Kommentar: Lethargie macht sich breit

Foto: Tim Kramer (VfL Bochum)

Lethargie. Als Fan des VfL Bochum ist man schwierige Situationen gewohnt. 10 Jahre im Unterhaus prägen. Doch der ständige Kampf kostet Kraft. Sieht man von einer relativ stabilen sportlichen Phase unter Gertjan Verbeek ab, in der man sich in der oberen Tabellenhälfte mehr oder weniger „etablieren“ konnte, waren fast alle Spielzeiten geprägt von Existenzkampf – auch wenn man das mit der Fan-Brille nicht wirklich wahrhaben will.

Isoliert betrachtet war die Leistung gegen den HSV eine sehr ordentliche. Der VfL konnte bis zur 65. Minute gut mithalten, sich immer wieder aus Druckphasen der Hamburger lösen. Auch die überraschende Herausnahme von Danny Blum schien nicht die schlechteste Idee gewesen zu sein. Zoller und Weilandt spielten mehr als ordentlich – so sorgte auch eine Co-Produktion der beiden für die Führung. Janelt zeigte als Achter eine seiner besten Leistungen im VfL-Dress, Losilla war wie gewohnt überall auf dem Feld zu finden und Tesche hielt als klarer 6er den Laden hinten zusammen. Was aber letztendlich auch wohl die ganz große Problematik des Kaders aufzeigte.

Stabilisator Tesche – Foto: David Matthäus Photography

Es gibt bis auf Robert Tesche niemanden, der wirklich auf der 6 spielen kann. Losilla beraubt man auf dieser Position seiner größten Stärke – die Lauffreudigkeit. Vitaly Janelt zeigt nun auch beim VfL, was sich vorher in seinen Einsätzen bei der U-Nationalmannschaft schon angedeutet hatte – mit einem Sechser hinter sich fühlt er sich deutlich wohler. Korrigieren kann man diesen Punkt nicht mehr, das Transferfenster ist geschlossen. Offensiv bietet der Kader einiges an Möglichkeiten. Zoller, Weilandt, Zulj, Ganvoula, Blum – das sind alles Spieler mit überdurchschnittlicher Qualität – was man auch immer wieder sieht. Auch die Viererkette ist nicht schlecht besetzt – solange alle fit bleiben. Gestern konnte der endlich wieder genesene Maxim Leitsch für wieder mehr Stabilität sorgen. Aufgrund seiner Athletik konnte er wie gewohnt einige Bälle der Hamburger in die Spitze ablaufen und in der zweiten Halbzeit sorgte sein Andribbeln ein, zwei Mal für Gefahr. Letzteres würde man gerne noch viel häufiger sehen.

Die ganz große Frage wird sein, wie Thomas Reis die Verbindung zwischen Offensive und Defensive herstellen will. Gestern waren die Achter entweder zu tief oder zu hoch positioniert. Das hatte die Folge, dass der VfL, verstärkt durch ebenfalls hochstehenden Außenverteidigern, zunächst keinen Anschluss im Aufbauspiel fand und auf lange Bälle zurückgreifen musste. Nur die starke Leistung von Silvère Ganvoula führte in der ersten Hälfte zu Chancen. Der Kongolese verwertete nahezu jeden hohen Ball. In der zweiten Halbzeit löste man in der Stärkephase dieses Problem mit einem einrückenden Weilandt. Die Antwort, wie man über 90 Minuten mit dem vorhandenen Personal möglichst viele Spieler in Räume bekommt, die ihnen liegen, auch wenn man in einigen Bereichen eben nicht die ideale Besetzung hat, muss möglichst schnell erfolgen. Der Baum brennt.

