten“ durch ihre zuvor erstellte Liste. Die Kandidaten mit den aussichtsreichsten Daten werden zuerst begutachtet.

4. Hat man am Ende eine kleine Liste von Spielern, werden für diese Spieler Dinge wie die generelle Verfügbarkeit, die voraussichtlich fällige Ablöse, Gehaltsforderungen und gegebenenfalls schon Vorstellungen des Spielers bezüglich seiner weiteren Karriere beim Berater angefragt und zusammengetragen. Bei diesem Schritt fallen erneut einige Kandidaten durchs Raster und am Ende hat man im Idealfall eine Liste von 3-4 Kandidaten.

5. Diese Spieler werden dann weiter bis ins kleinste Detail von den Scouts sowie dem Trainerstab analysiert, um den idealen Kandidaten für die vakante Position herauszufinden. Je nach Budget des Vereins werden die Spieler auch im Spielgeschehen gesichtet. Das klassische Scouting vor Ort ist mittlerweile eine Budgetfrage und wird von kleinen Vereinen über Honorarscouts oder reine Video-Sichtung abgedeckt, während Vereine mit größerem Budget weiterhin auf eine große Mannstärke in der hauseigenen Scoutingabteilung setzen.

Datenbanken erhalten Einzug in den Fußball

Früher hatten Vereine große Scouting-Netzwerke in einzelnen Zielregionen, um passende Spieler zu finden. Bestes Beispiel ist hierfür sicherlich Bayer Leverkusen, die vor allem im südamerikanischen Raum hervorragenden aufgestellt waren und Spieler wie Ze Roberto, Arthuro Vidal oder Lucio in die Bundesliga holten. Auch der VfL hatte temporär immer wieder Märkte, in denen er dank guter Netzwerke vermehrt Spieler entdeckte und an die Castroper lotste. So war eine Zeit lang die skandinavische Fraktion rund um Sören Colding, Thommy Bechmann, Peter Madsen und Co. recht stark. Später hatten wir immer wieder Spieler aus der japanischen J-League wie Inui, Tasaka oder auch den Nordkoreaner Tese bei uns im Ruhrstadion.

Leider gibts keinen Katalog mit passenden neuen Spielern… Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)

Doch Netzwerke vor Ort zu unterhalten kostet Geld. Gehälter und Reisekosten für eine große Anzahl an Scouts kann sich heute kaum ein Fußballverein, vor allem kein Zweitligist mehr leisten. Vor diesem Hintergrund wurde 2004 WyScout gegründet. Die Plattform bietet heute Daten und vor allem gefilmte Szenen aus allen verfügbaren Blickwinkeln zu über 450.000 Spielern weltweit. Vereine können über WyScout die beschriebene Vorauswahl anhand von festgelegten Parametern treffen und bekommen eine Liste entsprechender Spieler. Besonders interessant ist die Videodatenbank. Hier können die Nutzer sich Spielszenen raussuchen, die sie besonders interessant finden. Will ein Scout beispielsweise nur das Verhalten eines Spielers in defensiven 1 vs. 1 Situationen einschätzen, können durch entsprechende Filter eben nur diese Situationen herausgefiltert werden. Je besser die Media-Coverage der Liga, desto mehr Videomaterial findet sich bei WyScout aus den verschiedensten Perspektiven. Natürlich lassen sich diese Daten und Videoszenen aber nicht nur fürs Scouting nutzen. Auch für die Videoanalysten zur Vorbereitung auf den kommenden Gegner ist solch eine Datenbank eine hervorragende Spielwiese. Gründer Matteo Campodonico sagt, dass sein Ziel ist, dass WyScout den gleichen Stellewert für den Fußball bekommt, wie es Bloomberg in der Finanzwelt hat – wer nicht weiß, was Bloomberg ist – es ist praktisch DAS zentrale System, dass alle Banken und Finanzdienstleister in der Welt als Informationsmedium für Kurse nutzen.

In Italien wurde vor kurzem eine Geschichte öffentlich, die den dortigen Stellenwert von WyScout deutlich macht. Der Präsident des FC Genoa lag im Sommer 2018 in der sardinischen Sonne am Strand, als er einen Anruf von einem Berater bekam und ihm der polnische Angreifer Krzysztof Piatek angeboten wurde. Den Spieler kannte er vorher kaum, doch nach mehrtägigem Scouting bei WyScout und Rücksprache mit den entsprechen Mitarbeitern seines Vereins wurde der Spieler wenige Tage später für rund 4,5 Millionen Euro verpflichtet. Piatek traf in 21 Spielen für Genoa 19 Mal und wechselte nur ein halbes Jahr später im Januar 2019 für bescheidene 35 Millionen Euro zum Schwergewicht AC Mailand. Auch wenn dies ein extremes Beispiel ist, zeigt es deutlich, wie sehr eine solche Datenbank die Spielersichtung verändert.

