Im Jahr 1993 stieg der SC Freiburg unter Volker Finke das das erste Mal in die Bundesliga auf. Nach 16 Jahren Finke übernahm 2007 Robin Dutt die Mannschaft, mit der er 2009 den Wiederaufstieg in die Bundesliga schaffte. Den Abstieg 2015 konnte man unter dem seit 2011 in Amt und Würden stehendem Christian Streich sofort wieder korrigieren und stieg als Zweitligameister auf. Seitdem hält der SC Freiburg Jahr für Jahr relativ sicher die Klasse. In der Saison 2020/21 stand am Ende Platz 10 mit 45 Punkten. Und auch in diesem Jahr sieht es gut aus mit Tabellenplatz 3 und 22 Punkten nach 12 Spielen. Im Gespräch mit Patrick Röttele vom Spodcast Freiburg.
Hi Patrick, der SC Freiburg steht auf Platz 3 in der Bundesliga. Wie viel Höhenluft schnuppert man momentan beim SCF?
Patrick Röttele (PR): Beim SC selbst wohl etwas weniger als bei den Fans, die die aktuelle Situation sehr genießen. Dennoch kann auch da natürlich jeder einschätzen, dass der Champions League Platz eine Momentaufnahme ist. Das ändert nichts daran, dass Hoffnungen auf eine unvergessliche Saison mit einem potenziellen Ausgang Europa vorhanden sind.
Der SC Freiburg verlor mit Santamaria nur einen Stammspieler, konnte den aber mit Eggestein von Werder Bremen positionsgetreu ersetzen. Waren noch andere Abgänge im Gespräch?
PR: Kapitän Günter, Sallai und Lienhart haben bereits im Frühjahr ihre Verträge verlängert. Bei vielen anderen wäre der nächste Schritt entweder zu früh gekommen oder ist nicht mehr zu erwarten. Unruhe gab es rund um die Person Nico Schlotterbeck, da Interesse aus Stuttgart und Leverkusen vorlag und die Konkurrenzsituation mit seinem Bruder Keven für beide Geschwister nicht erstrebenswert war und ist. Mit Saisonstart sah alles danach aus, als würde der Kader stehen, der Santamaria-Eggestein „Tausch“ kam dann doch noch überraschend dazu.
Bis auf den angesprochenen Eggestein holte man keinen externen Spieler sondern zog die Jungen hoch, die für den Aufstieg in die 3. Liga für die zweite Mannschaft verantwortlich waren. Wer davon sticht besonders heraus?
PR: Was das reine Talent betrifft, fällt es schwer einzelne Spieler aus der Fünfergruppe hervor zu heben, da jeder seine eigenen vielversprechenden Stärken mitbringt. In der Rolle für die diesjährige Saison hat sich allerdings Kevin Schade deutlich vom Rest abgehoben. Schade gehört inzwischen deutlich zu den ersten 16 Kaderspielern, startet also oder wird eingewechselt. Das liegt neben seinem großen Talent daran, dass seine unglaubliche Geschwindigkeit (Top-Speed 36,37 km/h) und sonstige Physis offensiv so nicht im Kader vorhanden ist.
Der VfL hat seine zweite Mannschaft auch aus Kostengründen vor mehreren Jahren abgemeldet, eure zweite Mannschaft spielt seit dieser Saison dritter Liga. Ist die zweite Mannschaft bei euch Teil der Vereinsphilosophie?
PR: Absolut. Auch wenn es zwischenzeitlich ein paar Jahre Durststrecke gab, wenn es um Spieler ging, die den Schritt aus der Freiburger Fußballschule in die Profis geschafft haben, ist die Fußballschule klarer Teil der eigenen Identität. Das in Verbindung damit, dass im Bundesligageschäft, gerade für Teams wie Freiburg oder auch Bochum, jeder kleine Fehler von großer Bedeutung sein kann, macht es attraktiv eine zweite Mannschaft zu haben, in der sich junge Spieler an den Erwachsenenfußball gewöhnen können.
