Kommentar: Aus noch viel weniger noch viel mehr machen

Foto: Tim Kramer (VfL Bochum)

Ein abgelaufenes Geschäftsjahr und eine Aussicht für das nächste Jahr mit tief roten Zahlen, ein Verein, der noch über die Hälfte der Ablöse für den ehemaligen Topstürmer schuldet und ein neuer Millionenkredit durch die KfW. Die Eckdaten der ersten virtuellen Jahreshauptversammlung erinnern an dunkle Stunden des VfL Bochum. Ein Kommentar.

Die erste virtuelle Jahreshauptversammlung in der Geschichte des VfL Bochum 1848 war von Zahlen geprägt. Knapp 2000 Mitglieder hatten sich vorher registriert, 1200 verfolgten in der Spitze die JHV. Die Wortbeteiligungen bei der Aussprache erreichten Rekordwerte und auch die Dauer von knapp 4 Stunden sucht seinesgleichen. Viele Mitglieder lobten danach die Möglichkeit auf so unkomplizierte Art und Weise der Versammlung beizuwohnen.

Die Zahlen die vordergründig durch den Sprecher des Vorstandes Ilja Kaenzig präsentiert wurden waren dann weniger erfreulich: Der „Corona- Effekt“ beläuft sich im Geschäftsjahr 2019/20 beim VfL auf -2,5 Mio. € und wird in diesem Jahr wahrscheinlich mit -6,9 Mio. € zu Buche schlagen.

Diese Minus von 2,5 Mio. € kommt trotz einer grundsätzlich positiven Entwicklung in 19/20 bei „nur“ 13 Heimspielen zustande. Dauerkartenrekord, in den ausgetragenen Heimspiel lag man über dem  Zuschauerschnitt laut Plan, im Bereich Merchandise übertraf man die Erwartungen deutlich, es wurden mehr Trikots abgesetzt als geplant – auch ohne das Sondertrikot.

Ca 1 Mio. € kamen trotz Lockdown zusammen: im Bereich Ticketing, durch Verzicht, Spende, Kompensation von Fans, Partner & Hospitality waren hier die Verluste des VfL nicht ganz so hoch.

In der Saison 20/21 plant man ohne Zuschauereinnahmen, wie von der DFL angeraten, es wird auch keine DK für Geisterspiele geben, da der Verein die Unterstützung der Mitglieder und Fans beim Lockdown gerne angenommen hat, der Fan soll aber auch nicht ausgenommen werden. Das Flutlicht-Trikot ist jetzt schon ein voller Erfolg, der von Ilja Kaenzig gelobte Abschluss des TV- Vertrag gibt Sicherheit für die nächsten Jahre, wenn auch auf einem geringeren Niveau als vorher. Das wird für einige Ligen in Europa in den nächsten Jahren keine Selbstverständlichkeit sein. Der Bereich eSport generiert mittlerweile durch einen DFL- Vertrag eine sechsstellige Summe, andere Vereine haben in Coronazeiten ihre eSport- Abteilung dicht gemacht.

Setzt souverän seine Transferstrategie um: Sebastian Schindzielorz. Foto: VfL Bochum

Sebastian Schindzielorz hat es geschafft die Ausgaben für Beraterhonorare deutlich zu senken. In der Saison 17/18 belegt man noch Platz zwei in diesem Ranking, jetzt findet man sich im unteren Tabellendrittel wieder bei den Summen, die Vereine für Beraterhonorare ausgeben. Sein Hauptargument: die Spieler sollen aus Überzeugung beim VfL spielen, um hier den nächsten Schritt in ihrer Karriere zu machen. Dass der VfL ein gutes Sprungbrett ist, kann mittlerweile durch eine Studie belegt werden. Laut CIES ist der VfL in den Top 20 der Hauptrekrutierungsvereine für Big-5-Liga-Teams der letzten Jahre. Beim VfL waren es sieben Jugendspieler die man in die Bundesliga brachte.

Auch vertritt der VfL vielfach durch Mitarbeiter seine Interessen in Kommissionen, Gremien und Arbeitskreisen von DFL und DFB.

Kurzkommentar von Claudio Gentile zu einem Investor:

Bzgl. eines Investors merkt man bei vielen Fans immer wieder die Ungeduld. Dabei muss einem bewusst sein, dass der VfL als „Investment“ eben kein einfaches Umfeld hat. Der VfL konkurriert mit einer durchschnittlichen Marktrendite von ca. 7%, wenn ein Investor sein Geld anstatt in unserem Verein im breiten Markt anlegen würde. Geht man davon aus, dass es wesentlich risikoreicher ist, das Geld in den Verein zu pumpen, anstatt in den breiten Markt, muss sich ein Investor mit Sicherheit eine Rendite von rund 10-12% erhalten, damit das Investment in unseren Verein für ihn attraktiv ist. Kein einfaches Unterfangen. Hört sich nach harter Betriebswirtschaft an, aber so wird jeder Investor kalkulieren. Niemand macht ein solches Investment aus Nächstenliebe. Selbst der größte Fan des VfL wird keine 20 Mio. auf den Tisch legen und eine Rendite weit unter marktüblichen Bedingungen akzeptieren.