Big Data Analytics – Kann man durch bessere Methoden weniger Mittel kompensieren?

Nicht wenigen ist „Moneyball“ ein Begriff. Ein klammer Verein optimiert sein Scouting und spielt urplötzlich in der Liga der großen Vereine mit. In diesem Fall wurde das Verfahren durch kluge Köpfe beim Baseball-Klubs Oakland Athletics um Manager Billy Beane erfolgreich implementiert. Um zu verstehen, was das Prinzip hinter Moneyball ist, muss man einen Blick in die Volkswirtschaftslehre werfen. Dort geht man nach der Theorie von Nobelpreisträger Eugene Fama von effizienten Märkten aus – sofern alle über die gleichen Informationen verfügen.

Alt bekannt beim VfL: Spieler kommen, neue Helden entstehen. Foto: Tim Kramer (VfL Bochum)

Der Marktpreis wird letztendlich dadurch geprägt, welchen Wert die Marktteilnehmer, in diesem Fall die Vereine, auf Basis der ihnen zur Verfügung stehenden Informationen einem Gut, in dem Fall dem Spieler auf dem Transfermarkt, beimessen. In der Theorie sind Märkte perfekt – in der Praxis nicht. Durch subjektive Einschätzungen von Informationen entstehen immer wieder Ineffizienzen, sprich Spieler, die über- bzw. unterbewertet werden. Beane setzte an dieser Stelle an, um Ineffizienzen des Spielermarktes auszunutzen. Er entwarf Algorithmen für die Gewichtung ausgewählter Leistungsdaten hinsichtlich des späteren Erfolgs, erkannte so unterschätzte Statistiken und schaffte es damit, unterbewertete Spieler am Markt günstig zu erwerben und ein für das gegebene Budget extrem starkes Team zu formen.

Ein armer Verein optimiert sein Scouting. Was im Baseball klappt, kann doch auch bei unserem VfL klappen, oder nicht?

Einen ähnlichen Algorithmus auf den Fußball zu übertragen ist nicht unmöglich, aber ungleich schwieriger. Im Baseball agieren Spieler eher als Individuum und losgelöst vom Team. Das Spiel ist in klar getrennte Phasen unterteilt, die einzeln evaluiert werden können (z.B. wie stark die Position der Spieler sich vor und nach Ende des Spielzugs/Schlags verändert hat). Pitcher und Batsman stehen sich gegenüber, eine dritte Person hat in dieser Situation keinen Einfluss auf die direkte Leistung.

Auch im Fußball ist der Einfluss der Leistungen jedes Einzelnen massiv, trotzdem entsteht durch den Spielfluss (direkte Freistöße und Elfmeter ausgenommen) ein direktes Verhältnis zwischen den Leistungen einzelner Individuen, was es ungleich komplexer macht, aussagekräftige und vor allem zuverlässige Parameter zu entwickeln.

Im Fußballbereich wurde der analytische Ansatz vor allem durch den FC Midtjylland und den FC Brentford bekannt. Der Millionär Matthew Benham stieg bei beiden Clubs ein und schaltete subjektive Einflüsse soweit es ging aus. Er wollte einen Fußballclub führen, der keine Augen und Ohren hat, sondern sich rein auf wissenschaftlich-mathematische Modelle verlässt. Vor allem beim dänischen Club scheint er Erfolg zu haben. Seit der Übernahme konnten man zwei Meisterschaften feiern und die Schwergewichte FC Kopenhagen und Bröndby IF hinter sich lassen. Auch aktuell steht man wieder an der Tabellenspitze.

