Endlich wieder Bundesliga. 11 lange Jahre, geprägt von Hoffnung und Angst. 11 Jahre zwischen Aufstiegsambitionen und Abstiegsnöten. Der VfL hat es geschafft. Die Rückkehr hat diesmal ein wenig länger gedauert.
Gastbeitrag von @VfL_Stats
Im Gegensatz zu den direkten Wiederaufstiegen der vergangenen Jahrzehnte kehrt der VfL diesmal nicht als gefühlter Bundesligist zurück, dem nur ein Betriebsunfall widerfahren war. In der neuen Saison wird der VfL ein klarer Außenseiter sein. Das große Ziel Klassenerhalt wird eine riesige Herausforderung.
Der Aufstieg gelang mit intensiver Arbeit und Dominanz
Mit einem sehr dominanten Ballbesitzspiel und einem hohen Pressing haben wir in der 2. Bundesliga in vielen Spielen die dominante Rolle übernehmen können. Wenn es der Gegner zuließ haben wir sehr geduldig in der ersten Linie aufgebaut, bevor wir eine Lücke nach vorne nutzen, um den Angriff einzuleiten. Oftmals geschah dies über ein Andribbeln von Maxim Leitsch.
Stellte der Gegner hoch zu konnte der VfL (lies: Manuel Riemann) mit sehr direktem Spiel überzeugen. Der hohe Anteil langer Bälle bei gleichzeitig hoher Passzahl pro Ballbesitzphase belegen diese Flexibilität.
Weiter vorne war es Robert Zulj, der im Zentrum die Strippen zog. Der Gegner konnte ihm nicht viel Raum geben, da von ihm immer ein gefährlicher Pass in die Tiefe zu erwarten war. Keinem Spieler in der zweiten Liga gelangen mehr Schnittstellenpässe als ihm. Wobei er auch die meisten Versuche vorzuweisen hat.
Stand der Gegner im Zentrum eng öffneten sich Räume auf den Außen. Gerade Gerrit Holtmann profitierte davon. Es ist daher keine große Überraschung, dass der VfL neben den zweitmeisten Schnittstellenpässen auch die meisten Flanken schlug. Wie auch im Aufbauspiel hat die Flexibilität in der Art Chancen kreieren zu können uns gefährlicher gemacht. Die Kombination aus spielerischer Qualität im Zentrum und der Gefahr über die Außen machte es den Gegnern schwer, uns zu verteidigen. Dazu war man bei offensiven Standards eins der besten Teams.
Defensiv haben wir unermüdlich gearbeitet. Simon Zoller war der Spieler mit den meisten Sprints und intensiven Läufen in der Liga, viele davon gegen den Ball. Mit unserem Pressing konnten wir den Gegner oft von unserem Tor fern halten. Im Zentrum war es das Duo Losilla und Tesche, das dem Spiel Struktur gab und viele Bälle gewinnen konnte. Wurde unser Pressing mit langen Pässen in die Tiefe überspielt waren es unsere jungen Innenverteidiger Maxim Leitsch und Armel Bella-Kotchap, die mit ihrer Geschwindigkeit die Bälle ablaufen konnten. Gelang es dem Gegner in den Strafraum zu kommen konnte Armel eine seiner weiteren Stärken beweisen: Sein Zweikampfverhalten und sein Timing beim Blocken von gegnerischen Schüssen ist für sein Alter außergewöhnlich gut. Auf der Linie hatte Manuel Riemann eine absolute Sahne-Saison. Zweifellos war er einer der wichtigsten Garanten für den Aufstieg.
Kurzum, es passte vieles in der Mannschaft. Die Balance stimmte.
Anpassungen an die Bundesliga
In der von Reis genannten „Qualitätsliga“ wird sich der VfL anpassen müssen. Es scheint klar, dass der VfL deutlich weniger Ballbesitz haben und häufiger zum tieferen Verteidigen gezwungen sein wird. Doch was erwartet uns in der Bundesliga? Können wir Dinge von den Aufsteigern der vergangen Jahre lernen? Wie sind sie den Sprung in die Bundesliga angegangen? Welche der Stärken aus der Aufstiegssaison werden auch in der Bundesliga zum Tragen kommen, und gibt es vielleicht weitere Anpassungen, die der VfL vornehmen muss oder könnte?
