Der Klub strahlt viel ins Umland – im Gespräch über RB Leipzig

Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)

RB Leipzig ist mit das umstrittenste Konstrukt im deutschen Fußball. Rein fürs Marketing gegründet und von den aller meisten Fans der anderen Vereine abgelehnt, hat sich der Verein allerdings in der höchsten deutschen Spielklasse fest etabliert und ist dauerhaft in der Champions League. Am kommenden Samstag trifft unser VfL auf den Verein aus Ostdeutschland. Wir veruchen ein möglichst neutrales Gespräch als Vorbereitung auf das Spiel. Im Gespräch mit Ulrich Kroemer, Journalist und Buchautor und beim Fanportal RBlive.de aktiv.

Wie ist zurzeit die Stimmung in Leipzig?

Ziemlich schlecht. RB ist mit der Ansage ins neue Jahr gestartet, den Abstand zu den Spitzenteams zu verringern, noch ein Wörtchen um die Meisterschaft mitzureden und Real Madrid zu schlagen. Nun setzte es im neuen Jahr schon fünf Niederlagen. RB hinkt den eigenen Erwartungen hinterher. Das Umfeld hier ist erfolgsverwöhnt. Wenn die Leipziger mal nicht auf einem Champions-League-Platz stehen, wird es schnell unruhig – im Verein ebenso wie bei den Anhängern. Alles im Klub – Kader, Gehälter, Etat, Transferpolitik – ist auf die CL ausgerichtet.

Wird Bochum denn als Gegner gesehen oder sind die Augen schon auf das Rückspiel gegen Real Madrid gerichtet?

Bochum wird sehr ernst genommen. RB weiß, dass es unverzeihlich wäre, wieder Punkte gegen den VfL liegen zu lassen. In der aktuellen Situation mit dem Zweikampf gegen den BVB um Rang vier ist jedes Spiel wie ein Endspiel um den großen Milllionentopf für RB. Leipzig muss aus den nächsten vier Spielen gegen die letzten Vier der Tabelle zwölf Punkte holen.

Stand heute – wie bewerten Sie die Saison des Umbruchs? Konnten die Neuzugänge Sesko oder Openda die Erwartungen erfüllen?

Nkunku, Szoboszlai, Gvardiol und Laimer sind nicht adäquat ersetzt worden. Die jungen Spieler machen es gut, sind aber noch lange nicht auf dem Niveau der Abgänge. Openda und Sesko sind hervorragende, technisch und körperlich gute Stürmer mit ganz unterschiedlichen Qualitäten, aber sie vergeben noch zu viele Chancen und sind noch nicht konstant. Es ist ihr erstes Bundesliga-Jahr …

Mit Xavi Simons ist ein Leistungsträger dieser Spielzeit nur geliehen. Bleibt er länger in Leipzig?

RB versucht, ihn noch eine weitere Saison zu leihen, aber das wird schwer. Xavi ist zu höherem berufen. Falls RB die CL schafft, ist möglicherweise ein Türchen offen, wenn Paris ihn noch nicht sofort gebrauchen kann.

Wer wird der kreative Kopf im Falle eines Abgangs von Xavi Simons?

Dann müsste hoffentlich Dani Olmo bleiben und es wird Neuzugänge geben müssen, die das auffangen können. Im aktuellen Kader ist keiner dabei, der der nächste Xavi werden kann.

Wie ist der erste Eindruck von Elmas?

Schwach. Er kam für über 20 Millionen aus Neapel, bisher hat man nichts von ihm gesehen. Er braucht viel zu lange Zeit, um sich zurechtzufinden.

Lebt der Bochumer Junge in Lukas Klostermann noch?

Klar, neulich erst auf der Straße getroffen 😉 Klosti hat eben erst verlängert und macht sein Ding ganz besonnen und westfälisch trocken. Er hat sich bisher immer ins Team zurückgekämpft, hat leider gerade einen Muskelfaserriss.

Welche Persönlichkeiten innerhalb des Vereins (Spieler, Trainer, Management) findest du besonders prägend für den Charakter und Erfolg von RB Leipzig?

Für mich ist RB immer noch Ralf Rangnick. Er hat das aufgebaut und geprägt, was hier entstanden ist. Sonst: Willi Orban und Yussuf Poulsen. Zwei äußerst sympathische Spieler, die sich hier Liga für Liga und Saison für Saison nach oben gekämpft haben und nun schon eine Dekade hier sind.

Wie siehst du die Rolle von RB Leipzig im deutschen und europäischen Fußball angesichts der engen Verbindung mit Red Bull?

RB hat die Fußballlandschaft verändert und ist eine Ausprägung des modernen Fußballgeschäfts und unserer Vermarktungs-Gesellschaft, genau wie etwa das Konglomerat um ManCity und PSG. RB hat es allerdings exklusiv, dass der Verein nur deswegen gegründet wurde, um Marketing zu betreiben. International bringt das Red-Bull-Netzwerk natürlich Vorteile durch eine gemeinsame Red-Bull-Soccer-Unit unter Leitung von Mario Gomez, durch die die Standorte Braganca, Leipzig und New York vernetzt sind – und eigentlich auch Salzburg, aber offiziell müssen die Klubs auf Uefa-Anweisung ja entflochten sein ..

Wie hat RB Leipzig die Fußballkultur in Leipzig und Umgebung verändert?

