Hoeneß und die Aufbruchsstimmung: VfB Stuttgart vor Saisonstart mit gemischten Gefühlen

Im Gespräch mit Andy von „Rund um den Brustring“

Zeit, ein wenig in der VfL-Historie zu blättern Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)

Erst im Nachsitzen in der Relegation gegen den Hamburger SV (3:0 und 3:1) sicherte sich der VfB Stuttgart den Klassenerhalt. Trotz eines Kaderwerts von über 130 Millionen Euro schafften es die Schwaben oft nicht, die Leistung auf dem Platz zu zeigen. Auf Platz 18 stehend wurde dann mit Sebastian Hoeneß der vierte Trainer in der Saison 2022/23 installiert, bei dem man am Ende mit drei Siegen und vier Remis auf dem Relegationsplatz landete. Wir fragen deshalb einen Stuttgart-Fan, was er von dieser Saison erwartet.

Hallo Andy, wie ist die Stimmung momentan rund um den VfB Stuttgart?

Eigentlich habe ich geschrieben, die Stimmung ist positiv und es herrsche eine Aufbruchsstimmung. Allerdings war das vor dem Transfer von Endo und Mavropanos. Mittlerweile macht sich Panik breit, weil mit Endo DIE Identifikationsfigur und der beste Spieler der Mannschaft über Nacht und ohne Vorwarnung nach Liverpool wechselt. Während Mavropanos vorübergehend intern aufgefangen werden kann, haben wir auf einmal eine große Lücke im zentralen Mittelfeld und das kurz vorm Saisonstart.

Unter Bruno Labbadia war die Mannschaft in akuter Abstiegsgefahr. Mit Sebastian Hoeneß konnte sie stabilisiert werden und sich über die Relegation retten. Traut man ihm im Umfeld auch den nächsten Entwicklungsschritt zu oder wie sehen es die Fans?

Ja, mit Hoeneß ist wieder die Hoffnung zurück. Der VfB spielte wieder attraktiver. Das lag daran, dass man vom Brunoschen 4-3-3 zum 3-4-3 wechselte und mit Enzo Millot und Josh Vagnoman zwei Spieler auf einmal eine prominentere Rolle spielten, die unter Bruno Labbadia nur selten zum Einsatz kamen. Das lässt sich auch gut in Zahlen wiederspiegeln: Zählt man nur die acht Spieltage unter Sebastian Hoeneß, läge der VfB Stuttgart auf einen geschmeidigen fünften Tabellenplatz.

Am Ostersonntag in Bochum überließ der VfB dem VfL weitgehend das Spiel – was dem VfL eindeutig nicht lag. Werden wir diesmal einen VfB sehen der die Initiative ergreift?

Ich glaube, diesmal wird der VfB das Spiel machen. Erstens, weil man zuhause im heimischen Neckarstadion spielt und zweitens, weil ich glaube damals Sebastian Hoeneß noch keine Zeit hatte seinen Fußball zu implementieren und so diesen Ansatz gewählt hatte. Jetzt ist das System einstudiert und die Mannschaft auch selbstbewusster.

In welchen Bereich ist in der Sommerpause gearbeitet worden? Gab es ein Ziel des Trainers bzgl. der Spielweise?

Schaut man sich die Testspiele an, fällt einem auf, dass der VfB verschiedene Systeme ausprobiert hatte. Während man gegen Reutlingen (4:0) und Vitesse (2:1) im 4-4-2 spielte, setzte Hoeneß gegen Gladbach (1:5), 1860 München (1:0) und im Pokalspiel gegen die TSG Balingen (4:0) auf ein 4-2-3-1. Gegen Sheffield United (3:0) kam das alt bekannte 3-4-3 zum Einsatz.

Immer wieder geistern Abgangsgerüchte um Guirassy, Ito und Sosa umher. Traut man den Verantwortlichen zu bei Abgängen einen gleichwertigen Ersatz zu präsentieren oder was erwartet man, nachdem Wehrle im Interview mit der Süddeutschen Zeitung angekündigt hat weniger Ausbildungsverein zu sein?

Gibt es bereits Spieler im Kader, die die oben genannten Spieler ersetzen könnten?

