Hand in Hand mit dem Abpfiff des Spiels des VfL Bochum gegen den FSV Mainz 05 am 33. Spieltag der Bundesliga herrschte Klarheit. Nach vier Jahren im Oberhaus wird der Ritt auf der bundesweit am höchsten schwappenden Welle für das Team von der Castroper Straße vorerst enden. Das 1:4 entpuppte sich als schonungslos offene Sachstandsmeldung im Zuge einer insgesamt schwachen und frustrierenden Saison. Am temporär sportlichen Abgrund angekommen zeigte sich in den überaus erotischen Betonklötzen des Ruhrstadions dennoch eindrucksvoll, dass sportlich begeisterte Herzen auch unabhängig von leistungsorientierten Aspekten hoch und laut schlagen können. Und, dass die Vereinsliebe und Solidarität in Bochum nicht an Ergebnisse geknüpft sind. Ein Kommentar.
Wer sich über den Abstieg aufregen und ausschließlich das sportliche Versagen beleuchten möchte, darf den folgenden Abschnitt gern lesen und das Medium der Wahl dann beiseite legen.
33 Spiele, 22 Punkte und eine Tordifferenz von (Stand jetzt) -22. Ein grauenvoller Saisonauftakt unter Regie eines suboptimal gewählten Trainers, ein zu spätes phasenweises Aufbäumen – was maßgeblich aufgrund des (zu?) späten Hinzuziehens verpflichteter Spieler entstand.
Keinen Jungen in der Mannschaft, der mehr als sieben Tore erzielte. Ein nicht ausreichend breit aufgestellter Kader, ein (so gut wie) sicherer 18. Tabellenplatz inklusive der kleinsten erreichten Punktzahl und der schlechtesten Tordifferenz. Nur 13 Punkte aus 17 gespielten Partien in der heimischen Festung. Das ist exakt so, wie es sich liest – zum kotzen und zu wenig.
Aber: ist und war denn alles so düster, wie es nun, zum Zeitpunkt des feststehenden Scheiterns, im ersten Moment wirkt? Sind die Schwingungen in der Sphäre des besiegelten sportlichen Versagens so negativ, wie es zunächst scheint? Oder strahlt dort trotzdem irgendwo die Sonne in den Weiten des aktuell dunkel verregneten Fußballhimmels über Bochum?
Eine derbe Klatsche bei einer Stimmung von Weltklasse
Die Überschrift liest sich zurecht verwirrend. 1:4 Tore, 11:22 Torschüsse, 44:56 % Ballbesitz und ein nach Abpfiff feiernder Auswärtsblock, der sich zurecht die Hoffnung macht, international zu spielen, während wir selber abgestiegen sind. Würde ich das schlichtweg lesen, ohne live vor Ort gewesen zu sein, täten mir diejenigen Leid, die im Stadion waren. Aber – und das ist unbegreiflich positiv verwirrend und schön – es fühlte sich anders an, als es vermuten lässt. Zumindest für mich.
Dass sich ein randvoll gefülltes Stadion nach dem soeben gefallenen 0:2 und dem damit bevorstehenden Abstieg einheitlich erhebt, sich in die Arme nimmt und aus tiefster Kehle wohlwollend singt, ist nicht selbstverständlich. Das betonten nach Abpfiff sogar Jonathan Burkardt und ein großes nationales Presseblatt. Spätestens in der 53. Spielminute, als Philipp Mwene das zweite Tor für die Gäste erzielte, dürfte allen klar gewesen sein, dass der Zug abgefahren ist.
Ein kurzer Moment der Stille, vereinzeltes Raunen und in perfekt wütender Parabel geschwungene, abwinkende Hände – bis aus den Ecken der Ostkurve ein Gesang erklang, der die ganze Bude ruckartig ergriff.
„VfL, wir sind da, jedes Spiel, ist doch klar, zweite Liga, tut schon weh, scheiß egal – Bochum ole!“. Lange hatte ich das Lied live und allgemein nicht mehr gehört, ziemlich genau vier Jahre. Und plötzlich war es wieder da. Laut, präsent und selbstverständlich, als wäre es nie verstummt. Und das fühlte sich – zumindest für mich – friedlich und stimmig an.
Von einem Moment auf den anderen war die Gewissheit da: wir packen es nicht mehr und gehen runter. Während in anderen Stadien in solchen Situationen negative Emotionen, Hass und sogar Ausschreitungen an die Oberfläche dringen, sang das Ruhrstadion einheitlich, langanhaltend und mit erhobenen Schals. Für den VfL, für die treuen Dienste loyaler Spieler, für einen Coach, der sich der Sache offenen Herzens angenommen hat und – für uns selbst.
Emotional intensive Momente in verschiedenen Bereichen
Schon vor Anpfiff zeigte sich, dass das letzte Heimspiel der Saison kein Gewöhnliches werden würde. Um 15:15 wurden Allzeitkapitän Anthony Losilla und der immer gallig und mit 101% agierende Cristian Gamboa verabschiedet. Mit ihren Familien, Geschenken, Tränen, tosendem Applaus und einer schönen Choreo. Darüber hinaus lief auf den Leinwänden ein knapp zweieinhalbminütiges Abschiedsvideo, dem das gesamte Stadion – auch der Mainzer Auswärtsblock, Respekt und Dank dafür – seine Aufmerksamkeit schenkte.

