Ausgecheckt: Der neue VfB aus Stuttgart

Im Jahr 2016 stieg der VfB Stuttgart nach fast 40 Jahren durchgehender Erstligazugehörigkeit in die zweite Liga ab. Was als „Betriebsunfall“ galt, wiederholte sich drei Jahre später mit dem Abpfiff des Relegationsrückspiels gegen Union Berlin. Der VfB geht in dieser Saison also wieder als Zweitligist an den Start. So kommt es im Montagsspiel des 5. Spieltags zu einem Wiedersehen mit dem VfL Bochum, der unter Interimstrainer Heiko Butscher vor einer schwierigen Aufgabe steht.

Der Verein für Bewegungsspiele Stuttgart 1893 ist ein stolzer Verein aus dem Stuttgarter Stadtteil Bad Cannstadt. Er war 1963 Gründungsmitglied der Bundesliga und spielte dort zwölf Jahre, ehe im Jahr 1975 der Abstieg in Liga zwei folgte. Nachdem nach zwei Jahren Abstinenz die Rückkehr in die Beletage des deutschen Fußballs geglückt war, konnte 1984 nach der Vizemeisterschaft 1979 der erste Bundesliga-Titel eingefahren werden. Zwei weitere Meisterschaften folgten 1992 und 2007. Da der VfB bereits zwei Meistertitel vor Gründung der Bundesliga erlangen konnte (1950 und 1952), darf er seitdem mit fünf Meistertiteln einen Stern über dem Vereinswappen auf dem Trikot tragen.

Ein modernisierter Traditionsverein

Im Frühjahr wurden auf den Entscheidungspositionen der Cannstadter neue Gesichter etabliert. Sportvorstand wurde Thomas Hitzlsperger und der aus Dortmund bekannte Scout Sven Mislintat wurde als Sportdirektor eingestellt. Die beiden führten die Erneurung des VfB fort und etablierten in Tim Walter ihren Wunschtrainer.

Der gebürtige Bruchsaler coachte zunächst die Jugendmannschaften des Rivalen Karlsruher SC, ehe er den Weg zum FC Bayern fand. Nach einem guten Jahr mit den Amateuren, Walter wurde mit den kleinen Bayern Vizemeister in der Regionalliga Bayern, wurde der jetzt 43-jährige von Zweitligist Holstein Kiel verpflichtet. Mit einer fast runderneuerten Mannschaft schaffte Walter bei den Norddeutschen Platz 6 in der Liga, trotz Abgängen von Leistungsträgern wie Czichos, Drexler und Ducksch. Noch vor dem Relegationsspiel waren sich Walter und der VfB einig. Nun coacht Walter also erneut in der zweiten Liga.

Gespielt wird in der knapp über 60.000 Zuschauer fassenden Mercedes-Benz-Arena. Im WM-Stadion von 2006 kommt der VfB bisher auf einen Zuschauerschnitt von 52.668 Zuschauern. Die Heimspiele gegen Hannover 96 und dem FC St. Pauli wurden jeweils mit 2:1 gewonnen. In den Auswärtspartien gegen Heidenheim und Aue ließ der VfB jedoch mit zwei Unentschieden Punkte liegen. Ein erneuter Heimsieg gegen den VfL könnte die Stuttgarter dennoch auf einen der fest eingeplanten Aufstiegsplätze führen.

Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)

BO-bachtet – Das Spiel gegen Hannover 96

Der VfB Stuttgart setzt den Fußball von Neu-Trainer Tim Walter bereits sehr gut um. Gegen Hannover 96, die in einer 4-3-3 Grundordnung agierten, sorgte vor allem das starke Pressing für Dominanz. Das Angriffspressing der Stuttgarter war in einem klasssichen Rauten-System organisiert, wodurch beide Innenverteidiger, der Sechser und beide Achter unkompliziert zugestellt werden konnten. Die vorerst freigelassenen Außenverteidiger wurden nach Erhalt des Balles vom ballnahen Stuttgarter Achter und den folgenden Verschiebungen unter Druck gesetzt.

Gegen Mitte der ersten Hälfte hatte Hannover ein probates Mittel dagegen gefunden. Indem beide Achter im Rücken der Gegenspieler weiter nach Außen zogen und die Flügelstürmer in der letzten Linie die Außenverteidiger banden, wurde Stuttgarts Abwehr und Mittelfeld auseinandergerissen. Anschließend konnten sie den entstehenden Freiraum entweder direkt oder nach dem folgenden Verschieben Stuttgarts für Verlagerungen in den anderen Halbraum nutzen.

