„Streich fehlt als Identifikationsfigur im Stadion kaum.“

Am dritten Spieltag trifft unser VfL im Süden der Republik auf den SC Freiburg. Es ist Jahr 1 in der Zeitrechnung nach Christian Streich. Wie ist die Stimmung im Süden? Welche Erwartung hat man an die Spielzeit? Im Gespräch mit Patrick Röttele vom Freiburg-Fanmedium Spodcast Freiburg.

Wie ist zurzeit die Stimmung in Freiburg?
Sehr gut. Nach einer gemischt erfolgreichen Vorbereitung mit vielversprechenden Ansätzen folgte ein erfolgreicher Pflichtspielstart mit souveränem Weiterkommen im Pokal in Osnabrück, dem überzeugenden Derby-Heimsieg gegen Stuttgart und einer knappen und im Zustandekommen unglücklichen Niederlage in München.
Nach dem Ende der Streich-Ära war ein holpriger Start, gerade bei dem sehr schweren Programm, nicht unwahrscheinlich. Die Mannschaft hat alle eines Besseren belehrt.

Wie viel Christian Streich steckt in Julian Schuster?
Spielerisch ist das aktuell noch nicht abschließend zu beurteilen. In großen Teilen steht noch immer die Mannschaft auf dem Feld, die die letzten 2 Jahre geprägt hat. Dass Schuster da nicht versucht das Rad neu zu erfinden, sondern stattdessen auf bewährte Abläufe setzt, diese aber leicht nach seinen Vorstellungen abändert, kommt da nicht überraschend.
Der wichtigere Punkt ist Schusters herausragend große Identifikation mit dem Verein. Bereits als Spieler und Kapitän absoluter Fan-Liebling hat man so den fast unmöglichen Übergang geschafft, dass Streich als Identifikationsfigur im Stadion kaum fehlt. Das ist ein riesiger Glücksfall.

Quo vadis SCF nach dem Ende der Ära von Streich? Welche Befürchtungen aber auch Erwartungen stellt man jetzt an den SCF?
Persönlich ist meine größte Befürchtung, dass die Streich-Vergleiche nicht aufhören. Dessen Stärke war vor allem seine große Konstanz, die darin begründet war, dass er sich immer selbst hinterfragte, diverse Male selbst neu erfand. Ob der SCF das auch nach der Ära Streich kann, wird erst bei der ersten Krise zu beurteilen sein.
Ich erwarte sportlich aber auf jeden Fall, dass man den eingeschlagenen Weg ungefähr beibehält. War vor einigen Jahren eine europäische Teilnahme noch ein Ausreißer, bei dem man komplett überperformen musste, zählt man in Sachen Personalaufwand inzwischen zu den Top 10 der Bundesliga. Auch wenn es in einer sehr engen Bundesliga immer okay ist vom Klassenerhalt aus zu denken, darf man sich auch nicht kleiner machen als man ist.

Schuster setzt auf ein flexibles Positionsspiel, in dem sich die Spieler sehr weit von ihren Grundpositionen entfernen dürfen. Wie wird sicher gestellt, dass trotzdem alle wichtigen Räume besetzt sind?
Der Schlüssel ist taktische Intelligenz. Diese war schon unter Streich immer ein großer Fokus in der Spielerausbildung. Man hat in der Vorbereitung intensiv daran gearbeitet, wie man zukünftig Fußball spielen möchte. Das hat in den Testspielen dann auch für einige Probleme in der Konterabsicherung gesorgt und es wird mit Sicherheit auch mal einzelne Pflichtspiele geben, in denen es kleine Rückschläge gibt und man dann die Stabilität verliert. Das ist aber völlig in Ordnung, solange die Gesamtentwicklung passt.

Gegen Stuttgart gab es einen ausgeklügelten Matchplan mit zustellen von Angelo Stiller und Fokus auf ein kompaktes Zentrum. Ist auch für den VfL ein angepasster Plan zu erwarten oder muss Freiburg solche Spiele selbst dominieren?
Gute Frage, die ich mir auch häufig gestellt habe vor dem kommenden Spiel. Im Pokal lag der Fokus deutlich auf dem eigenen Spiel, was für den Pokal aber normal ist. Danach spielte man mit Stuttgart und München zwei Champions League-Teilnehmer. Das Spiel am Samstag ist also das erste gegen einen Bundesligisten der unteren Tabellenhälfte. Ich bin sehr gespannt.

