Matthias Rauh 
Der VfL Bochum trifft auf den Europa League Teilnehmer SC Freiburg. Nach einem erfolgreichen Achtelfinalhinspiel am Donnerstag gegen West Ham kommt die Mannschaft aus dem Breisgau anne Castroper. Die bisherige Saison läuft durchschnittlich. Im Gespräch mit Patrick Röttele vom ‚Spodcast Freiburg‘.
Wie ist zurzeit die Stimmung in Freiburg?
Das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Der Start ins Jahr 2024 lief durchwachsen, was man auch daran sieht, dass man aus den letzten fünf Ligaspielen nur zwei Punkte geholt hat. Emotionale Highlights wie das Weiterkommen gegen Lens in der Europa League und der Punktgewinn gegen die Bayern überstrahlen aktuell aber vieles.
Donnerstagabend ein zehrendes Heimspiel gegen die ‚Hammers‘ aus London – Sonntagabend nach langer Reise an die Castroper Straße. Mit welcher Erwartungshaltung tritt man nach der Europa League Nacht in Bochum an?
Das letzte Auswärtsspiel in Augsburg nach einer Europapokalnacht (zugegeben über 120 Minuten) war sehr ernüchternd, da die Mannschaft die Intensität des FCA gar nicht mitgehen konnte. Nach diesem Hinspiel gegen West Ham jetzt auswärts bei einem sehr intensiven VfL in einem sehr unbequemen Stadion spielen zu müssen, sorgt nicht gerade für Optimismus.
Wie ist dein erstes Fazit nach dieser Europapokalsaison für den SC Freiburg?
Belastungsauswirkungen auf die Liga hin oder her, europäische Spiele sind magisch und entschädigen diese Saison für vieles mittelmäßige in der Liga. Ich würde alles dafür geben, das nächstes Jahr wieder zu erleben.
Unabhängig vom Abschneiden im Europapokal. Wurden die Erwartungen der Fans erfüllt? Konnte man sich in Europa so präsentieren wie man es sich wünscht? Gab es für dich (sportlich) einen besonderen Europapokalmoment?
Man hat jetzt die zweite Gruppenphase in der Europa League in Folge überstanden. Gegen Achtelfinalgegner West Ham war man in der Gruppe relativ chancenlos, dennoch muss man ein Team wie Piräus erst mal hinter sich lassen.
Die magische Heimspielnacht gegen Lens, wo man nach 0:2-Rückstand noch 3:2 in Verlängerung gewinnen konnte, war für mich persönlich ein Top 3-Stadionmoment meines Lebens.
Christian Günter ist nach auskurierter Langzeitverletzung wieder dabei – wie sehr und inwiefern profitiert das Team von ihm?
Das Team braucht ihren Kapitän vor allem emotional auf dem Feld. Lautsprecher auf dem Feld sucht man nach den Abgängen von Nico Schlotterbeck und Mark Flekken in den letzten beiden Sommern ohne Günter vergeblich und die ungewohnten defensiven Wackler diese Saison hängen mit Sicherheit auch ein Stück weit hiermit zusammen.
Außerdem öffnet Günter das Spiel für Vincenzo Grifo, da die beiden durch ihr blindes Verständnis instinktiv Räume für den anderen schaffen.
Wofür würdest du dich als Fan entscheiden, falls du es tun müsstest – in diesem Europa-League Jahr weit kommen oder mehr in die Bundesliga investieren, sodass der SCF erneut in die Top-6 kommt?
Ich möchte ja in die Top-6 der Bundesliga kommen, um wieder europäisch zu spielen. Das Ganze aber nicht für die Teilnehmerurkunde, sondern um international für Furore zu sorgen. So gerne ich also die erneute Qualifikation hätte, ein Europa League-Halbfinale und Platz 11 in der Liga würde mich glücklicher machen als Platz 6 und das Ausscheiden gegen West Ham.
