Fußball, wie wir ihn lieben – der VfL aus Bochum

Der VfL Bochum gewinnt am 25. Spieltag überraschend gegen RB Leipzig mit 1-0. Drei ganz wichtige Big Points im Abstiegskampf. Wir durchleben aktuell eine emotionale Achterbahnfahrt. Von Weltuntergang zu Frühlingserwachen in nur zwei Wochen. Ein Rückblick inklusive Analyse. Von Tobias Wagner und Claudio Gentile.

Wie sich die Stimmungslage innerhalb von nur zwei Wochen ändern kann. Dachte man nach den Spielen gegen Schalke und Bremen, dass der VfL auf dem besten Weg in die zweite Bundesliga ist, sieht die Welt nun schon wieder ganz anders aus. Nach zwei wichtigen Siegen gegen Köln und Leipzig, steht man mit 25 Punkten auf dem 14. Tabellenplatz und hat sich in eine sehr gute Ausgangslage für die kommenden Wochen gebracht.

Doch ist dieser extreme Stimmungswandel übertrieben? War vorher vielleicht doch alles gar nicht so schlecht? Hatte der gemeine Fan im Ruhrstadion wieder die typische Pessimisten-Brille auf? Mitnichten. So sehr sich die Stimmung im Umfeld des VfL geändert hat, so sehr hat sich auch das Auftreten der Mannschaft verändert. Fand man gegen Schalke – vor allem in der zweiten Hälfte – spielerisch keine Mittel und ließ darüberhinaus noch Grundtugenden des gepflegten Abstiegskampfes wie Biss, Aggressivität und Willen völlig vermissen, steht nun eine Mannschaft auf dem Platz, die all dies verkörpert.

Die Leidenschaft und das Engagement der Mannschaft haben nicht nur auf dem Spielfeld, sondern auch bei den Fans einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Die Unterstützung im Stadion erreichte wieder ein Niveau, dass sie selbst noch vor dem Fernseher für Gänsepelle sorgte. Die emotionale Verbindung zwischen der Mannschaft und den Fans scheint stärker denn je, stand sie doch nach dem Schalke Spiel noch kurz vor dem Kippen.

Die letzten zehn Minuten gegen die Dosen waren mit die nervenaufreibendsten seit langem. Doch das Glück und der überragende Manuel Riemann standen auf der Seite des VfL. Der zuletzt kritisierte Torwart zeigte eine makellose Leistung und hielt die drei Punkte fest. Eigentlich will man hier niemanden besonders hervorheben, eine geschlossene Mannschaftliche Leistung trug zum Erfolg bei. Doch langsam. Nehmen wir uns mal die Lupe und schauen uns das Spiel genauer an:

VfL Bochum gegen RB Leipzig war nämlich auch taktisch ein sehr spannendes Spiel. Hatten wir uns doch im Podcast noch Sorgen über Probleme mit Leipzigs 4-2-2-2 gemacht. Thomas Letsch konterte dieses mit einem eigenen 4-2-2(eng)-2(breit), bei dem Philipp Hofmann und Jimmy Antwi-Adjei die Innenverteidiger belauerten und Kevin Stöger und Takuma Asano sich an Leipzigs Sechsern orientierten. Die Außenverteidiger rückten auf den ballnahen Gegenpart raus und Anthony Losilla und Patrick Osterhage orientierten sich an der Doppelzehn aus Szoboszlai und Werner.

Defensive Grundformationen und Bewegungen in der ersten Hälfte

Zu Beginn passten die Mannorientierungen und der VfL kam gut ins Spiel. Leipzig spielte jedoch mutig dagegen an und kam gelegentlich mit Verlagerungen auf den ballfernen Außenverteidiger und riskanten Pässen in die 1 vs 1 Duelle mit individuellen Aktionen durch. Nach etwa 20 min passte Marco Rose seine Ausrichtung widerum an und ließ Werner breiter spielen. Leipzig lockte nun erst Stafylidis auf Halstenberg raus, um Werner freizuspielen, der so breit spielte, dass Osterhage bzw. Losilla ihn nicht komplett verfolgen wollten. Es kam so zu 1-2 brenzligen Situationen. Letsch reagierte darauf, indem er die Sechser auf die gegnerischen Außenverteidiger rausrücken ließ. Die eigenen Außenverteidiger verteidigten nun gegen Werner und Szoboszlai. So kam wieder Stabilität rein.

Defensiv passte es also, offensiv war noch Luft nach oben. Die wenigen aussichtsreichen Bälle im zweiten Drittel wurden durch verzweifelte Dribblings von Jimmy oder vorschnelle bzw. technisch unsaubere Aktionen der Offensivspieler noch zu oft verdaddelt.