Patrick Osterhage hat sich scheinbar einen Stammplatz ergattert. Wie ist der erste Eindruck?
Sehr positiv. Schusters großer Fokus auf Gegenpressing und allgemein hohem Druck auf dem Gegner kommt Osterhage voll entgegen. Im eigenen Umschaltspiel, soll heißen in eigenen Passentscheidungen, ist allerdings noch Luft nach oben. Man sieht also die Stärken und Schwächen, die schon in Bochum zu beobachten waren.

Welche Rolle spielt Osterhage im System von Trainer Schuster?
Er war bisher in allen Spielen ein Schlüsselspieler im eigenen Pressingplan. Gegen Stuttgart begann man gegen den Ball mit einer Mittelfeldraute mit Osterhage als „Rautenspitze“. Osterhages Rolle war gleichzeitig Atakan Karazor im Mittelfeldzentrum rauszunehmen und wenn möglich Überzahl in Ballnähe zu schaffen. Schuster zeigt besonders gegen den Ball schon sehr früh großes Vertrauen in ihn.
Mit Ball spielt er bisher eine untergeordnete Rolle im eigenen Aufbau. Maximilian Eggestein kippt für den Aufbau häufig ab, auch Vicenzo Grifo hält sich gerne gewohnt tief auf. Osterhage besetzt dann häufig das Zentrum, ist dort aber im engen Raum oft nicht als Anspielstation gedacht. Stattdessen geht es bei ihm auch viel um Positionierung bei eventuellem Ballverlust um dann seine individuell hohe Qualität im Gegenpressing auszunutzen.

Was erwartet man sich von Osterhage?
Um den nächsten Schritt zu machen, muss er mehr Ruhe am Ball bekommen. Beim Bayern-Spiel hatte der SC einige schöne Balleroberungen im Zentrum, die Pässe im Umschalten waren dann aber häufig zu unsauber. Das, in Verbindung mit einer größeren Konstanz und Selbstverständlichkeit seine Fähigkeiten abzurufen, sind seine großen Entwicklungsmöglichkeiten. Ich erwarte mir auf jeden Fall, dass er über Jahre ein wichtiger Kaderbestandteil bleiben kann.

Wie läuft es mit dem Einleben der Fanszene im neuen Stadion-Umfeld?
Im Stadion ist alles in Ordnung. Die Stimmung ist meist gut, das Stadion kann richtig laut werden, wenn es angezündet ist. Die Beziehung zwischen aktiver Fanszene und dem Verein ist aktuell auch überwiegend entspannt (auch wenn natürlich wie überall einiges besser sein könnte). Auch wenn das Dreisamstadion immer Heimat sein wird, fühlt sich das neue Stadion zumindest nach zu Hause an.
Probleme bietet immer noch das Gelände um das Stadion. Hier dominiert nach wie vor die Farbe grau. Auch wenn nun ein kleiner Biergarten geschaffen wurde, lädt wenig zum Verweilen ein. Durch den Mangel an Grünflächen ist der Umlauf im Sommer knallend heiß.

Warum ist ein fitter Michael Gregoritsch im Freiburger Spiel nicht unumstritten?
Nach einer überragenden ersten Halbserie in Freiburg zeigte Gregoritsch in den darauf folgenden anderthalb Jahren wieder seine gewohnten Schwankungen, die man in seiner ganzen Karriere beobachten konnte. Er war dennoch in den zwei Jahren hier immer ein wichtiger Offensivspieler, da er ein Element mitbringt, das man sonst nicht im Kader hat.
Für die aktuelle Saison mache ich mir etwas Sorgen, da Schusters Fokus auf hohe Intensität gegen den Ball Gregoritsch nicht unbedingt entgegen kommt. Es ist aktuell aber nicht zu beurteilen, ob und wie Schuster ihn dennoch einbauen möchte. Aufgrund der EM verpasste er die ersten Vorbereitungswochen. Als er langsam fit wurde, zog er sich eine Muskelverletzung zu. Vor Oktober oder November ist seine Kaderrolle nicht seriös zu beurteilen.

