Die Leichtigkeit des Seins am 26. Spieltag

Simon Zoller (M.) fehlt dem VfL Bochum im so wichtigen ersten Spiel der entscheidenden Wochen. Wer soll ihn ersetzen? Foto: David Matthäus Fotografie
Unsere Jungs haben gegen den 1. FC Heidenheim kurz die Muskeln spielen lassen. Foto: David Matthäus Fotografie
Foto: David Matthäus Fotografie

An einem ganz gewöhnlichen Samstag ereignete sich an der Castroper Straße Ungewöhnliches. Stell dir vor es ist Heimspiel und keiner darf hin. Statt der Fans wurden kurzerhand unsere Auswechselspieler auf die Tribüne gesetzt, um ordentlich Stimmung zu machen und unsere Jungs nach vorne zu peitschen. Das gelang nur bedingt. Aber das war nicht das Ungewöhnliche. Gefühlt erstmalig konnte unsere Mannschaft über 90 Minuten einen ungefährdeten Heimsieg einfahren. Stellenweise zeigte sie dabei so dominanten Fußball, dass Sky im Hinblick auf die Jugendfreigabe eine Torschau eines vergangenen Spieltages zeigen musste. Das Spiel gegen den 1. FC Heidenheim in der Nachbetrachtung.

Hatte wieder Grund zum Jubeln: Kapitän Anthony Losilla köpfte zum 1:0. Foto: David Matthäus Fotografie

3:0. Wenn man das Ergebnis hört, kann man als Fan neidisch werden. Denn solch einen überzeugenden und fast frei von Gefahr nach Hause gebrachten Heimsieg darf man anne Castroper selten bestaunen. Umso bedauerlicher ist es, dass die aktuelle Situation ein Spiel vor leeren Rängen erfordert. Doch wir alle dürften gestern vor dem TV Gerät hin und her gehüpft sein und uns über die kurzweilige Abwechselung im derzeit so eintönigen Alltag gefreut haben. Wie für Übertragungen des VfL im TV üblich, gab es seitens Sky eine Panne. So wurde einige Minuten lang die Torschau des 20. Spieltags statt des Live-Bild aus dem Stadion übertragen. Im Westen nichts Neues. Bitte empfehlen sie uns weiter.

Der Spielverlauf eines besonderen Heimspiels

Als hätte es die zweimonatige Pause nicht gegeben, war unser VfL vom Anpfiff an im Spiel und machte deutlich wer hier und heute das Heft des Handelns in der Hand halten würde. Mit einer gefühlten Überzahl im Mittelfeld und einem lebhaften Kombinationsspiel setzen die Hausherren den Gast – immerhin auf Tabellenplatz 4 –  immer wieder unter Druck und zwangen ihn zu Fehlern, ohne freilich gleich zu guten Torchancen zu kommen.

Dreh- und Angelpunkt im Bochumer Spiel: Winterneuzugang Robert Zulj. Foto: Tim Kramer (VfL Bochum)

Trotzdem dauerte es nur zehn Minuten bis die Fans am Fernseher oder am Radio über den ersten VfL-Treffer seit dem 1. März jubeln durften. Danilo Soares brachte einen Freistoß aus zentraler Position in den Strafraum und fand Kapitän Anthony Losilla, der, ohne allzu große Gegenwehr und mit freundlicher Unterstützung des Heidenheimer Keepers, zur frühen Führung einköpfen konnte. Die Hygienevorschriften befolgend, bildete sich um den Torschützen keine jubelnde Spielertraube. Es wurde lediglich mit den Unterarmen gratuliert. Ein seltsames Bild.

Was dem VfL in dieser Saison so häufig widerfuhr, war gestern nur kurzzeitig im Bereich des Möglichen. Mit der Führung im Rücken ließ sich der VfL zurückfallen, so dass der Gast aus Baden-Württemberg die Kontrolle übernahm und zu einer vielversprechenden Torchance durch Robert Leipertz kam. Doch der VfL hat die zwei Monate Pause offensichtlich genutzt, um sich auch mental zu verbessern. Die Heidenheimer Überlegenheit währte nur gut zehn Minuten und der VfL fand wieder zurück ins Spiel.

