Die zweite Bundesliga ist wahrlich eine ehrliche Liga. Das Leistungsniveau ist über Jahre gestiegen und die Mannschaften haben sich aneinander angeglichen. Ehemalige Granden des deutschen Fußballs spielen teils Jahre im Unterhaus und duellieren sich mit Emporkömmlingen und Teams mit Kultstatus. Das Spitzenspiel des 6. Spieltags fand unter Flutlicht im alt-ehrwürdigen Max-Morlock-Stadion zu Nürnberg statt: Der 1. FC Nürnberg empfing den VfL Bochum. Zwei klangvolle Namen im deutschen Fußball.
Die Worte von Maximilian Wittek im Interview nach Spielschluss am Spielfeldrand waren ehrlich und man wollte ihn in den Arm nehmen und sagen ‚Kopf hoch, wird schon wieder.‘
„Die ersten 15 Minuten waren in Ordnung, da haben wir viele Bälle hoch gewonnen, die leider nicht zu gefährlichen Aktionen geführt haben. Wir waren gut im Spiel, dann hat Nürnberg Anpassungen vorgenommen, das haben wir dann phasenweise nicht mehr gut verteidigt bekommen. Für die zweite Halbzeit hatten wir uns vorgenommen, wie zu Beginn des Spiels zu agieren, waren aber weiterhin nicht gut im Spiel und geraten in Rückstand. Dann haben wir durch den Elfmeter den Punkt zwar unverdient, aber trotzdem so gut wie sicher. Mit mir fängt es dann an, das darf mir nicht passieren, ich muss meinen Gegenspieler einfach stellen. Das nehme ich auf mich, dass ich den Freistoß verursache, den wir dann nicht gut verteidigen. So stehen wir jetzt am Ende wieder mit Null Punkten da.“ – Maximilian Wittek (Quelle: VfL Bochum)
Leider wiederholen sich diese Worte seit Monaten. Wahrlich nicht nur von unserem Linksverteidiger. Das Credo: Wir wollten ja, aber wir konnten nicht.
Passend dazu die neuerlichen Aussagen von Felix Passlack.
„Das mit den Fans bleibt unter uns“, sagte er bei Sky und hob hervor, dass es keine „Ansage“ war. Das „würde ich jetzt nicht sagen. Sie haben gesagt, was ihnen auf der Seele brennt. Das gilt es, in den nächsten Wochen auf dem Platz zu zeigen.“ (Quelle: Kicker)
Jetzt aber wirklich.
In Ergänzung:
„Die Krise verschärft sich nicht. Wir haben einen neuen Spielstil gezeigt.“ – Felix Passlack (Quelle: Kicker)
Absolut. Da darf man auf Verständnis und weiterhin auf Zeit hoffen. Der Verdacht drängt sich auf, dass die Mannschaft nicht nur sportlich mit der andauernden Situation des Verlierens überfordert ist.
„Es kommen jetzt diese Floskeln, aber es ist nun mal so, dass wir enger zusammenrücken und die Situation annehmen müssen“, betonte Wittek und betonte, dass man sich der eigenen Situation bewusst sei. „Uns ist das Ganze schon bewusst. Wir haben nach dem Trainerwechsel versucht, einige Dinge zu verbessern. Einige Dinge hat man in Nürnberg schon gesehen.“ – Maximilian Wittek (Quelle: Kicker)
Dem Spiel in Nürnberg positives abzugewinnen ist arg schwierig.
Chancenlos gegen den Club
Eine Analyse zum Spielgeschehen verbietet sich. Der VfL war den Nürnbergern in allen Belangen unterlegen. Miroslav Klose hatte ein ähnliches Szenario wie Dieter Hecking in der vergangenen Woche, seine Mannschaft lieferte jedoch den Willen, um mit und ohne Ball das Spiel zu gewinnen. Die junge Mannschaft des Club konnte immer wieder die löchrige Verteidigung der Bochumer durchbrechen und hätte – so ehrlich darf man sein – viel höher gewinnen können. Gar müssen. Aber auch hier und dort merkte man das mangelnde Selbstvertrauen. Dennoch agierte das Team zielstrebig und konnte sich am Ausnahmespieler Julian Justvan hochziehen, der den Brustlöser schaffte und das Spiel im Grunde mit seinem Tor bereits entschied.