Um diese Fragen zu beantworten starten wir mit einem Blick auf die Aufsteiger der vergangenen Jahre. 16/17 waren es Stuttgart und Hannover, die den direkten Wiederaufstieg schafften. Im folgenden Jahr konnten Nürnberg und Düsseldorf die mit den Absteigern Ingolstadt und Darmstart schwächer als üblich besetzte 2. Liga als ihre Chance nutzen. 18/19 gelang dem 1. FC Köln der direkte Wiederaufstieg, während der SC Paderborn seine unglaubliche Achterbahnfahrt zwischen den Ligen fortsetzte, und Union der Coup in der Relegation gegen den VfB Stuttgart gelang. Im nächsten Jahr sollte dem VfB erneut der direkte Wiederaufstieg gelingen. Mit einer gewachsenen und eingespielten Mannschaft erreichte die Arminia die Meisterschaft.
Von diesen Mannschaften ging es nur für Paderborn und Nürnberg direkt wieder runter. Ihnen fehlte es klar an der Qualität. Im zweiten Jahr mussten auch Hannover und die Fortuna wieder zurück. Dieses Schicksal könnte in diesem Jahr auch die Arminia ereilen, falls die Verpflichtungen dieses Transferfensters nicht einschlagen. Nicht unverdient aber dennoch etwas glücklich haben sie den Klassenerhalt geschafft. Laut Expected Points sahen sowohl Wyscout als auch Understat sie auf einem Abstiegsplatz. Mit nur 26 erzielten Toren stellten sie eine der schwächsten Offensiven der letzten Jahre. Das obwohl, oder auch weil, sie ihren Spielstil weg von einem sehr geduldigen Aufbauspiel unter Uwe Neuhaus hin zu einem deutlich direkterem Stil umstellten?
Der VfL täte wohlmöglich gut daran, sich weiterhin auf seine eigenen Stärken zu besinnen und die in der 2. Bundesliga ausgeübte Spielweise nicht komplett aufzugeben.
Stuttgart darf man als einen Ausreißer sehen. Auch wenn dort in den letzten Jahren nicht alles perfekt lief, so haben sie die letzte Zweitligasaison trotz der späten Entlassung von Tim Walter sehr dominant und relativ souverän bestritten. Die sehr talentierte junge Mannschaft hat ihre Qualität im letzten Jahr auch in der Bundesliga unter Beweis gestellt. Auch der FC aus Köln ging souverän direkt wieder hoch, nachdem ihm in der Europa League Saison in der Liga der Betriebsunfall widerfahren war.
Mit einem starken Kollektiv und Standardtoren zum Klassenerhalt
Union Berlin hat schon länger eine klare Spielphilosophie, die zuallererst der Defensive Bedeutung zumisst. Bereits in der 2. Bundesliga hatte man nicht den Anspruch einer dominanten Ballbesitzmannschaft. Dafür überzeugen sie mit Mentalität, einem starken Kollektiv und einem Fokus auf das Umschaltspiel und das Nutzen von Standards.
In ihren beiden Bundesligasaisons gehörten sie laut WhoScored.com mit jeweils 15 Standardtoren zu den besten Teams in dieser Spielphase. Vor allem an Union kann sich der VfL ein Stück weit orientieren. Ein Unterschied ist, dass Union seinem Stil in der Bundesliga weitestgehend treu bleiben konnte. Die Pässe pro Ballbesitzphase als auch der Anteil langer Bälle blieben gleich. Der geringere Ballbesitz könnte sich zumindest in Teilen mit längeren Ballzirkulationsphasen der Gegner erklären lassen.
Warnendes Beispiel Paderborn
Der SC wollte auch in der Bundesliga seinen von Intensität und Vertikalität geprägten Fußball durchziehen und nicht vollständig auf ein Spiel von hinten heraus verzichten. Doch am Ende fehlte es an der Qualität, insbesondere in der Defensive. Mit 74 Gegentoren kassierte man doppelt so viele Treffer wie man Tore erzielen konnte. Die meisten aller Aufsteiger der letzten Jahre.
Ein genauerer Blick auf die Ballbesitz und Pressingwerte der Aufsteiger der letzten Jahre zeigt den großen Unterschied zwischen den Ligen. Wenig überraschend schaffte es kein Aufsteiger auch nur annähernd die Dominanz aus der 2. Liga beizubehalten. Jeder spielte deutlich mehr lange Bälle in der Bundesliga.