Insbesondere Winterneuzugang Robert Zulj und Jordi Osei-Tutu setzten der Heidenheimer Hintermannschaft zu. Zulj zeigte sich als Dreh- und Angelpunkt im Mittelfeld und verteilte mit großer Übersicht und Spielintelligenz die Bälle im letzten Drittel. Neben der Defensivstärke und einer ungeahnten Flexibilität im Offensivspiel gehörte diesmal auch die Effektivität vor dem Tor zu Bochums Stärken. Einmal mehr war es Zulj, der einen Angriff einleitete und Soares wunderbar in Szene setzte. Der dribbelstarke Brasilianer steckte zu Tutu durch, der wiederum nicht ernsthaft attackiert wurde und aus gut zehn Metern ins lange Eck einnetzte. Mit dieser hochverdienten Führung ging es in die Kabinen.

Cristian Gamboa hatte seine rechte Seite erneut unter Kontrolle. Foto: David Matthäus Fotografie

Es wird den einen oder anderen Fan gegeben haben, der trotz der Führung mit einem mulmigen Gefühl auf die zweite Halbzeit wartete. Zu oft hatte der VfL in dieser Saison auch komfortable Führungen verspielt. Doch gestern sollte es anders kommen. Auch nach dem Wechsel blieb der VfL dominant und ließ dank einer starken Innenverteidigung mit Maxim Leitsch und Vasilios Lampropoulos sowie einem Bollwerk im defensiven Mittelfeld mit Robert Tesche und Kapitän Toto Losilla so gut wie nichts zu.

Ganz im Gegenteil. Mit der Führung im Rücken spielte der VfL weiter nach vorne und strahlte eine Souveränität aus, die man lange vermisst hat. Zulj verteilte weiterhin geschickt die Bälle und Tutu wirbelte mal links und mal rechts. So war es beinahe zwangsläufig, dass der VfL frühzeitig den Deckel drauf machte. Nachdem Silvère Ganvoula in der 62. Minute in aussichtsreicher Position verzog, nutzte er zwei Minuten später das perfekte Zuspiel von Zulj und erzielte das entscheidende 3:0.

Körperlich präsent und mit Tor: Silvère Ganvoula. Foto: David Matthäus Fotografie

Der Rest der 90 Minuten erinnerte dann mehr an ein Testspiel. Heidenheim konnte nicht mehr, der VfL wollte nicht mehr. Thomas Reis und Frank Schmidt nutzten das komplette Wechselkontingent aus, so dass nach und nach zehn neue Spieler auf dem Platz standen. Mit ein wenig mehr Konsequenz hätte der VfL auch noch einen vierten Treffer erzielen können, das wäre aber wohl auch des Guten zu viel gewesen.

Was hatte Thomas Reis taktisch vor?

Die Startaufstellung Thomas Reis knüpfte an den letzten Spieltag vor der Zwangspause an. Unsere Winterneuzugänge Zulj und Lampropoulos standen erneut in der Startelf und zeigten beide warum sie in den kommenden Spielen sehr wichtig werden können. Der Grieche agierte neben Leitsch sehr souverän und stabilisierte die Abwehrzentrale. Nur in zwei Zweikämpfen kamen die beiden zu spät, was zwar mit gelb bestraft wurde, jedoch keine weitreichenden Folge hatte.

Grundformationen in der ersten Halbzeit mit den tiefen Läufen von Osei-Tutu und klarer Dominanz im Mittelfeldzentrum.

Robert Zulj wirkte, abgesichert von Anthony Losilla und Robert Tesche, vollends befreit und agierte mit viel Freude im zentralen Mittelfeld. Immer wieder fand er die Räume vor der gegnerischen Abwehr und konnte zeigen, dass er mit seinen technischen Fähigkeiten beste Chancen für seine Mitspieler kreieren kann. 3 Key Passes sprechen für sich.