Naja, die traditionellen Fanlager von Lok und Chemie gibts immer noch. In der Stadt selbst hat RB keine übertrieben große Fanbase. Aber der Klub strahlt viel ins Umland und hat auch Publikum aus Sachsen-Anhalt, Thüringen etc.

Wie würden Sie das Verhältnis zwischen RB Leipzig und seinen Fans beschreiben? Gibt es Besonderheiten im Vergleich zu anderen Bundesliga-Vereinen?

Keine Mitbestimmung 😉 Zumindest kein Recht der Mitbestimmung. Es werden Anliegen der Anhänger aber durchaus vom Klub gehört und es wird versucht, dem nachzukommen. Sonst ist speziell, dass die aktive Fanszene mit Red Bull gar nichts zu tun haben will, sondern sehr stark den Wert für Leipzig und den traditionellen Fußballstandort Leipzig und das Zentralstadion in den Mittelpunkt stellt.

Es kommt vermehrt zu international überspannenden Partnernetzwerken. Nutzt Leipzig das Firmennetzwerk überhaupt (noch)?

Schon, Forsberg ging im Winter als neues Aushängeschild nach New York. In Brasilien wird genau hingeschaut, da gibt es einige interessante Spieler und einen Linksverteidiger Candido, der auch schonmal bei RB war (und scheiterte). Aber da gibt es noch Potenzial. Und aus Salzburg kommen ja regelmäßig einige der besten Spieler,

Als Hauptstandort sollte Leipzig aus dem Netzwerk doch mehr Spieler erhalten als bisher. Gefühlt kommt viel aus Salzburg, doch wenig aus dem Rest der Welt. Gibt es hierfür Erklärungsansätze?

Es ist schwer, in Brasilien und den USA Spieler für die Champions League auszubilden. Da sucht Red Bull noch nach dem richtigen Weg. Ein Spieler wie Tyler Adams hat es mal geschafft, andere wie Caden Clark scheiterten.

Ist Oliver Mintzlaff Leipzig?

Er vereint seit jeher viele Ämter auf sich und ist aktuell als Red-Bull-Chef und Aufsichtsratschef noch immer exrem nah dran am Klub. Die wichtigen Entscheidungen laufen über seinen Schreibtisch. Das ist natürlich kritisch, da er als Vertreter des Investors und Sponsors ja keinen entscheidenden Einfluss auf die Vereinsgeschicke haben darf.

Nike oder Puma?

Nach zehn Jahren Nike ist mal was Neues fällig. Ich bin mal gespannt auf Puma, aber das ist eher ein Fanthema für meinen Sohn. Ich als Journalist habe kein einziges RB-Trikot.

Der neue Puma-Deal bringt neues Budget. Doch geht es nicht eher um Prestige als eines der führenden Teams der Marke?

Beides. Mehr Kohle und mehr Prestige/höheres Rankling beim Ausstatter als bei Nike/mehr exklusive Kollektionen etc.

Zuletzt sind immer wieder Führungspersönlichkeiten gewechselt. Teils nach einigen Monaten im Verein. Ist mit dem Abgang von Ralf Rangnick Beständigkeit gewichen?

Das muss man so konstatieren, ja. Spätestens nach dem Abgang von Julian Nagelsmann kam keine Ruhe mehr auf den Führungspositionen mehr rein. Aktuell versucht sich RB mit Marco Rose wieder an Beständigkeit.

Mit Bernardo spielt ein Ex-Leipziger aktuell in Bochum und begeistert. Überrascht es dich?

Dass er da spielt oder dass er begeistert? Dass es so gut in Form ist und die meisten Zweikämpfe in der Liga gewinnt, finde ich schon überraschend, weil er bei RB nie die ganz große Rolle gespielt hat. Aber er ist ein super Typ und ich freue mich für ihn, dass er gerade im Fokus steht.

Was hält man in Leipzig vom VfL und was denkst du, was für den VfL in dieser Saison drin ist?

Man schaut schon nach Bochum, weil RB da immer mal Punkte lässt und mit Thomas Letsch ja ein ehemaliger Red-Bull-Trainer im Amt ist. Aber eine besondere Beziehung zum VfL gibt es nicht.

Dein Tipp fürs Spiel?

Schwierig, mein Bauch sagt mir 1:1, aber eigentlich darf sich RB keinen weiteren Patzer leisten. Also sage ich ganz rational: 2:1-Auswärtssieg 😉
Vielen Dank für das Interview!

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Autor: Matthias Rauh

Obwohl in Bayern wohnhaft besitze ich eine Dauerkarte beim VfL und versuche, jedes Heimspiel und jedes Auswärtsspiel im Süden vom VfL mitzunehmen. Meine Begeisterung für den VfL entwickelte sich in der Saison 2006/07, endgültig besiegelt wurde sie bei dem eigentlich völlig belanglosen Spiel Karlsruher SC gegen den VfL im Jahr 2008. Während eines Fußballturniers wollten meine Mannschaftskameraden in der Bundesligakonferenz ständig die Zwischenstände von Bayern München und Nürnberg wissen, ich erntete misstrauische Blicke, als ich den Zwischenstand von Bochum wissen wollte. Abstieg, Relegation, Funkel, Neururer... ich bin immer noch dabei und freue mich immer mehr auf Spiele wie Bochum gegen Sandhausen als Bayern gegen Dortmund.

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