Lang ist es her, dass das Lungenvolumen eines Unparteiischen in Form des Luftstoßes in die spielleitende Tröte mir derart viel Gewicht vom Herz geschossen hat. Mittlerweile ist seit dem Abpfiff aller Abpfiffe so mancher Tag vergangen. Stückweise spüre ich, dass die unfassbare Anspannung und Euphorie einer Mischung aus bodenständiger Erleichterung und Erschöpfung weicht. Die Tatsache, dass der VfL Bochum ins vierte Erstligajahr gehen darf, ist überragend. Es war irre knapp, anstrengend und emotional. Diesmal noch einen Schnuff mehr als sonst. Emotionaler Rückblick Nummer drei.
Das Ende der laufenden Saison zeigt, dass wir, allem bereits erlebten Irrsinn zum Trotz, beim VfL scheinbar doch noch nicht alles gesehen haben, was die Fußballwelt so hergibt. Herrschaftszeiten – es war noch knapper, als es jemals zuvor war. Selbst die Knappheit wurde knapp.
Mir fallen vereinzelte Zitate ein, die mir einige Lehrer im Laufe meiner Schulzeit aufˋs Brot schmierten. Beispielsweise: „Junge, schon wieder mit dem Arsch über die Klippe gerutscht“. Oder: „Markmann, eine vier minus ist keinen Highfive wert“. Doch, das ist sie, verdammt nochmal! Und so fühlt es sich, resümiert betrachtet, auch an. Wie die vier minus, die nach einem verkackten Schuljahr gerade noch so das Sitzenbleiben verhindert.
Pessimisus und vermeintliche Erfahrung wurden explosiv eines Besseren belehrt
Meinen Blog-Kumpeln Claudio und Matthias ähnelnd war auch ich mir sicher, dass der Aufzug nach dem Debakel vom Hinspiel eine Etage tiefer fahren wird. Als Kollege Chris mich Montagabend um 18:00 einsammelte, brachen im Auto Hohn und Freude wegen meines Rentner-Lunchpakets aus. Anstelle von Pils, Zuversicht und Geld für Fastfood hatte der Markmann alkoholfreies Radler, Aussichtslosigkeit und geschmierte Dinkelbrötchen dabei. „Heute gibtˋs eh nichts zu feiern, dementsprechend lieber Energie für den kommenden Arbeitstag und das Konto sammeln“ – so meine Gedanken bei der Abfahrt.
Die Ereignisse der folgenden Stunden zeigten mir eindrucksvoll, wie sehr ich mit den Gedanken daneben lag. Die zunächst leicht flatternde Pulserhöhung nach Philipp Hofmanns Kopfball zum 0:1. Das Ausrutschen und Stürzen aufgrund eines Sprints auf der Blocktreppe, nachdem ich das 0:2 nicht sah, sondern lediglich hörte, als ich vom Klo kam. Der Schweißausbruch, das Herzrasen und die schmerzhaft pochenden Schläfen nach Kevin Stögers gewohnt eiskalt verwandeltem Elfmeter und dem 0:3.
Die zwischenezeitliche Leere und der aufkommende psychische Selbstschutz durch Verdrängung in der Verlängerung. Die maximale Anforderung an den Schließmuskel, als unser Abwehrkollektiv in der 118. Spielminute der fallenden Guillotine per Blockspektakel auswich. Das unbeschreibliche Gefühl, als Takashi Uchino (an dieser Stelle aufrichtig empathisches Mitleid für diesen vermutlich unvorstellbar schmerzhaften Moment) den entscheidenden Elfmeter in den Himmel setzte und eine Orgie aus Umarmungen, Tränen, Pyrotechnik und brachialem Gesang folgte.
An all diejenigen, die sich fragen, wie die letzte Sequenz tatsächlich aussah: Schaut einfach mal hier rein.
Ein fetter Dank an die Jungs, die es bis zum Schluss wirklich wollten
Ich kann mich nicht davon freireden, die Moral des Teams und seiner individuellen Figuren nach dem Hinspiel mit Trauer hinterfragt zu haben. Ehrlich gesagt kam ich sogar zu dem Schluss, dass das unruhige Saisonfinale, die internen und externen Eskapaden und die Last-Minute-Punktverluste dazu führten, dass sich im Rückspiel niemand mehr so richtig reinhängen wird. Dass der Abstieg schon vor Anpfiff relativ sicher ist. Ich wurde korrigiert – und auf wat für einem Niveau.
Allem voran, von Claudio bereits gebührend gehuldigt, Kevin Stöger. Saisonübergreifender Wahnsinn. 4121 bei „Kickbase“ erspielte Punkte und damit in der fiktiven Spielgesamtwertung zum Saisonende vor Joshua Kimmich. Mehr braucht es nicht zu sagen.
