Der Keks (zer-)bröselt

Unentschieden im Heimspiel gegen Union Berlin

Der VfL Bochum kommt im Heimspiel gegen die Eisernen nicht über ein 1:1 hinaus. Personelle Neuausrichtungen des Coachs, teilweise gutes Powerplay und ein brennender Cristian Gamboa reichen nicht aus, um den für den Klassenerhalt dringend benötigten Sieg einzufahren. Wieder mal sprachen die Statistiken für uns, wieder mal peitschte das Ruhrstadion die Jungs nach vorne, wieder mal fehlten die Mittel, um ausreichend Tore zu erzielen. Bei weitem kein Katastrophenauftritt und rechnerisch ist noch alles drin – aber die Schlinge zieht sich zu. Ein Kommentar.

Trotz traumhaften Fußballwetters und dem bedingungslos vorhandenen Bock, mir den VfL live rein zu ziehen, bin ich am 31. Spieltag mit einem Druckgefühl im Bauch am Stadion angekommen. Nachdem Mathias Honsak am Freitag für einen Auswärtssieg der Heidenheimer sorgte und Holstein Kiel den Fohlen am Samstag zuhause vier Hütten einschenkte, war klar, dass der VfL nachziehen muss. Die rote Laterne wurde aus dem Norden mal wieder an die Castroper Straße zurück geschickt. Als Tabellenletzter wussten alle, dass ein Sieg alternativlos ist, um die bestmögliche Chance auf die Relegation zu wahren.

System und Personal

Das war auch Dieter Hecking bewusst – bereits vor dem Zeitpunkt, zu dem die Konkurrenz gewann. Ähnlich wie ich es im Fußballmanager 2013 am Laptop tat, organisierte er unter der Woche ein Teamevent, um die Stimmung innerhalb des Kaders aufzuhellen. Padel-Tennis und eine Familienrunde am Grill sollten dafür sorgen, dass die Mentalität nicht zu tief in den Keller rutscht. In weiteren Interviews benannte Dieter klar, das Spiel unbedingt gewinnen zu wollen – „scheiß egal, wie“.

Seine Forderung nach Optimierung und Verbesserung zeigte sich systemisch und personell auf dem Rasen. Erneut agierten unsere Jungs im ‚3-4-3/3-5-2‘-System. Cristian Gamboa übernahm auf der rechten Schiene für Felix Passlack. Matus Bero kehrte anstelle von Ibrahima Sissoko in die Zentrale zurück. Philipp Hofmann fiel einen Schnuff zurück auf die Zehn und Myron Boadu und Moritz Broschinski übernahmen statt Gerrit Holtmann und Georgious Masouras die Doppelspitze.

Gute Spielanteile und ein Gegentor in Halbzeit eins

Die erste Viertelstunde gehörte uns. Pressingorientiertes Spiel, drei Eckbälle und vereinzelte Torschüsse konnten verbucht werden. Das Tor machte in Minute 17 jedoch Benedict Hollerbach für die Gäste. Die auf einen bitteren Ballverlust von Jakov Medic folgende Ecke fiel ihm in der zweiten Reihe vor die Füße. Maximilian Wittek fälschte seinen Distanzschuss ab, sodass er, am chancenlosen Timo Horn vorbei, im langen Eck einschlug.

Der VfL ließ den Kopf nicht hängen, blieb aktiv am Ball. Eine knapp am rechten Giebel vorbeizischende Rakete aus 30 Metern von Wittek und ein Schuss aufˋs lange Eck von Medic, den Leopold Querfeld mit seiner Lockenpracht zur Ecke klärte, waren die Highlights, die im ersten Durchgang erspielt werden konnten.

Risiko und überlegenes Spiel in Halbzeit zwei

Zu Beginn des zweiten Abschnitts ging Hecking aufˋs Ganze. Masouras kam für Gamboa und von dort an wurde mit vier Stürmern im ‚4-2-4‘ gespielt. Nachdem Andrej Ilic fünf Minuten nach Wiederanpfiff beinahe das 0:2 erzielte, schoss auch Tom Krauß an den Pfosten. In Minute 61 kamen Dani de Wit und Gerrit Holtmann für Broschinski und Hofmann. Der Holländer wurde nur wenig später von Querfeld im Strafraum derart am Trikot gezogen, dass Referee Deniz Aytekin auf Zureden des VAR auf Elfmeter entschied. Bero trat an, vergab kläglich und versenkte den zu ihm zurückprallenden Ball zum Ausgleich.

Anschließend übernahmen unsere Jungs zunehmend die Regie. Das blieb auch bis zum Abpfiff so. Eine Chance von Hollerbach für die Gäste, ein beinahe-Eigentor von Bernardo und ein stark parierter Kopfball von de Wit waren das einzig Nennenswerte, was noch geschah. So beendete Aytekin die Partie beim Stand von 1:1.

Neues Spiel – gewohntes Leid

10:5 Torschüsse, 509:262 gespielte Pässe, 23:10 Flanken, 66:34 % Ballbesitz, 10:4 Ecken – das Spiel gehörte eindeutig uns. Und trotzdem, ich kann es selbst schon nicht mehr lesen, konnten die Jungs wieder nicht gewinnen. Erneut fehlten uns in den relevanten Momenten die Ruhe und Effizienz, um als Gewinner aus einer Partie zu gehen. Häufig pendelte das Ballbesitzspiel zwischen den Extremen.

