Wir dürfen euch heute den ersten Teil unseres Interviews mit Marcel Maltritz präsentieren. Marcel Maltritz hat 10 Jahre das Trikot des VfL Bochum getragen, war lange Zeit Kapitän und ist Teil der Legenden-Elf. Im Sommer 2014 hat Marcel seine Karriere beendet und wir haben uns mit ihm über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft unterhalten.
MM – Marcel Maltritz, CG – Claudio Gentile, SH – Sebastian Hettmann
SH: Vielen Dank noch einmal für deine Zeit. Du hast gerade gesagt, dass du passionierter Golfer bist. Wie verbringst du deine Zeit sonst nach dem Karriereende? Das Karriereende ist ja schon eine Zeit her mittlerweile…
MM: Dreieinhalb Jahre ist das jetzt schon her, ganz so lange kommt es mir noch gar nicht vor! Ich spiele gerne Golf, mache aber auch jede andere Sportart. Ich spiele gerne Tennis, gehe auch meistens einmal die Woche mit ein paar ehemaligen Kollegen Fußball spielen und halte mich eigentlich auch so fit. Handicap beim Golf ist der „kleine Ball“. (lacht) Der kleine Ball und das Wetter, die Sonne, aber nicht die eigene Schwäche beim Schlagen.
SH: Apropos Sonne, wir haben uns auch ein bisschen vorbereitet in den Sozialen Medien in denen du aktiv bist und haben nachgeschaut was du da so gepostet hast. Du hast jetzt eine Menge Zeit für die Familie, nehme ich an, ihr seid zusammen vor kurzem in den USA im Urlaub gewesen. Was genießt du, seitdem du das Karriereende eingeläutet hast?
MM: Wir konnten jetzt zum ersten Mal länger als eine Woche gemeinsam in den Urlaub fahren, da die Schulferien ja leider nicht in die fußballfreie Zeit fallen. Normalerweise genieße ich die freien Wochenenden, wenn ich jetzt nicht gerade im Stadion bin. Das hatte ich ja in meiner Karriere irgendwie nie, dass man Samstag und Sonntag zuhause bei der Familie ist. Auch unter der Woche hat man mal Zeit mit den Kindern zusammen Hausaufgaben zu machen oder zu lernen. Das hat man zwar als Profi auch, aber man ist ja doch viel unterwegs. Es ist alles ein Stück weit „normaler“ geworden.
SH: Wie sehr bist du damals auch daheim Profi gewesen, auch unter der Woche? Nimmt man das Profigeschäft mit nach Hause oder hast du das geschafft früher die Trennlinie zu ziehen und konntest sagen, ich bin jetzt vom Trainingsplatz runter und bin zuhause und Familienmensch.
MM: Nee, da habe ich schon das ein oder andere Problem mit nach Hause genommen. Gerade wenn es nicht so gut läuft. Es ist nicht so, dass man dann abschalten kann, wenn man von der Geschäftsstelle wegfährt. Auch ist es bei Sportlern nun einmal so, die können nicht verlieren. Meine Frau muss mich auch schon einmal anschubsen, wenn ich mit den Kindern irgendwas spiele, dass ich mich dann etwas zurücknehme und nicht Vollgas gebe. Das ist einfach mein Naturell, dass man immer gewinnen will und das ist eigentlich auch eine positive Eigenschaft von mir, aber wenn man mit Kindern die Zeit verbringt, muss man manchmal etwas zurückstecken. (lacht)
„Also grundsätzlich muss ich sagen, dass ich mich teilweise geschämt habe VfL Bochum Fan zu sein. Gerade was das Bild angeht, das der Verein in der Öffentlichkeit abgegeben hat.“ – Marcel Maltritz
SH: Mittlerweile haben wir einige Probleme im Verein. Die Saison ist bisher nicht so gelaufen wie wir uns das alle erhofft haben vielleicht. Kannst du das aus deiner Perspektive eventuell erklären? Hast du Ideen woran es liegen könnte?