Welcher Freiburger Spieler sollte im Winter über eine Leihstation in Bochum nachdenken?
Wir hätten da einen Innenverteidiger, der Linksfuß ist und die Initialen K.S. trägt… Kenneth Schmidt ist ein Verlierer des letzten Jahres. Nach sehr starken Ansätzen in der Rückrunde 22/23, erwischte er keinen guten Saisonstart in die letzte Saison und verpasste dann auch noch große Teile verletzt. Zur jetzigen Saison hat ihm der endlich fitte Max Rosenfelder den Rang abgelaufen, Matthias Ginter, Philipp Lienhart und Manuel Gulde sind sowieso noch da. Spätestens im Winter könnte man da nach einer Lösung suchen. Sein Talent ist unbestritten, er bringt vieles mit, um ein guter, moderner Innenverteidiger zu sein.

Warum blieb Keven Schlotterbeck nach torreicher Saison beim VfL nicht in Freiburg nach Leihe?
Man ist in der Innenverteidigung, siehe letzte Frage, recht breit besetzt und hat hier vor allem viele Talente, die nachstoßen. Gleichzeitig stehen mit Ginter und Lienhart zwei Innenverteidiger im Kader, die außerhalb der Top-Teams zum besten gehören, das die Bundesliga zu bieten hat. Es hätte mit Sicherheit einen Platz für Keven als Innenverteidiger Nummer 3 oder 4 gegeben, es ist aber völlig verständlich, dass er nach seinen gezeigten Fähigkeiten einen Verein wollte, in dem er regelmäßig spielt. Ich hätte mir persönlich gewünscht, dass das weiter der VfL gewesen wäre.

Wie schätzt du den VfL in dieser Saison ein? Wird es wieder ein zittern bis zum Schluss?
Ich mag die Neuzugänge und das was ich bisher von Zeidlers Spielidee gesehen habe. Ich fand auch die Ansätze in den ersten beiden Bundesligaspielen gut. Dennoch würde alles außer knallharter Abstiegskampf bis zum Schluss sehr überraschend kommen. Der Abgang von einem Spieler, der so wichtig ist wie Kevin Stöger, hätte jedes Bundesligateam hart getroffen. So verständlich es ist, dass sich hier eine neue Offensivhierarchie bilden muss, ist es unglaublich schwierig das in einer laufenden Saison zu machen. Die Bundesliga verzeiht da wenig.
Allerdings sind beide Aufsteiger auch mit großen Fragezeichen versehen. Ich finde auch Augsburg und Bremen nicht stabil. Ich denke und hoffe daher, dass es wieder knapp reicht für euch. Notfalls halt nochmal über die Relegation.

Dein Spieltipp?
3:1 für Freiburg. Ihr gewinnt die Woche darauf gegen Kiel.

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Autor: Matthias Rauh

Obwohl in Bayern wohnhaft besitze ich eine Dauerkarte beim VfL und versuche, jedes Heimspiel und jedes Auswärtsspiel im Süden vom VfL mitzunehmen. Meine Begeisterung für den VfL entwickelte sich in der Saison 2006/07, endgültig besiegelt wurde sie bei dem eigentlich völlig belanglosen Spiel Karlsruher SC gegen den VfL im Jahr 2008. Während eines Fußballturniers wollten meine Mannschaftskameraden in der Bundesligakonferenz ständig die Zwischenstände von Bayern München und Nürnberg wissen, ich erntete misstrauische Blicke, als ich den Zwischenstand von Bochum wissen wollte. Abstieg, Relegation, Funkel, Neururer... ich bin immer noch dabei und freue mich immer mehr auf Spiele wie Bochum gegen Sandhausen als Bayern gegen Dortmund.

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Einsachtvieracht-Stammtisch #82