Ein etwas überraschendes Bild zeigt sich bei den Pressingwerten (PPDA = (erlaubte) Pässe pro defensiver Aktion). Im Durchschnitt weisen Zweitligisten deutlich höhere Pressingwerte auf. Doch dürfte dies eher nicht eine Funktion eines aggressiveren Pressings in der 2. Liga zu sein. Vielmehr vermute ich ist das ein Ausdruck der höheren Qualität der Bundesligisten, die seltener lange Bälle wählen und besser darin sind, das Pressing zu überspielen.
In den erwarteten und tatsächlichen Ergebnissen zeigen sich auch die deutlichen Unterschiede: Sowohl in der Offensive als auch in der Defensive wird die Performance erwartbar deutlich schlechter. Hier deutet sich aber auch ein Zusammenhang zwischen der Performance in der Aufstiegssaison und dem folgenden Bundesligajahr an. Gute Offensivleistungen in der Aufstiegssaison führten tendenziell auch in der Bundesliga zu besseren Offensivleistungen. Das gleiche gilt für die Defensive. Das macht Hoffnung, dass unsere in der Vorsaison so starke Defensive, die 10 weniger Tore als nach Expected Goals erwartet zuließ, auch in der Bundesliga bestehen kann.
Die Wichtigkeit von Standards und dem Umschaltspiel in die Offensive
Mit der Ausnahme von Bielefeld, die gemessen an den zugrundeliegenden Leistungswerten etwas glücklich die Klasse halten konnten, konnten alle Aufsteiger, die die Klasse halten konnten, in zumindest einer dieser beiden Spielphasen überzeugen. Bielefeld konnte das immerhin bei defensiven Standards. Hannover, Köln, Union und auch Stuttgart (19/20) gehörten laut WhoScored bei Standards zu den besseren Teams, während Stuttgart in beiden Jahren und die Fortuna im Umschaltspiel überzeugen und zahlreiche Tore nach Kontern erzielen konnten.
Mit unseren schnellen Außenspielern haben wir bereits eine gute Voraussetzung für das in der Bundesliga wichtiger werdende Umschaltspiel. Doch der Abgang von Robert Zulj wiegt schwer. Ob er direkt ersetzt werden kann ist unklar. Meine leise, aber wohl sehr unwahrscheinliche Hoffnung ist immer noch eine Rückkehr von Kevin Stöger, der enorm zum Klassenerhalt der Fortuna beitragen konnte. Ahnlich wie Robert Zulj sucht er immer wieder die Pässe in die Tiefe. Ideal für unsere schnellen Außen.
Standards sollten ein weiterer Fokus sein. Insbesondere für ein Team, das spielerisch oft unterlegen sein wird. Union ist hier das beste Beispiel. In der abgelaufen Saison waren wir laut WhoScored mit 18 Toren das beste Teams nach offensiven Standards. Doch auch hier könnte der Verlust von Zulj eine deutliche Schwächung bedeuten, da er als Standardschütze bei vielen dieser Tore direkt beteiligt war.
Eines ist klar: Es werden andere Spiele in der Bundesliga. Der VfL muss sich in einer neuen Rolle zurechtfinden. Sich an diese Realität nicht anzupassen wäre genauso ein Fehler, wie alles Bisherige über Bord zu werfen. Der VfL kann nicht ausschließlich auf tiefes Verteidigen und lange Bälle setzen. Für Thomas Reis wird es darum gehen, eine gute Mischung zu finden, und Wege zu erarbeiten, auch ohne den Schlüsselspieler Zulj Chancen zu kreieren.
Mission Klassenerhalt
Realistisch betrachtet wird es für den VfL in dieser Saison nur um eines gehen: Die Klasse zu halten. Mit der Vielseitigkeit und Entwicklungsfähigkeit, die der VfL unter Thomas Reis im vergangenen Jahr gezeigt hat, existiert eine gute Grundlage für diese Mission. Doch wie wahrscheinlich kann der VfL dieses Ziel tatsächlich erreichen?
Mit Hilfe von statistischen Modellen können die Ergebnisse von Fußballspielen und somit der gesamten Saison vielfach simuliert werden und uns eine erste Idee davon geben, wie schwer die Aufgabe Klassenerhalt werden wird. @goalimpact veröffentlicht Jahr für Jahr Vorhersagen, die auf dem modellierten Einfluss eines jeden einzelnen Spielers auf das Spielergebnis basiert.