Doch was können das für Daten sein? Nehmen wir als Beispiel einen Innenverteidiger. Die Hauptaufgabe eines Innenverteidigers ist es, den Laden hinten dicht zu halten. Folglich ist natürlich maßgeblich, wie viele Bälle er geklärt hat, wie viele Zweikämpfe er hatte, wie viele Luftduelle er gewonnen hat. Doch finde ich allein über diese Defensiv-Daten den besten Verteidiger für mein System? Sicherlich nicht. Erinnern wir uns an die Zeit von Gertjan Verbeek beim VfL Bochum, ist uns sicherlich allen die sehr aktive Spielweise unseres Vereins im Kopf geblieben. Der Spielaufbau begann schon bei Felix Bastians und Patrick Fabian. So wäre es in dem Fall wichtig, dass ein Innenverteidiger auch in der Lage ist, einen halbwegs vernünftigen Ball zu spielen. Aber nicht nur die reine Anzahl der Pässe wäre hierzu interessant, da daraus nicht ersichtlich ist, wie oft jemand einfach den sicheren Querpass spielt, sondern beispielweise auch die Passlänge und in welche Zone des Feldes die Pässe gespielt werden. Welche Daten für einen gerade benötigten Spieler relevant sind und wie sie dabei gewichtet werden, das muss jeder Verein, basierend auf Spielsystem und Anforderung, eben selbst festlegen. Hier liegt die Krux.

GoalImpact – Die Quantifizierung des wahren Wertes eines einzelnen Spielers?

Eine statistische Datenbank, die immer wieder in den deutschen Medien auftaucht, ist der so genannte Goalimpact. Diesen haben wir in unserem Einsachtvieracht Scoutingbericht #6 bereits genutzt. Doch wie kann man sich Goalimpact vorstellen?

Der Goalimpact führt die Bewertung eines Spielers auf das maßgebliche Kriterium zurück – Tore. Dazu wird die minutengenaue Erfassung von Toren, Ein- und Auswechslungen genutzt, um das Torverhältnis auf die verschiedenen Spielerkonstellationen auf dem Platz herunterzubrechen. Wann immer es zu einem Wechsel kommt, beginnt eine neue Phase, die zu einer neuen Gleichung in einem riesigen Gleichungssystem führt. In diesem System sind die Goalimpact-Werte der Spieler die Variablen, die aus allen verfügbaren Spielphasen, in denen der Spieler beteiligt war, geschätzt und mit jedem neuen Spiel aktualisiert werden. Wie diese Variablen zu den Mannschaftswerten und der daraus zu erwartenden Tordifferenz zusammengerechnet werden, ist ein wohl gehütetes Geheimnis. Bekannt ist nur, dass eine Alterskurve zum Einsatz kommt, um dem Leistungsverlauf eines Spielers über seine Karriere abzubilden. Auf diese Weise wird auch sichergestellt, dass pro Spieler nur eine Variable geschätzt werden muss. – Tobias Wagner zusammenfassend im Einsachtvieracht-Scouting-Bericht #6

In den Grafiken, die den GoalImpact eines Spielers darstellen, sind drei Kurven gezeigt. Die dicke rote Kurve zeigt den Wert des Goalimpact nach der Korrektur durch die Alterskurve.

Entwicklung des GoalImpact von Kwasi Wriedt, Quelle: http://www.goalimpact.com/

Junge Spieler und alte Spieler außerhalb des idealen Fußballeralters werden dort nach unten korrigiert. Die dünne rote Linie zeigt den so genannten Peak-Goalimpact, also den Wert, den der Spieler im besten Fußballalter erreichen wird. Dies ist die Variable, die aus den Gleichungssystemen geschätzt und nach jedem Spiel aktualisiert wird. Die blaue Kurve ist ein short-term Goalimpact, bei dem im Gegensatz zur Gesamtdatenmenge ein kleineres Zeitfenster für die Schätzung verwendet wird.

Das war ne 100%ige! Den muss er machen!

Eine weitere statistische Größe, die man immer wieder in Bezug auf Data Analytics im Fußball und Scouting hört, sind „Expected Goals“, welche im xG-Wert angegeben werden. Doch was beschreibt diese statistische Größe eigentlich genau? Expected Goals zeigen mit Hilfe von Vergangenheitswerten, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für ein Tor bei einer Chance wirklich war. Zur Berechnung dieses Wertes sind die Position des Spielers beim Schuss auf das Tor, Körperteil (Fuß o. Kopf) sowie die Anzahl der Gegenspieler, die sich noch zwischen der Abschlussposition und dem Tor befanden, entscheidend. Der Wert erwähnte xG-Wert liegt dabei zwischen 0 und 1. Sprich erst bei einem xG-Wert von 1 kann man wirklich von einer 100%igen Torchance sprechen. Das einfachste Beispiel ist der Elfmeter. Der Schuss vom Punkt hat einen xG-Wert von 0,76 – man kann also sagen, dass 3 von 4 Elfmetern im Netz landen – ein Elfmeter ist hart übersetzt also eine 76%ige Torchance.

