Auf dem Weg zum Provinzverein?

Nach zweieinhalb Jahren in der Erfolgsspur zerlegt sich der VfL Bochum in der Wahrnehmung der eigenen Fans gerade selbst. Unser Gastautor Tobias Dunkel versucht seine Gefühlswelt in Worte zu fassen und die größte Enttäuschung dabei ist nicht, dass dieses Fußballmärchen auf einmal vorbei sein soll. Ein Kommentar.

Ich bin 41 Jahre, ich stehe im Block Q und habe eine Menge Spiele bei 4 Grad und Nieselregen gegen Erzgebirge Aue gesehen. Ab und zu hinterfrage ich die Berichterstattung meiner journalistischen Kollegen. Nur ganz tief im Westen geht das nicht mehr, da wurde ich bei Twitter geblockt. Mein Arbeitgeber engagiert sich bei meinem VfL und ich finde das gut. Ich war in den letzten Jahren echt stolz auf meinen VfL. Und dabei ging es nicht nur um die Saison und die unverhofften Siege. Beim Sieg gegen Bayern war ich nicht mal im Stadion, weil ich nicht glauben wollte und konnte. Dafür habe ich die Zusammenfassung 50x gesehen und bin selig eingeschlafen. Was habe ich in meinem Garten rumgeschrien und meine schwarz-gelben Nachbarn zur Verzweiflung gebracht. Ja – das war mega.

Neben dem Platz

Aber viel besser fand ich das, was sich um die letzte Saison und rund um den Aufstieg aus Liga 2 entwickelt hat. Mir gefallen Vereine, die nur das ausgeben wollen oder können, was sie auch haben. Natürlich ist mir klar, dass das in Zeiten von Super-League und Financial Fair Play nicht die Realität ist. Aber: Mir gefällt die Story, die mein VfL in den letzten Jahren erzählt und aufbaut. Auf und vor
allem neben dem Platz. Ich glaube – und die zahlreichen Berichte vieler Medien über meinen VfL sind da auch ein Zeichen – das die Bundesliga das braucht. Ich bin ein großer Fan unserer Content-Abteilung und ich finde wir haben mit Tim Kramer einen der besten Sportfotografen, der für meinen VfL gute und schlechte Momente festhält.

Klar hat die letzte Saison Spaß gemacht und natürlich können wir jetzt jede Einzelentscheidung bewerten und diskutieren, die Verein, Präsidium, Aufsichtsrat, Trainer und Platzwart getroffen haben. Das überlasse ich anderen – das passiert überall im Netz – Google wird mit Sicherheit zum Ziel führen. Mir ist die Strategie nicht klar. Vielleicht gibts auch keine. Sesi konnte/sollte/wollte nicht gehalten werden. Wochenlang schafft man das (branchenübliche) Gespräch von Reis mit Schalke nicht aus der Welt und sorgt so für dauerhafte Unruhe. Dafür wird drüber diskutiert, wer wann wohl vielleicht nicht ganz die Wahrheit gesagt, berichtet oder gemeint hat. Verlängerung Mit Reis als Signal? Wird vertagt. Es wird nur noch über den VfL gesprochen – der VfL hat die Hoheit über die Kommunikation verloren oder vielleicht auch niemals angestrebt. Und so versinkt mein VfL wieder in der Provinzhaftigkeit, in der ihn die Nachbarn aus Dortmund und Gelsenkirchen so gerne sehen wollen. Gefühlt waren wir da schonmal weit von weg.

Gerne Plan B – aber bitte mit Plan

Natürlich weiß ich nicht, ob das Festhalten am Trainer, wie es Fürth in der letztem Saison
durchgezogen hat, bei meinem VfL doch funktioniert hätte. Aber was ist denn nun der Plan B?
Ok – Plan B kann für Butscher stehen (Kurze Frage an der Stelle: Was macht eigentlich Marcel
Maltritz? – Anmerkung Claudio: Hat eine Padel-Anlage in Bochum, sehr zu empfehlen). Spaß bei Seite: Was stellt sich der Verein denn vor? Klar – Thomas Tuchel und auch Tedesco haben gerade Zeit. Die hat Friedhelm Funkel bestimmt auch. Schon bald höre ich wieder die Rufe nach Peter dem Großen. Hatten wir alles schon. Wer die halbe Mannschaft nach den Gesetzen des Marktes verkauft oder verkaufen muss, der kann nicht erwarten, dass sportlich alles funktioniert. Sei’s drum, diese Diskussion sollen die Sportexperten dieser Welt führen.

Vom Weg abgekommen

Was ich nicht verstehe: Wie kann man die in meinen Augen solide Arbeit von Monaten und vielleicht sogar Jahren einfach so willenlos wegschmeissen. Das ist eine Tatsache, die ich nicht verstehe und mir fehlt leider gerade die Phantasie, wer wie das Ruder herumreißen will und kann. Es geht mir nicht um eine Generalkritik, ob Reis immer noch der richtige Trainer war oder ob alle sportlichen Entscheidungen immer richtig waren. Vielleicht geht es hier auch nur um ein Gefühl. Doch mein Gefühl sagt, dass wir irgendwie unseren VfL-Weg verlassen haben. Auf diesem Weg konnte man Fehler machen und hat diese dann im Idealfall später irgendwie korrigiert. Ich will hier auch nicht über einzelne Personen meckern – viele Menschen würden sagen, dass ich davon keine Ahnung habe und meine „Expertenrunde“ und Freunde aus Block Q auch keinen Plan haben.

Ganz deutlich: Das mag alles sein. Doch darum geht es mir persönlich nicht. Sind in meinem Text genug Fakten, um mein Gefühl zu belegen? Bestimmt nicht. Führe ich hier eine fachliche Sportanalyse der Arbeit eines Trainers? Ganz sicher nicht. Es geht um ein Gefühl und darum, dass mein VfL eigentlich nicht mehr der Provinzverein war und ist, der er vielleicht mal war. Aber gefühlt sind wir gerade wieder auf dem Weg dahin.

Ich bin traurig. Wirklich.