Early sneak peek, but the hope for a Bundesliga season that features a title race after March is there. pic.twitter.com/ad2WeCy01q
— Goalimpact (@Goalimpact) July 18, 2021
Laut dieser Vorhersage vom 18.07. (d.h. die Verpflichtungen von Rexhbecaj und Stafylidis sind noch nicht berücksichtigt) stehen die Chancen des VfL gar nicht schlecht. Mit rund 26% vorhergesagter Wahrscheinlichkeit eines direkten Abstiegs und 11% für den Relegationsrang wäre ein Klassenerhalt wahrscheinlicher als der Abstieg. Greuther Fürth und der letztjährige Aufsteiger Arminia Bielefeld wären neben Freiburg und Augsburg die Hauptkonkurrenten um den Klassenerhalt. Der 1. FC Köln kommt trotz der schwachen Saison, die erst in der Relegation erfolgreich beendet werden konnte, erstaunlich gut weg.
Zum Vergleich habe ich ein eigenes Modell erstellt, das auf den Ergebnissen der letzten 5 Jahre basiert. Es weist kürzer zurückliegenden Spielen ein höheres Gewicht als länger zurückliegenden Begegnungen zu. Die Details beschreibe ich für Interessierte im Anhang am Ende des Artikels etwas näher.
Das Modell ist ein wenig pessimistischer. Mit über 50% Wahrscheinlichkeit für einen direkten Klassenerhalt gibt es uns aber dennoch eine ordentliche Chance. Für den direkten Vergleich der beiden Modelle ist hier die gesamte Vorhersage:
Da wir nun ein Modell haben, das in der Lage ist Spiele zu simulieren, können die Simulationen auch nach beliebigen Faktoren gefiltert werden. Oben habe ich das für die Anzahl der gewonnenen Punkte getan. Das gibt uns eine Einschätzung darüber, mit welcher Punktzahl der VfL eine wie große Chance auf den Klassenerhalt haben könnte. Eine nicht ganz uninteressante Information für Entscheidungsträger.
Das Modell bestätigt die 40 Punkte Regel, mit der man keinen Abstieg fürchten braucht. Erst mit 38 Punkten bestünde laut Modell ein minimales Risiko in der Relegation zu landen, und selbst mit 36 Punkten wäre das Risiko der Relegation erst bei etwa 7%.
Das erlaubt ein klares Ziel für die Saison zu formulieren. Ich würde es mit 36 + x Punkte benennen. Das stimmt in etwa mit der Zielsetzung des Fürther Sportdirektors Azzouzi überein, der von 35 plus x Punkten spricht. Unter 36 erspielten Punkten steigt das Abstiegsrisiko schlagartig an – von 93% sicherem Klassenerhalt bei 36 Punkten zu 74% bei 34 Punkten, 45% bei 32 und nur noch 20% bei 30 Punkten. Im Durchschnitt erhöht jeder einzelne gewonnene Punkt zwischen 26 und 36 erzielten Punkten die Wahrscheinlichkeit auf den Klassenerhalt um fast 10%. Jeder. Punkt. Zählt. (Am besten natürlich drei pro Satz, ähm Spiel.)
Jedes Spiel ist ein Endspiel, das auf den Klassenerhalt einen entscheidenden Einfluss nehmen kann. Moral, Kampf und Zusammenhalt haben uns in der letzten Saison nicht nur einmal die Punkte bewahrt. In der Bundesliga muss die Mannschaft erneut Moral beweisen. Woche für Woche.
Jedes Tor zählt
Nach der Wahrscheinlichkeit, die Klasse zu halten, in Abhängigkeit der gewonnenen Punkte, schauen wir nun auf die Tordifferenz. Sorry, die Grafik ist was länger geworden.
Es ist in einem große Maße vom Zufall (oder anders ausgedrückt der Tagesform und der Konsequenz im Abschluss) abhängig, wie viele Tore in einem Spiel fallen. Auch wenn ein Team per Erwartung nur ein Tor schießen sollte, kommt es vor, dass es zwei oder mehr Tore schießt. Das ganze für beide Teams betrachtet führt zu einer hohen Streuung der möglichen Ergebnisse. Auf eine ganze Spielzeit betrachtet, lassen sich jedoch Tendenzen ableiten.
Zu etwa 90% wird unsere Tordifferenz zwischen -7 und -42 liegen. Das ist eine gewaltige Streuung. Das Äquivalent zu 38 Punkten, die ziemlich sicher den Klassenerhalt bedeuten würden, liegt für den VfL dem Modell nach bei einer Tordifferenz von Minus 10. Damit bestünde lediglich eine 2%-ige Gefahr der Relegation. Das tolle an dieser Darstellung ist, dass es uns den Einfluss eines einzelnen Tores auf die Wahrscheinlichkeit des Klassenerhalts schätzen lässt.
