Der lang erwartete Saisonstart geht voll in die Hose. Letsch lernt nichts aus dem Pokalspiel gegen Bielefeld und überfordert seine Mannschaft mit zu viel Flexibilität in Systemen und Ausrichtung. Die Folge ist eine krachende Niederlage. Wir analysieren den Ansatz unseres Cheftrainers und seine Folgen.
Die Startaufstellung hatte bereits mit ersten Überraschungen aufzuwarten. Anstatt der positionstreuen Alternative Christopher Antwi-Adjei musste Lukas Daschner für unseren Neuzugang Maximilian Wittek weichen. Ansonsten blieb die Startelf gegen Bielefeld bestehen. Anstatt Cristian Gamboa, der nach seiner Einwechslung im Pokal überzeugte, behielt Felix Passlack den Startplatz auf dem rechten Flügel.
Thomas Letsch spielte erneut mit Hybridformationen. Gegen den Ball wechselte er zwischen hohem mannorientiertem Pressing im 3-4-1-2 und tiefem, abwartenden eher raumorientierten Pressing im 5-4-1/5-2-2-1. Mit Ball gab es bei tiefem Aufbau gegen hohes Pressing wieder das 4-2-2-2, während bei weniger Druck auf ein 3-4-3/3-4-2-1 gesetzt wurde. Ziemlich viele Telefonnummern, auf die ich gleich weiter eingehen werde, aber eine Kernaussage – ein ständiger Wechsel zwischen Grundformation und strategischer Ausrichtung!
Tiefer Aufbau im 4-2-2-2
Das 4-2-2-2 war schon die bevorzugte Aufbauformation gegen Bielefeld. Anders als im Pokal, wo Passlack als Außenverteidiger tief blieb, während Jimmy als hoher Flügelspieler agierte, rückte nun Ordets eine Reihe neben Losilla vor. Riemann füllte die Lücke zwischen den Innenverteidigern auf und sorgte für Überzahl gegen die beiden Pressingspitzen Jeong und Guirassy in Stuttgarts 4-4-2. Stöger schob vor neben Asano und Jimmy besetzte die Spitze neben Hofmann.
In der Theorie war diese Überladung gegen das durch den Abgang von Stuttgarts Mittelfeldanker Wataru Endo geschwächte Stuttgarter Zentrum eine gute Idee. In der Praxis fanden die beiden Aufspieler Bernardo und Masovic jedoch nie die Passwege, um Stöger und Asano einzusetzen, auch da Stuttgarts Trainer Sebastian Hoeneß diese Anpassung schnell erkannte und seinem Team nach 7-8 Minuten bereits Anpassungen mit auf den Weg gab. In TV-Bildern ist zu erkennen wie er 4-2-2-2 anzeigt. Danach fand nur noch Wittek in der 27. Minute mal Stöger, der direkt auf Asano weiterleiten konnte, was zur zweiten großen Chance mit zweifelhafter Abseitsposition führte. Stattdessen ging es zu den Außenspielern, die aufgrund der zentrumslastigen Formation keine direkten Anspielstationen hatten und unter Druck gerieten, oder zu Riemann, der mangels Alternativen lang auf Hofmann und Jimmy schlug. Somit ging dieser Plan nicht auf.
Geordneter Spielaufbau im 3-4-3 / 3-4-2-1
Bei dieser Variante hielt Ordets die zentrale Position, um gegen die beiden Pressingspitzen auch höher auf dem Platz die Überzahl zu halten. Vorne agierten Jimmy, Hofmann und Asano flexibel. Nach der Bekanntgabe der Aufstellung hatten wir im internen Einsachtvieracht-Chat schon die Möglichkeiten dieser Variante diskutiert. Hofmann könnte zurückfallen, um Bälle auf Stöger abzulegen, während Asano und Jimmy die so entstehenden Lücken anlaufen. Zudem könnten die Seiten durch eine breite Auslegung der offensiven Flügel überladen werden. Beides gab es jedoch kaum zu sehen. Nur bei Asanos Chance in der 58. Minute gelang es Wittek mal, Asano mit einem Lupfer Richtung Tor zu schicken.
