Aufstieg 2018? – Der VfL Bochum zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)

Die Erwartungshaltung in Bochum ist derzeit riesig. Spieler, Vorstand und Fans – alle erwarten diese Saison nicht weniger als den Aufstieg in die erste Bundesliga. Doch der großen Welle der Euphorie folgte nach der 0:1 Pleite gegen den FC St. Pauli am vergangenen Freitag vorerst die Ernüchterung. Zu groß waren Hoffnung und Zuversicht, als dass ein Großteil der Fans die Niederlage gegen den Aufstiegsaspiranten aus Hamburg nüchtern betrachten könnte. Doch ist die enorme Erwartungshaltung rund um den Verein überhaupt gerechtfertigt oder eher einer emotionalen Befangenheit geschuldet?

Der Anspruch der Fans an den eigenen Verein ist jedenfalls seit dem Abstieg im Jahr 2010 jedes Jahr aufs Neue enorm hoch. Zufrieden waren die Fans lediglich mit dem fünften Platz aus der Saison 2015/16. Doch auch hier sprachen viele von einer vergebenen Chance, denn so viel mehr sollte doch mit dem Kader möglich gewesen sein. In sieben Jahren 2. Bundesliga hörte man zu keiner Zeit, dass das Team in einer Saison das Maximale aus den eigenen Möglichkeiten herausgeholt hat. Haben also Spieler und Verantwortliche sieben Jahre in Folge versagt oder lässt das Fan-Dasein keine objektive Einschätzung der finanziellen und sportlichen Gegebenheiten zu? Eines steht fest, während die Konkurrenz im Umfeld des VfL Bochums nicht selten kleingeredet wird („die muss man auch ohne die ganzen Verletzten locker schlagen“), sehen die Anhänger die Möglichkeiten des eigenen Vereins meist deutlich größer als die neutralen Beobachter. Das Wort „Aufstieg“ ist in Bochum allgegenwärtig, so auch dieses Jahr. Doch wie sind die Voraussetzungen des Vereins im Vergleich zur Konkurrenz?

Der VfL im ligaweiten Vergleich

Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)

Ein sachlicher Blick auf das Zahlenwerk bescheinigt dem VfL Bochum jedenfalls seit Jahren nicht mehr als Durchschnitt im Vergleich mit der Konkurrenz. Lag der Verein mit einem Spieleretat von gut acht Millionen ein Jahr nach dem Abstieg aus der ersten Bundesliga noch auf Platz 3 in der 2. Liga, folgte unter Ernst und Todt der finanzielle Abstieg. So befand sich der VfL Bochum bei der Amtsübernahme von Christian Hochstätter im Sommer 2013 mit dem Rücken zur Wand. 6,8 Millionen Schulden, zuzüglich ausstehenden Steuernachzahlungen in Höhe von circa einer Million Euro und dazu konstant rote Zahlen – der VfL hätte wohl ohne einem Verkauf von Leon Goretzka Insolvenz anmelden müssen. Auch der Spieleretat wurde für die Saison 2013/14 auf lediglich 7,4 Millionen zurückgeführt, womit man sich nach Schätzungen nur noch im unteren Mittelfeld befand. Trotz dieser prekären Situation richtete man damals den Blick nach vorne und nannte weiterhin als mittelfristiges Ziel die 1. Bundesliga. Im Grunde war es das Einzige, was man den Fans vermitteln konnte, für die der VfL immer noch gefühlt ein Erstligist war. Doch Tradition und Wunschdenken bringt einem Verein letzten Endes im sportlichen Bereich sehr wenig. So konnte Engelbracht bei der Infoveranstaltung sehr gut die Korrelation zwischen Spieleretat und Ligaposition der Vereine in den Abschlusstabellen aufzeigen.

Die Gesamtentwicklung der letzten vier Jahre unter Hochstätter und Engelbracht sollte weitestgehend bekannt sein. Die Schulden konnten auf 4,9 Millionen im Jahr 2016 abgebaut werden und erstmalig erhielt man die Lizenz ohne weitere Auflagen. Für das Jahr 2017 werden nach Schätzungen der Ruhrnachrichten nur noch 4,5 Millionen Schulden vermeldet und aus konstant roten Zahlen wurden mittlerweile wieder schwarze. Gleichzeitig wurde der Spieleretat sukzessive in das solide Mittelfeld zurückgeführt. So steigerte man sich von den 7,4 Millionen auf 8,8 Millionen in der Saison 2015/16 bis hin zu 9,6 Millionen in der abgelaufenen Saison. Im ligaweiten Vergleich befand man sich damit allerdings immer noch in der unteren Tabellenhälfte. Auch in anderen Bereichen war der VfL in der letzten Saison weiterhin die „graue Maus“ der zweiten Liga. Ob Mitgliederzahl (ca. 9.000 – Platz 11), Zuschauer (ca. 17.000 – Platz 12) oder Marktwert der Spieler (13,18 Millionen – Platz 9, Quelle Transfermarkt.de), in keinem Aspekt war der VfL besser als der biedere Durchschnitt. Dennoch konnte die sportliche Talfahrt aus den Jahren 2011-2015 gestoppt werden und man schaffte mit Platz 5 und Platz 9 (trotz Verletzungsmisere) respektable Platzierungen, die deutlich über den finanziellen Gegebenheiten lagen. Nicht vergessen sollte man zudem die exzellente Jugendarbeit, welche mittlerweile in der 2. Bundesliga ihresgleichen sucht. Nicht nur sämtliche Jugendabteilungen direkter Konkurrenten aus der 2. Liga wurden abgeschüttelt, auch konnten obendrein einige Jugendvereine der Erstligisten hinter sich gelassen werden. Außenstehende möchten doch meinen, dass all dies Grund zur Freude gibt und die erfolgreiche Arbeit bei den Anhängern anerkannt wird. Doch nicht so im Umfeld des VfL Bochum. Im Gegenteil, es werden Stimmen laut, dass Hochstätter doch bitte seinen Platz räumen soll, wenn diese Saison der Aufstieg „mal wieder“ nicht klappen sollte. Betrachtet man die finanziellen, sportlichen und strukturellen Errungenschaften der letzten Jahre, so klingen diese Stimmen mehr als nur absurd. Doch was heißt das jetzt im Umkehrschluss für die Fans? Soll man sämtliche Träume auf einen Aufstieg ablegen und sich mit einem Platz im Mittelfeld begnügen, ähnlich wie damals zu Erstligazeiten?