Mit der am häufigsten erwarteten Tordifferenz von -25 wäre ein Klassenerhalt zu etwa 52% wahrscheinlich. Ein Tor besser würde die Wahrscheinlichkeit auf 55% bringen. Mit -20 läge diese bei 75%, bei -15 bei 91%. Auf der anderen Seite sinkt die Sicherheit auf 29% (-30 Tordifferenz) bzw. 14% (-35 Tordifferenz).
Eine um 10 besser als erwartete Tordifferenz (-15 statt .25) würde eine um knapp 40% erhöhte Wahrscheinlichkeit des Klassenerhalts bedeuten. Im Durchschnitt circa 4%. Für. Jedes. Einzelne. Tor. Das muss man sich erst einmal klar machen!
An für sich ist keine bahnbrechende Erkenntnis, Tore sind im Fußball wortwörtlich das einzige das zählt. Das Ausmaß in Zahlen zu sehen, sollte aber zu denken geben und dazu veranlassen, nach Möglichkeiten zu suchen, wie man mehr Tore erzielen oder verhindern kann. Auch wenn es nur kleine Vorteile sind, die man finden und ausnutzen kann. Es sind diese kleinen Vorteile, die sich Stück für Stück aufsummieren und dafür sorgen, dass ein Team etwas wahrscheinlicher Tore erzielt oder verhindert, einen Punkt oder ein Spiel gewinnt oder am Ende der Saison ein gestecktes Ziel erreicht. Dann wandeln sich diese kleinen, in Prozenten gemessenen Vorteile in sportlichen und finanziellen Erfolg (der Wert eines Tores ließe sich sogar in etwa schätzen!). Das schafft die Möglichkeit noch ein klein wenig mehr investieren zu können, mehr Sponsoreneinnahmen zu generieren, für Spieler interessanter zu werden etc.
Auf mittelfristige Sicht kann ein konsequentes Suchen und Ausnutzen von noch so kleinen Vorteilen dazu führen, dass ein eigentlich kleiner Verein nach und nach zu den größeren Konkurrenten aufschließen kann. Genau das muss das Ziel unseres VfL sein. Es ist wonach wir uns alle sehnen. Ein VfL, der sich mittelfristig wieder in der Bundesliga etabliert.
Leider sagt das Wissen über den Wert eines Tores nicht darüber aus, wie man mehr Tore erzielen oder verhindern kann. Im Grunde ist das die Essenz des Trainer-Jobs, der Jobs der Verantwortlichen und eines jeden Spielers. Es geht darum, den bestmöglichen Kader und die beste Mannschaft mit der besten Taktik für ein jeweiliges Spiel zusammenzustellen, und im Training die Spieler und die gesamte Mannschaft zu verbessern – jeden Tag – und am Spieltag das maximale herauszuholen. Woche für Woche.
Auf die eigenen Stärken vertrauen
Sebastian Schindzielorz und Thomas Reis haben in den letzten Transferperioden bewusst auf Geschwindigkeit auf den Außen gesetzt. Mit Gerrit Holtmann haben wir den schnellsten Spieler der Bundesliga in unseren Reihen. Und auch Danny Blum, Christopher Antwi-Adjei, Herbert Bockhorn, Christian Gamboa und Milos Pantovic, auch wenn dies von den wenigsten wahrgenommen wird, gehörten zu den schnelleren Spielern der 2. Bundesliga. Auch Takuma Asano scheint Geschwindigkeit mitzubringen.
In der 2. Liga war die Geschwindigkeit nach Balleroberungen und bei Tiefensprints in eigenen Ballbesitzphasen wichtig. In der Bundesliga könnte das Umschaltspiel aus einem etwas tieferen Mittelfeldpressing noch wichtiger werden. Wie bereits vorher bei der Analyse der Aufsteiger erwähnt könnte das Umschaltspiel darüber entscheiden, ob wir am Ende die Klasse halten.
Quarterback Manuel Riemann
Manuel Riemann war bereits in der letzten Saison in allen Bereichen für unser Spiel zentral. Seine punktgenauen langen Bälle werden in der Bundesliga noch wichtiger, um das gegnerische Pressing zu überspielen. Ich behaupte, er wird einer der wichtigsten Spieler für uns sein.