MM: Also grundsätzlich muss ich sagen, dass ich mich teilweise geschämt habe, welches Bild der VfL in der Öffentlichkeit abgegeben hat. Das habe ich auch unserem Aufsichtsratsvorsitzenden (Anm. d. Red.: Hans-Peter Villis) so gesagt, weil man das in Bochum so nicht kannte. Man kannte es vielleicht von anderen Bundesligavereinen, aber nicht aus Bochum. Und in diesem Jahr konnte man es in Bochum live miterleben. Die Gründe sind hinlänglich bekannt: Die vielen Trainerwechsel, die Ausgliederung mit dem Unmut vieler Fans kam hinzu, dann noch die Suspendierung von Bastians. Das ist an vielen Fans nicht spurlos vorbeigegangen. Ich hoffe nur, dass man in Zukunft wieder ein bisschen Ruhe rein bekommt. Denn nur wenn man Ruhe im Verein hat, wird man auf langer Sicht auch erfolgreich arbeiten können. (Anm. d. Red.: Das Gespräch wurde am 08.12.2017 geführt)
SH: Wie bewertest du den Paukenschlag, den der VfL Bochum kurz vor Weihnachten öffentlich verkündet hat?
MM: Ich war genauso überrascht, wie jeder andere Fan des VfL auch. Der Verein befindet sich mittlerweile in einer sehr großen Führungs- und Vertrauenskrise. Rücktritte des Vorstandes und von Aufsichtsräten während einer sportlich angespannten Situation sind sehr überraschend und es Bedarf einer Aufarbeitung der Hintergründe, um Mutmaßungen und Spekulationen zu unterbinden. Durch zu viele falsche und unglückliche Entscheidungen im sportlichen Bereich, zusammen mit der Ausgliederung und der Außendarstellung der letzten Monate, haben viele Anhänger den Glauben an ihren Verein verloren und sind zu Recht sehr besorgt.
SH: Guckst du denn online nach, was über den VfL berichtet wird? Oder hast du früher vielleicht sogar nachgeschaut, was über dich geschrieben wurde?
MM: Bei den ganzen Social-Media-Kanälen bin ich erst seit ca. zwei Jahren richtig aktiv. Früher habe ich das belächelt und als Zeitverschwendung abgetan. Nach einer Weiterbildung im Social Media Bereich habe ich dann Spaß daran gefunden. Profis leben heute in einem gläsernen Käfig und werden eigentlich fast total überwacht. Ich bin froh, dass es zu Beginn meiner Karriere noch keine sozialen Netzwerke gab. Einige Kommentare gehen da wirklich unter die Gürtellinie. Man kann kritisch sein, man kann auch bestimmt Sachen in Frage stellen, aber durch die Anonymität im Internet ist man gelinde gesagt schon sehr am Schimpfen. Man darf nicht vergessen, dass die handelnden Personen auch Menschen sind und keiner Fehler mit Absicht macht. Das hat alles Gründe und ich mag auch nicht, wenn Plattitüden geschrieben werden wie: „Wenn ich gravierende Fehler in meinem Job mache, werde ich gekündigt.“ Die beiden Bereiche Profisport und „normale Berufswelt“ kann man überhaupt nicht miteinander vergleichen. Es hat jeder die Chance Profisportler zu sein, ganz egal, welches Talent man hat. Ich bin der Überzeugung, dass man sich eine Profikarriere mit viel Fleiß und Disziplin erarbeiten kann und man darf nie vergessen, dass man schon im Alter von 6-8 Jahren auf viel verzichten muss. Man verzichtet auf viel Freizeit und teilweise auch auf Freunde, weil die Zeit dafür nicht mehr ausreicht. Der Vergleich mit dem Söldnertum hinkt für mich ebenfalls. Ein Söldner hat ja etwas Gutes normalerweise. Ein Söldner gibt sein Bestes für sein Land oder seine Operation. Und daher passt das eigentlich nicht. Ich würde die Hand für jeden Fußballer ins Feuer legen, der sein Bestes versucht und sein Bestes geben möchte, aber an manchen Tagen funktioniert es einfach nicht.
SH: Du hast dich also nie bei jemandem fragen müssen: Hat er heute vielleicht absichtlich schlecht gespielt oder hat nicht versucht alles gegeben?
