Das erste Mal in der Saison 2019/20 geht unser VfL Bochum mit 1:0 in Führung. Am Ende steht der erste Punkt in der Fremde, die so dringend benötigten 3 Punkte werden jedoch kurz vor Schluss verschenkt. Wir diskutieren den Status Quo in drei Kommentaren.
Claudio Gentile: Tja – es gibt halt so Phrasen im Fußball, die bestätigen sich immer wieder – „Machste vorne die Dinger nicht…“. Isoliert betrachtet war das Spiel in Sandhausen von unserer Elf ein sehr, sehr annehmbares. Man spielte sich viele hochkarätige Chancen heraus und hatte den Gegner im Griff. Nur irgendwann muss man halt auch mal die Tore machen. Diesmal braucht es keine tiefgreifende Analyse, sondern es reicht ein plattes „Es fehlen die Tore“ auf Stammtisch-Niveau. Kommende Woche gegen Darmstadt stehen wir wahnsinnig unter Druck. Geht das schief, könnten wir trotz neuem Trainer mal wieder in eine Negativ-Spirale rutschen. Aber hey – bisher sind wir unter Reis ungeschlagen und die spielerische Qualität des Gezeigten auf dem Rasen ist ok. Hoffen wir, dass diese Entwicklung am kommenden Samstag mit drei Punkten weitergeht.
Tobias Wagner: Trotz des ärgerlichen Ausgleichs kurz vor Schluss bin ich positiv gestimmt. Taktisch schraubt Thomas Reis an den richtigen Details, ohne die Mannschaft durch große Änderungen zu verunsichern. Das Pressing aus dem 4-4-2 wird wie von Dutt geprägt im Raum, jedoch wieder etwas aggressiver interpretiert – ohne in Verbeek’sche Manndeckungen zu verfallen. Im Spielaufbau gibt es jedoch wieder die von Verbeek bekannten geplanten Rotationen, beispielsweise das Herausrücken von Anthony Losilla auf die rechte Halbverteidigerposition, die Cristian Gamboa ein Aufrücken und Simon Zoller bzw. Milos Pantovic ein Einrücken in die bevorzugten Räume ermöglicht. Auch das asymmetrische Aufrücken der Außenverteidiger gab es wieder zu bestaunen. Reis kombiniert das beste aus beiden Welten. Die Richtung stimmt. Gerade in der ersten Halbzeit konnten wir dominanten Fußball mit feinen Spielzügen durch den Zehnerraum beobachten – Simon Zollers Chance in der 44. Minute nach schönem Steckpass von Danny Blum ist hier als Beispiel zu nennen.
Durch die Reintegration von Robert Tesche und Stefano Celozzi sowie die Rückkehr der Verletzten Tom Weilandt, Chung-Yong Lee und Maxim Leitsch hat Reis auch wieder mehrere Optionen. Hoffen wir, dass er diese in Zukunft noch besser nutzt. Die Einwechslung von Tesche für Pantovic kann im Nachhinein als falsches Zeichen gewertet werden. Anstatt weiter mit breiter Brust das Spiel durch eigenen Ballbesitz zu beruhigen, wurde durch die im Vergleich zu Pantovic eher hektische Spielweise von Neuzehner Vitaly Janelt die Kontrolle abgegeben. Hier fiel den Bochumern der psychologische Effekt auf die Füße, der ihnen in den letzten Heimspielen noch spektakuläre Aufholjagden ermöglichte. Wenn man zurückliegt, kann die Situation nur besser werden. Führt man jedoch, hat man Angst den Vorsprung zu verlieren. Diese Angst zeigte sich in den letzten Minuten. Sollte es Reis gelingen, die Dominanz der ersten Halbzeit über gesamte Spiele, auch in Führung, zu konservieren, dann sehe ich für den VfL in eine positive Zukunft. Auch wenn das vorerst nur das Verlassen der Abstiegsplätze bedeutet.
Stephan Kottkamp: SKY-Kommentator Holger Pfandt brachte es nach Spielschluss auf den Punkt: „Nach diesem Spiel dürfen sich die VfL-Spieler in den Allerwertesten beißen!“ Recht hat er. Was war passiert? Der VfL zeigte im ersten Auswärtsspiel unter dem neuen Trainer Thomas Reis eine ordentliche Leistung, beherrschte die Gastgeber, ließ nichts zu und kam selbst zu mehreren guten bis sehr guten Tormöglichkeiten. Doch leider hatte das Team den alten Herberger-Spruch „Ein Spiel dauert 90 Minuten“ nicht verinnerlicht und so sahen die Zuschauer ab der 80. Minute ein komplett anderes Spiel.
Nachdem Sandhausen 50 Minuten gebraucht hatte, um überhaupt mal auf das Tor von Manuel Riemann zu schießen, drehten die Kurpfälzer ab der 80. Minute auf und drängten den VfL in die eigene Hälfte. Die Gastgeber, die bis dahin eine erschreckend schwache Vorstellung abgeliefert hatten, waren plötzlich das spielbestimmende Team, der VfL hingegen wurde von Minute zu Minute unsicherer.
Nun könnte man meinen, dass sowas im Fußball halt passiert und dass sowas in den besten Familien vorkommt. Problematisch wird dies aber, wenn es immer und immer wieder passiert. Und beim VfL haben wir solche Spiele in den letzten Jahren sehr oft erleben und ertragen müssen. Mal wieder standen Aufwand und Ertrag in einem krassen Missverhältnis. Mal wieder brachte sich der VfL um den verdienten Lohn. Mal wieder endete das Spiel gegen einen schwächeren Gegner für den VfL und seine Fans mit einer Enttäuschung. Thomas Reis ist inzwischen der x-te Trainer, der versuchen muss, diese Fragilität in den Griff zu bekommen und der Mannschaft die Konstanz und Kompaktheit einzupflanzen, die es braucht, um solche Spiele zu gewinnen. Sollte das nicht klappen, wird es eine sehr schwierige Saison mit ungewissem Ausgang.
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