Folgend Andreas Luthe, der sich im Sinne des Teams aufraffte und, als er plötzlich gebraucht wurde, zur Stelle war. Umso beeindruckender, mit welcher Größe und Menschlichkeit er die Gesamtsituation aus seiner Sicht nach dem Spiel resümierte und sein Karriereende ankündigte.
Darüber hinaus der mental unglaublich präsente Cristian Gamboa, der aufopfernd Christos Tzolis abgrätschende Tim Oermann, der bis in den Krampf laufende Anthony Losilla – danke, danke, danke!
Noch mehr Videoinput für Herz und Seele
Für einen Aspekt hat das Spiel am Montag gesorgt: Dass ich, erstmalig nach dem damaligen Klassenerhalt bei Borussia Dortmund, abends im Bett lag, VfL-Videos schaute und dabei angefangen habe, zu weinen. Herrlich, was Fußball alles so anrichten kann. Für mich persönlich tatsächlich einer der Aspekte im Leben, der den größten Einfluss auf meine Emotionen ausübt.
Angefangen bei der Spielzusammenfassung, die die ganze Nummer im Schnelldurchlauf zusammentackert. Fortgesetzt bei dem offizielen „Ihr und wir in Jahr 4!„-Video vom Verein selbst und abgerundet durch die Erleichterungsschreie von Keven Schlotterbeck, die Achselhaare von Gambo und die Freudentränen von Abwehrtier Ivan Ordets.
Dem Social-Media-Team unseres Herzensvereins, dessen Arbeit ich zunehmend schätze und liebe, sei Dank, dass solche Momente zuhause, unterwegs oder sonstwo wieder und wieder nachkonsumiert und aufgesaugt werden können.
Trotz aller Euphorie – lassen wir die Kirche im Dorf
Ja, die Art und Weise, den letztendlich doch gerade so erreichten Klassenerhalt zu feiern, ist wahnsinnig intensiv. Ja, es sind die Abende, von denen ich meinem Nachwuchs noch lange erzählen werde (oder den Nachbarskindern, falls es mit dem Nachwuchs nichts wird). Ja, es sind die Hundertstelsekunden, in denen der Balleinschlag im Netz besonders tief unter die Haut geht.
Aber (!): Wie schon erwähnt. Es ist ’nur‘ der Klassenerhalt. Und, vor allem: Wir haben ihn wirklich in allerletzter Sekunde und mit allerhöchstem Aufwand erreicht. Alles andere als souverän und (Montag mal ausgeklammert) spielerisch überzeugend verabschieden wir uns aus der Spielzeit. Eine nicht unumstrittene Trainerentlassung, Raum für Kritik bietende Auftritte und Reaktionen unserer Vorstandsebene, fragwürdiges Verhalten einiger Spieler – all diese Faktoren sorgten dafür, dass das Ende maximal kantig abgerundet wurde.
Mal schauen, was wird – wir freuen uns
Ich bin wahnsinnig gespannt, was uns bevorsteht und erwarte, dass (neben dem jüngsten Rücktritt des Ur-Bochumer Patrick Fabians) noch Einiges geschehen wird. Auf der Trainerbank, innerhalb des Kaders und wer weiß, wo sonst noch . Lasst uns gemeinsam weiter vertrauen und drauf bauen, dass die Köpfe, die die Zügel in der Hand halten, gute Entscheidungen treffen.
10 unserer Jungs wurden bereits offiziell verabschiedet. Nehmt euch die Zeit, die Taschentücher für die Tränen und einen gemütlichen Sitzplatz und lasst ihren Beitrag für den VfL nochmal Revue passieren. Schön wäre es, wenn der eine oder andere in der kommenden Saison doch noch im Ruhrstadion aufläuft. Mich persönlich würde besonders der Verbleib Schlotterbecks sehr freuen.
Nun ist aber erst einmal Pause. Einerseits tut diese nach den extraheftigen Strapazen der letzten Wochen gut – andererseits sind Wochenenden ohne den VfL natürlich nicht das, was es zur vollständigen Lebensqualität braucht.
Der VfL ist und bleibt einzigartig liebenswert
Vor wenigen Wochen, in einer der häufig geführten Diskussionen über den als unnötig stressig bewerteten Saisonendspurt, sagte ich: „Wenn wir uns Ende Mai lachend zurücklehnen können und der ganze Thriller mit Erfolg gekrönt ist, war es doch wieder geil“. Und Gott (oder auch Stöger) sei Dank – es hat geklappt.
Ausgerechnet in der Halbzeit im Rückspiel in Düsseldorf kam mir eine Erleuchtung. Diese beantwortete mir die Frage, warum ich mir die Wege, die Investitionen und die kardiologische Belastung zugunsten des VfL immer und immer wieder reinziehe. Es war Campino von den Toten Hosen, der eben jene Erleuchtung brachte. Während ich die 15 Minuten Pause mit einem laff schmeckenden Carlsberg 0,0 im Sitzen verbrachte, sang er es mir aus den Stadionlautsprechern zu:
„Und alles nur, weil ich dich liebe!“
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