Talentiert auch auf der Linie

In ungewohnter Rolle: Der große Tag des Dirk Eitzert

Heute vor 28 Jahren fand im Ruhrstadion ein Spiel statt, an das sich vermutlich alle, die dabei waren, noch erinnern können. Denn im Laufe der 90 Minuten kam es auf dem Rasen zu einem Rollenwechsel, der selbst in der verrückten Bundesliga nur ganz selten zu beobachten ist. Es war die Saison, in der der VfL zu den „Unabsteigbaren“ mutierte und im Mittelpunkt dieses Spiels am 18. April stand der 23-jährige Dirk Eitzert, ein sehr talentierter Kicker aus dem eigenen Nachwuchs. Doch der Reihe nach.

Es waren andere Zeiten im Fußball, als der VfL am Karsamstag 1992 ein wichtiges Heimspiel gegen Werder Bremen absolvierte. Für einen Sieg gab es nur zwei Punkte, an Live-Übertragungen auf SKY dachte noch kein Mensch und in der Beletage des deutschen Fußballs spielten Vereine wie die Stuttgarter Kickers, Dynamo Dresden, Hansa Rostock oder auch die SG Wattenscheid 09.

Der VfL steckte mal wieder knietief im Abstiegskampf, obwohl man mit ganz anderen Ambitionen in die Saison gestartet war. Im Sommer 1991 hatte Holger Osieck, der „kleine Kaiser“, den Trainerposten beim VfL übernommen und war sich sicher, dass es nun normal werden würde, Spiele zu gewinnen. Ein Anspruch, den man als Trainer wohl haben muss, wenn man ein Jahr zuvor neben Teamchef Franz Beckenbauer Fußballweltmeister geworden war und anschließend Co-Trainer beim damals sehr erfolgreichen Olympique Marseille war.

Doch leider kam es anders. Mit 16:22 Punkten beendete der VfL eine katastrophale Hinrunde, in der man wochenlang auf ein VfL-Tor warten musste, auf Platz 16 (die Bundesliga bestand in dieser Saison aus 20 Vereinen). Auch die Rückrunde begann wenig vielversprechend, obwohl man im Winter auf dem Transfermarkt tätig geworden war und einen jungen Mittelfeldwirbler aus Halle geholt hatte: Dariusz Wosz. Doch allein der kleine Dribbler, der in den kommenden Jahren zur VfL-Legende werden sollte, konnte das Ruder nicht herumreißen. Es bedurfte anderer Mittel.

Der Geist von Hennef

Der 25. Spieltag bedeutete die Wende. Nach einer 0:5-Klatsche gegen die Bayern und dem bevorstehenden Auswärtsspiel bei Tabellenführer Borussia Dortmund fuhr der VfL in ein Kurztrainingslager nach Hennef. Außerdem war man aus unerfindlichen Gründen auf rote Trikots umgestiegen und aus noch unerfindlicheren Gründen wurde plötzlich das gesamte Bochumer Umfeld nach einem überraschenden 1:1 im Westfalenstadion von einem unerklärlichen Aberglauben befallen. Von nun an ging es Woche für Woche in die Sportschule in der Nähe von Bonn, um den Geist von Hennef zu beschwören.

So auch im Vorfeld des 33. Spieltages. Mit Werder Bremen kam ein Gegner an die Castroper Straße, der damals zu den absoluten Top-Clubs der Bundesliga gehörte und einen Monat später den Europapokal der Pokalsieger gewinnen sollte. An der Seitenlinie coachte der ewige Otto Rehhagel und auf dem Platz standen Kicker wie Oli Reck, Uli Borowka, Rune Bratseth, Dieter Eilts und Wynton Rufer. Der VfL war aufgrund der Tabellensituation einmal mehr zum Punkten verdammt. Doch für Werder Bremen war der VfL in den 80er und 90er Jahren ein extrem zuverlässiger Punktelieferant, so dass die Aussicht auf Erfolg eher bescheiden war.

So war es auch nicht verwunderlich, dass die Gäste kurz nach dem Seitenwechsel durch Marco Bode in Führung gingen. Die 13.500 Zuschauer staunten nicht schlecht, als Olaf Dressel nach Vorarbeit von Dariusz Wosz jedoch nur wenige Minuten später den Ausgleich erzielte. Wiederum nur eine Viertelstunde war vergangen, da brachte Wynton Rufer die Gäste erneut in Führung – alles deutete auf den erwarteten Auswärtssieg hin. Doch dann wurde es spektakulär.