Für einzelne Spieler lässt sich so relativ genau sagen, ob jemand effizienter in seinen Abschlüssen ist als die statistische Wahrscheinlichkeit seiner Torchancen. Addiert man alle Chancen, die Spieler X hatte (als Beispiel: xG 0,5 + 0,4 + 0,1 + 0,6 + 0,4) und kommt man auf einen Wert von „2“ – so würde ein durchschnittlicher Spieler daraus 2 Tore erzielen. Würde ein zu bewertender Kandidat also mehr als 2 Tore geschossen haben, könnte man ihn als überdurchschnittlich abschlussstark bezeichnen. Als aktuelles Beispiel kann man hier Robert Lewandowski anführen. In sieben Spielen in der aktuellen Bundesliga-Saison traf der Pole elf Mal ins Netz. Sein xG-Wert liegt aktuell bei nur 7,73. Bei ihm von einem der besten Mittelstürmer der Welt zu sprechen kommt also nicht von ungefähr. Umgekehrt kann ein Torhüter danach bewertet werden, ob er mehr oder weniger als die zu erwartenden Tore kassiert.

Mit Hilfe des xG-Werts kann man auch auf Team-Ebene darüber eine Aussage treffen, ob unser VfL zum Beispiel gerade im Verhältnis zu seinen Chancen rein statistisch mehr Tore erzielt, als erwartbar gewesen wäre. Das Ganze lässt sich aber noch weiterführen. Tobias Wagner hat „Non-Shot Expected Goals (non-shot xG)“-Metrik in einem älteren Artikel so erklärt:

Um auch diese potenziell gefährlichen Situationen ohne eigentlichen Torabschluss zu berücksichtigen, gibt es die non-shot Expected Goals (non-shot xG) Metrik. Bei dieser werden Ballaktionen (z. B. angekommene Pässe, Ballgewinne, erfolgreiche Dribblings) in Tornähe mit ihrer Wahrscheinlichkeit, in einem erfolgreichen Torschuss zu enden, ebenfalls zur Metrik addiert – auch wenn es nicht zum eigentlichen Torschuss kommt. Auf diese Weise werden Markenzeichen dominanter Teams wie Ballbesitz und Ballgewinne tief in der gegnerischen Hälfte besonders honoriert.

Grenzen der Statistik

Doch all die Datenbanken und statistischen Zahlen können wenig bis gar nicht die Persönlichkeit eines Spielers abbilden. Passt der Spieler charakterlich in die Mannschaft? Was ist sein familiärer Hintergrund? Welche Mentalität bringt er mit? All diese Dinge müssen Scout und Sportvorstand ebenfalls in Erfahrung bringen und richtig einschätzen. Dieses Feld ist und bleibt allerdings trotz aller verfügbarer Daten und Quellen ein sehr subjektives. Hier lassen sich „menschliche“ Einschätzungen nur schwer ausschalten. Komplett Rationalisieren lässt sich das Scouting eben doch nicht.

Neue Wege gehen?

Auf der diesjährigen Jahreshauptversammlung des VfL gab unser Vorstand Sport Sebastian Schindzielorz bekannt, dass geplante Investitionen im Bereich Scouting aufgrund des Abrutschens in der Fernsehgeldtabelle verschoben wurden. Ein Handlungsbedarf in diesem Bereich wurde also offensichtlich erkannt. Als Wirtschaftsunternehmen stellen die Spieler das Gut des Vereins dar, so dass das Scouting eigentlich einen hohen Stellenwert haben sollte – gerade beim VfL, bei dem Erlöse durch Spielerverkäufe maßgeblich über den zur Verfügung stehenden Handlungsspielraum entscheiden. Im Wortbeitrag eines Mitglieds wurde die Frage gestellt, ob man nicht auf das Fachwissen einiger Fans zurückgreifen kann. Diesen Vorschlag wollen wir aufgreifen.

Investitionen ins Scouting musste Vorstand Schindzielorz verschieben Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)

Namedropping wird von vielen Fans in diversen Foren immer wieder gerne betrieben. „Fußballmanager spielen“ macht halt Spaß. Doch seien wir ehrlich, in 99% der Fälle sind die genannten Namen nicht zu gebrauchen. Die Gründe können dafür vielseitig sein – mal schaut jemand einfach nur  in die  Transfermarkt.de-Leistungsdaten und schlägt den Mann mit den meisten Toren aus der zweiten holländischen Liga vor, obwohl er den Spieler noch nie gesehen hat oder jemand mit Pace > 90 wird fix in der FIFA – Datenbank gesucht, weil Schnelligkeit ja das A und O ist. Doch gibt es im Umfeld des VfL eben auch immer wieder Leute, die passende Vorschläge machen. Der eine hat mal im Ausland gelebt und verfolgt deswegen intensiv eine Nischenliga, der andere ist durch Zufall Fan eines Vereins in einer kleinen Liga. Ein dritter hat eventuell beruflich immer wieder mit Data Analytics zu tun. Haben diese Leute darüber hinaus noch ein Wissen und Verständnis für den Fußball, der deutlich über Stammtisch-Niveau „Er muss mal schießen“ hinausgeht, könnte man hier durchaus Potenzial finden, das dem Verein helfen kann.