Eine Variante davon wäre es der Rasenball Schule von vor einigen Jahren zu folgen. Oder wenn man es noch extremer mag, kann man auch in die englische Championship nach Barnsley schauen. Dort hatten die langen Bälle den Plan, künstliche Umschaltsituationen in Phasen von unkontrollierten Bällen zu erschaffen. Mit dem Speed, den wir in unseren Reihen haben, könnte auch das eine Waffe für unser Spiel sein. Allerdings fehlt uns dafür der Spielertyp, der den Ball instinktiv in die Tiefe spielt.
Pressing nicht völlig vernachlässigen
Auch wenn wir in vielen Spielen gegen stärkere Gegner, insbesondere auswärts, defensiver agieren werden und deutlich weniger Ballbesitz haben werden, sollten wir unsere Stärke im Angriffspressing nicht vollständig aufgeben. Gegen Teams, die Schwächen im eigenen Aufbau- und Ballbesitzspiel haben, kann ein solches Pressing vielversprechend sein. Thomas Reis ist gefragt eine gute defensive Balance zu finden. Selbst die stärkeren Teams kann man situativ aggressiver anlaufen, um deren Rhythmus zu stören.
Standardroutinen
Wer erinnert sich nicht noch an das 4:3 gegen Hannover in der letzten Saison. Zweimal war es Robert Tesche, der bei einer einstudierten Variante am ersten Pfosten zum Kopfball kam und die Chance verwandeln konnte. Beim 4:3 in der Nachspielzeit forderte er vorher Robert Zulj auf, diesen Bereich freizublocken. Gesagt, getan. Nachdem Zulj sich scheinbar unschuldig im Fünfer umhertrieb macht er bei Thomas Eisfelds Anlauf zur Ecke einen schnellen Schritt vor den Hannoveraner Verteidiger am ersten Pfosten, der für diesen Bereich per Raumdeckung zugeteilt war. So konnte dieser nicht den von hinten einlaufenden Robert Tesche verteidigen und dessen freies Einköpfen verhindern. Das ist nur ein Beispiel für die Vielzahl an Standardvarianten, die möglich sind.
Je nach defensivem Setup gibt es Schwächen in der Verteidigung von Standardsituationen, die auf unterschiedlichste Art auszunutzen sind. Bei den meisten Teams ist es ein Co-Trainer, der die Aufgabe übernimmt, Ecken zu analysieren und Routinen zu planen. Der VfL hat dies in der vergangenen Saison exzellent getan. Da uns mit Zulj der Standardschütze verlassen hat, ist es jedoch unklar, ob dies so wiederholt werden kann.
Durch die hohe Anzahl an Ecken pro Spiel – selbst für ein schwächeres Team sind es 3-4 pro Spiel – kann man sich hier einen kleinen aber entscheidenden Vorteil verschaffen. Durchschnittlich liegt der Erwartungswert eines erzielten Tores bei einer Ecke inklusive der nachfolgenden Phase (weitere Ecke, Einwurf, gesicherter Ballbesitz) bei ca. 4-5%. Es gibt aber große Unterschiede zwischen verschiedenen Teams. Geht man sehr konservativ von 34 Spielen * 3 Ecken = knapp über 100 offensiven Ecken in einer Saison aus, würde eine Erhöhung der Erfolgswahrscheinlichkeit der Ecken um ein Prozent (absolut betrachtet) bereits ein weiteres Tor pro Saison bescheren. Die besten Teams in dieser Spielphase schaffen es noch deutlich effektiver zu sein!
Doch entgegen dieser Wichtigkeit, wenden die wenigsten Teams genug Zeit auf diese Spielphase auf. Damit sind Standards eine einfache Möglichkeit, sich gegenüber der Konkurrenz einen Vorteil zu verschaffen. Möglichkeiten diese Spielphase zu verbessern ist das Arbeiten mit einem spezifischen Standardcoach (z.B. Mads Buttgereit, der zukünftig auch das deutsche Nationalteam betreuen wird, oder Stuart Reid) sowie das Nutzen von frei zugänglichen Ressourcen im Internet oder der virtuelle Standardkurs von Statsbomb, der bereits ab diesem Mittwoch wieder geschlossen ist. Der ehemalige Spieler von Fürth und Midtjylland Tim Sparv äußert sich mehr als positiv über seinen alten Standardcoach Mads Buttgereit. Ein vereinsinternes Playbook mit aussichtsreichen Standardroutinen ala American Football sollte (pun intended) Standard sein.