MM: Nein. Mit Absicht nicht. Es gibt ja verschiedene Gründe warum man an dem Tag schlecht drauf ist. Der Eine spielt drei Fehlpässe hintereinander, dann kann man ihn im Prinzip schon auswechseln. Das hat dann oftmals mentale Ursachen. Dem Anderen sind 60.000 Zuschauer im Stadion zu viel, dass er mit dem Druck nicht klarkommt. Fußballer oder Profisportler müssen an dem einen Spiel oder Wettkampf funktionieren. Das ist die Kunst des Trainers, die Mannschaft so zusammenzustellen, dass eine Einheit auf dem Platz entsteht. Man neigt im Fußball dazu alles erklären zu müssen, manchmal ist es einfach Schicksal, dass der Ball ins Tor geht und nicht an den Pfosten. Das ist dann manchmal das nötige Glück oder Pech, dass jeder Sportler braucht. Uns ist auch allen lieber, dass der VfL Bochum zehn Mal schlecht spielt, aber gewinnt, als berauschender Fußball und wir holen keine Punkte. Damals unter Friedhelm Funkel gab es auch viel Kritik: Funkel lässt zu defensiv spielen, kein Spielaufbau, aber er war mit seiner Spielidee erfolgreich. Und das ist letztendlich das Entscheidende im Sport.
CG: Du hattest in Bochum ebenfalls nicht nur leichte Zeiten und wurdest von der Ostkurve eine Zeit lang auch kritisch gesehen. Wie geht man da als Mensch mit um?
MM: Das war in dem Moment schon sehr schwierig und ich muss ehrlich sagen, weil ich zu dem Zeitpunkt auch schon ein paar Jahre in Bochum verbrachte und Kapitän der Mannschaft war, dass das schon weh getan hat, aber auf der anderen Seite habe ich auch gesagt, dass solche Situationen einen auch stärker machen können, wenn man sich damit kritisch auseinandersetzt. Es ist im Sport so, dass man nicht immer gewinnen kann, verlieren gehört auch dazu und dann wird man auch kritisch gesehen. Beim Fußball ist es so, dass es 20.000 Trainer in den Stadien gibt, die alles irgendwie besser wissen oder besser machen würden. Das fällt mir jetzt auch auf, wenn ich selber im Stadion bin, dass man bestimmte Situationen anders sieht. Das ist nun einmal so, weil der Blickwinkel auf der Tribüne ein anderer ist. Die Zeit in Bochum, als es für mich persönlich starke Kritik gab, hat mich im Nachhinein stärker gemacht und die öffentliche Wahrnehmung hat sich dann ja auch schnell wieder geändert.
SH: Ich muss gestehen, dass ich ein Spiel im Kopf habe, welches für mich ein bisschen sinnbildlich war für die schwere Zeit, die du bereits angesprochen hast. Das war, glaube ich, gegen Köln damals. Du bekommst knapp hinter der Mittellinie den Ball zurückgespielt, drehst dich um und willst den Ball zum Torwart zurückspielen, der Ball verhungert und wird vom Kölner Spieler erlaufen und der haut den Ball ins Tor. Wie fühlt man sich in so einer Situation auf dem Rasen? Was hast du dann für Gedanken?
MM: War das gegen Köln? Echt?
SH: Ich habe es zumindest so in Erinnerung.
MM: Ja? Gegen Köln habe ich nur gute Erinnerungen! Da habe ich das 2:1 geköpft unter Peter Neururer, dann noch einmal auf der Linie, oder kurz vor der Linie, einen Freistoß gerettet. Aber wenn das so gewesen sein soll…
SH: …ich schaue gerne noch einmal nach! (lacht)
MM: (lacht) … dann würde man am liebsten im Boden versinken. Wenn so ein Fehler bei einem Abwehrspieler oder einem Torwart passiert, entsteht entweder eine Riesenchance oder ein Tor. Der Stürmer kann zehn Chancen verballern, wenn er den Elften reinmacht, ist alles gut. Das ist das Los der Abwehrspieler, man darf wirklich fast keine Fehler machen. Aber Fehler passieren leider manchmal.