Toptorschützen in der Mannschaft sind Höler, Jeong und Grifo mit je drei Treffern. Gibt es bei euch keinen klaren Goalgetter oder findest du es positiv, wenn die Torgefahr übers Kollektiv kommt?
PR: Wenn man an Freiburger Goalgetter denkt, geht der erste Gedanke immer noch an Nils Petersen. Der hatte diese Saison schon einige längere Ausfallzeiten, was aber kein großes Problem ist, da sich das Team offensiv gefunden hat. Mittelstürmer Höler ist zwar kein 15-Tore-Stürmer, aber mit seinem Gesamtpaket aktuell nicht wegzudenken. Und solange man dennoch Tore erzielt, ist mir persönlich egal, wenn man in der Torschützenliste der Bundesliga etwas scrollen muss…
Die Identität des Freiburger Fußballs liegt in einer Kombination aus Athletik und Laufbereitschaft. Benötigt man deiner Meinung nach eine Anpassung, um einer wachsenden Favoritenrolle zukünftig mehr gerecht zu werden?
PR: Ich würde hier teilweise widersprechen. Die Arbeit gegen den Ball ist immer der Grundstein für jedes Spiel, dennoch war man noch nie eine Mannschaft, die Spiele wegen ihrer Physis gewonnen hat. Probleme in Spielen mit hohem eigenen Ballbesitzanteil sind zwar immer mal wieder zu erkennen, meiner persönlichen Meinung nach aber nicht in höherem Anteil als bei sonstigen Bundesligamannschaften im oberen Mittelfeld. Der flexible Aufbau aus der Abwehr in Verbindung mit Höfler im Mittelfeldzentrum, ist zudem seit Jahren eine große Stärke, besser werden muss man vor allem in der Lösungsfindung im letzten Drittel.
Eure Innenverteidiger sind qualitativ und quantitativ hochwertig. Hast du Angst, dass durch Unzufriedenheit und Interesse anderer Vereine im Sommer der wichtige Mannschaftsteil gesprengt wird?
PR: Ich denke, dass sich das Problem von selbst lösen wird. Bei Dominique Heintz ist alleine ob seines eigenen Anspruchs mit einem Abgang im Winter zu rechnen. Nico Schlotterbeck wird den Verein aller Voraussicht nach im Sommer verlassen, er ist mehr als bereit für den nächsten Schritt, wenn er seine bisherigen Leistungen bestätigt. Man hat hier schon im letzten Sommer Sildillia und Ezekwem mit Profiverträgen ausgestattet, vieles spricht daher spätestens nächste Saison für eine gesunde Kaderstruktur in der Innenverteidigung.
Welcher „Hidden Hero“ ist für das Freiburger Spiel besonders wichtig, steht aber nicht im Rampenlicht?
PR: Nicolas Höfler ist seit knapp fünf Jahren die richtige Antwort auf diese Frage. Höfler ist die viel zitierte „rechte Hand des Trainers auf dem Feld“. Höfler ist in Bedrängnis meist die gesuchte Passoption im Spielaufbau, er macht außerdem häufig die Ansagen für das Pressingverhalten. Nicht ganz zufällig waren die Spiele ohne ihn diese Saison die schwächeren.
Freiburg hat damals das 4-4-2 in die Moderne überführt. Aktuell scheint das selbe mit dem 3-4-3 zu passieren. Euer Kader scheint Optimal auf das 3-4-3 ausgerichtet zu sein durch die beweglichen und passsicheren Innenverteidiger, die athletischen Außenverteidiger und die spielstarke inversen offensiven Außen, die die Räume optimal besetzen, ausnutzen und viele Optionen im Angriff haben. Glaubst du Streich wird in Zukunft darauf setzen oder wird die Flexibilität auch bei den Grundformationen erhalten bleiben?
