Nicht in den großen Abgesang einstimmen

Leidenschaftliche Zweikämpfe und voller Fokus werden am Samstag nötig sein. Foto: VfL Bochum

Die Stimmung nach der Niederlage gegen Jahn Regensburg in der ersten Runde des DFB-Pokals ist bei vielen Beteiligten im Bochumer Umfeld ‚dezent‘ angespannt. So manches wird in Frage gestellt. Die Erwartungshaltung des Anhangs im Duell gegen eine Mannschaft, die frisch in die zweite Bundesliga aufgestiegen ist, ist eine andere. Mal wieder wird ersichtlich, wie schnell sich die Gemütslage vieler Bochumer sich im Pendel der Extreme zwischen Weltuntergangsstimmung und purer Extase bewegt. Doch es gibt auch noch ganz viel dazwischen. Ein Gastbeitrag von „BOlx161“ aus dem Bochumer Transfermarkt-Forum.


Ich muss hier auch noch etwas sagen. Ich bin ja auch sehr oft kritisch und bin mit dem Kader bisher auch nicht wirklich zufrieden. Aber ich will jetzt auch nicht in den großen Abgesang einstimmen. Dafür waren die letzten beiden Testspiele zu positiv und man hat gesehen, wie es funktionieren kann.

Der beste und wichtigste Transfer bisher, der meiner Meinung nach völlig unterschätzt wird und in der ganzen Diskussion hier kaum Beachtung findet, ist für mich auch kein Spieler, sondern Trainer Peter Zeidler. Er hat einen klaren Plan und Vorstellungen, wie und mit wem er spielen will. Damit hat er in der Schweiz großen Erfolg gehabt. Natürlich kann man das nicht einfach eins zu eins auf uns und die Bundesliga übertragen und kopieren. Dennoch muss man schon blind sein, um nicht die deutlichen Fortschritte zu sehen, die die Truppe in der Vorbereitung Woche für Woche gemacht hat. Daran ändert auch ein durchwachsenes Pokalspiel mit einem schlechten Ergebnis nichts.

Keine spielerische Armut

ABER: Nach wie vor sehe ich die Baustelle vor allem im Z(O)M – denn dort braucht man, trotz anderer Spielweise gegen gewisse Gegner, einen kreativen Spieler zumindest als Option im Kader. Sonst wird es gegen diejenigen Gegner, die sich hinten reinstellen, schwierig und außer der Brechstange bleibt uns taktisch nicht viel als Mittel dagegen. Natürlich werden die allermeisten Gegner in der Liga gegen uns nicht mauern, aber wie schon angemerkt, braucht es auch (taktische) Variabilität/Optionen bei Rückstand.

Grundsätzlich sehe ich übrigens keine spielerische Armut. Wir haben Bologna und vor allem Le Havre spielerisch (!) dominiert und viele Torchancen herausgespielt und das ohne ‚Kreative‘. Ja, es waren ’nur‘ Testspiele, aber auch die haben am Ende einer Vorbereitung eine gewisse Aussagekraft. Dennoch sollte das Pokalspiel gezeigt haben, dass man diese Option einfach im Kader haben muss, wenn der Gegner sich einmauert und/oder Spieler einen schlechten Tag haben. Zumal wir dafür mit vier Mittelfeldspielern in der Raute einfach zu dünn besetzt sind. Ja, wir haben mit Toto, Jahn, Elezi und Pannewig nominell weitere vier Spieler in der Hinterhand – aber zum einen gehe ich davon aus, dass mindestens ein Perspektivspieler ausgeliehen wird und zum anderen sind die drei Letztgenannten eben (noch) nicht mehr als das: Perspektivspieler. Ich möchte den Jungs auch nicht noch drei weitere Spieler vor die Nase setzen – dann hätte man sich das Konzept mit den Perspektivspielern tatsächlich sparen können. Aber als erste Einwechseloption oder als Starter im Falle des einen oder anderen Ausfalls wäre mir eben auch sehr unwohl in der Besetzung.

Qualität und Quantität im Kader – was ist vorhanden, was fehlt?

Dazu fehlt mir auf beiden Außenverteidigerpositionen die Quantität (links) und die Qualität (rechts). Ob man nun einen AV holt, der beide Seiten bedienen kann, oder für jede Seite einen, ist fast egal. Aber mit der jetzigen Besetzung in die Saison zu gehen, halte ich für sehr fahrlässig. Mir ist klar, dass das alles kein Wunschkonzert ist und wir nicht die attraktivste Option auf dem Markt sind für Spieler des „höheren Regals“. Aber sowohl das bevorzugte Spielsystem als auch die zur Verfügung stehenden Spieler und damit genau diese Baustelle(n) waren mit der Verpflichtung von Zeidler eigentlich klar. Da Lettau bisher tatsächlich Spieler mit Qualität (Sissoko, de Wit, Boadu, Medic) an Land ziehen konnte, gehe ich weiterhin davon aus, dass diese Baustelle zumindest auf links noch behoben wird. Zumal es dort – meines Erachtens nach – mit einem klaren Backup ’schon‘ getan wäre.