Wie bewertest Du die Entwicklung des Kaders in dieser Saison? Gab es eine große Überraschung für dich? Hat ein Spieler einen Entwicklungssprung gemacht, der ihm in der Form nicht zugetraut wurde oder hat ein Spieler stark nachgelassen?
Der letzte Sommer lief auf dem Transfermarkt äußerst ernüchternd für den SC ab. Diverse Spieler, die man gerne holen wollte, kamen nicht in den Breisgau. Junior Adamu, der tatsächlich aus Salzburg kam, konnte bisher keinen positiven Einfluss auf das Spiel nehmen.
Die dünne Kaderaufstellung zwang aber noch mehr als sowieso schon zur Talententwicklung. Hier stechen besonders Jordy Makengo, Noah Weißhaupt und Merlin Röhl hervor, die alle wichtige Minuten in dieser Saison gegangen sind. Gerade Röhl gibt dem SC-Spiel mit seinen Läufen und seiner Geschwindigkeit ein Element, das sonst nicht vorhanden ist.
In der letzten Saison bestach der Freiburger Fußball mit einer starken Defensive und einer sehr eingespielten Offensive vor dem gegnerischen Tor. Zudem fand der SC immer Lösungen für die jeweiligen Gegner. Führst du die teilweise holprige Saison bisher auf die Mehrfachbelastung zurück?
Es ist ein Mix aus vielen Dingen. Wie bereits beschrieben, ging man mit einem recht dünnen Kader in die Saison. Dazu kamen ungewöhnlich viele Verletzungen, nachdem man da in den letzten Saisons sehr viel Glück hatte. Dies sorgte dafür, dass die Spieler, die fit waren, unglaublich viele Minuten abreißen mussten, was bei ihnen wiederrum für eine erhöhte Verletzungsgefahr sorgte. Dieser Teufelskreis scheint langsam ein Ende zu finden, in 2-3 Wochen ist mit einem, bis auf Kyereh, vollständigen Kader zu rechnen.
Mit dem Transfer von Florent Muslija stach der SC Freiburg unter anderem auch den VfL Bochum im Werben aus. Wie macht er sich bisher beim SCF?
Für den SC unter Streich nicht ungewöhnlich, spielt Muslija bisher noch nicht sonderlich viel. In den Kurzeinsätzen, die er bisher sammeln konnte, war mein Eindruck aber durchaus positiv.
Wie sah es bei Heim- und Auswärtsspielen im internationalen Wettbewerb aus? Gab es einen Austausch mit den Fans der anderen Teams?
Das ist unterschiedlich. In der Vorsaison entstand eine kleine Freundschaft mit den Anhängern des FC Nantes. Diese Saison ist noch nicht sonderlich viel auf der Ebene passiert. Allerdings durfte West Ham auch keine Anhänger mit nach Freiburg bringen, die Piräus-Fanszene ist nicht unbedingt für ihre Freundlichkeit bekannt und der dritte Gruppengegner Backa Topola hatte kaum gewachsene Fanstrukturen.
Christian Streich gilt als emotionaler Trainer, der auch viele Körner an der Seitenlinie lässt. Konntest Du im Laufe der Saison auch bei ihm Anzeichen von Erschöpfung ausmachen?
Nach der 0:5-Niederlage in Stuttgart im September gab Streich in einem ’11Freunde‘-Interview zu Protokoll, dass er langsam merkt, dass seine Kraft nachlässt. Das war zumindest an der Seitenlinie nicht wirklich zu sehen.
Gibt es konkrete Pläne wie man mit den Mehreinnahmen aus Europa umgeht oder wird weiterhin konservativ geplant und investiert?
