Den großen Wurf aufs Spiel gesetzt – Ein Kommentar

Am Freitagabend hatte der VfL Bochum unter Flutlicht gegen die Borussia aus Gladbach die Möglichkeit einen großen Schritt Richtung „Wunder“ Klassenerhalt zu machen. Vor knapp 25000 Zuschauern wird ein Bierbecher trauriger Hauptdarsteller des Abends. Ein Kommentar von Moritz Möller und Claudio Gentile.

Christian Streich brachte es vor wenigen Wochen nach dem Spiel direkt auf den Punkt: „Wir haben heute gegen sehr intensive Bochumer in einem wunderbaren Stadion gespielt. Es hat mir wahnsinnig viel Spaß gemacht, hier zu spielen. Der VfL Bochum ist ein toller Verein. Das ist für mich Fußball hier.

Solche und ähnliche Reaktionen hat der VfL Bochum 1848 landauf, landab bisher in dieser Bundesligasaison nach elf Jahren häufiger hervorgerufen – mit einer Mannschaft, die unter Trainer Thomas Reis immer bis zur letzen Minute kämpft und aus dem zweitkleinsten Etat der Liga mit Willen, Herz und mannschaftlicher Geschlossenheit das „Wunder“ Klassenerhalt jeden Spieltag ein Stückchen näher rücken lässt. Nicht nur die Fußballfeste an der Castroper Straße, auch der starke Support der Auswärtsfahrer wurde häufig gelobt und zuletzt von den Frankfurter Anhänger das pietätsvollen Verhalten der Fans aus Bochum bei der Schweigeminute für die Vereinslegende Jürgen Grabowski anerkannt.

Das Ende einer unfassbaren Geschichte?

Gestern Abend hat das Image des Vereins und seiner Fans leider massiv Schaden genommen, in dem ein Becherwurf gegen Linienrichter Christian Gittelmann aus einem VfL-Fanblock zum dritten Spielabbruch der Ligageschichte führte.

In einem Spiel, in dem man mit der verunsicherten Borussia trotz einiger coronabedingter Ausfälle auf Augenhöhe war, sogar Möglichkeiten hatte in Führung zu gehen. Einzig ein überragender Yann Sommer konnte seine Mannschaft im Spiel halten. Auch zum Zeitpunkt des Spielabbruchs, als man 0:2 zurücklag, hatte man sportlich noch alle Möglichkeiten, zumindest einen Punkt zu holen – ein Anschlusstreffer hätte dem Nervenkostüm der Fohlenelf sicherlich nicht gut getan. Stattdessen beraubte der Becherwurf uns an diesem Abend der Chance, dem Klassenerhalt noch einen Schritt näher zukommen. Stürmer Simon Zoller brachte es auf den Punkt:

https://twitter.com/SiZolli/status/1504933131085926400?s=20&t=r2PwgML3GexmekonQWZHDA

Seit dem Re-Start nach der Coronaspielpause hat sich der VfL Bochum mit einer unfassbaren Geschichte zurück in die Herzen der Fans gespielt und auf vielen Ebenen die Fans abgeholt. Der Becherwurf am Freitagabend war der erste mit Folgen. Schon gegen Union Berlin und beim dramatischen Ausscheiden in letzter Minute im DFB-Pokal gegen Freiburg waren Bierbecher in Richtung der Gästespieler geflogen. Damals wurde die Vorfälle von einigen Fans durch die provokative Art mancher Spieler gerechtfertigt. Und sind wir mal ehrlich – jeder Becherwurf ist zu verurteilen, aber vor allem gegen Freiburg und dem provokanten Jubel nach dem Siegtor in der 120. Minute direkt vor den Blöcken A bis C dachten sich die meisten innerlich nur „Da muss sich der Schlotterbeck nicht wundern“. Auch dem Verein ist die Thematik bewusst und daher hatte sich die Content-Abteilung mal wieder ins Zeug gelegt und hat vor dem Spiel ein entsprechendes Video veröffentlicht:

Appell an die Fans

So hat es eine gewisse Ironie, dass gerade an dem Tag, an dem der VfL ein Video zum Thema der Bierbecherwürfe veröffentlicht, das Spiel gegen Gladbach genau aus diesem Grund abgebrochen werden muss. Viele Anhänger machen sich jetzt berechtigt Sorgen, ob mit dieser unüberlegten Aktion man sich nicht einiges kaputtmacht was man mühevoll aufgebaut hat. Trainer Thomas Reis und Sportchef Sebastian Schindzielorz hatten schon vor dem Viertelfinale im Pokal gegen den SC Freiburg an die Fans appelliert:

Wir haben vor der Saison gesagt, dass wir die Herausforderung nur gemeinsam bewerkstelligen können […]. Die absolute Gemeinschaft zu leben, jeden einzelnen im blau weißen Trikot bedingungslos zu unterstützen, weiterhin zusammen für das Große und Ganze zu kämpfen, den Fokus nicht verlieren und uns nicht in Kleinigkeiten zu verzetteln, dann können wir eine erfolgreiche Saison spielen.