Mit Mavropanos verlieren wir jetzt schon einen Stamm-Innenverteidiger, einen weiteren Abgang kann man sich zumindest sportlich nicht leisten. Anders sieht es bei Sosa und Guirassy aus. Für Ersteren könnte unser Neuzugang Mittelstädt einspringen. Der Ex-Herthaner ist aber eher als Back-Up geplant. Dann fällt mir noch Nartey ein, aber er ist leider noch bis Ende des Jahres verletzt. Wir haben zwar noch einige Linksverteidiger in der U21, aber diese sind nicht nennenswert und könnten ebenfalls den VfB verlassen. Bei Guirassy bin ich eher entspannter. Mit Undav kam ein Spieler, der ihn zwar nicht primär ersetzen soll, aber durchaus in der Lage ist, auf der Neun zu spielen. Alternativ ist das Nachwuchstalent Thomas Kastanaras noch da, aber er leidet weiterhin unter einem Mittelfußbruch.

Fluch oder Segen: Bleibt der Kader beisammen oder erwartet man noch große Einnahmen zum Ende der Transferperiode?

Ich denke wir werden noch ein paar Abgänge sehen. Mit 32 Spielern ist der Kader definitiv zu groß für die Bundesliga und ich schätze mal 10 Spieler davon werden jetzt ohne großes Verletzungspech wahrscheinlich nicht zum Einsatz kommen. Zudem liegt immer die magische Zahl von 20 Mio. € an Transferplus in der Luft. Stand jetzt liegt die Transferbilanz bei -14,5 Mio. €. Jetzt kurz vor Ligastart werden noch Mavropanos und Endo wechseln. Beide werden um 18 bis 20 Mio. € einbringen und haben wir noch Handlungsspielraum was Transfers angeht. Von den Rotationsspielern sehe ich Gil Dias, Luca Pfeiffer und Fabian Bredlow wechselwillig. Dias passt nicht so richtig ins System von Hoeneß und von ihm fehlt tatsächlich jede Spur. Weder war er bei keinem Testspiel dabei noch ist er bei – zumindest öffentlichen – Training nicht zu sehen. Pfeiffer (mittlerweile fixe Leihe zu Darmstadt, Anm. der Red.) und Bredlow werden wohl in die zweite Liga wechseln, wo sie definitiv die gewünschte Spielpraxis bekommen werden.

Welcher Spieler ist dir dir in der Vorbereitung besonders aufgefallen und könnte überraschen?

Enzo Millot hat seine Form aus der Rückrunde bestätigt. Besonders hervorheben möchte ich aber das ewige Nachwuchstalent Li Egloff. Es ist nach der Verletzung im letzten Jahr die entscheidende Saison für ihn und bis jetzt hat er auch in den Test – und Pokalspielen sehr aufgedreht. Die Trainingsberichte sind ebenfalls sehr positiv. Wir haben große Hoffnung auf ihn.

Welches Top-Talent aus dem eigenen Nachwuchs hat der VfB in der Pipeline?

In Stuttgart steht der 2005er Jahrgang hoch im Kurs. Langsam aber sicher kommen die Spieler aus dem Jahrgang in die U21. Besonder erwähnen will ich aber den Torwart Dennis Seimen (17 Jahre alt). Er gilt jetzt schon als das größte Torwarttalent Deutschlands. Dem Hype kann er auch gerecht werden. Zuletzt hatte er die gesamte Vorbereitung bei der ersten Mannschaft gespielt und konnte gut mitthalten. Wegen ihm ihm hat man sich auf eine Übergangslösung mit dem ausgeliehenen Nübel geeinigt. Dieses Jahr spielt er noch bei der Zweiten in der Regionalliga, aber nächste Saison er soll dann das Bundesligator (hoffentlich) hüten. Es gibt aber nicht wenige Fans, die sich ihn jetzt schon als Stammtorhüter wünschen.

Wie bewerten die Fans bisher die Transferperiode?

Die meisten Fans sind gerade sehr negativ zu sprechen. Eigentlich war alles durchweg positiv, bis die Meldung von Endos Wechsel kam. Seitdem ist (mal wieder) Weltuntergangsstimmung im Ländle. Aber sonst: Mit Leweling, Jeong und Undav kamen spannende Offensivkräfte. Die Leihe von Nübel wird mit Vorsicht genossen, da es gemischte Reaktionen aus Monaco gab. Was kritisiert wird, sind die fehlenden Verstärkungen in der Verteidigung.

Mit Faghir, Perea, Maglica und Beyaz hat man vier junge Spieler ausgeliehen. Welchen Leihspielern traust du zu, Teil des VfB-18er-Kaders zu werden oder „enden“ sie wie Aidonis und Kuol, also einem festen Abgang?

