David Siebers – Pragmatismus mit klaren Prinzipien

David Siebers übernimmt die erste Mannschaft des VfL Bochum als Interimstrainer.
Foto: VfL Bochum

Der VfL Bochum hat sich nach dem Fehlstart in der 2. Bundesliga von Dieter Hecking getrennt. Auch Sportchef Dirk Dufner musste gehen. (Interims-)lösung ist der U19-Trainer David Siebers, der bereits am Dienstag die erste Einheit mit den Profis leitete. Doch wer ist David Siebers? Was ist seine Spielidee? Was können wir erwarten?

Siebers Grundidee: Dreierkette, Flügelwucht, Angriffspressing

Dreier- bzw. Fünferkette ist fast schon ein Schimpfwort geworden in den letzten Jahren in Bochum. Doch wir sollten uns daran gewöhnen – drei Innenverteidiger sind bei unserem Interimstrainer David Siebers Standard. Seine bevorzugten Grundordnungen sind 3-5-2, 3-4-3 oder 3-4-2-1, ohne starre Festlegung: Im Aufbau sieht man häufig ein 3-4-3 mit breiten Flügeln, gegen den Ball kippt die Struktur meist in ein 3-4-1-2 – zwei Stürmer und ein offensiver Mittelfeldspieler, der als Pressinglenker dient.

Erzwingt der Gegner im eigenen Spielaufbau längere Bälle fokussiert der OM konsequent den zweiten Ball. Im letzten Drittel stehen dann in der Regel ein klassischer Stoßstürmer und mindestens ein Flügelspieler. Der OM besitzt meist auch eine gewisse Flügelkompetenz – im Vorjahr spielte diese Rolle Lirim Jashari. In der 3-4-1-2-Grundordnung agierte Jashari zentral, im 3-4-3 beziehungsweise 3-4-2-1 rückte er auf die äußeren Positionen.

Die äußeren Innenverteidiger als Beschleuniger

Defensiv bleibt Siebers der Dreierkette treu, verlangt aber, dass mindestens einer der äußeren Innenverteidiger druckvoll nach vorne „andribbeln“ kann. In der U19 erfüllte Tschoumy Nana diese Rolle, bei den Profis dürfte Leandro Morgalla dieses Profil ausfüllen. So sollen die Innenverteidiger den Ball frühzeitig nach vorne tragen. Dadurch wird die Dreier- im Ballbesitz oft zur Zweierkette, wobei die Restverteidigung dann als 2+1 organisiert ist.

In der letzten Linie lässt Siebers auch phasenweise mannorientiert verteidigen. Das Team schiebt dann insgesamt höher, um nach gelungenen Pressingsituationen schnell in Abschlusspositionen zu kommen.

Flügelspiel: systematisch, nicht personengebunden

Dass die U19 von den Schienenspielern Darnell Keumo und Kacper Koscierski profitierte, ist unbestritten. Doch das Flügelspiel ist mehr als die Summe von zwei starken Einzelspielern. Häufig werden die Schienenspieler von der Mannschaft über Seitenverlagerungen optimal freigespielt. Anschließend „mutiert“ die Offensive vom 3-5-2 zum 3-4-3, wodurch zwei offensive Flügelspieler präsent sind. Situativ schiebt zudem ein Halbverteidiger nach und schafft Überzahl im äußeren Mittelfeld.

Gegen tiefere oder nominell schwächere Gegner setzt Siebers gern auf technisch versiertere Schienenspieler (etwa Ciwan Günes auf der linken Seite), um Ballbesitzstabilität zu gewinnen. Aus diesem Ansatz ergibt sich eine höhere Flankenfrequenz – ein Muster, dass gerade Zielspieler Philipp Hofmann sehr zu Gute kommen dürfte und ihn öfter in Abschlusspositionen in der Box bringt.

Pressing als Leitmotiv – und starke Justierungen zur Pause

Siebers steht für ein mutiges Angriffspressing. Die vorderen Drei laufen unermüdlich an und zwingen den Gegner zu Fehlern oder langen Bällen. Überspielt der Gegner diese erste Linie, so rückt die nächste Linie entschlossen nach – die Staffelung schiebt insgesamt höher.