Geheimfavorit Bochum

Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)

Die kurze und prägnante Antwort hierauf lautet „nein“. Das Ziel Aufstieg wurde bewusst ausgegeben und soll vor allem die Anhängerschaft aus der Lethargie des Zweitliga-Alltags wecken. Was möglich sein kann in Bochum sah man nicht zuletzt in Freundschaftsspielen gegen Dortmund oder vor nicht allzu langer Zeit gegen die Bayern. Die Stadt lechzt nach der 1. Bundesliga und die Verantwortlichen gehen mutig voran, wohlwissend, dass diese Ansage auch nach hinten losgehen kann. Mit jungen Spielern – mit offensiven und vor allem attraktiven Fußball soll dieses gemeinsame Ziel Aufstieg erreicht werden. Dafür wurde mit Atalan explizit ein Trainer geholt, welcher sich nahtlos in die Ausrichtung des Vereins einfügt. Vorbei sind die Zeiten, in denen kein übergeordnetes Konzept auf Vereinsebene vorhanden war und der Erfolg an Zufall und einzelne Personen gekoppelt wurde. Hochstätter und Engelbracht haben exzellente Arbeit geleistet und so sind die Hoffnungen nach einer Aufstiegsfeier im Frühjahr 2018 auch nicht unbegründet. Trotz mittelmäßigen Etat, trotz mittelmäßigen Zuschauerzuspruch – der Verein hat sich sportlich wieder in der oberen Tabellenhälfte etabliert. Die gute Jugendarbeit unterstreicht diese Ansprüche und der Kader ist durch die Rückkehr der Langzeitverletzten und klugen Transfers sowohl quantitativ und qualitativ so gut wie lange nicht mehr aufgestellt. Das macht uns mit Sicherheit noch nicht zu einem der Top-Favoriten für den Aufstieg, aber mit gutem Gewissen kann man sich in die Rolle des Geheimfavoriten begeben. Schafft es Atalan die Mannschaft ähnlich gut zu führen wie seinen Ex-Verein aus Lotte, scheint diese Saison deshalb auch ungeachtet des denkbar ungünstigen Starts gegen St. Pauli alles möglich.

Träumen ist also durchaus erlaubt in Bochum, allerdings sollte man dabei nicht vergessen welche Personen diese Ausgangslage überhaupt erst ermöglicht haben. Einfach wird ein Aufstieg dabei mit Sicherheit nicht, denn neben uns reiht sich eine Vielzahl an weiteren potentiellen Mitbewerbern mit ähnlichen Ambitionen auf. Unabhängig davon, wo wir schlussendlich in der Tabelle landen, sollte dabei jeder in erster Linie das Hier und Jetzt genießen. Endlich wieder ansehnlicher Fußball, endlich wieder nachhaltig gute Arbeit in Bochum und endlich wieder berechtigte Aufstiegshoffnungen zu Saisonbeginn. Der VfL lebt wieder – höchste Zeit also, dass auch Träume wahr werden!

Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)

Autor: Jens Hartenstein

In Bayern geboren, führte mein Weg zum Fußball über den FC Bayern München erst über Umwege zum geliebten VfL. Hierbei hat mich insbesondere die Phase Mitte der 90 geprägt, als man unter anderm in den UEFA Cup einzog. Nach einer jugendlichen Trotzphase, in der ich mich fast gänzlich dem Fußball, aber vor allem der Kommerzialisierung von selbigem abgewandt hatte, fand ich dann Anfang des neuen Jahrtausends wieder zurück zum Fußball. Ein echter Fußballfan kann eben doch nicht ohne seine Leidenschaft. Spätestens als ich dann beim Abschiedsspiel von Darius Wosz dessen letztes Bundesligator, den Abstieg Gladbachs und unseren beinahe Einzug in den UI-Cup live im Gladbacher Stadion feiern durfte, wars um mich dann komplett geschehen. Seitdem sind mäßige Spiele, Niederlagen, Abstiege und sämtliches Leid aller VfL Fans mein ständiger Wegbegleiter.

3 Comments

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  1. Toller Beitrag, spricht mir aus der Seele – auch wenn ich Hochstätters Arbeit nicht ganz so positiv sehe.
    Im Übrigen -> toller Blog, weiter so. Habe mich deswegen extra angemeldet 🙂

  2. Ich kann Legator nur zustimmen. Ebenso habe ich mich aus dem Grund bei euch angemeldet, um meine Hochachtung eurer website gegenüber zum Ausdruck zu bringen. Ich lese seit einiger Zeit bei transfermarkt mit und freue mich, einige besonnene und kompetente user von tm hier wieder zu treffen – und das sogar in einer deutlich ansprechenderen Form.

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