Von den oben genannten würde ich Beyaz zu den Spielern zählen, die in Stuttgart keine Zukunft haben. Faghir galt auch als abgeschrieben, aber die Leihe zum SV Elversberg sieht schon vielversprechend aus. Vielleicht wird aus ihm doch noch was, wenn er bei den Saarländern weiter so performed. Zu Perea und Maglica: Über beide Leihen war man sehr überrascht. Ersterer hatte eigentlich eine Rolle als Rotationsspieler gehabt, Zweiterer wurde per Rückkaufoption aus der Schweiz zurückgeholt, wo er eine starke Saison spielte und wie oben erwähnt fehlt uns noch Verstärkung in der Innenverteidigung. Insgesamt würde ich sagen, dass ich von den vier oben genannten außer Beyaz es allen zutraue in Stuttgart erfolgreich zu sein.

Die zweite Mannschaft des VfB spielt derzeit in der Regionalliga Südwest. Nachdem sie jahrelang ein fester Bestandteil der dritten Liga war, spielte sie 2019/20 sogar nur in der Oberliga. Ist eine Rückkehr in die dritte Liga wieder angestrebt, oder gibt man sich von Vereinsseite mit Regionalliga zufrieden? Man ist ja immerhin Gründungsmitglied der 3. Liga.

Ja, der Absturz der zweiten Mannschaft ist immer noch ein Dorn im Auge vieler Fans. Dazu ein bisschen Fußballhistorie: 15/16 hat die Stadt Stuttgart das Kunststück geschafft, gleich drei Mal abzusteigen. Während der VfB in die zweite Liga abstieg, sind sowohl die damalige U23 sowie die Stuttgarter Kickers in die Regionalliga abgestiegen. Die erste Mannschaft des VfBs hat sich einigermaßen wieder hoch gekämpft, die zweite Mannschaft und übrigens auch die Kickers sind aber in die Oberliga abgestiegen. Mittlerweile findet sich die zweite Mannschaft, die mittlerweile eine U21 ist, wieder im Mittelfeld der Regionalliga. Es wäre für viele VfB Fans sehr schön, wenn die Zweite wieder in der dritten Liga kicken würde. Man würde auf viele attraktive Gegner treffen, es würden Spiele auf MagentaTV übertragen werden und es ist natürlich prestigeträchtig in der für Zweitvertretungen höchstmöglichen Liga zu spielen.

Aber die Regionalliga ist mittlerweile immer stärker und professioneller geworden. Sie ist mit dem VfR Aalen, Kickers Offenbach, FSV Frankfurt usw. gespickt mit ehemaligen Zweitligisten, dazu kommen mit TSV Steinbach/Haiger und dem FC Homburg zwei ambitionierte Mannschaften, die die dritte Liga im Auge haben. Das Niveau dort ist mittlerweile sehr hoch. Es ist bestimmt kein Zufall, dass die beiden letzten Meister und Aufsteiger der RL Südwest letztes Jahr in der dritten Liga am Ende auf Platz 1 (SV Elversberg, bekannterweise direkt durchmarschiert) und Platz 2 (SC Freiburg II) lagen. Ich denke, der VfB II ist dort erstmal gut aufgehoben.

Mit dem französischen Wettanbieter Winamax hat man beim VfB nun einen Wettanbieter auf der Brust. Der VfL hat bewusst auf einen asiatischen Wettanbieter auf dem Trikotärmel verzichtet. Wie ist es so, nach Jahren mit Mercedes/Porsche auf der Brust?

Natürlich ist es schade, dass die größte Firma Stuttgarts nicht mehr auf der Brust des VfBs repräsentiert ist. Es ist ja so, dass das Gelände von Mercedes, in Stuttgart liebevoll der Daimler genannt, ein Stadtbezirk für sich ist. Es gibt beispielsweise allein drei S-Bahn Haltestellen und unzählige Buslinien, die direkt am Daimlerwerk entlang fahren. Umso bitterer finde ich, wie stiefmütterlich Daimler sich um den VfB kümmert. Immerhin sind wir der Verein, der direkt vor der Niederlassung, vor dem Haupteingang der Geschäftsstelle und gegenüber des unternehmenseigenen Museum liegt. Ja, die letzten Jahre waren auf und neben dem Platz jetzt nicht so prickelnd, wofür aber auch der Daimler seinen Anteil hatte. Zum Beispiel wurde die gesamte Ausgliederung passgenau auf sie zugeschnitten. Ein weiterer Investor könnte laut AG-Satzung nur einsteigen, wenn Mercedes seinen Segen gibt. Dann natürlich die Intranet-Nachricht, die sich gegen die Abwahl vom Skandal-Präsidenten Wolfgang Dietrich aussprach, und – da ihr gerade Porsche anspricht – Porsche als Sponsor der Nachwuchsteams vertrieben hatte, was eine Bedingung der Ausgliederung war. Ja, der Daimlerstern auf dem Trikot war optisch und prestigemäßig eine schöne Sache, aber es ist glaube besser so, wenn sich Mercedes nicht mehr beim VfB einmischt.