Aktivität ist ein Stichwort. Auffällig ist wie häufig die Mannschaften von Siebers nach der Halbzeit klare Lösungen finden: Er justiert in der Pause präzise nach, wechselt Systemdetails und Rollen, ohne die Grundprinzipien zu verwässern.

Konsequenzen für den Profikader

Für den VfL heißt das: Morgalla wird als andribbelnder „Außen-IV“ zum Schlüssel, daneben braucht es auf der anderen Seite Tempo und Vorwärtsdrang, damit der Aufbau nicht einseitig kippt. Die Kombination aus Schienen- und Flügelspielern verlangt Laufstärke, gutes Timing und sauberes Raumgefühl – die Schiene hält die Linie und Tiefe, der Flügel variiert intelligent zwischen Breite und Tiefenläufen.

Mit mehr Hereingaben wächst die Bedeutung der Box-Präsenz. Kurzer Blick zur Seite zu Philipp Hofmann: Deine Heatmap in den nächsten Spielen MUSS eine andere sein. Mut zur höheren Grundposition bedeutet allerdings auch Risiko hinter den Schienen: Positionsdisziplin der Sechser, Antizipation der äußeren Innenverteidiger und eine klare 2+1-Absicherung entscheiden darüber, ob Konter zuverlässig kontrolliert werden. Keine leichte Aufgabe, diese Abläufe in wenigen Tagen und Wochen einzustudieren.

Chancen, Risiken und Ausblick

Der Ansatz bringt klare Pluspunkte: einen stringenten Pressingansatz, vertikales Denken, klare Mechanismen für Flügel-Überladungen sowie In-Game-Flexibilität zwischen 3-5-2 und 3-4-3.

Dem stehen Risiken gegenüber: Mannorientierung in der letzten Linie stellt hohe individuelle Anforderungen, die Räume hinter der ersten Pressingwelle müssen konsequent abgesichert werden. Die Intensität des Ansatzes verlangt eine kluge Belastungssteuerung samt Wechselqualität.

Man wird sehen, ob die Pressing-Trigger (Rückpass zum Innenverteidiger oder Torwart, offener Sechser des Gegners) sauber erkannt werden, ob Morgallas Vorstöße strukturiert abgesichert sind und ob die Mechanismen über Schiene–Flügel–Halbraum-Dreiecke regelmäßig Durchbrüchen am Flügel erzeugen.

Für Siebers spricht neben seiner klaren Idee auch sein Profil: 38 Jahre, UEFA-Pro-Lizenz, über Jahre im Talentwerk verankert – ein Trainer, der den Klub und dessen Ausbildungsphilosophie verinnerlicht hat. Der Mann darf sich beweisen und hat etwas zu gewinnen. Auch das kann sich positiv auf die Mannschaft übertragen und den gefühlten Phlegmatismus von der Castroper Straße vertreiben.

Fazit

Mit David Siebers bekommt der VfL klare Prinzipien: Dreierkette, Flügel-Überladungen, hohes Pressing – und die Bereitschaft, innerhalb des Spiels nach zu justieren. Gelingt die Balance zwischen Wucht und Absicherung, kann dieser Ansatz dem VfL schnell Punkte und Überzeugung zurückgeben. Mach et, David!

Vielen Dank an Zwetschge10 für den umfassenden Input zu diesem Artikel.

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Autor: Claudio Gentile

Als gebürtiger Bochumer wurde ich das erste Mal im zarten Alter von sechs Jahren ins Ruhrstadion geschleppt. Der VfL verlor. Was auch sonst. Trotzdem ließ mich der Verein nicht mehr los und spätestens als ich ein paar Tage nach meinem ersten Stadionbesuch das legendäre Papagei-Trikot mit einem "Peter Peschel"-Flock überstreifen durfte, war es um mich geschehen. Das ist jetzt 26 Jahre, wenig Siege und viele Niederlagen her. Wo die Liebe im Fußball hinfällt, kann man sich ja bekanntlich nicht aussuchen. Und eine Liga kennt Liebe auch nicht.

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