Hofmann kam laut WhoScored auf insgesamt 9 Ballkontakte – 6 flache Pässe (4 erfolgreich abgelegt) und 3 Kopfbälle (2 behauptet). Folgeaktionen dazu gab es nicht. Asano und Jimmy hatten beide keine Dribblings und jeweils nur eine Flanke. Er wurde zur Halbzeit durch Zoller ersetzt.
Was passierte tatsächlich? Da Stuttgart das Zentrum dicht hielt, ging es meist auf die Außen. Wittek bot sich etwas tiefer an und auch Stöger lief sich weiträumig frei, so dass es meist über die linke Seite lief (48 % der Angriffe laut WhoScored). Da Stuttgart durch Jeongs rechtsseitige Position dort auch etwas mehr Räume anbot (siehe Taktiktafel), konnte Bochum so gelegentlich ins zweite Drittel kommen. Stuttgart fiel dann ins 5-4-1 zurück, indem Anton raus schob, um mit zu unterstützen, und Führich sich ballfern eingliederte. Direkte Durchbrüche wurden so erschwert. Stattdessen wurde mit scharfen Pässen ins Zentrum versucht, Jimmy oder Asano zentral einzusetzen. Dies gelang direkt bei Hofmanns Chance in der zweiten Minute, wo Jimmy Witteks Anspiel direkt in die Spitze weiterleiten und unser Sturmtank sich gegen Zagadou durchsetzen konnte.
Im weiteren Spielverlauf konnte dies aber nicht wiederholt werden, da Karazor gut aufpasste und das Timing zwischen den Pässen und den Läufen von Jimmy und Asano nicht wirklich passte. Alternativ versuchten Wittek und Stöger Flanken aus dem Halbfeld (jeweils 2 Flanken bei WhoScored), von denen jedoch keine ankam. Die geordneten Angriffe verpufften.
Hohes Pressing im 3-4-1-2
Im hohen Pressing schoben Jimmy und Hofmann auf Stuttgarts Innenverteidiger, während Asano sich an Karazor orientierte. Da Ito jedoch im Aufbau tief blieb, hatte Stuttgart stets eine Möglichkeit sich zu lösen. Passlack war durch Führich gebunden. Stöger orientierte sich an Stenzel, da Wittek Bernardo gegen Silas unterstützte.
In der Folge mussten die Mannorientierungen angepasst werden, was selten fließend gelang. Das hohe Pressing hatte also kaum Zugriff und bot Risiken. Deswegen wurde häufig auf eine passivere Variante gewechselt.
Abwartendes Belauern im 5-4-1/5-2-2-1
In dieser Formation orientierte sich Hofmann zwischen den Innenverteidigern und Karazor. Asano und Jimmy lauerten versetzt zwischen den Innen- und Außenverteidigern. Wittek und Passlack taten diese eine Reihe dahinter zwischen den Außenverteidigern und Flügelspielern. Losilla und Stöger nahmen Karazor und Millot auf. Bernardo, Ordets und Masovic waren je nach Angriffsseite Silas, Jeong, Guirassy und Führich zugeordnet.
Durch diese gemischte Zuordnung war man tendenziell in der Lage, von überall Zugriff herzustellen und schnell nach hinten zu doppeln. Oft gab es jedoch Probleme bei den Übergaben und herausrückenden Bewegungen, so dass Stuttgart immer wieder freie Optionen fand und sich Spieler im Rückraum freistehlen konnten. Insbesondere hinten mussten die drei Innenverteidiger viel übergeben, um mit drei Spielern vier gegnerische Spieler abzudecken. Ging es sehr schnell, konnten die Wingbacks und Losilla oft nicht rechtzeitig unterstützen.