Gekrönt wurde das Ganze in der 71. Spielminute. In eben jener zeigte Dieter Hecking erneut, das Herz am rechten Fleck zu haben, indem er den beiden die Chance gab, sich mit 20 Minuten Spielzeit ein letztes Mal auf dem geliebt heimischen Grün zu zeigen. Unter Standing Ovations hauten sich beide ein letztes Mal rein – für den Verein, unter dessen Wappen sie lange Jahre ihre Knochen und Seele boten.

Nach Abpfiff schnappten sich beide das Mikrofon von Michael Wurst und eröffneten dem Stadion ein letztes Mal, was es ihnen bedeutet hat, für unseren Club zu spielen. Anschließend ergriff auch Coach Dieter das Wort. In einer kurzen, dafür unnachahmlich authentischen Rede zollte er dem Publikum mit von Tränen gebrochener Stimme seine Hochachtung für die emotional auf den Abstieg erfolgte Reaktion.
Als er sich anschließend entschuldigte und versprach, mit seinem Umfeld alles tun zu werden, um das Geschehene zu reparieren, brach auch ich ein paar Minuten in Tränen aus und konnte eindrucksvoll fühlen, was der geilste Club und schönste Sport der Welt mit meiner Seele anrichten.
Alt Bekanntes neu erleben – oder verbessern?
Nach nunmehr vier Jahren in der ersten Liga endet die Reise, die ich mir in den zehn vorhergehenden Jahre kaum erträumen konnte. Genau so versuche ich es aktuell zu bewerten. Als eine schöne Momentaufnahme, die ich genossen habe und die nun (vorerst?) ein Ende findet.
So dünn und leer die aktuelle Saison auch war, erinnere ich mich gern an das aufgeholte 3:3 gegen Leipzig, den 2:0 Heimsieg gegen Borussia Dortmund und den 2:3 Auswärtssieg bei den Bayern zurück. Möchte mich dabei aber nicht unverhältnismäßig an die wenig präsentierten Strohhalme klammern.
Die Realität ergibt, dass der VfL Bochum im August 2025 in der zweiten Bundesliga antreten wird. Ich bin fein damit. Die ganze Saison war – sportlich betrachtet – ein Krampf, der oft Frust, Unverständnis und zuletzt Resignation in mir geweckt hat. Nun noch einmal auf Biegen und Brechen am letzten Grashalm hängend in eine derartige Hängepartie zu gehen – ne, danke.
So gilt es in der kommenden Saison wieder, unter anderem gegen die Nachbarn aus Gelsenkirchen, Arminia Bielefeld, Dynamo Dresden und (hoffentlich) Preußen Münster anzutreten. Auch diese Begegnungen bieten die Chance auf atmosphärisch traditionell intensive Fußballerlebnisse.
Aller Voraussicht und Hoffnung nach auf sportlich anderem Niveau – hoffentlich mit dem ein oder anderen Spiel, in dem wir uns auf Augenhöhe (und höher) mit dem Kontrahenten bewegen.
Mit Vertrauen und gutem Glauben in die Sommerpause
Kommenden Samstag geht es noch einmal auf dem Boden der ersten Fußball Bundesliga zum Auswärtsspiel zum FC St. Pauli. Ich bin dankbar, dabei sein zu dürfen und hoffe, dass die Mitreisenden einen schönen Fußballsamstag mit ähnlich guter Stimmung und Harmonie wie im letzten Heimspiel erleben können. Danach steht die Pause an. Diese wird den meisten von uns psychisch und kardiologisch erst einmal gut tun.

Was danach geschieht, steht in den Sternen. Ich habe unter anderem Angst, ein Durchreich-Szenario zu erleben, in dessen Rahmen wir dagegen ankämpfen müssen, nicht in Liga drei abzusteigen. Ich habe unter anderem die Hoffnung, dass wir eine schöne intensive Saison erleben und am Ende hoffen können, erneut einen Aufstieg feiern zu dürfen.
Was ich definitiv habe, ist das Vertrauen in Dieter Hecking und Dirk Dufner. Dass es den beiden in guter Zusammenarbeit gelingen wird, einen wettbewerbsfähigen und gern für unsere Farben spielenden Kader zusammen zu stellen.

Das Schreiben der Beiträge und der wöchentliche Nervenkitzel werden mir fehlen. Das unverplant spontan in sonnige Wochenende Gehen wird mir gut tun. Zwischendurch werde ich mal mit dem Fahrrad zum Stadion fahren, in die Blockeingänge schauen und mich auf das erste Heimspiel freuen. Habt einen schönen Sommer, ich freue mich auf die kommende Spielzeit – Glück auf und nur der VfL!
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