Man ist aktuell diesbezüglich in einer Selbstfindungsphase. Im letzten Sommer wollte man transfertechnisch in ein höheres Regal greifen, ohne aber „verrückte Dinge“ (Zitat Streich) zu tun. Damit ist man ziemlich Baden gegangen, da man gerade wegen der guten finanziellen Lage, von der andere Vereine auch wissen, die aktuellen Marktgegebenheiten nicht einfach ignorieren kann. Nun stellt sich die Frage, ob man irgendwann bereit ist auch ins Regal 15-20 Millionen Euro pro Spieler zu greifen, oder ob man beim „Freiburger Weg“ bleibt und entwicklungsfähigere Spieler kauft, die vielleicht kurzfristig dafür sorgen, dass man die aktuelle Tabellenregion nicht halten kann. Auch in Hinblick auf die Altersstruktur im Kader (einige Stammspieler sind inzwischen Ende 20 bis Anfang 30) stehen hier sehr spannende ein bis zwei Jahre an.
Verstärkt ein angekündigter Abschied Jürgen Klopps aus Liverpool die Sorge, dass auch die endliche Zeit von Christian Streich voranschreitet?
Den Abgang von Jürgen Klopp hätte es nicht gebraucht. Es würde mich inzwischen überraschen, wenn Christian Streich die Saison 25/26 als SC-Trainer beginnt. Für die nächste Saison sehe ich die Wahrscheinlichkeit bei in etwa 50-50. Gerade in Phasen, in denen es schlechter läuft und der Blick eher nach unten in der Tabelle geht, merkt man Streich an, wie sehr das an ihm zehrt. Er wollte immer mit erhobenem Haupt und einem gut bestellten Boden aufhören und so weh es persönlich tut, eigentlich ist der Zeitpunkt nun fast perfekt.
Trotz aller finanzieller Unabhängigkeit ist eine Saison mit drei Wettbewerben immer schwer zu planen. Wie siehst Du rückblickend den Kader aufgestellt? Meinst Du es gab an einer Stelle Verbesserungsbedarf?
Im Defensivbereich waren viele Engpässe vor allem mit gesundheitlichem Pech zu erklären, das nicht planbar war. Im Mittelfeldzentrum und im Offensivbereich ging man aber eindeutig zu dünn aufgestellt in die Saison. Zwei bis drei Spieler mehr im Kader, hätten einige Spiele leichter gemacht.
Spricht man eigentlich in Freiburg immer noch von 40 Punkten plus x oder ist man von Vereinsseite offensiver bei den Saisonzielen?
Der Verein spricht immer noch davon, zunächst den Klassenerhalt zu sichern. Von Spielerseite ist das inzwischen kaum noch zu hören, wenn dann nur von den Alteingesessenen wie Christian Günter. Ritsu Doan sagte zum Beispiel in der Saisonvorbereitung, dass er bei einer idealen Saison die Champions League-Qualifikation nicht für unrealistisch hält.
Wie sind deine Erwartungen für die Restsaison?
Ich hoffe auf einige weitere magische europäische Nächte. In der Liga hatte man zu Beginn der Rückrunde fast alle Top-Teams bereits auf dem Spielplan, da stehen nur noch Spiele gegen Leipzig und Leverkusen und ansonsten gegen die untere Tabellenhälfte an. Daher wäre ein Run schon noch möglich. Letztlich bin ich aber relativ entspannt, denn großes Drama scheint bei der Schwäche der letzten Drei in der Tabelle fast ausgeschlossen.
Was hältst du vom VfL Bochum in dieser Saison. Denkst du, ein erneuter Klassenerhalt ist drin?
Der VfL ist, auch wegen Keven Schlotterbeck, eines der Teams in der Bundesliga, dem ich gerne zuschaue. Mit eurer Heimstärke und der Spielweise, mit der man gegen jedes Team an einem super Tag Chancen auf Punkte hat, sehe ich euch auf jeden Fall genug Punkte für den Klassenerhalt sammeln. Notfalls alleine deshalb, weil Mainz, Köln und Darmstadt selbst zu wenige Punkte sammeln.
Dein Tipp fürs Spiel?
Bochum ist heimstark, der SC vielleicht etwas müde, ich hoffe dennoch, dass wir mit einem 1:1 einen Punkt von der Castroper mitnehmen.
Vielen Dank für das Interview!
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