Erneute Schwäche bei Standards
Der VfL verteidigt Ecken nach wie vor in einer Mischung aus Mann- und Raumdeckung. Die Zuteilung und Aktivität dabei lässt jedoch zu wünschen übrig. Bei Zagadous 2:0 verteidigen vier Verteidiger Guirassy und den Raum um ihn herum sowie zwei weitere Verteidiger (Hofmann und Bernardo) Zagadou, während Jeong zentral vorm Tor freisteht. Asano verteidigt den kurzen Pfosten, rennt jedoch schon bei der Ausführung der Ecke aus dem Tor und verwirrt damit seine Mitspieler. Bernardo blockt Hofmanns Laufweg und Zagadou kann ins kurze Eck einköpfen. Eine klarere , 1 zu 1 Zuteilung der Gegenspieler sowie eine gleichmäßigere Aufteilung der Räume wären hier anzustreben.
Die Mischung aus Mannorientierung und Raumorientierung passte nicht
Das 1:0 und 3:0 fallen nach Einwürfen. Die Zuordnung konnte also aufgrund der statischen Situation in Ruhe gefunden werden. Beim ersten Gegentor zog Jeong Ordets bis weit in die gegnerische Hälfte raus. Stöger schob zum Ball und verpasste Karazor in seinem Rücken, so dass dieser auf den hinter Asano freien Ito weiterleiten konnte. Der VfL hatte hinter dem Ball mit Losilla, Wittek, Bernardo, Masovic und Passlack zwar eine 5 zu 4 Überzahl gegen Ito, Führich, Guirassy und Silas. Da Bernardo sich jedoch mit Wittek sehr breit an Silas orientierte, klaffte ein riesiges Loch zwischen ihm und Masovic – auch da Ordets aufgrund Jeongs Verfolgung fehlte. Guirassy lief diese Lücke an und schloss erfolgreich ab. Wäre es tatsächlich eine Abwehrkette, hätte Bernardo diese Lücke bereits mit Ordets Herausrücken schließen müssen.
Beim 3:0 ist Masovic freier Mann und schiebt halbherzig raus, um Passlack gegen Ito und Führich zu unterstützen. Dadurch stehen Ordets, Bernardo und Wittek im 3 gegen 3 vor dem Tor. Führich kann in Ruhe flanken, Guirassy und Jeong ziehen Ordets und Bernardo ins Zentrum und Silas stiehlt sich am langen Pfosten hinter Wittek davon. Da die Flanke aufgrund des 2 gegen 1 am Flügel nicht zu verhindern war, hätte Masovic sich eher zentral einordnen müssen, um vor dem Tor Überzahl zu haben. Er hätte das Kreuzen dann aufnehmen können, so dass Bernardo den langen Pfosten hätte weiterhin besetzt hätte.
Nach dem 3:0 brachen alle Dämme. Stuttgart wurde immer selbstbewusster und flexibler, unsere Spieler waren komplett verunsichert. Die Analyse der weiteren Partie spare ich mir deshalb.
Fazit
Liegt es nun an der Dreierkette? Ich bin skeptisch. Sie ist natürlich ein Teil, das eigentliche Problem ist aus meiner Sicht aber eher, dass die klare strategische Ausrichtung der Vorsaison fehlt. Der VfL stand für Manndeckung und lange Bälle mit extremer Intensität.
Die Manndeckung gibt es noch. Sie wird aber aktuell zum Problem. Anstatt Zugriff zu erzeugen, öffnen wir damit riesige Räume. In der letzten Saison waren meist der Rechtsverteidiger und Losilla die freien Spieler. Der Rechtsverteidiger wechselte zwischen Auffüllen der Abwehrkette und Anlaufen des gegnerischen Außenverteidigers oder Schienenspielers, Losilla zwischen Halten des Zentrums und Auffüllen der Abwehrkette. Damit war der Rechtsverteidiger im Grunde ebenfalls mannorientiert, er wechselte nur in der Höhe und öffnete maximal Räume am Flügel. Losilla war der Anker, der dem Spiel so gut es ging die Balance gab.
