Seit vergangenem Freitag ist es offiziell: Thomas Reis ist der neue Cheftrainer des VfL Bochum. Nach dem katastrophalen Saisonstart ist es wichtiger denn je, dass der Trainer die Mannschaft erreicht und wieder in die Erfolgsspur führt. Ist Reis hierfür der richtige Mann an der Seitenlinie oder ist der im Profibereich noch unerfahrene Trainer noch nicht reif, diese schwierige Aufgabe zu stemmen? Die Meinungen hierzu sind unter den Fans, wie auch unter den Redakteuren von einsachtvieracht, sehr kontrovers. Direkt nach der offiziellen Vorstellung glühte unser einsachtvieracht-Gruppenchat und Pro und Contra wurden ausgiebig diskutiert. Wir finden, es ist an der Zeit, euch an unseren Gedanken teilhaben zu lassen.
Jens Hartenstein: Die Verpflichtung von Thomas Reis ist aufgrund seiner mangelnden Erfahrung als Profitrainer sicherlich risikobehaftet, aber dennoch ist es eine folgerichtige und sinnvolle Entscheidung. Als der VfL noch von Gertjan Verbeek trainiert wurde, entschloss man sich, die Arbeit der verschiedenen Jugendtrainer und die des Profitrainers stark miteinander zu verknüpfen. Ein großes Ziel dabei lautete, junge und erfolgshungrige Trainer selbst auszubilden, denen man die Vereinsphilosophie mit in die Wiege legt.
Insbesondere Thomas Reis wurde damals als Co-Trainer unter Verbeek und danach als überaus erfolgreicher Coach der U19 gefördert und galt als das wohl größte Trainertalent im Verein. Reis adaptierte dabei den Verbeekschen Offensivfußball und leitete nach vielen Jahren im grauen Mittelfeld die überaus erfolgreichen Jahre der Bochumer Jugendmannschaft ein. Reis kennt den Verein, strahlt Autorität aus und hat durch seine Zeit in Wolfsburg den nötigen Abstand zur aktuellen Mannschaft gewinnen können. Für mich spielt es keine Rolle, dass er dabei ein vertrautes Verhältnis zu unserem Sportvorstand hat – im Gegenteil, Thomas Reis identifiziert sich wie kein Zweiter mit dem Verein und letztlich kommt es einzig auf die Qualität des Trainers an.
Holstein Kiel (Markus Anfang) und der SC Paderborn (Steffen Baumgart) machten es in den letzten Jahren vor – will man eine größere fachliche Kompetenz auf dem Trainerstuhl als der Rest der Ligakonkurrenten, muss man auf junge und innovative Trainer setzen, noch bevor diese von größeren Vereinen entdeckt werden. Genau das verkörpert Thomas Reis und genau zu diesem Zwecke wurde er damals vom Verein ausgebildet. Ich finde, es ist an der Zeit, wieder zu einer verloren gegangenen Philosophie zurückzufinden und neue und mutigere Wege zu gehen.
Stephan Kottkamp: Hoppla, dachte ich mir, als durchsickerte, dass Thomas Reis ein heißer Kandidat auf den Trainerposten bei unserem VfL sein sollte. Viele Namen kursierten seit der Entlassung von Robin Dutt. Thomas Reis wurde mitnichten gehandelt. Also kein Keller, kein Kauczinski und auch kein Wolf – niemand derjenigen Trainer, die stets ins Gespräch gebracht werden, sobald irgendwo ein Coach gesucht wird. Meine ersten Gedanken waren eher von Verwunderung und Ablehnung bestimmt. Wieso holen die einen derart unerfahrenen Trainer? Warum keinen arrivierten Fußballlehrer, der schon Profiteams trainiert hat und der mit schwierigen Charakteren umgehen und diese in die Spur bringen kann? Weshalb kein alter Haudegen, mit dem der bevorstehende Abstiegskampf angenommen werden kann? Warum Thomas Reis? Die Antwort ist simpel: Warum denn eigentlich nicht!?