SH: Aber du konntest das relativ gut während des Spiels abhaken und in der nächsten Aktion deinen Zweikampf gewinnen…
MM: Das ist auch generell im Sport das Entscheidende, man darf nicht so viele negative Gedanken im Kopf haben, sondern muss das ausblenden. Das Spiel geht ja weiter! Man kann sich ja wirklich nicht eingraben, man muss weiter positiv denken und durch kleine Aktionen dann wieder Selbstvertrauen tanken. Normalerweise ist es so, dass man von Mitspielern dann auch ein Stück weit aufgebaut wird. Das wird, hoffe ich, wenn es so gewesen sein soll, auch passiert sein. (lacht)
SH: Du hast dich dann auch zum Publikumsliebling in Bochum gewandelt. Ich denke, dass man das auch wahrnimmt. Du bist in der Region geblieben nach dem Karriereende, hast hier Wurzeln geschlagen. Was gefällt dir an Bochum? Warum habt ihr entschieden hier zu bleiben?
MM: Ich habe den Absprung nicht mehr geschafft. (lacht) Ich habe mich in meiner Zeit in Bochum auch nie mit einem anderen Verein beschäftigt. Meinen Vertrag hatte ich damals frühzeitig verlängert mit Stefan Kuntz, obwohl wir abgestiegen sind. Wir haben uns eigentlich immer wohl gefühlt in Bochum. Die einzige Erfahrung, die ich im Nachhinein ein Stück weit bedauere, ist, dass wir die Erfahrung im Ausland nicht sammeln konnten um eine neue Sprache und eine neue Kultur kennenzulernen. Aber letztendlich muss man sagen, dass ich über 15 Jahre Profifußball gespielt habe und relativ verletzungsfrei durchgekommen bin, obwohl ich eigentlich immer gespielt habe. Darum kann man nicht sagen, dass man etwas hätte anders machen sollen. Wenn man eine Familie mit Kindern hat, dann ist es auch nicht so einfach zu sagen, ich gehe in eine andere Stadt in einem anderen Bundesland. Das Schulsystem ist überall unterschiedlich und da muss man schon die Familie ein Stück weit im Blick haben.
„Vielleicht waren meine Mitspieler auch einfach zu schlecht früher für mein Aufbauspiel? (lacht) Das ich denen nicht so den Ball anvertrauen können. Christoph Kramer oder Leon Goretzka, vielleicht waren die einfach zu schwach!“ – Marcel Maltritz
SH: Du bist Innenverteidiger gewesen und sagtest vorhin, dass du das Spiel mittlerweile von der Tribüne aus mittlerweile etwas anders siehst als vom Spielfeld aus. Wenn du dir die modernen Innenverteidiger heute ansiehst, es geht ja mehr dahin, dass der Innenverteidiger fast schon als Spielmacher agiert. Du hast früher in deiner Zeit in Hamburg auf der „Sechs“ gespielt, dann als Innenverteidiger, jedoch war die „feine Klinge“ nicht immer ganz so deins…
MM: (lacht)
CG: (lacht)
SH: …also der ein oder andere lange Pass kam schon wunderbar an, aber es ist mittlerweile viel technischer geworden. Wie siehst du da die Entwicklung?
MM: Ich sehe das ja in Bochum auch, dass man versucht raus zu spielen, aber dafür brauche ich auch die richtigen Spielertypen. Nicht nur die Innenverteidiger, sondern auch die Mittelfeldspieler. Früher war es so, dass man ausschließlich einen Spielmacher hatte oder einen Sechser, der fast schon Spielmacher war, um das Spielgeschehen zu dirigieren. Es ist auch immer Ansichtssache wie man erfolgreich spielen will. Wenn man Leipzig sieht, die mit der Viererkette hoch zur Mittellinie schieben, dann brauche ich nicht hinten herausspielen. Dann muss ich natürlich mal einen langen Ball hinter die Viererkette spielen. Wenn man beispielsweise Boateng oder Hummels sieht, das sind überragende Innenverteidiger, die das Spiel von hinten heraus gestalten. Dies geschieht aber auch in einer Weltklasse Mannschaft. Das darf man auch nicht vergessen! Vielleicht waren meine Mitspieler auch einfach zu schlecht für mein Aufbauspiel? (lacht) Das ich denen nicht so den Ball anvertrauen konnte. Christoph Kramer oder Leon Goretzka, vielleicht waren die einfach zu schwach! (lacht) Das könnt ihr ruhig so schreiben! (lacht)
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