Nach der Pause half dann wie so oft ein Standard als Dosenöffner (pun intended 😜). Einen langen Einwurf von Jimmy verlängerte Hofmann auf Asano. Den gehaltenen Ball verwandelte unser neuer Goalgetter Erhan Masovic eiskalt – genau so eiskalt wie er Poulsen und Silva in den Zweikämpfen den Schneid abkaufte.

Als Soares wegen akuter Gelb-Rot-Gefahr runter musste (57. min), kam wie schon gegen Köln Dominique Heintz als Linksverteidiger. Habe ich seine Leistung gegen Köln (2 Interceptions, 2 Clearances) noch etwas heruntergeredet, so legte er gegen Leipzig noch einmal einen drauf (1 Tackle, 2 Interceptions, 3 Clearances). Er profitierte davon, dass er durch die Zuordnung gegen den Halbzehner Szoboszlai nicht so weit herausrücken musste und eher eingerückt spielen konnte. Das kam seiner natürlichen Vorliebe entgegen, auch wenn der wendige Ungar ihm gegen Ende den ein oder anderen Knoten in die Beine spielte. So macht man sich auch gegen Frankfurt wenig Sorgen, wenn Heintz Soares, der nach seiner 5. gelben Karte nun für ein Spiel gesperrt ist, über die gesamte Zeit vertreten muss.

Dass Heintz überhaupt zu seiner zweiten Chance kommen durfte, liegt an einer anderen Personalie. Konstantinos Stafylidis darf seit dem Spiel gegen Köln nun endlich auf der rechten Seite ran und hat Saidy Janko als Gamboa-Vertreter verdrängt. Wir haben bereits auf der Pressekonferenz vor dem Bremen-Spiel versucht, Letsch davon zu überzeugen, Stafy dort auszuprobieren. Zwei Spiele später hat er es dann endlich getan, und siehe da – es funktioniert. Stafylidis gibt der Defensive zusätzliche Stabilität. Mit gutem Timing konnte er auch das weite Herausrücken gegen Leipzig gut umsetzen.  Im Aufbauspiel kann er mit dem linken Fuß gute Diagonalbälle auf unsere bevorzugte linke Seite spielen. Gegen Leipzig wurde öfter sogar die Asymmetrie so gedreht, dass Stafy nun in einer situativen Dreierkette blieb und Soares ins Mittelfeld einrückte. Eine Rolle die unserem Brasilianer sehr liegt.

Mit den Wechseln in der 68. Minute (Holtmann für Jimmy, Kunde für Stöger, Förster für Asano) wurde aus dem 4-2-2-2 noch klarer eine Raute (Osterhage – Losilla, Kunde – Förster). Das Mittelfeld wurde etwas stabiler, offensiv ließ die Durchschlagskraft jedoch weiter nach. Holtmann ist aktuell leider ein Schatten seiner Hochphase bei uns. Grad in Punkto Einsatz und Aggressivität fällt er deutlich hinter die Kollegen ab.

Auch wenn die Schlussphase des gestrigen Spiels sicher wieder das ein oder andere Lebensjahr gekostet hat – das sind die Emotionen, die Spannung, die Spiele, für die man diesen Verein liebt. Bedingungsloser Kampf um die Existenz in der ersten Liga und dann auch noch gegen einen Verein, der all das verkörpert, was wir in Bochum nicht sein wollen und sind. Gegen den modernen Fußball. Gegen RB. Lieben wir. Der VfL hat sich eine hervorragende Ausgangsposition für die finale Saisonphase nach der Länderspielpause erarbeitet. Man hat das dritte Wunder selbst in der Hand. Wer hätte das vor zwei Wochen gedacht? Die emotionale Achterbahnfahrt geht weiter. Das Ziel vor Augen.

Autor: Claudio Gentile

Als gebürtiger Bochumer wurde ich das erste Mal im zarten Alter von sechs Jahren ins Ruhrstadion geschleppt. Der VfL verlor. Was auch sonst. Trotzdem ließ mich der Verein nicht mehr los und spätestens als ich ein paar Tage nach meinem ersten Stadionbesuch das legendäre Papagei-Trikot mit einem "Peter Peschel"-Flock überstreifen durfte, war es um mich geschehen. Das ist jetzt 26 Jahre, wenig Siege und viele Niederlagen her. Wo die Liebe im Fußball hinfällt, kann man sich ja bekanntlich nicht aussuchen. Und eine Liga kennt Liebe auch nicht.

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