Möwenschiss anne‘ Kieler Förde

Viel Platz für Tränen der Störche-Anhänger: Die Kieler-Förde. Foto: Privat
Manchmal doch ganz hübsch anne Kieler Förde Foto: Privat

Einsachtvieracht-Schreiberling Claudio Gentile ist seit über einem Jahr jede Woche von montags bis donnerstags beruflich in Kiel. Am Samstag geht es für unseren VfL nun gegen die Kieler Sportvereinigung Holstein von 1900 e.V. – kurz KSV Holstein – allgemein bekannt als Holstein Kiel. Ein etwas anderer Vorbericht.

Kiel. Der hohe Norden. Oder für mich persönlich aktuell: „Der Arsch der Welt“. Planmäßig dauert die Zugfahrt 4,5 Stunden, um aus der Perle des Reviers in die Landeshauptstadt von Schleswig-Holstein zu gelangen. Realistisch sind jedoch, großes Dankeschön an dieser Stelle an die Zuverlässigkeit des Staatskonzerns auf der Schiene, meistens eher 6 Stunden.

Seit rund einem Jahr fahre ich berufsbedingt jeden Montagmorgen Richtung Norden und Donnerstags wieder heim in die schönste Stadt der Welt. Nach über einem Jahr hat man natürlich eine etwas andere Beziehung zu einer Stadt, als wenn man sie nur mal sporadisch sieht. Kiel ist eine der ganz wenigen großen Städte in Deutschland, in denen Fußball nicht die dominierende Sportart ist. Natürlich fiebern hier viele Einwohner mit Holstein mit, vor allem seitdem der Verein für Kieler Fußball-Verhältnisse durchaus erfolgreich ist. Nur ist hier im Stadtbild der dreimaligen Handball-Champions-League-Sieger THW Kiel omnipräsent. In meiner Zeit hier habe ich aber natürlich trotzdem einige Leute kennengelernt, die eher Bezug zum Ballsport unter freiem Himmel* (das Sternchen ist notwendig, blickt man „auf Schalke“) haben und es mit Holstein Kiel halten. Meinen heutigen Gesprächspartner Lars Lauritzen kenne ich vom CrossFit in Kiel – ebenfalls einem Sport, der mit Fußball ungefähr gar nichts zu tun hat. Wenn man allerdings bei einer Kniebeuge beim letzten Satz am Kämpfen ist und von der Seite ein „Denk an Weiche Flensburg“ kommt – Autsch, Finger in die Wunde – sorgt das für den nötigen Kraftschub! einsachtvieracht im Gespräch mit dem Kieler Lars Lauritzen.

KSV-Fan Lars Lauritzen Foto: Privat

einsachtvieracht: Hallo Lars. Erzähl uns doch mal, wie du als gebürtiger Kieler in der deutschen Hochburg des Handballs zum Fußball gekommen bist. Und was war dein schönstes Erlebnis mit dem KSV?

Lars: Regelmäßig im Stadion bin ich seit ca. 2000. Komplett vom Holstein-Virus infiziert wurde ich 2002, als wir in der 1. Runde des DFB-Pokals Hertha BSC besiegten – Gänsehaut pur! Seit dem versuche ich, mindestens die Heimspiele im Stadion live zu erleben. Zu den tollsten Erlebnissen werden immer die Siege im Derby gegen den VfB Lübeck gehören, allen voran der 0:3 Auswärtssieg im November 2005, als über dem Stadion an der Lohmühle ein Flugzeug mit dem Banner „Hier regiert die KSV“ kreiste. An dem Tag passte alles. Von dem Aufstieg in die zweite Bundesliga müssen wir hier wohl nicht sprechen. 😉

einsachtvieracht: Du sprichst den Aufstieg an. Als Aufsteiger hat Holstein Kiel in der letzten Saison fast den Durchmarsch in Liga 1 gepackt. Wie siehst du die letzte Spielzeit rückblickend?

Lars: Auch rückblickend kommt mir der Saisonverlauf sehr unwirklich vor. Realistisch hat jeder Fan irgendwann mit einem Einbruch gerechnet. Spätestens dann, wenn uns die Gegner nicht mehr unterschätzen. Dass dieser ausblieb, konnte ich nicht einmal glauben, als ich im zum Relegationsspiel im Stadion von Wolfsburg stand und sich gefühlt ganz Fußballdeutschland wünschte, dass wir das Ding jetzt klar machen.

einsachvieracht: Mit Markus Anfang, Rafael Czichos, Dominik Drexler und Marvin Ducksch verließen sowohl der Erfolgstrainer als auch einige Leistungsträger in allen Mannschaftsteilen den Verein. Konnte Holstein den Aderlass deiner Meinung nach gut auffangen?

Lars: Ich muss gestehen, dass ich beim Verfolgen der Neuzugänge sehr skeptisch war, ob Holstein so in der Liga bestehen kann, weil der Fokus aus meiner Sicht etwas zu sehr auf junge Heißdüsen gesetzt wurde, die man entwickeln kann. Diese Entwicklung braucht noch einige Zeit und die Leistungen in allen Mannschaftsteilen sind noch nicht konstant genug. Da ist noch einiges an Luft nach oben.