Tillykke Danmark! A special mention to my friend & old colleague, Denmark’s set-piece coach, @MadsButtgereit. A fantastic person & brilliant at his job. An innovator in an area which is still undervalued by so many. Today, a
corner routine got them into a EURO semifinal. (THREAD)— Tim Sparv (@TimSparv) July 3, 2021
Einwürfe
Zu den Ecken kommen (in-)direkte Freistöße (vielleicht sogar selbst aus der eigenen Hälfte heraus Richtung gegnerischem Strafraum) und Einwürfe. Mittlerweile gibt es nicht nur die bereits genannten Standardcoaches, sondern auch Einwurfcoaches wie Thomas Gronnemark, die Einwurftechnik (wie z. B. weiteres und flacheres Werfen), Bewegungsmuster und Einwurfstrategien coachen. Das erlaubt es Teams, Bälle häufiger zu behaupten und mitunter sogar offensive Szenen einzuleiten. Ein kleiner aber häufig wiederholbarer Vorteil.
Ein weiterer Ansatz ist es, Einwürfe nahe des gegnerischen Sechzehners wie Standards zu nutzen. Teams wie z. B. Stoke City nutzen offensive Einwürfe seit Jahren auf diese Art erfolgreich. Auch der VfL könnte dies tun.
Modelle, die Aktionen auf dem Spielfeld einen Wertbeitrag an Toren zumessen, sagen, dass ein Einwurf relativ weit in der eigenen Hälfte eine Situation ist, aus der das pressende Team im Durchschnitt häufiger Tore erzielt als das einwerfende Team! Es scheint, dass die Wahrscheinlichkeit und das Risiko des Ballverlusts vergleichsweise hoch ist. Höher als manch gefahrloser Ballbesitz in der eigenen Hälfte. Um aus einem solchen Einwurf, einen Vorteil zu erlangen, muss man ihn gut zustellen und pressen. Kommt man zu einem Ballgewinn ist man bereits nah am gegnerischen Tor und kommt bestenfalls zu einer Chance, oder nach einem Ballverlust zu einer Gegenpressingsituation in der gegnerischen Hälfte. Oftmals wird man den Ball gewinnen und bekommt die Möglichkeit, zurück zu spielen, um das Spiel von hinten gegen einen tiefer stehenden Gegner neu aufzubauen. Auch eine gute Ausgangssituation.
Da so ein gegnerischer Einwurf in seiner Hälfte einen positiven Erwartungswert hat, ist es auch in jeder Drucksituation, in der ein Ballverlust wahrscheinlich ist, ein guter Plan B, den Ball einfach weit Richtung Seitenaus in die gegnerische Hälfte zu spielen und hochzuschieben. Gepaart mit schnellen Außenspielern, die idealerweise diese Schläge sogar antizipieren und eine Chance auf einen Durchbruch haben, könnte dies eine spannende Option sein.
Fehlendes Abseits bei Einwürfen gegen hohes Pressing nutzen
Der Gegner presst hoch, Riemann erhält den Ball zurück. Langer Ball nach Außen, Höhe Mittellinie. Der gegnerische Außenverteidiger sprintet und steigt hoch und klärt den Ball ins Seitenaus.
Das heimische Ballmädchen reagiert schnell und gibt den Ball direkt in die Hände des bereitstehenden Spielers. Dieser wirft auf den gegenüberliegend gestarteten Flügelstürmer, der dies bereits antizipiert hatte und weit ins Abseits gestartet war. Nur gibt es dieses bei Einwürfen nicht! Der Spieler kriegt ein einfaches eins gegen eins gegen den Torwart. Ein Einzigartiger Einwurf.
Zugegebenermaßen ist dieses Szenario kreiert und es muss einiges zusammenpassen. Doch falls es tatsächlich machbar ist (und Ballmädchen endlich wieder am Spielfeldrand dabei sein können), könnte man so aus einer schwierigen Situation, aus der ein Gegentor ähnlich wahrscheinlich ist, wie ein eigenes Tor, eine Großchance kreieren. Dementsprechend bräuchte es keine große Erfolgswahrscheinlichkeit, damit sich ein Versuch lohnen würde.
