Kommt der Bochumer Herbst? Ein Kommentar

Foto: VfL Bochum

Morgen Anstoß um 13 Uhr – 10. Spieltag der 2. Bundesliga – 3 Grad und Schnee-Regen. Im Vorverkauf sind 7.800 Karten weggegangen, wir stehen mit 4 Punkten auf Rang 16 der zweiten Bundesliga. Wenn man sich die Stimmung im Umfeld des VfL anschaut, könnte man den Eindruck bekommen, wir stehen mit dem Rücken zur Wand kurz vor dem Untergang in die Bedeutungslosigkeit des unterklassigen Fußballs. Ein Kommentar.

Seit Wochen hat man das Gefühl, dass Sand im Getriebe ist – nach fast 2 Jahren, in denen es eigentlich nur positive Entwicklungen gab. Schwächephasen rund um unseren Verein sind wir gewohnt. Zu viele hat man schon erlebt. Selbst als junger Fan. Vielleicht auch gerade deswegen hat man ein besonders gutes Gespür, wenn sich etwas zusammenbraut. Der sportliche Fehlstart mit null Punkten wäre noch zu verkraften, vor allem weil die Mannschaft bis auf das Bayern-Spiel ordentliche Leistungen gezeigt hat, auf denen man aufbauen kann. Nebenbei macht sich jedoch aktuell eine Unruhe im Umfeld breit, die man seit Jahren beim VfL nicht mehr kannte. Sie erinnert an die besten „Bochumer Herbsttage“ aus vielen Jahren zweite Liga.

(K)ein Vertrag – viele Probleme

Das Thema „Vertrag von Thomas Reis“ ist allgegenwärtig. Dabei bekommt man langsam das Gefühl, dass man nicht mehr hinterher kommt mit den Aussagen der verschiedenen Akteure. Mal ist es ein Interview von Thomas Reis mit doppeldeutigen Aussagen vor dem Bayern-Spiel, dann kommt der nächste Insider, der irgendwo dropped, dass Hans-Peter Villis der Buhmann ist und im nächsten Moment feuert die Bild aus allen Rohren, dass Reis im Sommer fast bei den Zahnlosen in der Nachbarschaft gelandet wäre. Das Statement vor fast zwei Wochen durch den Verein, dass man die Vertragsgespräche in die lange Winterpause verlegt hat, sollte Ruhe bringen. Joa – die Posse geht trotzdem weiter.

Was denn nun? Ist die Anhängerschaft hypersensibel und lässt sich befeuert durch Medienberichte aufbauschen oder täuscht das Bauchgefühl nicht und man kann (fast) in bester Game of Thrones Manier beschwören „Bochumer Herbst is coming“?

Sind wir mal ehrlich – den meisten Fans ist doch absolut bewusst, dass mit großem sportlichem Erfolg die Begehrlichkeiten der größeren Vereine losgehen. Dass nun unser geliebter Nachbar Schalke angeblich an Reis rumgräbt ist nur die logische Folge. Es wäre gar seitens Rouven Schröders in seiner Rolle grob fahrlässig, wenn er es nicht tun würde, bei einem derart erfolgreichen Coach – besonders, da eine persönliche Beziehung zwischen ihm und Reis besteht.

Das Feuer lodert

Man muss nicht jedes Gerücht kommentieren oder gar dementieren. Wenn aber in einer eh schon recht unruhigen Zeit vom Blatt mit der größten Reichweite in Deutschland derart vehement und vor allem mehrfach eine Behauptung in den Raum gestellt wird, die weiter Öl ins Feuer gießt, wäre mir eine stark einheitliche Linie der gesamten Vereinsführung in Puncto Kommunikation lieb gewesen. Vor allem, weil diverse Bochumer Journalisten das gleiche Lied singen.

Natürlich haben auch wir unsere Kontakte rund um den Verein und bekommen einiges mit. Ich möchte mir trotzdem nicht anmaßen öffentlich zu urteilen, ob und in welcher Form was genau stimmt, wie Gespräche zwischen Verantwortlichen laufen. Mit Halbwissen von außen finale Schlüsse zu ziehen, ist immer einfach. Allerdings, nach all dem Trubel in den letzten Wochen, hätte ich mir für die beiden Pressekonferenzen gestern eine klarere Kommunikationsstrategie aller Verantwortlichen gewünscht. Ganz egal in welche Richtung die Antwort gegeben worden wäre. Hans-Peter Villis hätte schon in der ersten PK mit Patrick Fabian ein klares Statement zu der Sache abgeben können, anstatt einfach auf Reis zu verweisen. Ja, Thomas Reis hat mit „Nein“ auf die Frage eines Angebotes seitens der Schalker geantwortet. Anscheinend aber zu pauschal, wenn man sich die Berichte in der Bild heute anschaut. Ein proaktiver Ansatz mit deutlichem und unmissverständlichem Statement, mit Details wo nötig, um Spitzfindigkeiten zu vermeiden, gemeinsam von allen wäre in meinen Augen wünschenswert gewesen.

Und jetzt?

Shit happens, life goes on. Wir haben mit Bremen und Schalke zwei Gegner vor der Brust, gegen die man unbedingt punkten muss, wenn man nicht schon direkt am Anfang der Saison komplett hinterherlaufen möchte. Egal was gerade rund um unseren Verein passiert, während der 90 Minuten darf diese Unruhe kein Thema sein. Wir brauchen die Unterstützung von den Rängen, die es selbst und vor allem ab dem Tor zum 0-5 gegen die Bayern gab. Gänsehaut pur. Selbst unsere Jungs auf dem Platz haben ungläubig geschaut. Wir brauchen Punkte.

Und mit sportlichem Erfolg kommt auch wieder Ruhe. Der Verein und das Umfeld werden weniger angreifbar. Selbst wenn weiter Öl ins Feuer gekippt wird, selbst wenn Thomas Reis gehen sollte. Resilienz ist eine Tugend, an die wir uns immer wieder erinnern sollten. Wir spielen Bundesliga. Noch ist die Welt nicht untergegangen. Wird sie auch nicht. Krönchen richten, aufs sportliche konzentrieren, Punkte einfahren. Eventuell ist der Sommer ja doch noch nicht vorbei und der Herbst lässt noch etwas auf sich warten.

Autor: Claudio Gentile

Als gebürtiger Bochumer wurde ich das erste Mal im zarten Alter von sechs Jahren ins Ruhrstadion geschleppt. Der VfL verlor. Was auch sonst. Trotzdem ließ mich der Verein nicht mehr los und spätestens als ich ein paar Tage nach meinem ersten Stadionbesuch das legendäre Papagei-Trikot mit einem "Peter Peschel"-Flock überstreifen durfte, war es um mich geschehen. Das ist jetzt 26 Jahre, wenig Siege und viele Niederlagen her. Wo die Liebe im Fußball hinfällt, kann man sich ja bekanntlich nicht aussuchen. Und eine Liga kennt Liebe auch nicht.

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