Generell zu hinterfragen ist aber auch die „All-in-Taktik“, die immer wieder bei Rückständen ausgepackt wird. Ja, es ist richtig, dass das Risiko erhöht werden muss. Aber ist es wirklich sinnvoll und zielführend, das komplette Mittelfeld aufzulösen und jeden Ball lang nach vorne zu dreschen? So verlor man gegen den HSV, wie auch schon vorher öfter mal, den kompletten Zugriff auf das Spiel, weil man in einer 3-1-6 Formation spielte, die zu einer Kontrolle durch den Gegner nur so einlädt. Losilla war logischerweise vollkommen überfordert damit, alleine das Mittelfeld darzustellen und konnte mit Leichtigkeit überspielt werden. Das bedeutete Ballbesitz weit weg vom eigenen Tor für den HSV und nichts Gutes für den VfL. Sechs Offensivkräfte haben den optischen Anschein nochmal für verstärkte Gefahr zu sorgen, doch letztendlich bringen sie der im Rückstand liegenden Mannschaft gar nichts, wenn der Ball nur noch selten und dann noch unkontrolliert in die höheren Zonen gelangt.

Foto: David Matthäus Photografie

Es ist fast schon eine Ironie des Schicksals, dass es auf den Tag genau zwei Jahre nach dem Schicksalsspiel gegen den SV Darmstadt am 09.02.2018 am kommenden Sonntag, am 09.02.2020 zum nächsten massiv richtungsweisenden Spiel gegen Wiesbaden kommt. Kann man gegen den direkten Konkurrenten nicht punkten, wäre man mit vier Niederlagen in die Rückrunde gestartet. Ja, es sind auch danach noch ordentlich Punkte zu vergeben, nur sollte man es nicht mal gegen einen Aufsteiger aus Liga 3 schaffen, die nötigen Punkte zu holen, fragt man sich zwangsläufig, gegen wen es dann noch reichen soll – und das tun ja nicht nur die Fans, sondern auch die Spieler. Jeder, der schon mal Sport auf einem höheren Niveau gemacht hat weiß, wie wichtig die Psyche in Wettkampfsituationen ist.

Der VfL ist nach einer Dekade im Unterhaus kein Erstligist in der falschen Liga mehr – auch kein „gefühlter“ – der VfL ist ist ein durchschnittlicher Zweitligist – sowohl sportlich als auch finanziell – und vor allem näher an Liga 3 als an Liga 1. Das will nicht jeder wahrhaben und es so deutlich auszusprechen fällt sicherlich keinem Blau-Weißen leicht. Dass Villis aber immer wieder Öl in das Fünkchen Hoffnung gießt, indem er öffentlich eine Zielsetzung ausgibt, die jenseits der aktuellen finanziellen Möglichkeiten des VfL liegen, schürt sicherlich auch eine grundsätzlich falsche Erwartungshaltung im Umfeld. Ist es doch nur natürlich, dass man sich an jedes bisschen Hoffnung klammert. Ein Platz im Mittelfeld als realistische und erreichbare Platzierung ist weder für Fans noch für Sponsoren attraktiv – ist aber nun mal gerade der Bereich, in dem sich der VfL bewegt.

Man kann nur hoffen, dass Thomas Reis und sein Team – aller Auswärtsschwäche zum Trotz – am kommenden Sonntag das Potenzial, was irgendwie im Kader schlummert, auf den Rasen bringen können. Mit einer Leistung wie in den ersten 65 Minuten gegen den HSV kann man gegen Wiesbaden was holen, das steht außer Frage. Irgendwann muss man das Erfolgserlebnis erzwingen – als Wachmacher aus der Lethargie.

Autor: Claudio Gentile

Als gebürtiger Bochumer wurde ich das erste Mal im zarten Alter von sechs Jahren ins Ruhrstadion geschleppt. Der VfL verlor. Was auch sonst. Trotzdem ließ mich der Verein nicht mehr los und spätestens als ich ein paar Tage nach meinem ersten Stadionbesuch das legendäre Papagei-Trikot mit einem "Peter Peschel"-Flock überstreifen durfte, war es um mich geschehen. Das ist jetzt 26 Jahre, wenig Siege und viele Niederlagen her. Wo die Liebe im Fußball hinfällt, kann man sich ja bekanntlich nicht aussuchen. Und eine Liga kennt Liebe auch nicht.

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