Der VfL Bochum schlägt die übermächtigen Bayern, verdient und mit Traumtoren. Wie konnte es dazu kommen? Richtig glauben können wir es immer noch nicht. Was ein Samstag.
Von Tobias Wagner und Claudio Gentile.
Trotz Einstimmung mit diversen Videos von Peter Madsens Siegtor im Jahr 2004 gegen die Bayern – so richtig Optimismus wollte vor dem Spiel am Samstag nicht aufkommen. Wenn es gegen den Rekordmeister geht, geht es meist rein um Schadensbegrenzung. Trotzdem, wir spielen eine großartige Runde, das Wetter wollte auch, die Ritterburg vor dem Spiel gut gefüllt. Bock war da. Wichtig ist in Stuttgart nicht heute – den Satz hörte man nicht nur einmal vor dem Spiel. Wie wir uns alle irrten.
Selbst der Stromausfall im gesamten Stadtteil Grumme konnte der guten Stimmung keinen Abbruch tun. Auch wenn „Bochum“ nicht gespielt werden konnte, kurz vor Spielbeginn, für die laustarke Untermalung des Einmarsches der Mannschaften sorgten kurzerhand wieder die 8.500 Fans.
Thomas Reis schickte eine veränderte Elf ins Rennen – Riemann fiel wegen einer Corona-Infektion aus und wurde, wenig überraschend, durch Bruno Esser ersetzt. Für Pantovic und Tesche rückten Losilla und Osterhage in die Startelf. Auf dem Flügel ersetzte Antwi-Adjei Asano. An unserer Grundausrichtung im 4-3-3 änderte sich wenig.
Die Bayern defensiver
Julian Nagelsmann veränderte seine Grundformation zu einem 4-1-4-1 und setzte zuerst nicht auf das brutal offensive 3-4-2-1 System der Vorwochen. Die Außenpositionen der Viererkette waren mit Lucas Hernandez und Benjamin Pavard eher defensiv besetzt. Die Idee war es wohl, den schnellen Bochumer Flügelspielern nicht so viele Räumen auf den Außen anzubieten.
Im Ballbesitz blieben Hernandez und Pavard tiefer und eher zentral neben dem alleinigen Sechser Joshua Kimmich – auf dem Papier eine durchaus gute Idee, da so die typischen Bogenläufe unserer Außenspieler im Pressing von den Außen- auf die Innenverteidiger nicht so leicht möglich waren. In der Praxis wurde jedoch das Zentrum durch die sich nun kompakt formierenden Außen verschlossen, und Hernandez und Pavard wurden somit in viele Zweikämpfe in engen Situationen gebracht, die ihnen nicht wirklich liegen.
Die einzige Route für die Bayern waren daher direkte, lange Bälle auf die Außenstürmer, die sich gegen Soares und Gamboa im 1 gegen 1 durchsetzen sollten. Eine Folge von Flügelverlagerungen führte dann auch zum frühen Rückstand. Danach jedoch ließ Soares gar nichts mehr zu und auch Gamboa konnte in Hälfte 1 mit der Unterstützung von Bella Kotchap, Losilla und Osterhage seine Seite weitgehend unter Kontrolle halten.
Nach nur neun Minuten lag unsere Elf also schon zurück. Hatte man sich innerlich schon spätestens da auf die Niederlage eingestellt, nahm nun ein denkwürdiger Fußballnachmittag seinen Lauf, wie man es sich nicht hätte träumen lassen. So sorgte Antwi-Adjei nur fünf Minuten später für den Ausgleich nach tollem Lauf von Holtmann auf dem linken Flügel. Das Stadion tobte. Geht hier etwa doch was?
Auch nach dem Ausgleich wurde man das Gefühl nicht los, dass wir mindestens auf Augenhöhe spielten. Unsere Elf war griffiger, ließ wenig zu und das Dreigespan Losilla – Elvis – Osterhage lief jeden Raum zu. Die Jungs haben Bock – die Fans auch. Jeder gewonnene Zweikampf wurde gefeiert.