Im Spiel gegen den VfB sei dem VfL geraten, sich gegen den Ball vorerst tiefer zu positionieren. Das sich auf Dynamiken stützende Aufbauspiel, bei dem ein Innenverteidiger auch gerne mal im Mittelfeld auftaucht und verschiedenste Spieler dafür in die Zonen der Innenverteidiger zurückfallen, zeigte besonders in der zweiten Halbzeit seine Effektivität. Die Pressingversuche der Hannoveraner waren nach dem Rückstand nicht mehr gut organisiert und ermöglichten somit einige gefährliche, konterähnliche Situationen. Da die Kompaktheit beim Pressing derzeit ein Problem für den VfL darstellt, sei von höheren Pressingversuchen gegen den VfB abgeraten.

Eine lange und zumeist erfolglose Vergangenheit

Die gemeinsame Historie des VfL Bochum und des VfB Stuttgart ist lang. Kein Wunder, spielte man doch fast drei Jahrzehnte gemeinsam in der Bundesliga (54 Spiele: 33 VfB-Siege/16 Remis/15 VfL-Siege). In Liga 2 trafen die beiden Traditionsvereine freilich erst zwei Mal aufeinander. Die Partie im Ruhrstadion endete 1:1, das Rückspiel im Ländle ebenfalls. Zudem gab es in der langen Historie fünf Spiele im DFB-Pokal, wobei die VfL-Fans sicherlich am liebsten an das Spiel im August 2014 zurückdenken, als Neuzugang Simon Terodde mit einem Doppelpack den Einzug in Runde 2 perfekt machte.

Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)

Nun stehen die Vorzeichen anders. Der VfL beschäftigt sich aktuell mehr mit sich selbst, als mit der Liga – so könnte man meinen. Nach der Entlassung von Robin Dutt wird Co-Trainer Heiko Butscher zum zweiten Mal nach Februar 2018 das Team vorbereiten und aufstellen (damals gewann man mit 2:1 gegen Darmstadt 98). Die Erwartungen sind gering, den meisten Fans geht es wohl insbesondere darum, dass sich der VfL endlich mal wieder als Mannschaft präsentiert und alles dafür tut, um nicht mit leeren Händen zurück ins Ruhrgebiet zu reisen.

Mit dem Tiger gab es Erfolge

Der VfL gastiert am Montagabend insgesamt zum 37. Mal in Stuttgart. In den bisherigen 36 Partien im Neckarstadion bzw. in der Mercedes-Arena behielt der Gastgeber 26 Mal die Oberhand, der VfL siegte vier Mal, sechs Spiele endeten Unentschieden. Die Statistik gibt also wenig Anlass zur Hoffnung auf einen erfolgreichen Fußballabend. Zur Aufmunterung richten wir unseren Blick deshalb ganz bewusst auf die erfolgreichen Auftritte in Stuttgart.

Dafür muss man gedanklich viele Jahre zurückreisen. Als der VfL zuletzt in Stuttgart gewann, war Franz Beckenbauer Teamchef der deutschen Nationalmannschaft, Helmut Kohl Bundeskanzler und der VfL wurde von Hermann Gerland trainiert. Es war der 29. Mai 1987 und die allermeisten aktuellen VfL-Spieler waren noch nicht einmal geboren. Beim 4:2-Sieg erzielten Jupp Nehl, Uwe Wegmann und Frank Schulz die Tore. Knapp zwei Jahre zuvor (auch da war Tiger Hermann Gerland VfL-Trainer) waren dem VfL ebenfalls vier Tore gelungen (Volker Knappheide, Klaus Fischer und Stefan Kuntz). Der 4:0-Erfolg sorgte dafür, dass das komplette Team am Abend zu Gast im Aktuellen Sportstudio war – ein Novum in der Geschichte des VfL. Dass sich ein solcher Erfolg wiederholt, ist angesichts der aktuellen Situation mehr als unwahrscheinlich, aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Autor: Matthias Rauh

Obwohl in Bayern wohnhaft besitze ich eine Dauerkarte beim VfL und versuche, jedes Heimspiel und jedes Auswärtsspiel im Süden vom VfL mitzunehmen. Meine Begeisterung für den VfL entwickelte sich in der Saison 2006/07, endgültig besiegelt wurde sie bei dem eigentlich völlig belanglosen Spiel Karlsruher SC gegen den VfL im Jahr 2008. Während eines Fußballturniers wollten meine Mannschaftskameraden in der Bundesligakonferenz ständig die Zwischenstände von Bayern München und Nürnberg wissen, ich erntete misstrauische Blicke, als ich den Zwischenstand von Bochum wissen wollte. Abstieg, Relegation, Funkel, Neururer... ich bin immer noch dabei und freue mich immer mehr auf Spiele wie Bochum gegen Sandhausen als Bayern gegen Dortmund.

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