Von Peitschenhieben außerhalb der Reeperbahn

Das Ergebnis auf der Anzeigetafel aus der letzten Saison kommt uns leider bekannt vor - Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)

St. Paulis rote Meile ist bekannt für seine Etablissements. Unser VfL Bochum braucht jedoch nicht auf die alten Meile zu gehen, um sich seine Peitschenhiebe abzuholen – Das erledigt der ortsansässige FC St. Pauli als (normalerweise) dominante Heimmannschaft. In diesem Jahr standen die Vorzeichen jedoch gut für einen Auswärtssieg! Zwei Siege in Folge für unseren VfL, die Defensive wurde stabilisiert und beim FC St. Pauli fehlten mitunter 10 Kandidaten für die Startelf. Ich nehme das Ergebnis vorweg: Wir sind, mal wieder, mit leeren Händen aus Hamburg abgereist.

Vor dem Anpfiff

Hat man mich vor der Saison und nach dem ersten Spieltag gefragt, so war ich mir sicher, dass sowohl der FC St. Pauli, als auch der VfL Bochum gute Chancen haben und im oberen Tabellendrittel anzusiedeln sind. Zu durchdacht sahen die Spielideen der beiden Teams noch am ersten Spieltag aus. Seitdem hat sich jedoch viel getan und beide Mannschaften haben neue Übungsleiter und zum Rückrundenstart ist graues Mittelmaß an der Tagesordnung.

Markus Kauczinski musste seine Anfangsformation regelrecht zusammen schustern, da durch Sperren und Verletzungen zehn Spieler fehlten, die man beim FC St. Pauli durchaus von Beginn an auf dem Rasen erwarten könnte. Aus diesem Grund griff Kauczinski auf die Regionalliga-Reserve zurück und beorderte Yi-Young Park ins defensiven Mittelfeld und Jan-Marc Schneider durfte als Angreifer starten.

Unser Chef-Trainer Jens Rasiejewski veränderte seine Startelf und verschaffte Sidney Sam eine weitere Chance von Beginn an. Sam sollte mit seiner Beweglichkeit die Räume auf der rechten, offensiven Seite nutzen, welche sich vor Stefano Celozzi bieten und von Johannes Wurtz zuletzt zu selten genutzt werden. Vermutlich erwartete Rasiejewski die Gastgeber bereits in einer kompakten, defensiven Staffelung, welche Sam besser aufhebeln können sollte als Wurtz. Ansonsten blieb Rasiejewski bei der Idee, dass Anthony Losilla die Mitte der Dreierkette bildet und Vitaly Janelt als umgreifender Sechser vor der Abwehr agiert. Neben Johannes Wurtz blieb daher für Tim Hoogland erneut der Platz auf der Bank übrig.

Taktische Besonderheiten am Millerntor

Zu Beginn des Spiels war ein hohe Gegenpressing zu bestaunen, mit welchem man die unsicheren Gastgeber zu vielen Fehlern zwingen konnte und so bereits zu Beginn zu guten Chancen kam und eine Drangphase des VfL einsetzte. Das Gegenpressing erinnerte erneut am ehemaligen Vorgesetzten von Jens Rasiejewski, Gertjan Verbeek. Leider wurde diese gute Phase nicht so effektiv wie in Regensburg genutzt, wodurch St. Pauli mit zunehmender Spielzeit über gewonnene Zweikämpfe und schnelle Konter Mut fassen konnte. Das Übergewicht im Ballbesitz als Auswärtsmannschaft resultierte aus der verschobenen Rollenverteilung: Ob der Personalsituation ließ Kauczinski den FC St. Pauli kontern und Bochum sollte das Spiel machen. Die Heatmap belegt eine Vielzahl an Aktionen im Spielaufbau in den Zonen unserer Dreierkette sowie bei Kevin Stöger, der oftmals nach links abkippte und für die meisten Ballbesitzphasen aller Spieler verantwortlich war.

Negativ aufgefallen ist im gestrigen Spiel, dass unsere offensiven Außen die Tiefe der gegnerischen Hälfte zu selten suchen. Schaut man sich die Heatmap des gestrigen Spiels an, wird diese These unterstützt. Celozzi, Soares, Sam und Kruse sind eher invers orientierte Spieler, wodurch die Verteidiger tendenziell die Mitte abdecken und sich auf Dribblings ins Zentrum einstellen. Zu Beginn der Saison wurde ab und an die Tiefe von Kruse und Soares gesucht, wodurch gute Chancen und Tore kreiert wurden. Auch Hinterseer könnte durch Hereingaben von leichteren Abschlüssen profitieren. Gestern krankte unser Spiel hier jedoch und Hinterseer musste zu oft als Wandspieler mit dem Rücken zum Gegner oder in den Schnittstellen agieren. Einzig Kruse konnte eine gefährliche Situation über die linke Seite kreieren, welche von Lasse Sobiech jedoch geklärt wurde, bevor Hinterseer hätte abschließen können.

Warum erhält Bandowski keine Chance auf der linken Seite, um die Position so auszufüllen wie Timo Perthel es tat und in Zukunft hoffentlich bald wieder tun wird? Eine künstlerische Pause für Danilo Soares wäre nicht unbegründet gewesen. Auch Sidney Sam hat es, ähnlich wie Johannes Wurtz, nicht geschafft die Abwehrkette des FC St. Pauli durch das Ausnutzen der Räume auf den Außen in Bewegung zu bringen und die Breite zu suchen, damit Sam, Stöger und Kruse durch ihre Dribblings im Raum einen Vorteil gegenüber ihren Gegenspielern haben. Ein Lösungsansatz wäre Gyamerah und Celozzi im Offensivspiel rotieren zu lassen, um die atheltischen Attribute von Gyamerah zu nutzen und Celozzi im Aufbauspiel einzubinden.