Während Gleichstand Effektive Spielzeit als Underdog reduzieren
Der Torhüter des führenden Teams braucht wieder einmal 15 Sekunden, bis er den Ball abschlägt. Die gegnerischen Fans pfeifen. Zurecht! Denn das Zeitspiel verkleinert die Wahrscheinlichkeit, noch ein Gegentor zu kassieren. Warum soll man dies auf Führungen beschränken? Bin ich das deutlich unterlegene Team, das heißt der Gegner erzielt per Erwartung mehr Tore als ich es tue, erschaffe ich mir einen Vorteil indem ich die Spielzeit reduziere. Das muss kein offensichtliches Zeitspiel sein (wobei dies im erlaubten Rahmen natürlich vorteilhaft ist). Genauso kann man auf eine Art spielen, die Zeit von der Uhr nimmt.
Das können zum Beispiel die eben beschriebenen Einwürfe in der gegnerischen Hälfte sein. Der Zeitgewinn ist die Kirsche obendrauf. Den Ball zurückzuzirkulieren und willentlich lange in den eigenen Reihen hin und her zu schieben kann eine weitere Möglichkeit sein. Schafft man es auf diese Art und Weise gegen bessere Gegner mehrere Minuten von der Uhr zu nehmen, kann man über eine gesamte Saison hinweg gesehen einen minimalen Vorteil von vielleicht 1-2% gesteigerter Wahrscheinlichkeit auf den Klassenerhalt kreieren.
Nur sollte man nicht den Fehler machen dies als ebenbürtiges oder überlegenes Team in Gleichstand zu tun. Das sind wir am ehesten zuhause. Deswegen könnte dieses Vorgehen in Heimspielen nicht sinnvoll sein. Die Fans wollen schließlich auch unterhaltsamen Fußball sehen. Doch als Teil einer Strategie, die auf viele lange Bälle, Zweikämpfe und Spielunterbrechungen setzt, könnte es für manchen Underdog Sinn machen.
Mit Wille, Kampf und Charakter zum Klassenerhalt
Das sind einige Ideen, wie ein Team sich unter Umständen kleine Vorteile erarbeiten könnte. Manche etwas ausgefallener, manche (Standards und Einwürfe) werden bereits von mehreren Teams ausgiebig trainiert. Die klare Philosophie, die Sebastian Schindzielorz und Thomas Reis in den letzten Jahren entwickelt haben, und die willens-, kampf- und charakterstarke Mannschaft, die sie zusammengestellt haben, sind die Grundlage für eine erfolgreiche Saison. Schafft man es die Stärke bei offensiven Standards aus dem letzten Jahr zu wiederholen und über die Geschwindigkeit der offensiven Außen ins Umschaltspiel zu kommen, stehen unsere Chancen gut. Doch am Ende könnten es die kleinen Dinge sein, die den Unterschied machen und zwischen Klassenerhalt und Abstieg entscheiden. Dafür gilt es in jedem Spiel, bis zur letzten Minute, den vollen Einsatz eines jeden Spielers auf dem Platz zu sehen. Auch wenn es mal nicht gut läuft. Das muss der Anspruch sein, und das ist was wir Fans auf den Rängen sehen wollen. Nur so kann es für den Klassenerhalt reichen.
Auf geht‘s #meinVfL. Endlich wieder Bundesliga. Punkt für Punkt zum Ziel.
Anhang: Details zum statistischen Modell
Die Simulationen bauen auf dem frei auf GitHub verfügbaren Package Mezzala von Ben Torvaney auf. Dieses Package implementiert ein Dixon-Coles Modell, welches offensive und defensive Teamstärke-Parameter für jedes Team als auch einen allgemein gültigen Heimvorteil bestimmt. Dem Modell liegt die Annahme zugrunde, dass Tore annähernd, unabhängig voneinander, Poisson-verteilt sind. Da unter dieser Annahme die Wahrscheinlichkeiten von Unentschieden etwas unterschätzt werden – die Unabhängigkeitsvermutung trifft nicht vollständig zu – nimmt das Modell eine kleine Anpassung dieser Wahrscheinlichkeiten vor.
Das Modell benutzt die Daten der letzten 5 Bundesliga- und 2. Bundesliga-Spielzeiten (Quelle: Wyscout). Länger zurückliegende Spiele erhalten gemäß eines exponentiell verfallenden Gewichts geringere Wichtigkeit in diesem Modell. Es wurde mit ϵ = -0.0035 anhand der Spielzeiten mit Ausnahme der letzten Saison bestimmt. Ein um ein Jahr zurückliegendes Spiel erhält damit ein Gewicht von ca. 27.5% in der Modellberechnung.
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