Plan B kommt zu spät

Der VfL Bochum verliert das letzte Spiel des Kalenderjahres 2021 gegen Union Berlin mit 0:1. In einem hitzigen und emotionalen Duell musste der VfL auf zahlreiche Stammkräfte verzichten und konnte nicht an die bisher oft gezeigten Leistungen anknüpfen. 

Nieselregen – 5 Grad – wie man sich den Bochumer Winter so vorstellt. Es war angerichtet für das letzte Spiel des Jahres 2021. Nachdem man die Woche zuvor zu Hause im ersten Derby seit 2011 ein Unentschieden gegen den „großen“ Nachbarn aus Dortmund erkämpfte, gab es in der englischen Woche am Dienstag postwendend den Dämpfer gegen den direkten Mitkonkurrenten im Abstiegskampf aus Bielefeld. Nun gastierte Union Berlin an der Castroper – ein Verein, der uns jahrelang in Liga Zwei begegnet ist, sich dann jedoch erfolgreich in der Bundesliga etablieren konnte.

Osterhage in der Startelf

Nach dem enttäuschenden Auftritt auf der Alm stellte Thomas Reis auf zwei Positionen um. Konstantinos Stafylidis kehrte für den bemühten, aber auch immer wieder überforderten Cristian Gamboa auf die Rechtsverteidigerposition zurück. Patrick Osterhage feierte sein Startelfdebüt auf der Achterposition, die frei wurde, da Milos Pantovic für den verletzten Gerrit Holtmann auf den Flügel ausweichen musste. Dass Osterhage den Vorzug vor Robert Tesche erhielt, war überraschend – auch wenn es in der Spieltagankündigung bereits deutliche Zeichen von Seiten des VfL gab.

Unser Cheftrainer hatte vor kurzem die Wichtigkeit unseres Capitanos Anthony Losilla für die Balance im Spiel hervorgehoben. Tesche nun auf die Sechs zu stellen und Losilla vorzuziehen, würde zwar zu deren Spielerprofilen passen, jedoch auch die Statik im Spiel des VfL gefährden. Tesche fehlt als direkter Ersatz auf der Acht hingegen die Athletik, während Osterhage ein klassischer Box-To-Box-Spieler ist, der sich auf dieser Position sehr wohl fühlt. Deswegen war die Entscheidung für Osterhage auch damit verbunden, möglichst wenig zu ändern.

Foto: VfL Bochum

Auf der Rechtsverteidigerposition wäre auch Herbert Bockhorn vom Start eine interessante Wahl gewesen, da Stafylidis zwar defensiv extrem stabil ist, jedoch als inverser, also linksfüßiger Rechtsverteidiger die einrückenden Bewegungen Pantovics nicht so gut mit nachstoßenden Läufen ausnutzen kann. Somit wurde auch hier die konservative Lösung bevorzugt. Eine typische Handlungsweise von Thomas Reis.

Halbzeit 1 – Union taktisch überlegen

In der ersten Halbzeit war Union Berlin unserem VfL mit und gegen den Ball überlegen. Im Pressing schaffte es das Team um Thomas Reis nicht, die Mannorientierungen gut zu organisieren. Wie bereits Borussia Dortmund versuchte Union, unsere erste Pressingreihe durch einen sehr tiefen Aufbau im eigenen Sechszehner herauszulocken. Dabei baute der Ex-Bochumer Andreas Luthe zentral zwischen den beiden Halbverteidigern Marvin Friedrich und Paul Jaeckel auf. Zentralverteidiger Robin Knoche rückte ins Mittelfeld vor und bildete mit den Achtern und Zehner Kruse eine Raute. Wie üblich schoben die beiden Außenspieler Milos Pantovic und Christopher Antwi-Adjej mannorientiert vor und belauerten die Aufbauspieler, um bei ungenauen Pässen Druck machen zu können. Stürmer Sebastian Polter fiel zwischen die beiden Außenspieler zurück und kümmerte sich um den situativen Sechser Knoche.

Da zeitgleich die Unioner Offensivreihe durch die flexiblen Bewegungen der beiden Stürmer Taiwo Awoniyi und Sheraldo Becker sowie des Zehners Max Kruse es schaffte, die gesamte Bochumer Viererkette zu binden, standen die zentralen Spieler allein gegen Unions Sechser und Flügelspieler. So gelang es Union, erst über die Außen aufzurücken und dann freie Räume hinter der Viererkette zu finden. Das Tor von Max Kruse aus dem Rückraum nach einer freien Flanke von der linken Seiten fasste diese Überlegenheit in einer Situation perfekt zusammen.

Mit dem Ball hielt der VfL die Viererkette zunächst tief, um mit den Außenverteidigern eine Überzahl gegen den Zweiersturm herzustellen. Die Stürmer zogen sich daraufhin in den Raum neben Sechser Anthony Losilla zurück, wodurch Bochum im Aufbau fünf eigene Spieler gegen zwei Spieler von Union abstellte. Entsprechend hatten die verbleibenden fünf Offensivspieler es mit acht Verteidigern von Union zu tun. Unsere Aufbauspieler taten sich deshalb sehr schwer, die Offensivspieler mit flachen Pässen zu erreichen. Stattdessen wurde viel lang auf Mittelstürmer Sebastian Polter gespielt, der von Robin Knoche gnadenlos bearbeitet werden konnte, da die beiden Flügelverteidiger die Halbverteidiger gegen unsere Flügel unterstützen konnten. Die zweite Möglichkeit waren Halbfeldflanken von den Außenverteidigern aus den Freiräumen von Unions 5-3-2 Defensivformation, die jedoch von sehr weit weg geschlagen wurden und nur eine Halbchance bei einer von Luthe unterschätzten Flanke von Stafylidis brachten.