Rot für die Katze

In der 78. Minuten flog ein langer Ball in Richtung Bochumer Tor. Ralf Zumdick spurtete aus seinem Gehäuse, nahm den Ball auf und rutschte mit dem Leder in seinen Armen über die Strafraumgrenze: Schiedsrichter Stenzel zückte die Rote Karte für unerlaubtes Handspiel außerhalb des Strafraums. Da der VfL bereits zwei Mal gewechselt hatte, musste nun ein Feldspieler ins Tor gehen. Die Wahl fiel dabei auf Dirk Eitzert, der seinerzeit neben Peter Peschel zu den größten Talenten beim VfL zählte.

Auf die erste Bewährungsprobe als Keeper musste Eitzert nicht lange warten. Dem Handspiel von Zumdick folgte ein Freistoß von der Strafraumgrenze. Wer diesen Freistoß geschossen hat, lässt sich leider nicht mehr recherchieren. (Lieber Dirk Eitzert, wenn Du diesen Text liest, melde Dich bitte und lass uns über dieses Spiel sprechen.) Jedenfalls kam der Schuss zentral aufs Tor und konnte von Aushilfskeeper Eitzert sicher aufgenommen werden.

Der VfL warf anschließend mit dem Mut der Verzweiflung alles nach vorne, um auch in dieser aussichtslosen Situation doch noch zum Ausgleich zu kommen. Und als niemand mehr damit rechnete, pfiff der Schiedsrichter ein zweifelhaftes Foul im Bremer Strafraum und zeigte auf den Punkt. Funny Heinemann ließ sich die Chance nicht nehmen und verwandelte sicher zum umjubelten 2:2. Da Dirk Eitzert den Bochumer Kasten bis zum Abpfiff sauber hielt, kam der VfL zu einem unerwarteten und im Abstiegskampf extrem wichtigen Punktgewinn. Dirk Eitzert war der Mann des Spiels und sicherte sich einen Eintrag in den VfL-Geschichtsbüchern.

 Er gehört zu den „Unabsteigbaren“

Der gebürtige Dortmudner spielte von 1989 bis 1995 in der 1. und 2. Liga für den VfL, kam aber aufgrund zahlreicher Verletzungen insgesamt nur zu 34 Einsätzen. Im Jahre 1995 musste er dann mit nur 26 Jahren einen Antrag auf Sportinvalidität stellen und seine Karriere beenden. Dem Fußball blieb er aber treu und trainiert seitdem zahlreiche Mannschaften im Amateurbereich. Seit März ist er als Co-Trainer beim Dortmunder Westfalenligisten BV Westfalia Wickede tätig.

Nach einer 38 Spieltage dauernden Berg- und Talfahrt zog der VfL Bochum am Ende der Saison doch noch den Kopf aus der Schlinge und schaffte der Klassenerhalt. Der Punkt gegen Werder war hierbei mitausschlaggebend. Zugleich war die Bezeichnung der „Unabsteigbaren“ geboren. Dirk Eitzert hat seinen Anteil dazu beigetragen.

Der VfL spielte mit:

Ralf Zumdick – Thomas Kempe – Christian Herrmann, Olaf Dressel – Hieko Bonan, Dirk Eitzert, Frank Heinemann, Uwe Wegmann, Dariusz Wosz, Peter Peschel – Rocco Milde

Tore: 0:1 Marco Bode (48.), 1:1 Olaf Dressel (54.), 1:2 Wynton Rufer (68.), 2:2 Frank Heinemann (90. FE)

Autor: Stephan Kottkamp

Meine Liebe zum VfL hat ganz klassisch angefanegen. Im Mai 1986 hat mich mein Vater zum ersten Mal mit ins Ruhrstadion genommen. Der VfL spielte gegen die Bayern und holte ein 1:1-Unentschieden (Tore: Frank Benatelli und ein gewisser Lothar Matthäus). Seither war ich unzählige Male im Ruhrstadion und erinnere mich am liebsten an die Zeit unter Klaus Toppmöller. Auch deshalb zählt Fußballgott Thomas Stickroth für mich zu den größten VfLern aller Zeiten.

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