Auch wenn die Zahlen unterm Strich negativ sind, es hätte noch schlimmer aussehen können ohne die gute Positionierung und Arbeit während der andauernden Corona- Krise. Dennoch, rechnet man die Verluste der beiden „Corona-Geschäftsjahre“ mit ein, steht man schlechter da als im Jahr 2013/14. Eine Zeit als nur der Verkauf  mit einem gutausgehandeltem Vertrag von Leon Goretzka dem VfL vor dem Aus bewahrt haben.

Sicherlich haben in dieser Situation alle Vereine die gleichen Probleme, dass Sponsoreneinnahmen wegbrechen, Zuschauer fehlen. Das heißt aber auch, dass die Ablösesummen die zur Entschuldung des Vereins beigetragen haben, in Zukunft wahrscheinlich nicht mehr so locker sitzen werden. So wurde Schindzielorz auf der JHV gefragt, warum man Silvere Ganvoula nicht für 3-4 Mio verkauft hätte? Seine Antwort: Weil es so ein Angebot schlicht und einfach nicht gab. Die Zeiten in denen man für einen 15-Tore- Mann in der zweiten Liga für 6 Mio. Ablöse verkaufen kann scheinen voerst vorbei zu sein.

Hat den VfL weiter konsolidiert und strategisch gut ausgerichtet: Ilja Kaenzig. Foto: VfL Bochum

Nicht nur Ablösesummen als Einnahmequellen werden in Zukunft geringer ausfallen. Auch wenn die Partner in der Wirtschaft sich sehr kooperativ gezeigt haben, werden die Einnahmen durch Sponsoring, selbst wenn wieder mehr Zuschauer in Stadien dürfen, in naher Zukunft auch weniger üppig ausfallen. Auch unsere Sponsoren werden mit den direkten und indirekten Folgen von Corona zu kämpfen haben. Auch in der Wirtschaft steigt die Verschuldung der Unternehmen. Die Marketing-Budgets sind in der Regel mit eine der ersten Anlaufpunkte, um schnell Kosten zu sparen.

Die Jahre des des Höher, Schneller und Weiter werden erstmal im Fußball vorbei sein. Das hat Ilja Kaenzig mit seiner europaweiten Erfahrung schon frühzeitig erkannt und den VfL in seiner bisherigen Amtszeit als Gegenentwurf zur grellen Fußball- Epoche aus Glamour, Geld und Entertainment aufgestellt. Den Kredit bei der KfW aufzunehmen war richtig. In einem Niedrigzinsumfeld dürfte die Belastung relativ gering sein und durch die expansive Geldpolitik der EZB ist in Zukunft mit einer höheren Inflation zu rechnen. Das hilft bei der Rückzahlung. Er gibt darüber hinaus Sicherheit.

Fazit: Der VfL ist in vielen Bereichen gut aufgestellt. Sportlich ist die Ausgangslage nicht schlecht, Sebastian Schindzielorz wirkt gefestigt und sehr souverän in der Umsetzung seiner Pläne. Kaenzig hat es geschafft, den von Wilken Engelbracht gelegten Grundstein der wirtschaftlichen Konsolidierung erfolgreich fortzusetzen. Wären vor einigen Jahren diese Schritte nicht eingeleitet worden, hätte es wohl in diesem Sommer ganz anders ausgesehen. Trotzdem geht man mit vielen Fragezeichen in die Zukunft. Die aktuelle Spielzeit ist durchfinanziert, die kommende allerdings nur unter bestimmten Prämissen. Corona wird für die gesamte Branche zu einer großen Herausforderung. Sollte sich die Gesamtlage bis kommenden Sommer nicht ändern, wird sich die DFL überlegen müssen, wie man auf breiter Front den Vereinen hilft, ohne die falschen Anreize zu setzen. Sprich wer sich in der Vergangenheit betriebswirtschaftlich sauber aufgestellt hat, darf jetzt im Vergleich zu Vereinen wie beispielsweise Schalke oder dem HSV, die vorher schon ökonomisches Harakiri betrieben haben, nicht schlechter gestellt werden. Ein Drahtseilakt. Aber das ist Zukunftsmusik. Für unseren VfL können wir sagen, dass wir die richtigen Leute an der Spitze haben. Ein gutes Bauchgefühl in einem sehr schweren Umfeld bleibt bei uns.

Autor: Moritz Möller

Über 20 Jahre begleitet mich der VfL jetzt schon - oder ich ihn. Ein Heimspiel Anfang der 90ziger gegen Leverkusen war der Auslöser, dann ging es auf einmal aus der zweiten Liga nach Europa, Abstieg, Aufstieg, wieder Europa, Abstieg und Relegation. Manch euphorische Saisonphasen die vom Auf.... träumen ließen, dazwischen Heimspiele mit 9000 Zuschauern gegen Aue, Mettbrötchen auf dem Weg nach Oberhausen, eine enttäuschende Auswärtsbilanz meinerseits und viele andere schöne Erinnerungen gehören dazu. Immer dabei: Dauerkarte, ein Fiege und eine Gruppe aus guten Freunden in Block Q sind für mich mit dem VfL einfach untrennbar verbunden.

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