PR: Seit einigen Jahren sind die beiden Systeme gut eingespielt und können selbst im Spiel nach Belieben gewechselt werden. Ein auch für Freiburger Verhältnisse außergewöhnlicher Spieler Nico Schlotterbeck dürfte diese Saison ein Grund dafür sein, dass man nochmal häufiger das 3-4-3 sieht, da hier seine Stärken als andribbelnder Halbverteidiger enorm zur Geltung kommen. Dennoch waren es bereits 4 von 12 Bundesligaspielen im 4-4-2, außerdem einige Umstellungen während des Spiels auf 4-4-2. Vieles spricht dafür, dass man hier seine Flexibilität beibehält.
Janik Haberer wird bei einigen von uns im Blog als Wunschkandidat fürs zentrale Mittelfeld gehandelt. Wie steht es um ihn? Gibt es Interessenten, ist ein Abgang, vielleicht sogar im Winter, wahrscheinlich?
PR: Die Personalie Haberer war lange Zeit ein großes Rätsel. Es schien bereits so, als hätte man sich unwiderruflich überworfen, nun ist er doch wieder ein klarer Kaderspieler. Mit seiner unglaublichen Polyvalenz ist er eine Option, die man zumindest im Winter kaum abgeben wird. Im Sommer läuft sein Vertrag aus, hier ist gut vorstellbar, dass er auf der Suche nach mehr Spielzeit wechselt. Ob es dann Bochum wird? Keine Ahnung.
Mark Flekken für die Niederlande, Christian Günter für Deutschland. Wie schön ist es, dass die guten Leistungen jetzt auch mit Nationalmannschaftsnominierungen honoriert werden. Oder siehst du es eher als Fluch, da die Spieler während der Länderspielpausen fehlen?
PR: Natürlich schwingt immer ein bisschen Angst vor Verletzungen bei Länderspielpausen mit. Dennoch ist die Freude für die Spieler hier deutlich überwiegend. Außerdem ist es in Werbeversuchen für neue Spieler sicher nicht von Nachteil, wenn man vorweisen kann, dass man hier sogar Nationalspieler einer Top-Nation werden kann.
In mehreren Umfragen wird der SC Freiburg als sympathischster Verein Deutschlands genannt. Auch Christian Streich ist bei den Umfragen immer ganz oben. Wie ist es everybodys darling zu sein?
PR: Ich kann es verstehen, da der SC mit seinem Auftreten nicht viel Reibungsfläche bietet. Persönlich nervt es mich aber etwas, da die Reibereien mit anderen Fans dem Fußball auch ein bisschen etwas geben. Ich will nach Siegen auch sehen, dass die anderen Fans sich ärgern und nicht lesen „ach gegen Freiburg ist das schon okay“.
Bei Christian Streich ist das etwas anderes, er ist auch deshalb beliebt, weil er gesellschaftlich meist die richtigen Werte vertritt. Auch wenn hier die Glorifizierung teilweise etwas überhand gewinnt, bin ich schon stolz auf einen Trainer, der in kritischen Themen klare Kante zeigt.
Süßlicher Duft der Studenten oder schweres Aftershave der Wirtschaftsbosse. Welche Stimmungslage herrscht im Europa-Park-Stadion?
PR: Bisher traue ich mir nicht zu eine richtige Antwort darauf zu geben. Ich war beim Heimspiel gegen Greuther Fürth im Stadion. Das war das erste und bisher einzige Spiel mit vollem Stadion und Support der aktiven Fanszene. Das war im Großen und Ganzen ziemlich positiv. Allgemein brauchen wir Fans aber noch etwas Zeit um dem Stadion eine Seele zu geben.
Besteht aus deiner Sicht wirklich die Gefahr, dass das neue Stadion den Freiburger Charme weichen lässt?
PR: Die Gefahr besteht bei Veränderungen immer. Trotz der etwas nervigen Inszenierung im Zusammenspiel des Vereins mit dem Europa Park, hat sich der öffentliche Auftritt des SC durch das neue Stadion aber kaum verändert. Und auch wenn ich das Dreisamstadion vermisse, wir können als Fans auch den Neubau zu unserem Platz machen, auch wenn so etwas natürlich Zeit braucht. Zumindest der Zuschauerandrang ist, trotz der Pandemielage, fast gänzlich ungebrochen. Ich bin also optimistisch.