Wie abhängig ist der VfB aus deiner Sicht von Guirassys Toren?

Sehr. Ihr habt ja anfangs gefragt, was sich nach Labbadia verändert hat: Unter Labbadia ist Guirassy verletzt ausgefallen. Erst gegen euch war er nach paar Einwechslungen wieder richtig im Saft und da war der Trainer Sebastian Hoeneß. Wer weiß was passiert wäre, wäre Guirassy unter Labbadia noch fit gewesen. Vielleicht wäre er ja immer noch Trainer haha

Wurde mit Wohlgemuth eine Abkehr der Transferstrategie vollzogen?

Nicht ganz. Eher wurde die Strategie angepasst. Sven Mislintat hatte sein Scouting-Netzwerk vor allem in Frankreich gehabt, deswegen die vielen Franzosen. Bei Wohlgemuth merkt man, dass er vor allem in Deutschland scoutet. Bis jetzt gab es nur einen Wechsel (Undav) von außerhalb der Liga. Aber ansonsten wollen wir den Weg mit den jungen Wilden weitergehen. Wenn auch nicht so krass wie unter Mislintat.

Ruhe oder Machtkämpfe – Wann startet die Presse über den VfB zu schreiben?

Ruhe? Kenne ich nicht, wer ist das? Kann er in der Verteidigung oder auf der 6 spielen? 😉 Nein, ich denke auch die Presseleute wünschen sich ebenfalls mehr Ruhe im Verein und dass man auch mal was Positives schreibt. Wir haben hier Gott sei Dank noch keine Hamburger Verhältnisse. Ich denke aber, Ruhe wird vorerst nicht einkehren. Im September ist die nächste MV und wer weiß was da schon wieder verkündet wird oder wessen Abwahlantrag durchgeht.

Wir gehen ins EM-Jahr – Ist die MHPArena fit für das Großereignis?

Ja, das Stadion wird zum dritten Spieltag endlich komplett fertig und bereit sein. Ich bin auch froh am Samstag wieder in der Kurve zu stehen und keine Bauruine mehr vor mir zu haben. Jetzt gerade wird nicht mehr im Stadion, sondern vor dem Stadion gebaut. Die Baustelle wird laut den Plänen auch noch eine Weile gehen.

Was ist deine Meinung zum VfL? Ist der Klassenerhalt wieder drin?

Es ist ein Interessenskonflikt hier. Wenn Bochum nicht absteigt, ist die Wahrscheinlichkeit größer dass der VfB dafür absteigen wird.  Aber ich glaube für unsere beiden Vereine wird die Mission Klassenerhalt dank der Aufsteiger eher einfacher als schwerer. Gerade Darmstadt wirkt ein wenig auf verlorenem Posten und Heidenheim wirkt mehr wie eine Mannschaft, die sehr über ihren Möglichkeiten gespielt hatte. Dazu kommt noch Augsburg, die irgendwie jedes Jahr da unten festhängen und einfach nicht absteigen wollen haha. Ich denke, es wird nach wie vor schwer für euch so wie auch für uns natürlich. Aber ich sehe euch auf einem knappen 15. Platz. Hinter uns versteht sich.

Autor: Matthias Rauh

Obwohl in Bayern wohnhaft besitze ich eine Dauerkarte beim VfL und versuche, jedes Heimspiel und jedes Auswärtsspiel im Süden vom VfL mitzunehmen. Meine Begeisterung für den VfL entwickelte sich in der Saison 2006/07, endgültig besiegelt wurde sie bei dem eigentlich völlig belanglosen Spiel Karlsruher SC gegen den VfL im Jahr 2008. Während eines Fußballturniers wollten meine Mannschaftskameraden in der Bundesligakonferenz ständig die Zwischenstände von Bayern München und Nürnberg wissen, ich erntete misstrauische Blicke, als ich den Zwischenstand von Bochum wissen wollte. Abstieg, Relegation, Funkel, Neururer... ich bin immer noch dabei und freue mich immer mehr auf Spiele wie Bochum gegen Sandhausen als Bayern gegen Dortmund.

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