Der Wahnsinn beginnt
Was dann passierte – 38. Die 2:1 Führung nach Handelfmeter durch Locadia. Herzkasper. Was ist hier los? Zwei Minuten später. Einwurf Gamboa, Hacken-Doppelpass Osterhage, Gamboa aus unmöglichem Winkel am Rande des Sechzehners. Der Ball wird länger. Zack. Boom. Bang. Wooooo hat er den denn ausgepackt? Jubel – na sicher – aber noch viel mehr Sprachlosigkeit. 3:1 gegen die Bayern. Gänsepelle ist am Start. Aber…wenn du denkst, es geht nicht besser. Vier Minuten später. Pass Osterhage auf Holtmann, der startet auf der linken Seite, spielt Upamecano aus und zwirbelt in bester „Fifa-R1“-Manier mit seinem schwachen Fuß ins Tor. Spätestens jetzt sieht man die meisten Leute mit verschränkten Armen hinter dem Kopf. WAS PASSIERT HIER?
Die gesamte Erste Halbzeit war wohl einer der besten, die man in den letzten Jahren vom VfL gesehen hat. Die gesamte Mannschaft spielte wie aus einem Guss. Im Stadion hörte man einige sagen „Das ist wie gegen Trabzonspor“ – ker, das ist 25 Jahre her.
In Halbzeit 2 stellte Nagelsmann wieder auf das 3-4-2-1 um. Die Bayern wurden dominanter. Der VfL blieb dank Weltklasse-Leistungen von Losilla und Soares jedoch stabil, kam selbst zu Chancen, konnte aber kein 5. Tor mehr nachlegen. Den Bayern gelang noch den Anschluss zum 4:2. Der VfL bringt den Sieg tatsächlich über die Zeit. Drei Punkte. Gegen München. Wahnsinn.
Was eine Leistung
Nach so einer Leistung möchte man eigentlich keine Spieler hervorheben. Hätte nur ein Rädchen im Gesamtgefüge nicht funktioniert am Samstag wäre es niemals zu diesem Ergebnis gekommen. Trotzdem – zwei Namen müssen erwähnt werden. Unser Kapitän Toto Losilla. Wie er mit seinen bald 36 Jahren die Bundesliga annimmt, ist kaum in Worte zu fassen. Nicht wenige hatte vor der Saison die Befürchtung, dass es in Puncto Tempo eng werden könnte. Er belehrt uns alle eines Besseren. Hut ab für die Leistung am Samstag aber auch alles das, was er in den Spielen davor schon gezeigt hat.
Der zweite Spieler, der bei allem Jubel um die ganzen Tore etwas untergegangen ist, ist Patrick Osterhage. Die Erwartungshaltung bei den meisten Fans war sehr niedrig bei seiner Verpflichtung. Was der Junge am Samstag gespielt hat, welche Zweikämpfe er gewonnen hat, welche Räume er dicht gemacht hat. Wahnsinn. Nicht umsonst krönte er seine tolle Leistung mit zwei Vorlagen. Aber nochmal: Es war eine grandiose Mannschaftsleistung. Soares Weltklasse auf links, Holtmann grandios. Man weiß gar nicht wo man anfangen und wo aufhören soll.
Dieser Verein
Was haben wir die letzten Jahre gelitten. Was haben wir uns für einen „scheiß“ Fußball anschauen müssen. Was haben wir hohe Niederlagen gegen Aue und Co. wegstecken müssen. Was der VfL in den letzten zwei Jahren abliefert, entschädigt für ganz vieles. Genau für die Spiele wie Samstag ist man Fan von diesem wunderbaren Verein. Für die wenigen Spiele, in denen man nicht fassen kann, was da gerade passiert. Die Zusammenfassungen auf allen möglichen Plattformen hat man mittlerweile fünf Mal durch. Und einige Views werden sicher noch dazukommen. Gänsehaut. Immer noch. Drei Punkte, drei Bier. Brachte im Interview nach dem Spiel alles auf den Punkt.
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