Halbzeit 2 – Reis passt an

In der zweiten Hälfte passte Thomas Reis endlich an. Anthony Losilla ließ sich zwischen oder neben die Innenverteidiger fallen, während die Außenverteidiger weiter aufrückten. So wurden nur noch drei statt fünf Spieler für den tiefen Aufbau abgestellt. Zudem konnten die Außenverteidiger zusammen mit den Achtern und den Flügelspielern Überzahlsituationen gegen Unions Achter und Flügelspieler erzeugen. Die Einwechslung von Bockhorn in der 60. eliminierte die bereits in der Einleitung beschriebenen Nachteile von Stafylidis in der Offensive, und durch sehr gute Ballmitnahmen konnte unser Herbie noch einmal Tempo reinbringen. Der Druck wurde deutlich erhöht und nur mit Pech konnte Pantovic keine seiner zwei Großchancen nutzen.

In der 75. Minute wollte Reis dann eventuell zu viel. Er brachte mit Silvere Ganvoula und Soma Novothny zwei weitere Mittelstürmer für den Achter Osterhage und Flügelspieler Antwi-Adjej. Von nun an agierte Manuel Riemann als zentraler Aufbauspieler zwischen den Innenverteidigern. Auch Losilla rückte auf, um mit seiner Kopfballstärke und Physis zusätzliche Präsenz aufzubauen. Entsprechend gab es fast nur noch lange Bälle. Die Ordnung im Spielaufbau ging verloren und wurde der Hoffnung auf einen individuellen Fehler und durchrutschende Bälle geopfert. Das erinnerte sehr an das Verhalten nach Rückständen unter Peter Neururer. Union blieb stabil und der VfL musste die zweite Heimpleite einstecken.

Plan A funktioniert, Plan B muss weiterentwickelt werden

Die Spiele gegen Arminia Bielefeld und Union Berlin haben es deutlich gezeigt. Wenn der Gegner selbst zurückhaltend agiert und auf Fehler des Gegners wartet, tut der VfL sich sehr schwer. Wir haben die Defensive stabilisiert, das Umschaltverhalten perfektioniert und auch die Läufe im letzten Drittel werden immer besser. Damit das klappt, muss der Gegner jedoch durch Aufrücken Räume anbieten, also hohes Pressing spielen oder aus hohen Positionen Ballgewinne zulassen. Tut er das nicht, dann verpuffen die langen Bälle und wir leiden selbst unter fehlender Spielkontrolle.

Die erste Phase der zweiten Hälfte gegen Union hat gezeigt wie es laufen könnte. Dort wurde systematisch aufgebaut und mit guter Struktur angegriffen. Das muss nun vertieft werden, um auch aus solchen Spielen in der Rückrunde was mitnehmen zu können.

Man darf nicht vergessen, dass beim VfL mit Asano, Blum, Holtmann, Löwen und Zoller fünf potenzielle Stammspieler fehlten. Für keinen Aufsteiger ist der Wegfall solcher Spieler einfach wegzustecken. Trotzdem hat man gesehen, dass die Elf als Kollektiv sehr gut funktioniert und auch gegen Union Phasen hatte, in denen sie problemlos mithalten konnte – allen Ausfällen zum trotz.

Von Ruhrpottassis und ihren Emotionen – von Claudio Gentile

Trotzdem muss ein Wort zu den „Vorfällen“ rund ums Spiel gesagt werden. Wir brauchen nicht darüber zu diskutieren, dass Becherwürfe nicht ins Stadion gehören und asozial sind. Dass ein Max Kruse sich aber wundert, dass die Fans ausrasten, doch in keiner Silbe erwähnt, dass das Stadion erst durchdreht, nachdem Khedira minutenlang den sterbenden Schwan gibt, nur um dann Sekunden später wie ein junges Reh wieder über den Platz zu hüpfen, ist dann doch irgendwie eine sehr einseitige Betrachtung. Solch ein Verhalten ist mindestens genauso asozial und unsportlich wie die Becherwürfe und wird meiner Meinung nach im Fußball viel zu wenig thematisiert.

Ich würde mir wünschen, dass zumindest ein Teil des Respekts vor dem Gegner, dem Unparteiischen und dem Sport selber, den es z.B. im Rugby gibt, auch im Fußball gelebt wird. Jemand meinte mal „Im Rugby läufst du blutend über den Platz und tust 80 Minuten so, als wärst du nicht verletzt – im Fußball ist genau das Gegenteil der Fall. Da tust du 90 Minuten so, als wärst du dem Tode nahe, obwohl du nichts hast.“ – das trifft es meiner Meinung nach auf den Punkt.

Also lieber Max – wäre genauso „mashallah“ wie eine ganze Region zu beschimpfen, wenn du das nächste Mal deine Teamkameraden bei der „Ehre“ packst und ihnen eintrichterst, dass sie den Platz nicht mit Hollywood verwechseln sollen (auch wenn eine Karriere dort nach der aktiven Zeit sicher finanziell reizvoll ist).

Autor: Tobias Wagner

Ich bin seit meinem fünften Lebensjahr Fan des VfL. Die Hochzeiten des Vereins mit den beiden UEFA-Cup Teilnahmen habe ich in meiner Jugend live miterlebt. Von da an war klar - für mich gibt es nur den VfL. Die Jungs von Spielverlagerung weckten meine Begeisterung für die Taktikanalyse. Auf erste Taktikanalysen, die noch direkt an den VfL versendet wurden, folgte der Blog "Blau-weiße Taktikecke". Später wurde ich dann selbst Autor bei Spielverlagerung und Trainer verschiedener Jugendmannschaften (U14-U16). Meine Begeisterung für Fußball, Training, taktische Raffinessen und statistische Spielereien möchte ich nun hier mit Euch teilen.

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