Neben Zulj stachen gestern Jordi Osei-Tutu und Robert Tesche heraus. Ersterer scheint seine Position im offensiven Mittelfeld gefunden zu haben und wird nun auch defensiv immer stabiler. Sein Tempo und seine Dribblings sind eine echte Waffe. Letzterer war Zuljs Gegenpol im Aufbauspiel. Immer wieder fand er kleine Räume hinter der ersten Pressinglinie der Heidenheimer, drehte geschickt auf und konnte die Bälle weiter verteilen. Defensiv war er der Ankerpunkt, der dafür sorgte, dass Leitsch und Lampropoulos nur selten riskant herausrücken mussten.

Nicht im Kader waren Saulo Decarli und Danny Blum. Decarli wird uns den Rest der Saison fehlen, Blum hoffentlich bald wieder mitwirken können. Die Gegner die demnächst Blum und Tutu verteidigen müssen, können sich bereits ausmalen was auf sie zukommen wird. Auch wenn unsere Defensive dann sicher etwas mehr zu tun bekommt.

Die Grundformation hatte Thomas Reis klar definiert. Die Außenverteidiger unserer Viererkette agierten disziplinierter als sonst und hielten ihre Positionen. Grad Gamboa hielt sich konstant zurück und überließ Osei-Tutu die offensive Außenbahn. Robert Tesche agierte vor der Abwehr als Lückenfüller und tiefer Passgeber. Anthony Losilla deckte als Arbeitsbiene und zweite Pressingwelle (3 Interceptions) zusammen mit Robert Tesche den frei agierenden Zulj ab, der mit Osei-Tutu und Simon Zoller klare, offensive Anspielstationen auf den Außen hatte. Als Alternativstrategie verwickelte Silvère Ganvoula die Heidenheimer Innenverteidiger immer wieder in körperbetonte Zweikämpfe, in denen er sehr präsent war. Mit Zoller, Osei-Tutu, Zulj und Losilla hatte er die nötige Unterstützung. Die dritte Variante waren Bälle hinter die aufgerückten Außenverteidiger. Hier hatte Osei-Tutu von Reis anscheinend die Anweisung seine Grundschnelligkeit und Fitness auszuspielen und penetrierte immer wieder die Lücken in der Heidenheimer Viererkette. Durch seine Schnelligkeit konnte er auch bei Ballverlusten die auf seiner Seite entstandenen Räume schnell zulaufen.

Thomas Reis hatte heute die richtigen taktischen Ideen und Anweisungen parat. Foto: David Matthäus Fotografie

Nach dem 1:0 wurden die Heidenheimer kurzzeitig stärker und konnten einige Angriffe über die rechte Seite forcieren. Reis reagierte prompt und richtig und ließ Simon Zoller und Jordi Osei-Tutu die Seiten tauschen. Die Kombination aus Danilo Soares und Osei-Tutu konnte im Nachgang unsere linke Seite verdichten und die Gäste vor neue Probleme stellen. Viel mehr zahlte sich die inverse Position Tutus beim 2:0 aus, als dieser nach innen dribbeln und mit seinem starken Fuss abschließen konnte.

In der zweiten Halbzeit setzte der VfL dann auf ein ruhiges Aufbauspiel mit sehr viel Ballbesitz. Durch die flexiblen Strategien sowie die Ballsicherheit der Bochumer Akteure, mussten die Heidenheimer ins Risiko gehen und Räume anbieten, die der VfL insbesondere durch Robert Zulj sofort ausnutzte. Am Ende standen trotz fast durchgehender Führung 57 % zu 43 % Ballbesitz. Eine Statistik, die zur Halbzeit noch fast ausgeglichen war. Hier kam dem VfL eventuell sogar der fehlende Druck der Fans zu Gute, da sie immer mal wieder Rückpässe einstreuen konnten, ohne ein Raunen zu provozieren.

Autor: Sebastian Hettmann

Als ich zum ersten Mal bewusst im Ruhrstadion war, spielte der VfL Bochum in der Saison 2002/2003 gegen den Hamburger Sport Verein und ein direkt verwandelter Eckstoß sowie einige Anekdoten von meinem Großvater lassen mich seither den Rothosen die Daumen drücken. Ich kam allerdings nie wieder vom Ruhrstadion los und bin seitdem regelmäßig ins Ruhrstadion gegangen. Seit der Saison 2006/2007 fiebere ich als Dauerkarteninhaber im Block N2 bei Spielen unseres VfL mit.

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