Meine Wenigkeit an der Kieler Förde. Foto: Privat

Tim Walter ist definitiv ein fähiger Trainer, der offensichtlich seine ganz eigene Spielidee mit Holstein umsetzen will und sich dabei nur grob an den Vorstellungen seines Vorgängers orientiert. Ich persönlich verstehe noch nicht alle seiner Entscheidungen, insbesondere seine Startelf- und Wechselpolitik, aber wenn er am Ende der Saison damit Recht behält, dann will ich mich nicht beschweren.

einsachtvieracht: Welches Ziel siehst du in der aktuellen Spielzeit als realistisch an?

Lars: Das Ziel muss einfach sein, sich so schnell wie möglich den Klassenerhalt mit einem stabilen Mittelfeldplatz zu sichern. Ich denke, das ist auch realistisch.

einsachtvieracht: Mit Serra habt ihr einen Spieler verpflichtet, der in der Rückrunde für den VfL auflief. Wie macht er sich?

Lars: Puh, das ist ein schwieriges Thema, da Janni und ich bislang keine „Freunde“ geworden sind. Er bringt definitiv eine gute Athletik mit, zeigt enorm viel Einsatz und kann damit mal ein sehr wertvoller Spieler für Holstein werden. Leider – und daran wird ein Stürmer nun einmal gemessen – lässt er noch viel zu viele Großchancen aus. Ich wünsche ihm, dass der Knoten dahingehend schnell platzt, sonst wird er über kurz oder lang gegenüber Benjamin Girth das Nachsehen haben.

Nach der Leihe zum KSV jetzt wieder beim VfL – Tom Weilandt. Foto: Tim Kramer (VfL Bochum)

einsachtvieracht: Tom Weilandt hat in der letzten Saison für euch gespielt. Nun trägt er wieder das Bochumer Trikot. Wie hat er sich deiner Meinung nach im letzten Jahr in Kiel gemacht?

Lars: Tom Weilandt hatte es in Kiel sehr schwer, sich im Mittelfeld gegen sehr starke Konkurrenz durchzusetzen und hatte auch unglückliche Einsätze. Gerade in der zweiten Saisonhälfte hat er mir, ob nun in der Startelf oder als Ergänzungsspieler, aber gut gefallen. Er ist aufgrund seiner Beidfüßigkeit schwer ausrechenbar, hat viele Bälle gefordert und besaß die Fähigkeit, das Spiel schnell zu machen. Alles in allem gehe ich davon aus, dass er dem VfL sehr weiterhelfen kann, wenn er, wie zuletzt gegen Ingolstadt, seine Möglichkeiten ausschöpft.

einsachtvieracht: Wie nimmt man denn den VfL im hohen Norden eigentlich wahr? 

Lars: Da sich der VfL ja größtenteils ein bis drei Ligen über Kiel befand, gab es bislang leider wenig Berührungspunkte auf dem Sportplatz. Der Kult rund um den Traditionsverein aus dem Pott ist uns Nordlichtern aber natürlich nicht entgangen. Gerade die Fans und die Stimmung, die diese in die Stadien tragen, sind ein Gewinn für jede Liga.

Wer kennt ihn nicht – den sympathischen Verein aus dem Ruhrgebiet Foto: Tim Kramer (VfL Bochum)

Ich persönlich denke immer sofort an Jungs wie Dariusz Wosz, der schon einer meiner Lieblings-Spieler war, als ich noch zur Grundschule ging, dann natürlich an die Legende Marcel Maltritz und an den alten Querulanten Peter Neururer. Ein sehr sympathischer Verein, mit Spielern und Verantwortlichen, die auch mal den Mund aufmachen und polarisieren.

einsachtvieracht: Holstein hat 4:1 verloren, der VfL hat Ingolstadt 6:0 auseinander genommen und kommt mit reichlich Selbstbewusstsein. Was erwartest du für ein Spiel am Samstag? 

Lars: Ich habe das Offensivspektakel des VfL im Fernsehen verfolgt und erwarte, dass Sie auch auswärts sofort viel Druck nach vorne aufbauen. Ich hoffe, dass die Kieler die leider sehr deutliche Niederlage abhaken konnten, selbstbewusst früh in die Zweikämpfe gehen und defensiv stabiler stehen, als es zuletzt der Fall war. Insgeheim wünsche ich mir natürlich auch, dass Lukas Hinterseer am Samstag keinen guten Tag erwischt und die Punkte letztendlich an der Förde bleiben. Mit einem Unentschieden auf hohem Niveau könnten die meisten Kieler aber sicherlich auch leben.

einsachtvieracht: Vielen Dank für das Gespräch!

Autor: Claudio Gentile

Als gebürtiger Bochumer wurde ich das erste Mal im zarten Alter von sechs Jahren ins Ruhrstadion geschleppt. Der VfL verlor. Was auch sonst. Trotzdem ließ mich der Verein nicht mehr los und spätestens als ich ein paar Tage nach meinem ersten Stadionbesuch das legendäre Papagei-Trikot mit einem "Peter Peschel"-Flock überstreifen durfte, war es um mich geschehen. Das ist jetzt 26 Jahre, wenig Siege und viele Niederlagen her. Wo die Liebe im Fußball hinfällt, kann man sich ja bekanntlich nicht aussuchen. Und eine Liga kennt Liebe auch nicht.

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