Hat der SC Freiburg den nächsten Schritt vollzogen und wir vom bescheidenen Dauergast der Bundesliga zum ständigen Anwärter auf den europäischen Fußball? Wenn ja, gibt es in Freiburg überhaupt Konfliktpotential?
PR: Da man nun das dritte Jahr in Folge spielt, in dem man sich zumindest nicht in akuter Abstiegsgefahr befindet, würde ich die Bewertung als Dauergast der Bundesliga mitgehen. Davor hätte ich hier schon noch stark gezögert, immerhin hatte man Mitte der 2000er vier Jahre 2. Bundesliga in Folge und auch im letzten Jahrzehnt ein Zweitligajahr. Ständiger Anwärter auf den europäischen Fußball wäre in jedem Fall vermessen, schließlich stand man in den letzten 20 Jahren einmal in der EL-Gruppenphase und scheiterte einmal in der Qualifikation. Bewegt man sich konstant in den Regionen der Mainz‘ und Herthas dieser Bundesliga, mit gelegentlichem Ausreißer nach oben, ist hier jede*r glücklich.
Außerhalb von Freiburg wird Christian Streich sehr stark mit dem Erfolg der Freiburger verbunden. Er wird Ende des Jahres 10 Jahre Cheftrainer sein und hat zweifellos die tolle Entwicklung entscheidend mitgeprägt. Doch wie sieht es auf den Positionen des Sportvorstands und des Präsidiums aus? Herrscht dort eine ähnliche Konstanz und was macht die Arbeit der Freiburger Führungsriege aus?
PR: Nach dem Abgang von Dirk Dufner übernahm das Sportdirektoren-Duo Hartenbach/Saier im Juli 2013, seitdem herrscht auch auf dieser Position eine große Konstanz. Die beiden waren bereits zuvor im Verein, die Zusammenarbeit besonders mit Christian Streich ist nach allem was man hört außergewöhnlich gut. Dass man auf dieser sportlichen Ebene, zusammen auch mit dem restlichen Trainerteam, konstruktiv zusammen arbeiten kann und auch nach Uneinigkeiten, letztlich der gemeinsame Weg gegangen wird, ist ein großes Puzzlestück des sportlichen Erfolgs.
Der Posten des Präsidenten war nach dem Abgang von Fritz Keller zum DFB längere Zeit unbesetzt, vor einigen Wochen wurde nun Eberhard Fugmann auf diesen Posten gewählt. Auch von Fugmann ist zu erwarten, dass er mit ruhiger Hand agiert und vor allem nicht in das operative Geschäft eingreift.
Wie siehst du die aktuelle Entwicklung beim VfL Bochum? Ist der Klassenerhalt drin?
PR: Der VfL hat mich diese Saison positiv überrascht. Ich hatte erwartet, dass man sich ähnlich schwer tun würde, wie die kleinen Aufsteiger der letzten Jahre wie Bielefeld, Paderborn oder diese Saison Fürth. Gerade spielerisch und im Bezug auf das Spieltempo hat man sich aber erstaunlich schnell an das Bundesliganiveau gewöhnt. Vor den schnellen Flügelspielern habe ich auch für das Spiel am Samstag großen Respekt.
Bis auf die abgeschlagenen Fürther haben wir im unteren Mittelfeld allerdings eine sehr ausgeglichene Liga. Drin ist der Klassenerhalt auf alle Fälle, ein Abstieg ist aber auch nicht gänzlich ausgeschlossen.
Dein Tipp fürs Spiel?
PR: Ich bin optimistisch, dass der SC nach zwei Niederlagen wieder in die Erfolgsspur findet und 1:0 in Bochum gewinnt.
Vielen Dank für das Interview!
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