Euphorie statt Aderlass: Kehrt mit Bosz der Vollgas-Fußball zurück?

Der VfL und seine Fans fiebern dem ersten echten Härtetest dieser Vorbereitung entgegen. Am heutigen Abend (18.00 Uhr live im Vonovia Ruhrstadion und auf Sport1) empfängt das Team von Ismail Atalan den großen Nachbarn aus dem Osten. Mit Borussia Dortmund kommt – wie schon vor zwei Jahren – nicht nur eine der besten Mannschaften Deutschlands zu unserer Saisoneröffnung an die Castroper Straße, sondern zugleich auch der amtierende Pokalsieger. Um zu schauen, wie die Stimmung und die Erwartungshaltung in Dortmund ist, haben wir uns auf den 17 Kilometer langen Weg über die B1 gemacht und uns auch mit BVB-Fans ausgetauscht.

Beim BVB gibt es in der diesjährigen Sommerpause etwas Neues. Etwas Ungewohntes. Etwas, das man seit vielen Jahren in unserer Nachbarstadt nicht mehr erlebt hat. Nein, nicht den Trainerwechsel von Thomas Tuchel zu Peter Bosz. Nein, auch nicht die DFB-Strafen wegen unrühmlichen Verhaltens einiger Vollpfosten. Und erst recht nicht die Rückkehr von Mario „Mach ihn, er macht ihn“ Götze von der Krankenstation.

Nein, in dieser Sommerpause muss der BVB erstmals seit vielen Jahren keinen personellen Aderlass verkraften. Nach den Abgängen von Lewandowski, Hummels, Götze, Gündogan, Mkhitaryan und einigen anderen sehr talentierten Kickern mehr ist es diesmal gelungen, alle Leistungsträger – allen voran Pierre-Emerick Aubameyang – zu halten. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass in unserer Nachbarstadt spätestens seit Mitte dieser Woche, als die Hängepartie um Auba endlich beendet werden konnte, eine gewisse Euphorie herrscht.

Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)

Mit dem Pokalsieg im Rücken, mit einem mit Vorschusslorbeeren überhäuften Trainer und mit dem Verbleib eines Torjägers wie Aubameyang taugen die Aussichten auf die neue Saison durchaus zur Anregung der schwarz-gelben Fantasie. Und tummelt man sich ein wenig in der schwarz-gelben Fanszene, hört man mitunter selbstbewusste Forderungen: „Ich erwarte in der nächsten Saison nicht weniger als Rang zwei in der Liga und auch, dass man in der Champions League und im DFB-Pokal lange dabei ist“, hat BVB-Fan Sebastian, 25 aus Herdecke, klare Vorstellungen von der kommenden Spielzeit. Dies auch deshalb, weil die Konkurrenten aus der vergangenen Saison nun ebenfalls eine Dreifachbelastung wegstecken müssen.

Die wenigen Abgänge des BVB können diese Euphorie nicht dämpfen und wiegen zumindest sportlich gesehen wohl nicht allzu schwer. Doch aus Sicht eines eingefleischten Borussen-Fans ist der Wechsel von Sven „Manni“ Bender zu Leverkusen „eine echte Katstrophe“. Felix, 26 aus Waltrop, ist seit Kindesbeinen ein Borusse und ist entsetzt: „Ich habe fünf Bender-Trikots im Kleiderschrank“. Er kann nicht nachvollziehen, dass man einen Spieler wie Bender nicht mehr braucht und gehen lässt.

Ansonsten erhoffen sich viele BVB-Fans, dass es in der nächsten Saison wieder etwas ruhiger wird, als es im letzten Jahr mit Tuchel war. „Weniger Boulevard und Nebengeräusche, mehr Fußball, um es mal plakativ auszudrücken“, möchte sich Sebastian in dieser Saison wieder auf den grünen Rasen konzentrieren. Das scheint in den ersten Wochen zu funktionieren. Die Medien berichten, wie entspannt und ruhig es unter Peter Bosz zugehe.

Mit einem gewissen Sympathievorschuss startet Peter Bosz in Dortmund. Schließlich schaltete er im Viertelfinale der Europa League als Ajax-Coach den wenig beliebten FC Schalke 04 aus – eine Leistung, die in Dortmund sehr hoch eingeschätzt wird. Zudem hegen die Fans die Hoffnung, dass sich mit Bosz eine Rückkehr zum Kloppschen Vollgas-Fußball realisieren lassen kann, den viele Fans in den zwei Tuchel-Jahren sehnsüchtig vermisst haben.

Das passende Personal steht dem Niederländer jedenfalls zur Verfügung. Nicht nur der pfeilschnelle Aubameyang, sondern auch die hochtalentierten Ousmane Dembele, Christian Pulisic oder auch Emre Mor stehen für attraktiven und überfallartigen Offensivfußball, mit wuchtigen Angriffen über die Außenbahnen.

Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)

Peter Bosz bevorzugt wie auch VfL-Coach Atalan ein 4-3-3-System mit zwei Achtern und einer Absicherung. Gespannt sein darf man darauf, ob der neue Mann an der Seitenlinie die seit Jahren beim BVB gesetzte Viererkette gegen eine Dreierkette austauscht. Sollte er an der Viererkette festhalten, könnte Marc Bartra aufblühen, da Bosz auf aufrückende Innenverteidiger setzt und dieser taktische Kniff dem Spanier sehr entgegenkommt.

Sorgen bereiten dem Trainer die verletzungsbedingten Ausfälle von Marco Reus, Julian Weigl und ganz aktuell von Kapitän Marcel Schmelzer, der aufgrund eines Außenband-Teilrisses, den er sich während der Asien-Reise zugezogen hat, für mindestens vier Wochen ausfallen und den Saisonstart vermutlich verpassen wird. Da auch sein Backup Raphael Guerreiro wegen eines Fußbruches erst im Herbst wieder auf dem Platz stehen wird, muss Bosz umbauen und die linke Abwehrseite mit Eric Durm, Felix Passlack oder dem hochinteressanten Neuzugang Dan-Axel Zagadou besetzen.

Im schwarz-gelben Fanlager herrscht trotz der Verletztenmisere Konsens, dass der Kader sehr stark besetzt ist und zudem mit vielversprechenden Talenten ergänzt wird. Bei den Spielern sind die Fans am meisten gespannt darauf, wie Mario Götze zurückkommt und ob er wieder eine tragende Rolle im Mittelfeld einnehmen kann. Dem BVB und der Nationalmannschaft würde es gut tun.

Fazit: Gelingt es dem neuen Trainer, aus diesen (Welt)Klassespielern und den Talenten eine schlagkräftige Mannschaft zu formen, die auch der Dreifachbelastung standhalten kann, dürfte die Meisterschaft nach fünf langweiligen Jahren diesmal wieder etwas spannender werden. Ob es für den BVB für den ganz großen Wurf reicht, darf aber wohl bezweifelt werden. Aber gut möglich, dass heute Abend der künftige Vizemeister im Ruhrstadion gastiert.

Autor: Stephan Kottkamp

Meine Liebe zum VfL hat ganz klassisch angefanegen. Im Mai 1986 hat mich mein Vater zum ersten Mal mit ins Ruhrstadion genommen. Der VfL spielte gegen die Bayern und holte ein 1:1-Unentschieden (Tore: Frank Benatelli und ein gewisser Lothar Matthäus). Seither war ich unzählige Male im Ruhrstadion und erinnere mich am liebsten an die Zeit unter Klaus Toppmöller. Auch deshalb zählt Fußballgott Thomas Stickroth für mich zu den größten VfLern aller Zeiten.

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