Thomas Reis ist für mich die verblasste Erinnerung an die vielleicht schönste Zeit meines inzwischen mehr als 30 Jahre andauernden VfL-Fanseins. Thomas Reis steht für mich für die Jahre unter Klaus Toppmöller, er steht in einer Reihe mit Namen wie Torsten Kracht, Thomas Stickroth, Dariusz Wosz oder Sergej Juran, ohne jedoch deren Strahlkraft inne zu haben. Thomas Reis ist für mich aber auch der Spieler, der sich nie schonte und Kopf und Kragen riskierte. Wie damals im Jahre 1996, als der VfL im heimischen Ruhrstadion gegen Bremen spielte und Thomas Reis mit einem Flugkopfball auf Höhe der Grasnarbe im Mittelkreis einen Konter der Werderaner vereitelte. Diese Szene hat sich in mein Gedächtnis gebrannt und taucht immer sofort auf, wenn ich den Namen Thomas Reis höre. Diese Szene steht aber auch für eine Tugend, die insbesondere in Bochum von großer Bedeutung ist und die man in letzter Zeit hin und wieder vermisst hat. Und wenn Thomas Reis diesen damals gezeigten Kampfgeist, diesen Einsatz und diese Überzeugung auf die aktuellen VfL-Kicker übertragen kann, müssen wir uns keine Sorgen mehr machen. Also, herzlich Willkommen und Glück auf, Thomas Reis.
Claudio Gentile: Die Stimmung bezüglich der Verpflichtung von Thomas Reis war in vielen sozialen Medien relativ ablehnend und kritisch. Sachliche Kritik vermischte sich mit teils bitterbösen Vorwürfen wie „Vetternwirtschaft“. Warum eigentlich? Thomas Reis ist für mich eine absolut nachvollziehbare und logische Verpflichtung. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass ich im Sommer 2016 relativ enttäuscht über seinen Abgang nach Wolfsburg war. Die Stringenz, mit der er das Verbeek’sche Spielsystem der Profis bei der U19 erfolgreich implementierte und so eine nahtlose Verzahnung der Jugend mit dem Lizenzspielerbereich ermöglichte, fand ich beeindruckend. In meinen Augen wäre er damals schon ein Nachfolgekandidat für Verbeeks Posten gewesen – als der er in meinen Augen auch irgendwie immer aufgebaut wurde.
Dass der Weg von Thomas Reis nun nach ebenso erfolgreicher Arbeit im Jugendbereich in Wolfsburg zurück anne Castroper führt, freut mich. Das sehr subjektive Bauchgefühl ist positiv. Mit einer Verspätung kommt Thomas Reis nun auf den Posten, auf dem ich ihn persönlich schon früher gesehen hätte.
Thorsten Amberge: Mein erster Gedanke war in der Tat – „Wollen die uns verarschen?“ So dachte ich tatsächlich. Ich hatte mir erhofft, dass der VfL einen der genannten Kandidaten wirklich holen würde, der sich bereits woanders verdient gemacht hatte und die 2. Bundesliga bereits kennen würde, wie Keller beispielsweise oder Wolf, zu dem die Fährte ja anfangs hinführte, wo wir aber auch mittlerweile wissen, dass keiner der üblichen Kandidaten intern diskutiert wurde.
Ich möchte Thomas Reis ganz sicher nichts, schließlich ist er Teil der für mich weiterhin legendären UEFA-Cup-Elf, nur hätte ich nicht jemanden an Schindzielorzs Stelle geholt, der noch nie im Profibereich gearbeitet hat. Es mag sein, dass sich Reis verdient gemacht hat und im Nachwuchsbereich erfolgreich gearbeitet hat, aber angesichts unserer sportlich prekären Lage wäre mir persönlich dieses Risiko zu groß gewesen, jemanden mit gar keiner Erfahrung zu holen. Natürlich bekommt er auch von mir eine faire Chance und ich würde mir von Herzen wünschen, dass er und Schindzielorz zu einem Dreamteam werden, wie es Braunschweig mit Lieberknecht und Arnold hatte, aber leider fehlt mir der Glaube daran – was aber wiederum daran liegen mag, dass ich von den ersten Eindrücken aus der Vorbereitung bis heute Bauchschmerzen hatte rund um den VfL und diese Gefühle leider bestätigt wurden.
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