Ohne Selbstvertrauen im Kreislauf des Verlierens
Das Wort ‚Selbstvertrauen‘ bietet eine wunderbare Überleitung zu unserer Mannschaft. Aufbruchstimmung. Trainereffekt. Frischer Input. Nichts davon schien für unsere Spieler zu gelten, sondern das lähmende Gefühl des Fußballspielens für den VfL griff weiterhin um sich. Es ist von Woche zu Woche erschreckender zu beobachten, dass die vermeintliche Achse an Führungsspielern und etablierte Fußballer nicht zueinander finden und Abläufe sich selbst nach Jahren oder Monaten einstellen. Die Mannschaft wirkt nicht miteinander kompatibel. Das Konstrukt VfL Bochum ist fragil. Auf vielerlei Ebenen.
Sicherlich gibt es Fußballromantiker – ich zähle mich selber dazu – und die hoffen in solchen Situationen auf die Cinderella-Story des U19-Trainers, der die junge Mannschaft erreicht und die richtigen Stellschrauben findet. Der mit seinem Elan und Enthusiasmus den VfL zurück zur eigenen DNA führt. Das Spiel gestern war an Ernüchterung jedoch kaum zu übertreffen.
„Insgesamt war es ein verdienter Sieg für Nürnberg, auch wenn wir in der Schlussphase kurz davorstanden, doch noch einen dreckigen Punkt mitzunehmen. In der Anfangsphase der Partie sind uns hohe Ballgewinne geglückt, aus denen wir auch zu Standardsituationen gekommen sind, allerdings ohne torgefährliche Aktionen. Da hätte ich mir gewünscht, das über eine längere Zeit durchziehen zu können. Ich sehe aber positiv, dass die Mannschaft auch im defensiven Pressing lange den Widerstand gehalten hat. Wir werden jetzt in die Analyse gehen und müssen dann weiterarbeiten. Dass nach fünf Tagen direkt alles funktioniert, hätte ich mir natürlich gewünscht und es mir auch anders vorgestellt. Wir werden aber weiter unseren Weg gehen und uns übers Training Stück für Stück verbessern.“ – Interimstrainer David Siebers (Quelle: VfL Bochum)
War es ein Quäntchen zu viel Selbstbewusstsein des Trainers zu glauben, dass der VfL die Nürnberger im eigenen Stadion aggressiv unter Druck setzen könnte?
War es die Selbstgefälligkeit, dass man beim Tabellenschlusslicht als Bundesliga-Absteiger doch durchaus den Turnaround schaffen kann?
War es ein Quäntchen Naivität zu glauben, dass eine Mannschaft ohne Selbstvertrauen innerhalb von ein paar Tagen mit mehr Mut und Elan agiert als in den vergangenen Wochen?
Oder war es gar kühne Berechnung, um nun die heiligen Kühe anzugehen, um der Mannschaft außerhalb des Transferfensters eine Frischzellenkur durch Jugendspieler verpassen zu können?
Die entscheidende Frage lautet: Sollten etablierte Kräfte, die überfordert wirken und eher durch Gestikulieren und Schuldzuweisungen auffallen als durch Leistung, ersetzt werden? Ist die Situation nicht bereits zu verfahren, um jetzt auch noch Karrieren von Nachwuchs- und Perspektivspielern zu verheizen? Oder ist genau das die Chance, die uns bleibt in den kommenden zwei Spielen? Ist das die Chance für David Siebers, um sich für einen langfristigen Job zu empfehlen?
Die Ostkurve wird da sein
Die Fans auf der Ostkurve werden da sein und die Farben des Vereins unterstützen. Doch es brodelt und die Unterstützung für die Mannschaft steht auf der Kippe. Leidenschaft für das Trikot. Das ist es, was aktuell fehlt. Eigentlich ein leichtes, dass durch kleine Gesten auszustrahlen und der Kurve zu vermitteln. Doch dieses Faustpfand der Unterstützung durch den Anhang darf nicht als Selbstverständlichkeit erachtet werden. Zu oft fallen schnell gesprochene Sätze der Verantwortlichen als Lob ob des Anhangs, der das enge Stadion zu einem Hexenkessel machen kann und auswärts bedingungslos supportet. So langsam gilt es – Mal wieder – sich diesen Support durch Aktionen auf dem Feld zu verdienen und den Willen zu entwickeln, um als Einheit es dem Gegner schwer und unangenehm zu machen.