Entweder war dort Hektik, die sich durch vorschnelle Fehlpässe, Tritte über den Ball in aussichtsreicher Position und unnötig verschenkte hohe Bälle ins Niemandsland der Berliner Abwehr äußerte. Oder es war dort eine für mich persönlich kaum erklärbare Passivität, im Zuge derer die Jungs den Ball im Stile einer Handballmannschaft unkreativ durch die Defensivreihen kreisen ließen, ohne einen guten Akzent in die vordere Region herausarbeiten zu können.

Für einen einschnürend ruckartigen Temperaturabfall in meinem Enddarm sorgte der Rückpass von Bernardo, den dieser ohne händeringende Not unpräzise und wuchtig in Richtung des eigenen Tores spielte. Dem Blitzantritt unseres Keepers ist zu verdanken, dass wir nicht aufgrund eines Obergaus in Rückstand gingen und dadurch womöglich gar ohne jeglichen Punkt dort stehen.

(Noch) Zurecht in Liga eins (?)

Dass Hecking von den Jungs aktiv verlangte, eine „Drecksack-Mentalität“ zu zeigen, ließ sich meines Erachtens nach nur bei Cristian Gamboa sehen. Wild und aggressiv ackernd zeigte er auf seinem rechten Flügel klar, wie wichtig und wertvoll es ihm zu seien schien, mal wieder (in der Startelf) ran zu dürfen. Tom Krauß und Moritz Broschinski zeigten phasenweise durch Antritte, Bemühen und Gesten, dass ihnen daran gelegen zu sein scheint, das Ruder herum zu reißen.

Motivation und Mentalität in allen Ehren – ich komme nicht drum herum, die Qualitätsfrage zu stellen. Nachdem es zum wiederholten Male nicht gelang, trotz hohen und teils guten Spielanteilen genug Tore zu erzielen, komme ich zunehmend realistisch zu der Frage, ob wir noch in der zu uns passenden Spielklasse antreten.

Wenn ein hoher Ballbesitz und teils massiger Platz für ruhiges Aufbauspiel nicht reichen, um sich zu gefährlichen Angriffen zu kombinieren. Wenn die vereinzelt gelingenden Vorstöße bis zum gegnerischen Sechzehner gesät und nicht genug Tore für einen Heimsieg geerntet werden. Wenn der Coach das System und die Startaufstellung mehrfach in dem Maße, das die Breite des Kaders hergibt, ändert, anpasst, variiert – und trotzdem niemand entscheidend dazu beitragen kann, individuell oder im Kollektiv hervor zu stechen.

Reicht es dann noch für erstligareifen Fußball? Haben wir dann das Zeug, uns noch einmal irgendwie zu retten? Ist es dann verdient, nach drei stets knapper gewordenen Klassenerhalten den Abgang zu machen? Ist es dann überhaupt sinnvoll, sich zum vierten Mal in Folge auf Scheitelhöhe schwimmend vor dem Ertrinken zu retten? Dahingehend werden wir alle unterschiedliche Antworten und Meinungen finden – und das ist auch gut so.

Ganz egal in welcher Liga, VfL Bochum muss es sein!

Dass diese Passage in Bochum nicht nur gesungen, sondern auch gelebt wird, zeigte die Atmosphäre im Stadion. Beginnend bei der schönen Choreo zum Anpfiff. Sich fortsetzend bei laut geschlossenem Gesang über 90 Minuten hinweg. Endend bei einer aufmunternd motivierenden Ansprache aus der Ostkurve nach Abpfiff. Unabhängig von der sich zuspitzend brenzligen sportlichen Situation erleb(t)en die Jungs im Ruhrstadion einen stabilen Rückhalt.

Das scheint zu zeigen, dass die Hoffnung das ist, was in Bochum zuletzt stirbt. Und dass wir uns alle bewusst und sicher sind, den Weg bedingungslos gemeinsam fortzusetzen. Dass wir uns nicht entscheiden, das Team gellend auszupfeifen sondern trotzdem schauen, das Beste draus zu machen. So gefällt es mir und dafür liebe ich den VfL so sehr.

Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass die kommenden drei Spiele uns nochmal Spaß bereiten und vielleicht doch noch der eine oder andere Moment der Freude und Ekstase dabei sein wird. Auch, wenn wir uns möglicherweise schrittweise in Richtung der benannten Abschiedstournee bewegen. Auch, wenn es kommenden August in der zweiten Bundesliga weiter gehen sollte.

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Autor: Lennart Markmann

Am 19.02.2005 stand ich erstmals in der Ostkurve. Die geschenkte Karte eines Bekannten öffnete mir damals die Tür zu Block O links. Drei traumhaft rausgespielte Buden von Zwetschge Misimovic, Raymond Kalla und Tommy Bechmann sorgten dafür, dass der SC Freiburg punktlos aus der Stadt und der VfL nicht mehr aus meinem Herzen verschwand. Seitdem genieße ich die Höhen und Tiefen als Bochumer Junge. Lange Zeit in der Ostkurve stehend, anschließend in Block H1 sitzend und mittlerweile mit 34 Jahren auf dem Altherrenplatz in Block M1.

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Einsachtvieracht-Stammtisch #96

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