Schon im Heimspiel gegen Mitaufsteiger Greuther Fürth hört man in der Ostkurve einige Stimmen, die sich nach einem Dreivierteljahr Bundesliga mit genug Oberwasser lieber an einer Schalker Niederlage ergötzen, als ihre Mannschaft bei einem Spiel, welches Cristian Gamboa als Spiel des Jahres betitelte, nach Kräften zu unterstützen. Ist es vielleicht in den letzten Wochen und Monaten bei dem ein oder anderen fast „schick“ geworden, dem Ruf der „Ruhrpottassis“, der durch Max Kruse so präsent wurde, noch ein Ticken mehr gerecht zu werden? Sich durch die Stimmung leiten zu lassen und Grenzen zu übertreten? Man weiß es nicht.

Schonungslose Aufklärung

Es gibt Dinge, über die gibt es keine zwei Meinungen: Der Vorfall muss rigoros aufgeklärt werden und der Täter oder die Täterin wird so schnell kein Stadion mehr von Innen sehen. Der Verein, aber auch wir als Anhängerschaft müssen uns überlegen, wie wir zukünftig sowas verhindern können. Jedem Fan muss klar sein, dass unser Verein nun unter besonderer Beobachtung steht, was das Verhalten der Fans und insbesondere die Wurf-„Kultur“ angeht. Man kann nur hoffen, dass der Spielabbruch und die Konsequenzen, die unser Verein für diese Aktion tragen muss, für die wenigen anderen Warnung genug ist, trotz aller Emotionalität den Becher festzuhalten und nicht zur werfen.

Genauso richtig ist es allerdings auch, sich gegen eine Stigmatisierung der kompletten Bochumer Anhängerschaft stark zu machen. Ja, es ist einfach, wenn man auf der moralisch richtigen Seite steht, draufzuhauen und ein Strafmaß zu fordern, was jenseits von Gut und Böse ist verglichen mit ähnlich Vorfällen, wie es gerade auf Twitter von einigen Fans anderer Vereine passiert. Es waren gestern knappe 25.000 Menschen im Stadion, von denen, bis auf wenige Ausnahmen, eben keiner Bierbecher geworfen hat. Der Vorfall soll in keinster Weise relativiert werden, aber Würfe von Gegenstände sind ein Phänomen, was den Fußball überall begleitet und kein exklusives Bochumer Problem ist. Man möge nur an die Szene in Leverkusen erinnern, als die Dortmunder aus dem Leverkusener Block mit Bier beworfen wurden, Jude Bellingham einen Becher fing und mal eben austrank. Jetzt den Bochumer Anhang in eine Schmuddel-Eckel zu stellen und pauschal zu verurteilen, ist genauso wenig zielführend.

Gemeinsam für den großen Wurf

Wir haben uns in dieser Spielzeit bis dato einen hervorragenden Ruf erarbeitet in der Bundesliga. Atmosphäre, Fans, der Fußball und die Mannschaft an sich. Der VfL und sein Umfeld machen vieles richtig. Ja, der Ruhrpott ist ruppig, hart und ehrlich. Trotzdem müssen wir aufpassen, dass dieser Charme nicht durch einzelne Aktionen von Einzelnen, die Grenzen überschreiten, kaputt gemacht wird.

Der Wurf von Freitagabend, darf nicht den großen, gemeinsamen Wurf des VfL Bochum und seinen Anhänger in dieser Saison in Gefahr bringen. Der Klassenerhalt und ein weiteres Jahr Bundesliga sind für den Verein nicht selbstverständlich. Dies gelingt nur mit geschlossener, bedingungsloser Unterstützung der Fans und ohne dumme, schädliche Aktionen.

„It takes 20 years to build a reputation and five minutes to ruin it. If you think about that, you’ll do things differently.“ – Warren Buffet

Autor: Moritz Möller

Über 20 Jahre begleitet mich der VfL jetzt schon - oder ich ihn. Ein Heimspiel Anfang der 90ziger gegen Leverkusen war der Auslöser, dann ging es auf einmal aus der zweiten Liga nach Europa, Abstieg, Aufstieg, wieder Europa, Abstieg und Relegation. Manch euphorische Saisonphasen die vom Auf.... träumen ließen, dazwischen Heimspiele mit 9000 Zuschauern gegen Aue, Mettbrötchen auf dem Weg nach Oberhausen, eine enttäuschende Auswärtsbilanz meinerseits und viele andere schöne Erinnerungen gehören dazu. Immer dabei: Dauerkarte, ein Fiege und eine Gruppe aus guten Freunden in Block Q sind für mich mit dem VfL einfach untrennbar verbunden.

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