Ein kleiner Verein wie der VfL kann personell gar nicht alle Märkte abdecken. Das können selbst große Vereine nicht. Doch vielleicht sind gerade Nischenmärkte das, in denen der VfL eventuell noch schneller sein kann als die finanzstarke Konkurrenz.  Der Knackpunkt wird hier sein, ein Format zu finden, in dem ein effizientes Arbeiten möglich ist.

Im Wesentlichen müsste durch so einen Kreis eine Vorarbeitet geleistet werden, mit dessen Hilfe die verantwortlichen Personen im Verein einen Spieler zumindest grob einschätzen können. Dies kann mit Hilfe der Befüllung von abgestimmten Scouting-Bögen passieren. Mit Hilfe der Ressourcen des Vereins könnten so identifizierte Spieler mit Hilfe von Datenbanken wie WyScout genauer analysiert und ggfs. weiterverfolgt und intensiver beobachtet werden. Durch regelmäßige Treffen dieser Gruppe mit den verantwortlichen Personen im Verein könnte ein einheitliches Verständnis von Anforderungen geschaffen werden, um einen maximal effizienten Output sicherzustellen. Um einen straffen Ablauf zu ermöglichen darf diese Gruppe allerdings auch nicht zu groß werden. Mehr als eine Größe von 4-5 Personen ist hier sicherlich kontraproduktiv.

Ob ein solcher Weg die Non-Plus-Ultra-Lösung ist und weitere Investitionen in das Scouting ersetzt? Sicherlich nicht. Sie ist allerdings ein Weg, Ressourcen mit minimalem Mitteleinsatz einzubinden und eventuell ganz neue Perspektiven zu eröffnen. Es wäre ein mutiger Schritt, einen anderen Weg zu gehen, der sicherlich mehr als untypisch wäre. Ob es sich lohnt, würde sich zeigen. Herausforderung wäre aber sicherlich im ersten Schritt, die richtigen Personen für so eine Gruppe zu finden. Wenn allerdings nur ein Spieler über ein solches Format in das Blickfeld des VfL gerät, den man sonst wohl nicht gefunden hätte, dieser Leistung bringt und teuer weiterverkauft werden kann oder signifikanten sportlichen Mehrwert liefert, wird sich der Einsatz schon mehr als gerechnet haben, denn die personellen und technischen Aufwände für ein solches Format sind sehr überschaubar.

Nichtsdestotrotz sollte der VfL die geplanten Investitionen in das Scouting nicht zu lang auf Eis legen. Vor allem in Puncto Data Analytics stehen wir gerade erst am Anfang von dem, was langfristig möglich sein wird. Schafft man es hier, durch die richtigen Köpfe und wissenschaftlichen Ansätze in eine führende Position zu kommen, kann dem Verein ein nicht unwesentlicher Wettbewerbsvorteil verschafft werden – wo wir wieder bei der Preisbildung auf Märkten durch asymmetrische Informationen vom Anfang wären. Auch wenn harte Datenanalyse nicht die romantische Fußball-Welt vieler Fans passt. Sie wird uns zukünftig begleiten. Ob wir wollen oder nicht.

Das Ganze ist und bleibt eine wahnsinnig komplexe und vielschichtige Materie. Wir sind gespannt, wie sich der VfL in Puncto Scouting zukünftig aufstellen will und wird

Autor: Claudio Gentile

Als gebürtiger Bochumer wurde ich das erste Mal im zarten Alter von sechs Jahren ins Ruhrstadion geschleppt. Der VfL verlor. Was auch sonst. Trotzdem ließ mich der Verein nicht mehr los und spätestens als ich ein paar Tage nach meinem ersten Stadionbesuch das legendäre Papagei-Trikot mit einem "Peter Peschel"-Flock überstreifen durfte, war es um mich geschehen. Das ist jetzt 26 Jahre, wenig Siege und viele Niederlagen her. Wo die Liebe im Fußball hinfällt, kann man sich ja bekanntlich nicht aussuchen. Und eine Liga kennt Liebe auch nicht.

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