Beim gestrigen Spiel blitzte dieser Wille leider nur zeitweise, und durch vereinzelte Spieler, auf. Absolut Ungenügend für die Farben unseres Vereins.
Mitreissend
„Im Ruhrpott erkämpfen wir uns Erfolge traditionell gemeinsam – auch außerhalb des Fußballs. Daher verstehen wir uns als Mannschaft aus Fans, in der wir uns mit grenzenloser Leidenschaft unterstützen. Diese Leidenschaft ist unser Motor, immer alles für unseren VfL Bochum 1848 zu geben. Wir stehen in guten und in schlechten Phasen zueinander und treiben uns gegenseitig mit Herzblut immer aufs Neue an. Miteinander kämpfen wir immer mit vollem Einsatz, treten als verschworene Einheit auf und sind stets füreinander da. In jeder Situation verstehen wir uns als engagierte Botschafter unseres VfL Bochum 1848 und faszinieren andere mit unserer Begeisterung.“ – Aus dem Leitbild des VfL Bochum (Quelle: VfL Bochum)
Diese Worte aus dem Leitbild dürfen sich die Vereinsgremien gerne nochmals in Erinnerung rufen. Dass die Fans zunehmend kritisch werden, darf an der sportlichen Entwicklung und den sagenhaften Entscheidungen der vergangenen Transferperioden, Personalentscheidungen und Aussagen festgemacht werden.
Dass die Auftritte auf dem Rasen nicht mitreissend sind, verwundert vermutlich niemanden. Was jetzt zählt, ist vermutlich bereits in der Mannschaft angekommen: Abstiegskampf.
Abstiegskampf voraus
Eine desaströse Kaderplanung. Ein Warten auf Angebote, um mit frischem Geld stufenweise die Mannschaft zu sanieren. Die ausbleibenden Anrufe und damit ein panischen Agieren zum Ende der Transferfrist, um der Öffentlichkeit zumindest irgendetwas zu präsentieren. Ein Halten von Abgangswilligen, die nun vorangehen sollen und sich auf dem Platz wegducken. Die Mannschaft ist fragil. Die Spieler sind ohne Selbstbewusstsein. Die Spielidee gescheitert. Die Möglichkeit für Anpassungen begrenzt. Es gilt die Grundlagen neu zu sortieren und die VfL DNA zu finden, um frühstmöglich auf Punktejagd zu gehen und im Winter zu versuchen so viel wie möglich von dem zu korrigieren, was seit mehreren Transferperioden verbockt wurde.
Dass die zweite Bundesliga so ausgeglichen ist, darf unserer Mannschaft zu Gute kommen. Mit einer stabilen Defensive, Leidenschaft und Standards ist in Liga 2 nochmal mehr zu holen, als in Liga 1. Mangelnde individuelle Qualität kann besser kaschiert werden. Doch wenn die Spieler weiter starten dürfen, die gedanklich anscheinend zu einem Aufstiegskandidat gekommen sind und den Abstiegskampf nicht annehmen können, dann kann auch eine Spielidee nicht mit Leben gefüllt werden.
Die richtigen Worte finden die Vereinsgremien und Verantwortlichen. Doch findet der VfL Bochum als Verein auch die richtigen Antworten auf und neben dem Platz?
Das Leitbild des VfL Bochum findet für diesen Fall jedenfalls eine gute Marschroute, um im Abstiegskampf bestehen zu können.

Unbeugsam
„Die Geschichte unseres VfL Bochum 1848 ist ein Spiegel der Geschichte des Ruhrpotts: oft unterschätzt, von Großen bedrängt und geprägt durch Widrigkeiten, Rückschläge und Niederlagen – aber immer noch da! Gestern, heute und morgen: Wir trotzen selbstbewusst den Widrigkeiten, kämpfen gemeinsam gegen Rückschläge und bleiben auch bei Niederlagen fair! „Nicht unter kriegen lassen“ ist unser Antrieb, „immer wieder aufstehen“ unser Prinzip, „trotzdem“ unser Motto!“ – Aus dem Leitbild des VfL Bochum (Quelle: VfL Bochum)
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