Weiterhin darf man sich als Auswärtsteam nicht locken lassen und im Umschaltspiel dem Gastgeber Räume zum kontern geben. Das Abwehrverhalten der Bochumer Absicherung des Standards vor dem 0:2 ist dilettantisch und das Tor absolut vermeidbar (ebenso wie das 0:1). Dass das Tor in der zweiten Welle der Drangphase fällt, nachdem man sich in der Kabine wohl einiges vorgenommen hat, passt zur aktuellen Saison.

Gut hingegen waren einige Laufwege, bei denen einer unserer Spieler in einen bestimmten Raum startet, der Laufweg jedoch von ihm abgebrochen wird und der eigentliche Zielspieler kurze Zeit später diesen Raum besetzt. Damit lassen sich enge Räume gut auflösen und schürt ein gedankliches Abschalten der Abwehrspieler, wenn diese nicht wachsam das Spielgeschehen im Auge behalten. Ebenso toll, dass Lukas Hinterseer erneut getroffen hat und sich hoffentlich mehr Selbstvertrauen holt, um in der Rückrunde kontinuierlich zu treffen.

Anerkennen muss man die tadellose Leistung vom Kapitän des FC St. Pauli, Lasse Sobiech, der das Spiel schlussendlich als Matchwinner beendete. Vorne konnte er ein Tor erzielen und hinten viele gefährliche Situationen unaufgeregt verteidigen, wodurch er der unsicheren Mannschaft zunehmend Stabilität verleihen konnte. Auch Cenk Sahin war ein ständiger Unruheherd und bestach durch Schnelligkeit, Gedankenschnelligkeit und effektive Dribblings. Auf Seiten der Bochumer gefielen erneut Stöger und auch Stefano Celozzi, der ein gutes Spiel machte und einige Offensivaktionen initiiert hat.

Fazit des letzten Spiels vor der Winterpause

Jens Rasiejewski versuchte die zusammengewürfelte Startelf des FC St. Pauli früh unter Druck zu setzen. Diese Idee resultierte im Laufe der Partie immer wieder in gefährliche Konter der Gastgeber. Die Umschaltbewegung und Absicherung unserer Mannschaft war gestern ausbaufähig, weil sehr träge. Eventuell wäre eine ähnliche Vorgehensweise wie in Regensburg von Erfolg gekrönt worden, in dem man den verunsicherten Spielern von St. Pauli den Ball überlässt und sich selber auf seine Konter verlässt. Aufgrund des Versuchs das Spiel selbst in die Hand zu nehmen, gab man St. Pauli immer wieder Chancen und das Selbstvertrauen stieg. Himmelmann und Sobiech konnten dazu durch ihre individuelle Klasse die Angriffe der Bochumer im Keim ersticken. Gerade Sobiech konnte einige gefährliche Ansätze vorab im Keim ersticken. Um bei der Metapher zu bleiben: St. Pauli setzte zwei Peitschenhiebe, die schlussendlich zu einem Heimsieg führte, der zu verhindern war.

Ausblick auf die Winterpause

Die Trainerfrage wurde frühzeitig geklärt, weshalb es nun wichtig ist den Kader im Winter zu optimieren. Wie bereits im Sommer in unserer letzten Kaderanalyse angesprohen, gibt es Kandidaten, die den Kader verlassen könnten ohne ein Loch zu reißen. Felix Bastians gehört jedoch nicht dazu. Sein möglicher Wechsel nach China würde ein immenses Loch in unsere Mannschaft reißen und müsste durch einen externen Neuzugang geschlossen werden. Dazu jedoch in einem gesonderten Artikel mehr. Es wird wichtig sein, dass die Spieler in den freien Tagen den Kopf „frei“ bekommen und sich anschließend auf eine gute Rückrunde konzentriert wird, damit man frühzeitig die Planung für die neue Saison angehen kann. Hoffnungen darf man in ein Mittelfeld aus einem genesenen Thomas Eisfeld und Kevin Stöger setzen. Sollten die Favoriten aus Nürnberg und Ingolstadt schwächeln, kann man mit einer Erfolgsserie oben erneut in Schlagdistanz kommen, dafür muss aber alles passen und Spieler wieder zurück zu ihrem eigentlichen Leistungsstand finden. Kiel und Düsseldorf leben derzeit von ihrem Punktepolster. Sollten unsere Jungs keine Erfolgsserie starten können, wird eine Saison im Mittelmaß wahrscheinlich.

Autor: Sebastian Hettmann

Als ich zum ersten Mal bewusst im Ruhrstadion war, spielte der VfL Bochum in der Saison 2002/2003 gegen den Hamburger Sport Verein und ein direkt verwandelter Eckstoß sowie einige Anekdoten von meinem Großvater lassen mich seither den Rothosen die Daumen drücken. Ich kam allerdings nie wieder vom Ruhrstadion los und bin seitdem regelmäßig ins Ruhrstadion gegangen. Seit der Saison 2006/2007 fiebere ich als Dauerkarteninhaber im Block N2 bei Spielen unseres VfL mit.

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