Für den Angriff würde ich mir persönlich noch einen variablen Stürmer wünschen, aber ich bin auch nicht ganz stur: Dadurch, dass der Kader sowohl für die Raute als auch für ein System mit Flügelspielern aufgebaut war/ist, haben wir auf dem Papier schon einige Offensivkräfte. Bezüglich der Qualität sehe ich zwar gerade bei Bamba und Baldé und auch beim immer noch nicht optimal eingespielten Kwartung noch einige Fragezeichen, aber trotzdem könnte ich hier noch am ehesten auf einen weiteren Transfer verzichten und glaube, dass einer oder zwei der aufgezählten Spieler auch in einem Doppelsturm neben beispielsweise Boadu funktionieren „könnten“.

Von typischen Sündenböcken und der Angst vor Neuem

Dann muss ich noch eine Sache loswerden, die mich tatsächlich schon wieder tierisch ankotzt. Wobei – eigentlich sind es zwei:

1. Die Suche nach Sündenböcken, die schon wieder in die zweite Liga abgeschoben werden. Ja, Daschner hat (bisher) nicht so den großen Impact gehabt. Ja, Passlack ist auch nicht mein Lieblingsspieler im Kader und ich hätte ihn lieber als Backup. Ja, Broschinski hat ein unglückliches Spiel hingelegt und nach seiner zuletzt aufsteigenden Formkurve wieder einen Rückschritt gemacht. Aber diese drei allein haben das Spiel nicht verloren, da stand eine ganze Mannschaft auf dem Platz und es war nicht so, dass die Mitspieler Bäume ausgerissen hätten – sonst wären wir trotzdem eine Runde weitergekommen.

Dieses Aburteilen nach einem Spiel einer Saison gegen einen Gegner, der schon im Rhythmus ist, ist völlig daneben, vor allem wenn man quasi die letzten Wochen der Vorbereitung mit diesen Spielern zufrieden sein konnte. Und nein, ich will das Ausscheiden sicher nicht kleinreden oder beschönigen. Aber zwischen tiefschwarz und strahlend weiß gibt es noch diverse andere Farbtöne.

2. Dass hier schon wieder gesagt wird, dass es mit dem System, das Zeidler bevorzugt, nicht klappen wird – ja nicht klappen kann – und man auf „aLtBeWäHrTeS“ zurückgreifen muss. Hinten rein, vorne zwei schnelle Spieler auf die Außen. Nur nichts Neuem eine Chance geben und das, OBWOHL man durchaus sehen konnte – ja, man kommt nicht umhin, das anzuerkennen – dass sowohl die Aufstellung als auch die Spielweise durchaus funktionieren kann und zudem einen attraktiveren Fußball ermöglicht.

Entwicklung braucht Mut, Vertrauen und Zeit

Das zuvor Benannte ist einfach rückwärtsgewandtes Denken und besonders ‚lustig‘ ist dieses Denken dann, wenn man gleichzeitig erwartet, dass sich der Verein irgendwie nach vorne entwickelt. Ja, ich will diese Entwicklung auch und nicht bis in alle Ewigkeit gegen den Abstieg spielen und von der Hand in den Mund leben. Aber man sollte sich schon bewusst sein, dass zu einer Entwicklung auch Veränderungen und Anpassungen gehören, auch auf dem Platz. Vielleicht wäre es einfach mal angebracht, nach dem ersten Misserfolg nicht gleich diverse Spieler und auch das System und die Spielweise über den Haufen zu werfen.

Wie viele andere auch bin ich mit der Kaderplanung (noch) nicht ganz zufrieden und sollte nicht mindestens noch ein LV und ein Z(O)M kommen, werde ich das auch weiterhin deutlich zum Ausdruck bringen. Aber ich weigere mich ganz klar, hier in den großen Abgesang einzustimmen oder schon wieder diverse Säue in Form von Spielern durch`s Dorf zu treiben.

Ich freue mich nach wie vor auf die Saison und auf die Mannschaft. Ich freue mich auf die neuen Spieler wie eben Sissoko, de Wit, Boadu, Drewes oder Medic. Das sind Namen, von denen wir vor dieser Transferperiode nur träumen konnten. Ich habe richtig Bock zu sehen, wie sich die jungen Wilden wie Jahn, Elezi, Bamba, Baldé, Crimaldi und/oder Pannewig und auch die nicht mehr ganz so jungen wie Daschner oder Kwarteng entwickeln und wie wir uns als Verein vielleicht eine nicht ganz neue, aber angepasste Identität geben. Ich stehe dahinter.

Trust the process Zwinkernd

Dieser Artikel erschien in einer ersten Fassung als Beitrag im Bochumer Transfermarkt-Forum. Wir fanden ihn so differenziert, dass wir „BOlx161“ gerne eine Plattform geboten haben, auf der seine subjektive Ansicht einem breiteren Publikum zur Verfügung gestellt werden kann. 

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Autor: Claudio Gentile

Als gebürtiger Bochumer wurde ich das erste Mal im zarten Alter von sechs Jahren ins Ruhrstadion geschleppt. Der VfL verlor. Was auch sonst. Trotzdem ließ mich der Verein nicht mehr los und spätestens als ich ein paar Tage nach meinem ersten Stadionbesuch das legendäre Papagei-Trikot mit einem "Peter Peschel"-Flock überstreifen durfte, war es um mich geschehen. Das ist jetzt 26 Jahre, wenig Siege und viele Niederlagen her. Wo die Liebe im Fußball hinfällt, kann man sich ja bekanntlich nicht aussuchen. Und eine Liga kennt Liebe auch nicht.

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