Durch Asanos zentralere Rolle und Passlacks fehlende Präsenz in Zweikämpfen, ist der Mechanismus auf der rechten Seite anfällig. Mit Daschner oder Asano als Zehner fehlt das Rückwärtspressing und die gute Raumorientierung eines Philipp Försters bzw. die defensive Präsenz eines Patrick Osterhages. Dadurch muss Losilla zu große Räume abdecken. Mit nun drei zentralen Verteidigern ist ein weiterer freier Mann in der Abwehr. Dieser versteht es jedoch meist noch nicht, sich gut zu positionieren. Bernardo (1:0) und Masovic (3:0) waren jeweils zu mannorientiert und ließen so offene Räume direkt vor dem Tor.
Mit Ball haben die langen Bälle nachgelassen bzw. werden mehr in Richtung Flügel gespielt. Dadurch fehlt Hofmann die Aufgabe. Er ist völlig aus dem Spiel. Aus dem Spiel selbst fehlen uns aber noch die Mittel. Die Halbverteidiger werden im Aufbau kaum genutzt. Stattdessen spielen die Schienenspieler wie Außenverteidiger. Letsch muss sich nun entscheiden. Will er die Mannschaft mit Ball weiterentwickeln oder dreht er das Rad zurück.
Wie kann es weitergehen?
Hoffnung macht, dass diese Probleme schnell gelöst werden können. Gamboa kennt das System als freier Mann auf der rechten Seite aus der letzten Saison und könnte Passlack ersetzen. Zudem kennt er die Fünferkette aus der Nationalmannschaft von den Weltmeisterschaften 2014 und 2018. Matus Bero sollte mit seiner Präsenz und seinem Stellungsspiel Losilla wieder mehr Kontrolle geben. In der Abwehr könnte ein Positionswechsel zwischen Ordets und Masovic helfen. Ordets könnte wie in der Vorsaison die Räume hinter Gamboas Herausrücken zulaufen, während Masovic im Zentrum die Reihen schließt.
Zieht Letsch es durch und setzt weiterhin auf einen Aufbau mit drei Verteidigern, dann müssen Bernardo und Ordets/Masovic mehr Verantwortung übernehmen und aktiv aufbauen und andribbeln. Die Schienenspieler werden erst höher eingebunden, um sich nicht zu früh am Flügel festzuspielen. Außerdem sollte Daschner eine Chance als falsche 9 bekommen. Er könnte diagonale Anspiele aufnehmen, Asano oder Jimmy in die Tiefe schicken oder die Schienenspieler hoch freispielen.
Eine Alternative wäre eine Rückkehr zum Aufbau mit zwei zentralen Verteidigern und Außenverteidigern. Wittek zeigte trotz der schlechten Mannschaftsleistung bereits sehr gute Ansätze im Aufbau als Außenverteidiger. Er war bei allen gefährlichen Torsituationen unmittelbar beteiligt.
Dreht er das Rad zurück zu den langen Bällen, dann sollte das System in Ballbesitz in Richtung 3-5-2 bzw. 4-3-3 verschoben werden, je nachdem wie viel Absicherung man in letzter Linie braucht. Zwei aus Stöger, Bero und Förster stehen als Achter für die Ablagen von Hofmann bereit. Jimmy und/oder Asano gehen tief. Wittek und/oder Gamboa können neben Losilla einrücken, um die Linie dahinter zur stärken.
Hoffen wir, dass Letsch die richtigen Lehren zieht und wir gegen die Nachbarn im Osten einen anderen VfL Bochum sehen. Nach der Klatsche bei seinem Einstand in Leipzig, in der er die Mannschaft ähnlich überforderte, tat er dies bereits. Von daher, nur der VfL!
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